Peter0167 schrieb am 23.07.2020:Und dennoch kann jeder damit gut leben ... außer eben die Verbrecher.
Ich finde, dass du das zu einseitig betrachtest.
Es gibt durchaus Fälle, in denen auch der brave Bürger einen Nachteil aus staatlicher Überwachung haben kann.
Ein paar Beispiele und Gedanken:
1) Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung ("Staatstrojaner"): hierfür sind Behörden auf Sicherheitslücken im IT-Bereich angewiesen.
Diese werden daher oft geheimgehalten statt sie zu schließen. Dies ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine technische Notwendigkeit.
Dies schadet letztlich aber der IT-Sicherheit der Allgemeinheit, denn die selben Sicherheitslücken können auch von Cyberkriminellen genutzt werden.
Hier eine Stellungnahme der SPD-Vorsitzenden und staatlich geprüften Informatikerin Saskia Esken:
https://www.saskiaesken.de/statements/der-staatstrojaner-fuer-smartphones-ist-daKein rein theoretisches Szenario: 2017 ging in Deutschland und vielen anderen Ländern der Computervirus "Wannacry" um. Die Festplatten tausender unschuldiger Bürger waren auf einmal verschlüsselt.
Auch die deutsche Bahn und mehrere englische Krankenhäuser waren betroffen. Anzeigetafeln und andere Technik fielen in vielen Bahnhöfen aus. In den Krankenhäusern war ein großer Teil der IT-Infrastruktur nicht mehr verfügbar, Krankenwägen mußten umgeleitet und Operationen abgesagt werden.
Später kam heraus, dass der NSA die von den Hackern genutzte Sicherheitslücke bereits lange vorher bekannt war. Man hatte sich aber entschlossen, die Öffentlichkeit nicht zu informieren - eben um die Lücke selbst zum Hacken nutzen zu können.
siehe
Wikipedia: WannaCryAuch in Deutschland dürfte dieses Prinzip Anwendung finden. Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte 2017, es komme „politisch und juristisch darauf an“, ob eine Sicherheitslücke offengelegt wird, die die Behörde Zitis gekauft oder entdeckt hat.
Quelle:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/IT-fuer-Sicherheitsbehoerden-Schwachstellen-kann-Zitis-auch-kaufen-3832667.html2) Daten, die vom Staat ohne böse Absicht erhoben wurden, können in falsche Hände geraten und dann verhängnisvoll sein.
Ein aktuelles Beispiel, das mein Vorredner schon angebracht hat: von Polizeicomputern in Hessen wurden unerlaubterweise persönliche Daten von Künstlern und Politikern abgefragt. Diese erhielten daraufhin Drohschreiben mit rechtsextremem Inhalt.
Ein historisches Beispiel: die Stadt Amsterdam fing bereits im 19. Jahrhundert damit an, umfangreiche Datenbanken über ihre Bürger anzulegen. In diesen war auch die jeweilige Religionszugehörigkeit vermerkt.
Als die Nazis später das Land überfielen, wußten sie anhand dieser Datenbanken genau, welche Einwohner der Stadt Juden waren.
Es geht mir darum, dass niemand garantieren kann, dass wir immer in einem Rechtsstaat leben werden. Die Geschichte zeigt, dass sich Regierungen und Staatsformen ändern können, Überwachungsgesetze und Datenbestände aber bestehen bleiben.
3) auch ist es meiner Meinung nach so, dass niemand mit absoluter Sicherheit wissen kann, ob er etwas zu verbergen hat oder nicht. Wir haben mittlerweile sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene so viele und so komplizierte Gesetze, dass nicht einmal mehr Juristen jedes einzelne bis ins Detail kennen. Oft sind sich sogar Gerichte untereinander uneinig, wie denn die Rechtsprechung jetzt genau auszusehen hat.
Es reicht heutzutage einfach nicht mehr, Nachrichten zu schauen und nach bestem Gewissen zu handeln. Natürlich erhöht ein solches Verhalten die Wahrscheinlichkeit, sich nichts zu schulden kommen zu lassen, deutlich.
Eine Sicherheit hat man halt trotzdem nicht.
Von daher wirkt es auf mich immer etwas befremdlich, wenn jemand (vielleicht noch ein juristischer Laie) sagt: "Ich habe nichts zu verbergen!"
4) ich verstehe grundsätzlich deinen Standpunkt, dass der Staat auch in digitalen Zeiten handlungsfähig bleiben und seine Bürger schützen muß. Auch bin ich der Meinung, dass es wenig hilt, wenn immer gleich die Keule "Überwachungsstaat!" ausgepackt wird.
Hier die goldene Mitte zu finden, ist extrem schwierig und manchmal vielleicht sogar unmöglich. Ich würde mir zumindest wünschen, dass auch durch die Politik offen über Vor- und Nachteile gesprochen wird und auch Alternativen (wenn vorhanden) diskutiert werden, z.B. das Prinzip "Frontdoor" (in etwa: App-Stores installieren in Form eines Updates eine modifizierte Version des jeweiligen Messengers, die dann unverschlüsselt ist und mit herkömmlichen Methoden abgehört werden kann). Auch könnte man derlei Maßnahmen zeitlich befristen und prüfen, ob sie wirklich etwas gebracht haben.