Asapavan schrieb:jedoch sehe ich es so, dass alle Dinge sowohl gute als auch nicht gute Seiten haben. Das bezieht sich auf Alles!
Seh ich auch so. Obwohl ich hier den ein oder anderen harschen Kommentar der Empörung gegenüber einer alt-religiös missionierenden Person gepostet hab, muss ich dem Religiösen allgemein dennoch ein gewisses spirituelles Potential zugestehen - kein einziges positives feature am "Glauben an den einen Gott" zu sehen, ist das Verleugnen eines (verdrängten) Teils seinerselbst und damit teils Realitätsverleugnung. So dient das Erfahren eines gemeinsamen Glaubenskonstruktes (der Gang in die Kirche zum gemeinsamen Beten) doch auch dazu, sich miteinander verbunden zu fühlen und ein Gefühl von ozeanischem Gemeinschaftssinn mitsamt imaginär-transzendenter Geborgenheit zu entwickeln. Also ein Gefühl von All-Einheit, von Sinn und sogar auch von Moral/Vernunft. In gewissen Lebenslagen kann das ein wertvoller Anker sein, um Negatives mit Positivem zu verdrängen. Bei mir war es so für ein paar Monate in meiner Jugend.
Wobei das Verdrängen des Leids wieder zweiseitig zu sehen ist, denn Verdrängung bedeutet auch Nicht-Bewältigung. Auch jedes Interpretationskonstrukt des Lebens ist zweiseitig, denn einerseits setzt es sowohl Positives frei, andererseits aber ist es begrenzend. Für mich also erwächst aus jedem Erschließungsversuch des Lebens, der auf einem Behaupten basiert, auch Negatives bzw. lässt er dem Bösartigem im Menschen freien Lauf, was sich z.B. (meist getarnt und unsichtbar) bei Bekehrungsversuchen gegenüber anderen ausdrückt. Jeder Versuch, wen anders zu einer abgegrenzten Weltsicht/Welterschließung/Weltinterpretation zu drängen, ist für mich das Aufdrücken einer bewusstseinsbegrenzenden Gedankenmatrix. Da weckt sich doch zurecht ein Widerhall, wenn sich Atheisten dagegen wehren, denn auch der Atheismus geht mit einer spirituellen Erfahrung einher (das Überschreiten der Abhängigkeit vom religiösen Ersatzwerkzeug und das Überschreiten-Wollen der schlechten features des Gläubigen).
Die Zweiseitigkeit der Dinge, also dass sich eben Gutes und Schlechtes, Produktives und Destruktives, in ausnahmslos allem Existierenden zentriert, ist der Weg der Gerechtigkeit, denn er bedeutet das Anerkennen von Kritik als auch von Würdigung/Erhaltung. Es ist ein Weg der Differenzierung - ein geistiger Weg und damit ein spiritueller. Dass z.B. die christliche Religion nicht nur als Herrschaftsstrategismus oder auch nicht nur als kühne, kindlich anmutende Phantasie intendiert war/ist, zeichnet sich ja auch im Sinneswandel von Karl Feuerbachs Auffassung von Religion ab (den Wiki-Artikel kann ich nur anraten). Allerdings muss man, um die Ambivalenz der Dinge überhaupt erst richtig anerkennen zu wollen, einige gedankliche Prozesse durchschreiten, was für mich persönlich auch eine Zeit der erbitterten Abneigung gegenüber dem Religiösen bedeutete, welche eng mit der Theodizee-Erfahrung verknüpft war.
Asapavan schrieb:Und da sehe ich in der heutigen Gesellschaft enormen Überlegungsbedarf , nicht alle und alles über einen Kamm zu scheren und sich wirklich individuell darauf einzulassen.
Seh ich auch so. Das sind schonmal zwei Menschen unabhängig voneinander, also kann dieser Schluss gar nicht so realitätsfremd sein. Also das, was so an hasserfüllten Feindbildern herumkursiert (sowohl von religiöser als auch von atheistischer Lagern), hat wenig mit intellektuell oder spirituell hochgereiften Welterschließungsversuchen zu tun, sondern sind ein Ausdruck beginnender Bewusstheit, wo aber das Destruktive noch sehr krass im Außen statt nicht auch im Innen verortet wird. Gerade auch in autoritärer Hinsicht besteht da ein großer Nachholbedarf an gedanklicher Entwicklung/Erkenntnis, denn (man mag es kaum glauben): Vordenker gibt es auch heute noch. Da kann ich dann nur denen, die sich z.B. Richard Dawkins als Idol ausmalen, nur sagen, dass sie sich mit einem teils ungebildeten, ungehobelten, emotionalen Krüppel identifizieren (teils heißt nicht, dass er das ganz ist). Aber sicherlich verhält sich das ähnlich bei so ziemlich allen Idolen, wo man sich voll und ganz identifiziert, aber weniger selbst auf sein Innerstes und auf Erfahrungen anderer hört. Von Kirchen, Päpsten, "Göttern" und so einigen "Wissenschaftlern" will ich gar nicht erst reden.