Die bisherige bekannte Geschichte ist voller Löcher, total ungereimt:
- Die Angeklagte könnte auch eine Antwort auf die Frage geben, was sie und ihre beiden Kameraden dazu veranlasste, sich im Untergrund zu gebärden, als hätten sie nichts zu befürchten. Von einem ,,hochkonspirativen Verhalten“ kann tatsächlich nicht die Rede sein. Von Quittungen der angemieteten Fluchtfahrzeuge, über Skizzen ausgespähter Tatorte, bis hin zu den Tatwaffen wurde umfangreiches Beweismaterial akribisch daheim aufgehoben.
Das flüchtige Trio bewegte sich offenbar unbeschwert in der Öffentlichkeit. Man ging gemeinsam ins griechische Restaurant oder schloss im Urlaub neue Bekanntschaften. Vor allem Zschäpe schien sich keine Sorgen vor einer Entdeckung zu machen. Sie besuchte einen Gerichtsprozess gegen Mitglieder der Hells Angels, der massiv von der Polizei gesichert wurde und den Besuchern abverlangte, die Personalien vorzuzeigen. Als „enorm dreist“ bezeichnete das ein Sicherheitsexperte. (4)
Zschäpe soll 2007 in Zwickau sogar Zeitungsabos von Tür zu Tür verkauft haben – obwohl der NSU laut Anklageschrift zum Jahresbeginn bei einen Bankraub sechsstellige Beute machen konnte. (5) Nicht einmal Fernsehkameras schreckten die im Untergrund Lebende ab. Im Sommer 2011 wollte sie auf Fehmarn an einem Freiluft-Aerobic-Kurs teilnehmen. Ein Teams des NDR war schon vor Ort, um aus ,,ganz vielen unterschiedlichen Perspektiven“ Aufnahmen zu machen. „Es wäre leicht gewesen, einfach wieder zu gehen“, so ein Mitarbeiter des Senders. (6) Zschäpe ging trotzdem hin und ließ sich ausgiebig filmen.
Wie selbstverständlich nahm sie, wenige Monate bevor sie öffentlich als Terroristin gilt, am gesellschaftlichen Leben teil. Als läge der Untergrund schon lange hinter ihr. Der letzte dem NSU zur Last gelegte Mord lag ja auch schon Jahre zurück. Aber im Grund hatten die „Bombenbastler aus Jena“ nie wirklich etwas zu befürchten.
„Er werde das Trio niemals finden, da es unter staatlichem Schutz stehe“, gibt Jürgen Dressler, früherer Chef der Ermittlungsgruppe Terrorismus/Extremismus im LKA Thüringen, wider, was LKA-Präsident Egon Luthardt dem zuständigen Zielfahnder gesagt habe. (7) Nach vier Jahren erfolgloser Fahndung ging die Staatsanwaltschaft Gera davon aus, dass „einer oder mehrere der gesuchten Beschuldigten“ für den Verfassungsschutz Thüringen tätig ist. (8) Auch ,,nahezu alle“ zuständigen Beamten des LKA waren überzeugt, dass die Geheimdienst-Behörde ihre Finger mit im Spiel hatte. (9)
Der Verdacht einer geheimdienstlichen Kollaboration richtete sich vor allem gegen Zschäpe. Auch seitens des Vaters von Uwe Mundlos, der bereits 1998 einen anonymen Brief erhielt, in dem die Rechtsextremistin beschuldigt wurde, als Informantin für den Verfassungsschutz zu arbeiten. (10)
Offiziell heißt es, eine Anwerbung ihrer Person sei ,,geprüft“ worden, aber nicht erfolgt. Ihr Kokainkonsum habe dem im Wege gestanden. (11) Ihre mangelnde Auskunftsbereitschaft war es sicher nicht: 1996 waren bei Beate Zschäpe Fotos beschlagnahmt worden, die sie und Kameraden dabei zeigen, wie sie feierlich ein Holzkreuz abfackeln. „Auf der Wache wurde sie zu der Verbrennung in Ku-Klux-Klan-Manier befragt – und verpfiff prompt 18 Kameraden. Sie schrieb die Namen mit Kugelschreiber an den Rand der Bilder“, so der Spiegel. (12)
Hatte man ein Druckmittel, um ihrer Kooperationsbereitschaft „prompt“ auf die Sprünge zu helfen? Jedenfalls erfuhren V-Leute aus der rechtsextremen Szene eine exklusive Behandlung, die erklären würde, warum sich die mutmaßlichen NSU-Mitglieder nicht an die Grundregeln eines konspirativen Untergrundlebens gebunden fühlten.
So heißt es in einem Geheimpapier des BKA, Geheimdienst-V-Leute würde vor Aktionen der Polizei vorgewarnt, und würden ,,weder angeklagt noch verurteilt“, wenn sie als Straftäter identifiziert worden sind. (13) Das Vorgehen der Geheimdienste würde „letztlich nicht nur die Quellen, sondern die gesamte Szene“ vor Strafverfolgung schützen, so das BKA-Papier. (14)........... -
http://www.hintergrund.de/201305062560/politik/inland/nsu-prozess-viele-offene-fragen.html (Archiv-Version vom 08.05.2013)