Frühlingshaft schrieb:Du kannst nicht Jude werden, so wie Du (recht einfach) Christ oder Muslim werden kannst.
Bei meinem früheren Landesrabbiner, dem von mir hoch geschätzten Walter Rothschild, scheint das allerdings zu funktionieren:
Acht Schritte zum religiösen Juden"Erstens: Das Telefon schellt. „Shalom“ – eine Frau grüßt und vereinbart mit Rothschild einen Gesprächstermin. Sie will zum Judentum übertreten. Er soll sie leiten, er jubelt nicht. Reibt sich stattdessen die Augen wach und notiert den Termin.
Zweitens: Die erste Begegnung. „Es wird nicht warm und freundlich sein“, sagt Rothschild. „Ich will wissen, welches Problem der Mensch hat, warum er Jude werden will.“ Manche suchten ihre Identität, haben einen jüdischen Vater oder wollen einen direkten Weg zu Gott finden. Andere haben nur einen Film über das Judentum gesehen und sind von vielen Dingen begeistert. „Dann muss man nicht jüdisch werden, dann kann man sich lieber die Rosinen rauspicken“, so Rothschild.
Er will nicht missionieren. „Von neuen Juden wird mehr erwartet als von geborenen Juden. Bei Atheisten, Homosexuellen oder Menschen, die ohne ihren Partner konvertieren wollen, bin ich zuständig, zu mahnen und abzulehnen - denn sie werden wahrscheinlich Probleme in der Gemeinde bekommen.“
Drittens: Bei Zustimmung des Rabbiners soll der Kandidat bis zu ein Jahr lang regelmäßig eine Synagoge besuchen. Rothschild: „Es ist wie im Fußball, ich muss erst trainieren, um in das Team zu kommen.“
Viertens: Werben – um die Akzeptanz in der Gemeinde. Eine Probezeit für beide Seiten. „Es geht um die Persönlichkeit, auch um das Aussehen, wie man riecht. Schlicht um Sympathie“, so der Rabbiner. „Vor Jahren kam eine Frau, die konvertieren wollte, mit einem Kreuz um den Hals in die Synagoge.“ Er schüttelt den Kopf. „Gott muss dumme Menschen lieben, er hat soviele davon gemacht, habe ich gehört.“
Fünftens: Taten sprechen lassen. Es wird erwartet, gegebenenfalls aus der Kirche auszutreten. Kopien der Geburtsurkunde und des Personalausweises werden archiviert. Bei religiösen Namen (Christian) wird eine Änderung gefordert. Die Beschneidung jedoch ist erst zu einem späteren Zeitpunkt notwendig.
Sechstens: Rabbiner und Gemeinde geben ihr Einverständnis für das Liturgische Jahr. Neben einem Gemeindebeitrag (ca. 30 Euro monatlich) werden auch Unterrichtsgebühren (ca. 20 Euro pro Sitzung) eingefordert. Eine wöchentliche Unterrichtseinheit dauert zwei Stunden. Rothschild stellt keine Hausaufgaben.
Siebtens: In einem persönlichen Gespräch legt der Konvertit seine Bereitschaft zum Übertritt dar.
Achtens: Beit Din, der Gerichtshof – drei Rabbiner prüfen den Konvertit, testen seinen jüdischen Glauben. Eine halbe Stunde lang. „Rabbiner haben nicht viel Zeit“, sagt Rothschild. Der Prüfling liest auf Hebräisch, zitiert religiöse Textstellen oder trägt sein Lieblingsgebet vor – und begründet seine Wahl. Folgt aus der Konversion eine „Mischehe“, muss der Partner anwesend sein und sein Einverständnis geben, dass er im Todesfalle gemeinsame Kinder jüdisch erzieht.
Zum Abschluss erhält der Konvertit ein Zertifikat, einen hebräischen Namen. Rothschild: „Er ist nun unser Bruder.“ Bei allen jüdischen Strömungen werden Konversionen durchgeführt. Allerdings erkennen orthodoxe Juden die Konversionen bei liberalen Rabbinern nicht an."
Von mir gekürzt, ganzer Artikel hier:
Aus dem Judentum austreten? Kultur vs Religion (Beitrag von Doors)Ursprüngliche Quelle, von 2013, www.Spree-Aviv.de, offenbar nicht mehr online.
Ein paar Beiträge zu den anderen und von anderen genannten Aspekten:
Wer Jude ist, bestimmt wer?"Das Judentum" ist so ein albernes und falsches Konstrukt wie "Der Islam" oder "Das Christentum". Jede Aberglaubensgemeinschaft hat ihre Strömungen, radikale und liberale, orthodoxe und weltliche, fundamentale und banale. Das gilt nicht nur für die Monotheisten.
Grundsätzlich gibt es "das" Judentum eben nicht. Die Aussagen von Ultra-Orthodoxen, Orthodoxen, Traditionalisten, gemässigten Liberalen, Radikal-Liberalen, Progressiven, Reformern etc. sind so unterschiedlich wie die, die sie tätigen. Innerhalb des Judentums, ja, sogar innerhalb einzelner Gemeinden, toben heftige Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen. Dagegen sind Muslim (Schiit) und Muslim (Sunnit) ja noch ein einig Volk von Brüdern.
Wer glaubt eigentlich, dass "alle Juden" quasi zwangsläufig Zionisten seien? Warum und wozu gibt es eine Friedensbewegung, soziale Bewegungen und solche, die sich gegen die Orthodoxen richten? Israel ist kein geschlossener monolithischer Block. Nicht umsonst tobt dort seit Jahren ein heftiger Streit um die Rolle der Ultra-Orthodoxen, was z.B. die Sabatruhe, die Verschleierung der Frau, die Befreiung von der Wehrpflicht und die Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln angeht.
Israel ist eben kein homogener "jüdischer Staat" - vielleicht nach dem Verständnis seiner Gründerväter und einiger Ultras - aber nicht nach der gelebten Realität. Aber beim Stichwort "Jude" hat jeder Rassist, egal, ab als Nazikamerad oder als Muslimbruder, gleich das Bild eines monolithischen Blocks im Kopf, der aus lauter Klischeejuden besteht. Das hat die Nazipropaganda nachhaltig in hohle Köpfe gepflanzt.
Zur Kritik an Israels Regierungspolitik und ihrer Verknüpfung mit AntisemitismusIst Kritik an der Politik der BRD schon antideutsch? Oder gar antichristlich?
Zwischen der Regierung und der Bevölkerung sollte man eben so fein unterscheiden wie zwischen einem Staat und einer Religion.
Israel ist politisch ebenso vielfältig wie andere Staaten auch. Es gibt eine Regierung, die man nicht unbedingt mit dem ganzen Volk oder auch nur einem Aberglaubensclub gleichsetzen sollte.
Auch in Israel gibt es eine starke Friedensbewegung, eine politische Opposition, Bürgerrechtsbewegungen etc. - das wird von aussen gern zugunsten einer pauschalisierenden Gleichsetzung von Regierung/Volk/Religion ausser Acht gelassen. Da macht es sich der Einfache gern einfach.
Hinzu kommt, dass nicht alle Bewohner Israels Juden sind. Es gibt Muslime und Christen jeweils in unterschiedlichen Schattierungen - ebenso wie es natürlich Unterschiede zwischen Ultraorthodoxen und liberalen Juden gibt.
Zwischen klar umrissener Kritik an israelischer Regierungspolitik und tumben Antisemitismus gibt es schon gewaltige Unterschiede - auch wenn mancher gern beides zusammenfasst, gern unter dem Schlagwort: Die Juden sind die wahren Faschisten!
Da geben sich den "Linke" wie Rechtsradikale, verkappte bürgerliche Antisemiten und fanatische Muslime die Hand zum gemeinsamen Draufhauen.