@Flodolski schrieb:
„Kapitalismus ist GEIL und jedem anderen Wirtschaftssystem meilenweit überlegen.“
Dass ich auf DIES (und das Vorherige erst recht) nicht reagierte, versteht sich von selbst !
Anschließend hast Du Dir anscheinend viel mehr Mühe gegeben:
…
„Ich bin selber ein starker Kritiker Tayloristischer Management Prinzipien, die den Menschen im Grunde zu einer Maschine degradieren, dessen Arbeitsabläufe mit der Stoppuhr festgelegt werden. Ich gründe selber gerade ein Unternehmen und mir geht es darum, dass die Mitarbeiter top motiviert sind, denn nur so werden sie top Leistungen bringen. Geld ist nicht der einzige Motivationsfaktor. Wichtiger sind Selbstständigkeit, Sinnhaftigkeit der Aufgabe und Anerkennung der Leistung.
…
„Deshalb bin ich ein Fan eines gut funktionierenden Ordo Liberalismus, der ein Rahmenwerk definiert, dass auf der einen Seite den sozialen Frieden in der Gesellschaft sichert, ohne dabei die Innovationskraft der Unternehmen, durch übertriebene Umverteilungspolitik zu behindern. Ein guter Mittelweg ist die beste Lösung.“
In diesem Thread geht’s aber nun mal um die Gegenwart des Verluste sozialisierens und Gewinne privatisierens, die man in der tatsächlichen Größenordnung nicht mehr nur Einzelpersonen anlasten kann und es ging (bisher) um die damit verbundene Vergangenheit.
Woher sollte man ahnen, dass es Dir darum geht, es besser zu machen ?
Folgendes mag also auf Dich (und Deine Umgebung) zutreffen:
Flodolski schrieb:„Wenn man sich aktuelle Trends und Entwicklungen anguckt, dann lassen wir den Manchesterkapitalismus langsam aber sicher hinter uns. Kapitalismus ist ja auch nicht gleich Kapitalismus.“
Die Allgemeinheit erlebt es immer noch anders. Die neue Sicht legst Du im Folgenden dar:
Flodolski schrieb:„Wovon ich aber weiterhin überzeugt bin: Die grundsätzlichen Anreizsysteme des Kapitalismus funktionieren und sie sollten erhalten bleiben. Wenn ein Mensch das Risiko einer Unternehmensgründung in Kauf nimmt, dann soll er die Früchte des Erfolgs auch ernten dürfen. Allerdings nicht auf Kosten seiner Mitarbeiter, denn die sind schließlich Teil der Erfolgsgeschichte.“
Auch soweit, so gut.
„Wo sind die Menschen heutzutage am Unglücklichsten? In den großen Unternehmen. Dort sind sie eine Nummer. Eine Stellenbeschreibung. Ein Rad im Getriebe, das zu funktionieren hat. Häufig mit wenig Mitspracherecht. Dazu verdonnert, als Teil des Unternehmens, dessen Erfolg mit zu gestalten. Siehst du die interessante Parallele? Große Unternehmen sind im Grunde sozialistische Systeme! Da wird geplant, da wird gesteuert, da wird überwacht, da wird umverteilt, da werden Budgets bewegt, da geht "individuelle Freiheit" verloren. Häufig regieren Bürokraten. Kreativität wird erstickt.“
Das kann ich nur unterstreichen! Auf diesen Vergleich mit der mir allzu gut bekannten real existierenden Misswirtschaft bin ich in den 90er Jahren innerhalb eines Großunternehmens selbst gekommen.
Nur- woher Du deinen Optimismus nimmst, ist mir rätselhaft.
Die Unternehmenskonzentrationen nehmen ständig zu. Was stirbt, sind vorrangig die Kleinen.
„Deshalb überlebt der Kapitalismus ALLE Krisen. Egal wie schwer. Er ist ein ungeplantes System. Ohne ideologischen Unterbau. Er "funktioniert einfach". Aufgrund all der einzelnen Teilnehmer im Markt. Du kannst dich raushalten. Er funktioniert trotzdem.“
Hier berücksichtigst Du nicht, dass es große und hoch wichtige Bereiche der Wirtschaft, vorrangig in der Infrastruktur- und zB. im Gesundheits- und Sozialbereich gibt, die nicht profitabel sein können, wenn sie verantwortungsgerecht betrieben werden sollen. Beziehe diese Bereiche mit ein und schon gerätst Du in die Zwickmühle.
Dass sie
ohne Verantwortung profitabel sein können, beweist der Alltag.
Flodolski schrieb:„Wir hätten meiner Meinung nach z.B. eine viel nachhaltigere Wirtschaft, wenn Unternehmen weiterhin wüssten, dass der Staat sie Pleite gehen lässt, wenn sie scheitern. Das wird die Unternehmen auf Trab halten. Sie werden allein zur Selbsterhaltung keinen Mist bauen. Die Finanzkrise war im Grunde eine Krise des Moral Hazard Problems. Banker WUSSTEN, dass der Staat einspringen wird.“
Berücksichtigst Du dabei auch wirklich, dass es nicht nur den Staat mit Großen und kleineren Unternehmen sowie Banken gibt?
Bist Du sicher, dass eine verbesserte wirtschaftliche Bildung der Allgemeinheit, also auch einiger Allmy-User die Kenntnisse über den Finansektor verbessern würden?
Oder nur Verständnis für das Kleinklein der ökonomischen Zwänge und bürokratischen Belastungen von Unternehmern?
Denn von der Öffentlichkeit kaum bewusst wahrgenommen, hat sich der (oft noch als regional oder national wahrgenommene) Finanzsektor in ein globales Netz von Finanzplätzen gewandelt.
Wikipedia: FinanzplatzWikipedia: City of London Corporationhttp://www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/FSI-WelcheFinanzplaetze_Final.pdf(Welche Finanzplätze werden im Schattenfinanzindex aufgeführt – und warum?)
Finanzplätze siedeln sich vorrangig an jenen starken Wirtschaftsstandorten an, wo sie von den Institutionen des Staates in Ruhe gelassen werden, wo der Staat aber gleichzeitig eine in jeder Beziehung erstklassige Infrastruktur und stabile politische Bedingungen bereitstellt. Staaten haben im Allgemeinen nicht Finanzplätze im Griff, sondern Finanzplätze haben Staaten im Griff !
Der Finanzsektor hat auf diese Weise längst vollzogen, worauf die Realwirtschaft noch lange warten muss und wovon Menschen guten Willens noch lange lange träumen dürfen, wenn sie nicht die Initiative ergreifen.
Dazu solltest Du doch ein wenig Aufklärung betreiben, bevor es Andere für Dich tun.
Flodolski schrieb:„Korruption im Kapitalismus ist nicht systemisch bedingt, sondern wird langfristig ausgemerzt.“
Vorläufig geht die Entwicklung immer noch in die entgegengesetzte Richtung!
https://www.youtube.com/watch?v=g2YQr_gaUBM(Steueroasen-Versuch einer Definition)
Wikipedia: SteuerparadiesWikipedia: Offshore-FinanzplatzWikipedia: BriefkastenbankWikipedia: SchattenbankWikipedia: BriefkastengesellschaftFlodolski schrieb: „ Weil die einen "ausgebeutet" werden, muss auf der anderen Seite jemand stehen, der bewusst FÜR SEINEN Vorteile ausbeutet. Das stimmt aber nicht. Das kann ich dir sagen, da ich bereits in mehrere DAX konzernen und bei Mittelständlern gearbeitet habe und die teilweise traurige Realität des Managements live erlebt habe.“
Freilich stimmt es offensichtlich und direkt nicht.
Schlecker ist wahrlich ein Einzelbeispiel. Aber ein Einzelbeispiel an tölpelhaftem Vertuschungs-Ungeschick.
Du musst nur gründlich genug suchen. Gerade in Profitcenter-Strukturen beispielsweise werden Mitarbeiter in höchstem Maße mit Eigenverantwortung, Mitsprache und Selbständigkeit ausgestattet. Wer soll es besser wissen als ich ?
Wikipedia: ProfitcenterIch und meine Kollegen, allesamt Bauleiter, hatten praktisch eine Fast-Unternehmerische Freiheit, haben aber gleichzeitig aus diffuser Angst die Gleitzeit-Stechuhr „umgangen“ um ohne Ende arbeiten zu können (für nass). Trotz permanent steigender Arbeitsbelastung verschwand immer wiederplötzlich der eine oder andere Kollege in einer Art konzerneigenem Ichweißnichtwieichdasnennensoll. Was die Arbeitsbelastung der Verbliebenen weiter erhöhte. Angeregt durch den Arbeitsplatz-Abbau handelten Unternehmen und Gewerkschaft Arbeitszeitverkürzungen von 40 Std auf zuletzt 32 Std. bei weiter steigender Arbeitsbelastung aus. „Zum Lohn“ fielen Urlaubs- und Weihnachtsgeld weg und wurden auf den nun viel geringeren Lohn aufgeschlagen (zum Ausgleich). Nachdem ich (und mit mir Viele) freiwillig das Handtuch geworfen hatte(n), wurde die Arbeitszeit wieder auf 40 Stunden heraufgesetzt, selbstverständlich weiterhin ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld (Geld ist ja nicht das Wichtigste). Der Stress muss jetzt unvorstellbar sein…
Flodolski schrieb:„Und selbst bei den Großkonzernen gibt es nur wenige schwarze Schafe, wo man wirklich von einer bewussten Ausbeutung und Täuschung sprechen könnte.“
Deshalb Widerspruch ! Die Bewussheit geht immer um Ecken.
Flodolski schrieb:„Mein Vater selber, hat einen Kleinbetrieb. Und wenn sich dort einer ausbeutet, dann ist er das selber. 4 Wochen Urlaub in acht Jahren. 6 Tage Arbeit die Woche. 70 Stunden Arbeit die Woche. So geht es insbesondere den Unternehmern. Denn du musst strikt zwischen Managern (Verwaltern) und Unternehmern (Visionären) unterscheiden. Manager gehen mir manchmal auch auf den Zeiger. Allerdings nicht, weil sie bewusst ausbeuten, sondern weil sie Bürokraten sind und nicht wissen, wie man das beste aus seinen Mitarbeitern rausholt. Und das tut man nicht durch permanente Kontrolle und Druck, sondern durch Gewährung von Freiraum, Selbstständigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten.“
Jetzt bin ich Teilhaber einer GBR. Die Selbstausbeutung von Selbständigen ist mir also keinesfalls fremd. Für mich praktisch kein Unterschied zur Arbeit als abhängig Beschäftigter in der Profitcenterstruktur eines Großkonzernes. Nur das Risiko ist andersgeartet und die Chance des Gewinns sind überhaupt erst gegeben.
Flodolski schrieb:„Denke dir die Unternehmen, die z.B. in Bangladesh Hundertausende Menschen beschäftigen, von jetzt auf sofort alle weg.
Dann haben die Menschen dort überhaupt keine Arbeit mehr. Dann sinkt der Lebensstandard auf einen Schlag wieder auf eine "vorkapitalistische Zeit", als die Armut absolut erdrückend war. D.h. der Kapitalismus, schafft sich durch seinen Erfolg die Basis für deine Kritik. Alleine in den letzten 20 Jahren ist in Bangladesch die durchschnittliche Lebenserwartung um 10 Jahre gestiegen. Die Globalisierung hat ein großartiges Integrationspotenzial. Und das ist es auch was wir sehen. Der Wohlstand steigt. Auch in Entwicklungsländern! Aber das blendest du aus, weil eine Schlagzeile ja viel besser zieht.“
Du magst ja recht haben, wenn denn diese Unternehmen sofort alle weg wären … Aber durch welchen Mechanismus sollte dies geschehen? Hier vermisse ich Kreativität und positives Denken. Warum sollte ausgerechnet ein Rückfall in eine noch schlimmere Vergangenheit folgen! Stehen die Feudalherren und Sklaventreiber bereits bereit?
Wenn alles plötzlich verschwände, was die Gegenwart prägt, wären unzählige Möglichkeiten des Fortschrittes viel eher denkbar.
Die Pauschalargumente „Anderswo leben die Menschen in Kartons“ oder „Früher wars noch schlechter“ sind eben für mich in keiner ihrer Varianten akzeptabel.
Flodolski schrieb:„Du tust geradezu so, als muss man "gegen den Kapitalismus" sein. Als sei der Kapitalismus per Definition ein Ausbeutungsystem. Dabei hat die Realität gezeigt, kein System in der gesamten modernen Menschheitsgeschichte (100.000+ Jahre) kommt auch nur Ansatzweise an die Erfolge es Kapitalismus heran“
Wetten, dass Du bei einem Systemvergleich der etwa 5.000 dieser 100.000 Jahre überschreiten würde, bereits in größte argumentative Schwierigkeiten kommen würdest? Nur etwa innerhalb dieser 5.000 Jahre sind überhaupt Systeme dokumentiert und das waren auch noch allesamt Ausbeutungssysteme. Wiederholungen und Gegenproben gab es praktisch nie.
„Erfolge“ hängen unmittelbar mit der technischen Evolution zusammen. Deshalb kann es gar nicht anders sein, als dass der Kapitalismus als Sieger hervorgeht.
Dass jedoch alles irgendwann ein Ende hat und etwas Anderes darauf folgt, ist eine Gesetzmäßigkeit.
Flodolski schrieb:„Ausbeutung ist überhaupt nicht in Ordnung. Und dagegen muss auch angekämpft werden.“
Das passt gut, finde ich !