Abahatschi schrieb:Und im Sozialismus hält man sich die Augen um nicht zu sehen dass es auch besser geht. Humans.
Es geht um eine präzise Kapitalismuskritik, Abahatschi, die dann zu einer generellen Herrschaftskritik auch realsozialistischer Staaten führen kann, aber zunächst nicht notwendig ist, um zu verstehen, wieso der Kapitalismus für nahezu alle von extremem Nachteil ist. Du lässt dich noch zu sehr von der Produktivkraft, der Warenvielfalt und der Warenmasse des Kapitalismus ablenken. Es ist nicht das Ziel der kapitalistischen Produktionsweise, Gebrauchswerte zu schaffen – Dinge, die wir nutzen –, sondern Reichtum. Und ,der Kapitalismus' erzeugt diesen Reichtum durch die Ausbeutung der Lebenszeit jener, die keine Kapitalisten sind. Wir reden hier von ausgesprochen wenigen Menschen, die wirklich ausnahmslos von ihren Kapitalreinvestionen leben. Nichtmal allen Millionären.
Kapitalismus heißt, dass wir uns Lebenszeit stehlen lassen, indem wir Arbeitsverträge eingehen, die uns strukturell über unsere Leistungen betrügen. Wer reich ist, hat mehr erhalten, als er geleistet hat; alle anderen erhalten weniger, als sie verdienen. Und das ist nur die ökonomische Dimension des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses.
Die Exklusionslogik, die mit ihm einhergeht, führt uns geradewegs in einen Zustand allgegenwärtiger Selbstfeindschaft: Weil wir nur erfolgreich sind, wenn wir an der Umverteilung partizipieren, unterstützen wir unsere Selbstausbeutung und treiben wir sie an; treten wir nach unten weiter, wie auf uns selbst eingetreten wird. Die Kritische Psychologie hat analysiert, was das für den Menschen heißt, der ja immerhin über Gefühle verfügt, die ihn in einer solchen Hackordnung unablässig alarmieren.
Jeder Staat ist gezwungen, Hackordnungen eigentumsrechtlich und ideologisch zu stabilisieren. In unserer Epoche geschieht letzteres maßgeblich über das neoliberale Selbstregime, das eben auch eine spezifische Interpretation unserer Gefühle installiert. Der Tatbestand, dass du dich niemals in einer sozialen Gruppe wohlfühlst, die dich unablässig bedroht, unterordnet und beraubt, wird dabei durch die Konstruktion eines individualistischen Verantwortungsrahmens verstellt. Berechtigte Sorgen und Ängste werden deklassiert. Wir reden uns ein, selbst Schuld zu sein an all den Anerkennungskämpfen, in denen wir den jeweils Kürzeren ziehen. Von dieser emotionalen Selbstverstümmelung ist niemand ausgenommen, auch an der Spitze der Aller(erfolg)reichsten nicht.
Die Frage, ob unser System "besser" ist als der totalitäre, realsozialistische Staat ist müßig bis bedeutungslos, weil sie aus der Kapitalismuskritik keine Konsequenzen zieht. Diese Konsequenzen sind zunächst Negationen, denn der springende Punkt ist nicht, was neu zu entwickeln oder zu erfinden wäre, sondern was ethisch, taktisch und planetar gedacht abgeschafft gehört.
Unter den aktuellen Bedingungen, Innovationen und Bedürfnissen ginge das weltweit mit einer Effizienzsteigerung einher, weil wir endlich ressourcenbasiert statt monetär produzieren würden; weil wir statt Mehrwerte Gebrauchswerte schüfen und weil die leistungsgerechte Verteilung unserer Güter und die Integration in ein egalitäres Sozialwesen die Grundbedingungen psychischer Gesundheit sind.