Ur
Ur schrieb:Die Ärzte (alle ohne Ausnahme, und er war bei sehr vielen) gaben ihm wegen seiner Krankheit nurnoch eine sehr kurze Zeitspanne zum leben.
Das ist keine Vorschrift. Solche Nennungen von zeitlichen Begrenzungen sind statistische Erfahrungswerte, die die Medizin mit einer Krankheit hat. Individuell kann dann alles anders verlaufen.
Ich weiß jetzt nicht mehr genau, ob die durchschnittliche Lebenserwartung mit dieser Krankheit 5 oder 20 Jahre beträgt, ist aber nicht so wichtig für das, was ich sagen möchte.
Durchschnittlich heißt, es gibt Leute, die sterben früher, und andere, die sterben später dran. Kein Arzt und auch kein Patient kann wissen, zu welcher Gruppe er gehören wird.
Soweit ich weiß, hält Hawking sogar einen Rekord: er ist bisher derjenige, der mit dieser Krankheit seit Diagnosestellung am längsten überlebt hat. Es gibt aber noch zwei andere Personen, die auch schon fast 40 Jahre damit leben.
Das hat meiner Meinung nach aber nichts mit „aufgeben“ oder „durchhalten“ im Sinne einer willentlichen Entscheidung zu tun. Sondern einfach alles damit, wie zäh Dein Körper ist. Wie gesund er sonst ist, was sie Krankheit eben zufällig als erstes schädigt, und wie stark. Das entscheidet aber nicht der Betroffene mit seinem Willen, das entscheidet die Qualität der Materie des Stoffes, sowie das biochemische Zusammenspiel aller Komponenten. Und dies ist auch keine planmäßige Entscheidung, sondern eben eine Folge biochemischer Prozesse.
So wie es Menschen gibt, die sehr alt werden, gibt es eben Menschen, die Krankheiten lange durchhalten.
Ur schrieb: Nach deiner Logik dürfte kein Mensch mehr zurechnungsfähig bei einer Straftat sein, denn die Botenstoffe leiteten ja den Menschen
Ich denke, dem ist sogar so. Es sind ureigene Bedürfnisse, die Menschen zu Taten treiben. Da überlegt sich wohl kaum einer vorher, ob er zurechnungsfähig ist.
Und umgekehrt hat sich auch noch kein Täter durch drohende Strafen abhalten lassen. Was für mich ein schöner Beweis dafür ist, dass es eben keinen körperunabhängigen Geist gibt, der regulierend über den Körper herrscht.
Ur schrieb: Es ist die richtige Mischung des Denkens, die den Menschen nach Schicksalsschlägen wieder zu ihm selbst führt.
Und wie entsteht dieses „Denken“? Wobei es sicher nicht der Verstand ist, der Leuten Freude am Leben vermittelt, sondern das sind die Gefühle. Die und das Temperament werden, wie alle anderen Prozesse auch, durch die Körperchemie bestimmt.
Körperchemie hilft nicht einfach nur kurzfristig, sie wirkt ein Leben lang. Sie macht uns aus. Wir sind das Ergebnis von Stoffen, die in chemischen Prozessen untereinander agieren. Wir sind Chemieprodukte. Alle unsere Gedanken, Gefühle, Handlungen sind chemisch gesteuert.
Depressive zB besitzen weniger Glückshormone als psychisch ausgeglichene Menschen. Dagegen können sie gar nichts machen. Nicht mit Willen, nicht mit „dagegen ankämpfen“.
Im Gegenteil: diese fehlenden Glückshormone verhindern ja gerade, dass depressive Menschen gegen irgendeinen Schicksalsschlag ankämpfen können. Würde ja sonst genügen, einfach mal zu sagen, „Reiß Dich zusammen“.
Was übrigens Menschen, die nicht verstehen, dass Depressionen keine freiwillig gewählten Lebensalternativen sind, halt nicht verstehen. Und exakt so einen für den Depressiven völlig blödsinnigen „Rat“ erteilen.
Das wäre so, als würdest Du einem Querschnittsgelähmten raten, sich mehr an der frischen Luft zu bewegen, weil er dann glücklicher würde.
Wer in der Lage ist, sich zusammen zu reißen, sich von Schicksalsschlägen zu erholen oder einfach nur glücklich sein kann, kann dies, weil seine Körperchemie die entsprechende Glückshormone in entsprechender Dosis ausschüttet. Nicht, weil er „weiß“, wie es ginge, sondern einfach, weil er von Natur aus so konstruiert ist. Einfach Glück gehabt hat.
Hat nichts mit Deiner persönlichen Entscheidung oder einem freien Willen zum Überleben zu tun. Oder gar mit einem von irgend woher kommendem „Geist“.
Hawking ist nicht deshalb noch am Leben, weil er das so will. Glaube mir, die, die bereits nach 20 Jahren dran sterben, wollten sicherlich auch leben.
Und wenn lebensmüde Menschen nicht mehr leben wollen, dann sterben sie deswegen ja auch nicht. Die müssen dann schon tüchtig selbst nachhelfen, denn der Körper lässt sich nicht vorschreiben, ab wann er nicht mehr funktionieren darf.
Diese in uns ablaufenden chemischen Prozesse folgen ihren eigenen Gesetzen. Die kannst Du nur mit der richtigen Chemie neu starten, abbremsen, beschleunigen, stoppen oder in andere Richtung lenken. Aber nicht durch bloßes „Denken“ oder „Wollen“.
Genauso wenig wie Physik durch Wünschen funktioniert, lässt sich Deine Körperchemie durch Wollen beeinflussen.
(Hehe – stelle mir gerade vor, wie ich als Alchimist irgendeine flüssige Substanz über einen Haufen Mist schütte, dabei murmle „Ich will“ und schon wird aus dem Mist Gold.
;)Ne, tut mir Leid, so funktionieren chemische Prozesse nun mal nicht. So funktioniert das Leben nicht.)
Und, wie gesagt, wie gut Du „denken“ oder wie intensiv Du fühlen kannst, hängt eben von Deinem Körper und seinen chemischen / neurologischen Prozessen ab.
Freu Dich, wenn Du Dich wohl fühlst, aber denk dran, es geht bei Weitem nicht allen so gut. Und keiner von ihnen kann auch nur das Geringste selbst dafür.