@Flodolski Zunaechst muss ich eines klarstellen, bevor ich auf die einzelnen Punkte eingehe. Ich glaube dir ist noch nicht ganz der Unterschied bewusst zwischen freiheitlich sozialistischen Modellen, wie dem der Anarchosyndikalisten und Staatssozialismus, wie der der herkoemmlichen Zentralverwaltungswirtschaften des Ostens. Die Idee hinter dem Anarchosyndikalismus ist in erster Linie die Arbeiterselbstverwaltung, auf den Punkt gebracht hat das Antonie Pannekoek, allerdings kein Anarchist sondern linker Marxist (also in Ablehnung des Marxismus-Leninismus, aber ganz nah an anderen linkssozialistischen Stroemungen wie dem Anarchismus):
"Arbeiter als Herren der Produktion" drückt an erster Stelle aus, daß in jeder Fabrik, in jedem Unternehmen die Organisation der Arbeit das Werk der Arbeiter sein muß. Anstatt durch einen Direktor und dessen Aufpasser reglementiert zu werden, werden die Produktionsabläufe durch die Gesamtheit der Arbeiter bestimmt. Diese alle Arbeiter, Spezialisten, Techniker umfassende Gesamtheit, also alle, die an der Produktion teilnehmen, bestimmt in Versammlungen über alles, was sie bei der gemeinsamen Arbeit betrifft. Diejenigen, die eine Arbeit erfolgreich durchführen sollen, müssen auch über sie die Leitung haben, die Verantwortung übernehmen in den Grenzen der Gesamtheit. Diese Regelung kann auf alle Zweige der Produktion angewendet werden. Sie setzt voraus, daß die Arbeiter ihre eigenen Organe schaffen, um die vereinzelten Unternehmer zu einer Einheit planvoller Produktion zusammenzuschließen. Diese Organe sind die Arbeiterräte. Arbeiterräte sind Gremien von Delegierten, Beauftragten der verschiedenen Fabriken oder Abteilungen großer Unternehmen, als Wortführer ihrer Absichten, Meinungen; um gemeinsame Probleme zu diskutieren, Beschlüsse zu fassen und ihren Auftraggebern Rechenschaft abzulegen.
Sie bestimmen die verschiedenen Regeln und legen sie fest; indem sie die verschiedenen Meinungen zu einer gemeinsamen Position vereinigen, verbinden sie untereinander die getrennten Einheiten, machen daraus ein gut organisiertes Ensemble. Sie bilden kein permanent leitendes Gremium. Alle können jederzeit von ihren Funktionen abberufen werden.Flodolski schrieb:Bei deinem Beispiel mit den drei Millionen Menschen gibst du dir die Antwort selber: Sie befanden sich in einem Bürgerkrieg. Mitnichten normale Zustände. Unter Not sind Menschen häufig besonders kreativ.
Das ist wahr, die groessten kollektivistisch-anarchistischen Gesellschaften sind waehrend Buergerkriegen entstanden, dazu gehoert neben Katalonien auch das Freie Territorium in der Ukraine der Machnowisten waehrend des Russischen Buergerkrieges. Das war allerdings nicht als Notloesung oder Uebergangsloesung im Kriegszustand gedacht, sondern sollte permanent die freie vernetzte Selbstverwaltung errichten. Dass beide Experimente militaerisch niedergeschlagen worden sind, in Spanien durch Stalinisten und Franquisten, in der Ukraine durch die Bolschewiken, ist nicht Schuld des Anarchismus.
Juengere Beispiele der kollektiven Selbstverwaltung in Betrieben auf grossem Stil finden sich in Argentinien (ganz ohne Buergerkriegszustaende
;) ), wo nach der Krise gut 450 Betriebe durch die Belegschaft besetzt worden sind und weiter gemeinschaftlich verwaltet werden:
http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zanon-oder-heimweh-nach-der-zukunftFlodolski schrieb:Ein Großteil der heutigen Produktion ist nicht mehr lokal möglich. Man kann vielleicht seinen Bio Apfel beim Bauer um die Ecke kaufen, aber dein iPhone kann nicht in einem Vorort von Hamburg von einem "Kollektiv" gefertigt werden. Produktions- und Lieferketten umfassen heutzutage mehrere Tausend Unternehmer, Subunternehmen, Speditionen, Logistikdienstleister die auf die ganze Welt verteilt sind. Hinzukommt die Kapitalintesität vieler Vorhaben in der heutigen Zeit.
Keiner hat hier behauptet alles muesse lokal produziert werden, es muss nur lokal produziert werden, was auch lokal produziert werden kann. Kein Anarchist will sinnvolle Produktionsketten zerschlagen, sinnvoll und gerecht muessen sie jedoch sein. Sinnlos ist zum Beispiel der Import von Aepfeln aus Neuseeland in das Apfelland Deutschland.
;) Ungerecht ist die "Produktionskette" wo unterbezahlte Lohnsklaven bei Foxconn Apple-Produkte fuer reiches Klientel in Industriestaaten zusammenbauen und der Elektroschrott der Weissen am Ende in Ghana oder sonstwo in Afrika landet.
Fuer komplexere Produktionsketten kann und muss sich die dezentrale kollektivistische Produktion vernetzen, dass ist heute einfacher denn je als sich die Theoretiker anarchistischer Verneztung im 19. Jahrhundert je denken konnten, denn wie du sagtest:
Flodolski schrieb:Die technischen Entwicklungen (Computerisierung, Robotik, Automatisierung, IT) haben ganz neue Möglichkeiten der massenhaften Produktinnovation hervorgebracht, die mittlerweile unser Leben erleichtern.
Flodolski schrieb: In deinem Beispiel ist vor allem von Landwirtschaft die Rede.
Nein! Du tust ja gerade so als sei Barcelona in den 30ern ein kleines Agrardorf gewesen. Ich zitiere mal aus "Nacht über Spanien - Bürgerkrieg und Revolution in Spanien 1936-1939" von Augustin Souchy:
Die Übernahme der großen Industrieunternehmen vollzog sich mit erstaunenswerter Leichtigkeit ohne Produktionsstörungen. Es erwies sich mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass weder Aktienbesitzer, noch die hoch bezahlten Direktoren oder Aufsichtsräte etc. für den guten Gang eines modernen Wirtschaftsunternehmens erforderlich sind. Arbeiter und Angestellte können das komplizierte Räderwerk der modernen Industrie selbstständig in Gang halten.
Beispiele hierfür sind zahlreich: Die erste Maßnahme bei der Übernahme der Straßenbahnen in Barcelona durch die Arbeiter bestand in der Abschaffung der Direktoren und Werkspitzel. Es handelte sich um große und völlig unproduktive Summen. Während ein Straßenbahner 250 bis 300 Peseten Monatsgehalt hatte, erhielt der Generaldirektor 5.000 und die übrigen drei Direktoren 4.441, 2.384 und 2.000 Peseten. Die Abschaffung dieser hohen Gehälter ermöglichte die Erhöhung der Löhne der Arbeiter. [...] Bisher waren Straßenbahnen, Autobusgesellschaften und die Untergrundbahn getrennte Privatunternehmen. Die Gewerkschaft beschloss, alle diese Verkehrsunternehmen in ein einziges zusammenzufassen. Diese Konzentrierung ermöglichte wesentliche Verbesserungen des Verkehrswesens, die vom Publikum mit Genugtuung aufgenomen wurden. Die bedeutenste Maßnahme aber bestand in der Herabsetzung des Fahrpreises von 15 auf 10 Centimos. Für Schulkinder, Kriegs- und Arbeitsbeschädigte und Invaliden wurden Freifahrtsscheine ausgegeben. Dabei wurden die Löhne und Gehälter für die niedrigsten Lohnstufen um 40 bis 100 Prozent und für die höheren Gehaltsstufen um 10 bis 20 Prozent erhöht. In kurzer Zeit war das Verkehrswesen besser als vorher, den Arbeitern ging es besser und Fahrscheine waren billiger. Die einzigen Leid Tragenden waren die Aktionäre und hohen Gehaltsbezieher. Ihnen weinte die Bevölkerung keine Träne nach. Die Gewerkschaft der Arbeiter des Transport- und Verkehrswesens hatte sich in eine kollektivierte Verkehrsgesellschaft umgewandelt.[...]
Die Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke hatten sich bei Ausbruch des Faschistenputsches in fast allen Städten Spaniens im Privatbesitz befunden. Die Allgemeine Gesellschaft Wasserwerke Barcelonas mit der Schwestergesellschaft Wasserwerk Llobregat waren Eigentümer der Wasser- und Gaswerke in zahlreichen Städten Spaniens. Es war ein Mammutunternehmen mit einem Aktienkapital von 272 Millionen Peseten. Die jährlichen Durchschnittsgewinne beliefen sich auf über 11 Millionen. Die Finanzmagnaten hatten bereits vor dem 19. Juli [1936, also dem Tag der Niederschlagung des Faschistenputsches] das Land verlassen. Die Syndikalisten beschlossen, die Werke zu kollektivieren. Arbeiter und Angestellte wählten eine Betriebsleitung. Kurz vor dem Militäraufstand hatten die Arbeiter dieser Betriebe Lohnforderungen gestellt, die nicht bewilligt worden waren. Nunmehr erfolgte auf Grund eines Belegschaftsbeschlusses die Erhöhung in Übereinstimmung mit den vorher gestellten Forderungen. Der Mindestlohn betrug 14 Peseten täglich, die Arbeitszeit wurde auf 36 Stunden wöchentlich festgesetzt. Angesichts der Kriegssituation trat jedoch Mangel an Arbeitern ein und die Arbeitszeit musste auf 40 und später auf 48 Stunden heraufgesetzt werden. Die Löhne der Frauen wurden denen der Männer gleichgesetzt, eine Betriebskranken- und Altersversicherung eingeführt. Die Kollektivierung kam auch der Stadtbevölkerung im Allgemeinen zunutze. Der Kubikmeter Wasser wurde von 0,80 Peseten bis 1,50 Peseten auf einen Einheitspreis von 0,40 Peseten herabgesetzt. Es wurden Vorbereitungen getroffen, um die nahe gelegene Stadt Sabadell mit Wasser durch die Barceloneser Werke zu versorgen. Auszahlungen von Dividenden und Kapitalgewinnen wurden eingestellt. Der erzielte Gewinn wurde zum größten Teil dem antifaschistischen Milizkommitee überwiesen. In den ersten Monaten nach dem 19. Juli beliefen sich diese freiwilligen Zuwendungen auf über 10.000 Peseten.Flodolski schrieb:Im Sozialismus ist Moral Hazard immer präsent. Denn die einzige Verantwortung die der Einzelne im Sozialismus hast, ist der Dienst an der sozialistischen Idee. Nicht die Frage, ob es nun sinnvoll ist, dass ich einen Trabbi baue und keinen Porsche. Sozialismus führt langfristig immer zu wohlstandsverlust, da aufgrund von Informationsdefiziten (keine Marktpreise als realistischster Indikator für die Sinnhaftigkeit einer Innovation) die Ressorucen niemals in der effizientesten Art und Weise eingesetzt werden. Sozialismus macht am Ende zwar alle gleich. Aber auch alle gleich arm.
Du redest von Zentralverwaltungswirtschaft, ich rede von Arbeiterselbstverwaltung.