@Klartexter @libertarian Und wieder ein Paradebeispiel für das, was ich oben schon sagte:
Berlusconi redet die Krise schön
In Italien wächst die Angst vor einem neuen Tsunami an den Finanzmärkten: Aktien rutschen in den Keller, Zinsaufschläge erreichen neue Rekordmarken. Ministerpräsident Silvio Berlusconi wollte mit einer Rede vor dem Parlament seine Landsleute und die Märkte beruhigen. Aber das gelingt ihm nicht mehr.
Rom - Was für eine Woche für Italien: die Aktienwerte im Keller, die Zinsaufschläge auf einem neuen Höchststand. Da tritt der Regierungschef am späten Mittwochnachmittag vor das Parlament, um sein Volk gegen die grassierende Verunsicherung zu impfen.
Er hat das schon oft gemacht, er ist ein Routinier der Beschwichtigung. Ohne große Begeisterung arbeitet er eine gute halbe Stunde lang seinen Stapel Papier ab, rattert Dutzende von Zahlen herunter. Sein Fazit: Italiens Banken sind solvent, die Unternehmen gut aufgestellt, kurzum: Italien steht "ökonomisch und finanziell solide" da.
Die Märkte, führt Berlusconi mit versteinerter Miene aus, würdigten die Fakten nur nicht richtig. Die Fundamentaldaten seien nämlich durchweg positiv. Gut, eine Krise gebe es schon, alle Länder hätten derzeit Probleme. Doch im Vergleich gehe es Italien relativ gut. Von einer " italienischen Krise" könne jedenfalls keine Rede sein. Vielmehr habe "die griechische Krise die Turbulenzen auf den Märkten hervorgerufen".
Politik à la Berlusconi: Versprechungen und noch mehr Versprechungen
Mit einer Steuerreform, die Familien und Betrieben das Leben erleichtern soll, mit einem 7,4 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm für Italiens wirtschaftsschwachen Süden, mit weiteren "27 konkreten Maßnahmen", von der Renovierung des Justizapparates bis zur Qualifizierung des "Humankapitals", werde er die Schwierigkeiten des Landes meistern. Er habe die Sache im Griff, so die Botschaft. Schließlich sei er ja selbst von der Talfahrt an den Börsen betroffen, habe er doch drei börsennotierte Unternehmen.
Der alte Silvio Berlusconi sollte das sein. Der mit dreisten Versprechungen und einem Präsentkorb voller Zahlen ("130 Projekte, die den Süden voranbringen") seine Landsleute so lange, so oft eingewickelt hat. Seid guten Mutes, lautete seine frohe Kunde schon immer, das Schiff Italien ist solide gebaut und der Steuermann hält den richtigen Kurs.
Aber er glänzt nicht mehr, überzeugt nicht mehr. Fahl und emotionslos stand er vor dem Parlament. Außenminister Franco Frattini und Finanzminister Giulio Tremonti neben ihm schienen gelangweilt, Tremonti gähnte und rieb sich ab und zu das Gesicht. Denn alle, auch Berlusconis Gefolgsleute im Saal, die tapfer ihren bestmöglichen Applaus spendeten, wissen: Das Schiff Italien ist morsch und der Steuermann ist schon lange nicht mehr vertrauenswürdig.
Was sagen die Ökonomen? Die Misere ist selbstverschuldet.
Längst dämmert es auch den hartleibigsten Optimisten, dass ihr "Bella Italia" nicht von einer globalen Finanzseuche heimgesucht wird, nicht das unschuldige Opfer böser Mächte in den Großraumbüros von Finanzhaien ist. "Selbstverschuldet" sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sagen Ökonomen wie der Nobelpreisträger Michael Spence im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica": Jetzt zeigten sich "die Folgen politischer Fehler im eigenen Land". Gewerkschafter wie Unternehmer sprechen deshalb immer häufiger von Neuwahlen. Sie trauen dieser Regierung den nötigen Kraftakt nicht mehr zu, das Land aus dem gefährlichen Strudel herauszureißen.
Die Lage ist ernst: Erst drei Wochen ist es her, da stand Italien am Abgrund. Mit einem über 50 Milliarden schweren Hauruck-Sparprogramm musste sich die Regierung in Rom gegen den Sog der Märkte wehren. Das Gröbste schien damit vorbei. Tatsächlich war allerdings keine der vielen Schwachstellen der italienischen Ökonomie beseitigt.
Schon der Ausbruch der Finanzkrise, Anfang 2008, führte in Italien zu schlimmeren Folgen als in den meisten anderen Euro-Ländern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel binnen eines Jahres um knapp sieben Prozent. Die anschließende wirtschaftliche Erholung fiel dagegen niedriger aus als - mit Ausnahme Spaniens - im restlichen Europa. Im Ergebnis lag das BIP - das umfasst alles, was hergestellt, verkauft, vermietet oder sonst wie zu Geld gemacht wird - fünf Prozent unter dem Stand vor der Krise.
Italienische Krankheit
Die Ursachen dafür liegen im Land selbst. Italien hat einerseits eine gesunde und kreative, meist mittelständische Industrie - Modeschöpfer, Maschinenbauer, Möbeldesigner zum Beispiel - andererseits gefährlich wuchernde Krankheitsherde im Zentrum seiner Volkswirtschaft. Nur einige Beispiele:
■Unternehmen und Arbeitnehmer stöhnen unter einer hohen Steuerlast, wandern ins Ausland oder in die Schwarzarbeit ab.
■Der hochverschuldete Staat laboriert trotzdem ständig am Rande der Pleite, gibt das wenige Geld, das er hat, zudem wenig sinnvoll aus.
■Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen fehlen Geld und Personal; das Land ist technologisch weit abgeschlagen.
■Die Wettbewerbsfähigkeit, im Vergleich zu den Konkurrenten auf den Exportmärkten, fällt Jahr für Jahr.
■Das staatliche Gesundheitssystem kostet viel und leistet wenig.
■Die Justiz schafft keine Rechtssicherheit; auch das verhindert Investitionen.
■Eine exzessive Bürokratie bremst oder blockiert jede Privatinitiative und verschlingt einen gewaltigen Teil des Staatshaushalts.
Und über allem liegt wie Mehltau eine politische Führung, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, persönliche Probleme zu lösen und ansonsten gemeinsam mit der Opposition ein politisches Operettentheater aufzuführen, das in Europa seinesgleichen sucht. Die dringend nötigen Reparaturarbeiten der etwas zurückgebliebenen drittgrößten Wirtschaft der Euro-Zone blieben einfach liegen. Der Unternehmerverband Confindustria spricht vom "verlorenen Jahrzehnt".
Kleine Drohung unter Parteifreunden
So geht Italien nun womöglich in die nächste Runde im riskanten Fight auf den Finanzplätzen. Viele Investoren misstrauen offenbar der Kraft, den Fähigkeiten oder dem entsprechenden Willen des Regierungschefs. Und die Spekulanten wittern ein dickes Geschäft. Trudelt der große Brocken Italien in Richtung Staatspleite, dann gibt es für sie dort weit mehr zu verdienen als beim Bröckchen Griechenland.
Leidtragende wären insbesondere die Italiener. Aber auch die Nachbarn müssten in diesem Fall noch einiges mehr bereitstellen, um zu retten: Italien ist mit rund 1,9 Billionen Euro nach den USA und Japan der drittgrößte Schuldner der Welt.
Für Donnerstag hat Silvio Berlusconi Unternehmer und Gewerkschafter in seinen römischen Regierungs-Palazzo "Chigi" geladen. Ihm schwebt eine "konzertierte Aktion" von Regierung und Sozialpartnern vor. Ob das Konzert lange dauert, ist fraglich. Denn Berlusconi hat in seiner Lesung vor dem Parlament zwar versichert, seine Regierung werde bis zum Ende der Legislaturperiode halten und zu den Wahlen 2013 "ein stärkeres und besseres Italien" präsentieren.
Aber intern habe er, nach mehreren Fehlschlägen in den vergangenen Wochen und permanentem Störfeuer aus den eigenen Reihen, seinen Partei- und Koalitionsfreunden gedroht: "Beim nächsten Schlag fliegt hier alles auseinander", dann folgten "Neuwahlen im November", zitiert ihn die Zeitung "La Repubblica".
Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,778269,00.html (Archiv-Version vom 04.08.2011)