def schrieb:Das Syrien vor der Demokratisierung durch islamistische Milizen soll ein ziemlich schöner Ort gewesen sein. Ein Kommilitone aus Damaskus erzählte mir von Nachclubs, Miniröcken im Stadtbild und einer Gesellschaft, in der man relativ frei seinem Glauben nachgehen konnte.
Das stimmt zum Teil. In Syrien konnten Christen und andere Minderheiten ihren Glauben frei praktizieren und entgegen dem irakischen Baathismus, der sich immer mehr zum Islamismus hinwendete, war dies bei seinem syrischen Pendant nicht der Fall.
Wahr ist aber auch, das der Säkularismus nicht das Prinzip des Assad-Clans war, sondern nur Fassade. Die Partikularisierung der syrischen Gesellschaft nach Stamm, Clan und Konfession hat der Baathismus niemals in einem laizistischen Staat aufgehoben, sondern diese Strukturen für seinen Machterhalt reproduziert. In diesem Klima hat sich dann die zahlenmäßig stärkste Konfession, also die sunnitische, radikalisiert und im Umkehrschluss gab es für Christen und Alawiten gar keinen anderen Ausweg als die Solidarität mit den Assads.
Ob Syrien angesichts der brutalen politischen Repression ein so schöner Ort war, wage ich trotzdem zu bezweifeln. Auch vor dem Bürgerkrieg lebten die Syrer im Ausnahmezustand und die Baath-Partei herrscht seit den 1960ern durch Notstandsgesetze. Einen Geschmack darauf, was Freiheit bedeutet, haben die Syrer sicher bekommen, als sie sich während des "Damaszener Frühlings" in Cafes treffen und frei die politische Lage und Veränderungen in Syrien diskutieren konnten. Das wurde dann aber auch ziemlich schnell abgeschafft. Und bis heute sind überkonfessionelle Ehen und nicht-eheliche Partnerschaften ein Tabuthema in Syrien, was zum einen die Zersplitterung, aber auch den reaktionären Charakter der Gesellschaft zeigt.