Vielen Dank zunächst an die US-Diplomaten für die Einschätzung der deutschen "Spitzenkräfte". In der
Bunten
Republik
Deutschland hat offensichtlich niemand den Mut (oder das Interesse), klare Worte an den Bürger zu richten. Zu Westerwelle ist nachzutragen, dass er seine Inkompetenz nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch nach innen bewiesen hat. Für seinen Beitrag zu Hartz4 und dem deutschen Arbeitsmarkt gehört schon ein hoher Arroganzpegel, zumal aus seinem Lebensweg zu erkennen ist, dass er eigentlich bisher nur 2 Jahre bei Pappa im Büro gearbeitet hat. Den Rest der Zeit hat er entweder studiert oder bei der FDP den Dynamischen gegeben…; aber ich schweife ab, wo ich doch eigentlich auf das Thema der Türkei/AKP/Islamismus/EU-Beitrittsperspektive zu sprechen kommen wollte.
Der Nato-Partner Türkei ist den USA unheimlich. Die Botschaftsdepeschen schildern Premier Erdogan als ignoranten Islamisten… [...]
Viele Spitzenkräfte der Regierungspartei AKP seien Mitglieder einer muslimischen Bruderschaft, so die Amerikaner, Erdogan habe islamistische Banker in einflussreiche Positionen gehoben. Er informiere sich fast ausschließlich über Islamisten-nahe Zeitungen. Der Regierungschef, so die US-Depeschen weiter, habe sich mit einem "eisernen Ring von unterwürfigen (aber hochnäsigen) Beratern" umgeben und inszeniere sich als "Volkstribun von Anatolien".
SpOn - US-Diplomaten fürchten islamistische Tendenzen in der Türkei (Archiv-Version vom 01.12.2010)
Hoffentlich öffnet das auch vielen realitätsblinden Illusionisten in Deutschland und Europa die Augen bei ihrer Entscheidungsfindung zu einem möglichen Beitritt.
Aber zurück zum eigentlich Leak, den ich in
diesem Fall für verantwortungslos halte...
Die selbstgerechten Apologeten der permanenten Öffentlichkeit ala Assange oder Zuckerberg bewirken in Ihrer Arroganz genau das Gegenteil: Sie zerstören Offenheit und Ehrlichkeit.
Vertraulichkeit ist nur die andere Seite der Medaille auf der Offenheit steht. Ohne das Wissen um die Möglichkeit vertraulich sprechen zu können, gibt es keine Ehrlichkeit.
Machen wir uns doch einmal an uns selber klar, was da passiert. Stellen wir uns vor, wir wüssten, dass potenziell jedes Gespräch dass wir führen, jede Mail die wir schreiben, an die Öffentlichkeit gezerrt werden kann. Was ist denn die Folge ? Wie passen wir unser Verhalten an ?
Eben - DDR reloaded, denn da war es genau so. Jeder wusste dass die Stasi überall mithört und zog sich deshalb in eine kleine Privatheit zurück. Vertrauen und Ehrlichkeit gab es nur einer Handvoll Familienangehörigen oder Freunden gegenüber. Nach außen hin aber alles nur Fassade - Überlebensstrategie eben.
Genau diesen Effekt wird Assange mit seiner Selbstgefälligkeit erreichen. Am Ende wird die Welt noch verschlossener sein und man wird noch seltener ein offen gemeintes Wort finden. Nur die echten Despoten in Iran oder in China dürfen sich die Hände reiben. Da wäre ein Assange auch schon längst einen Kopf kürzer und das wird deshalb dort auch nie passieren.
Damit es keine Missverständnisse gibt. Wenn man von schlimmen Verbrechen Kenntnis bekommt die eine Regierung begeht - wie die Wikileaks Veröffentlichungen zum Irak - gehört das natürlich in die Öffentlichkeit und verdient unsere Unterstützung. Aber nur das, gezielt und pointiert.
Aber die vertrauliche Kommunikation von tausenden Diplomaten einfach in alle Welt hinaus zu kotzen ist völlig verantwortungslos und hat keinerlei Rechtfertigung außer die Befriedigung des Narzissmus eines Assange und die Auflagesteigerung von Zeitungen wie dem Spiegel.
Noch einmal: Vertraulichkeit ist die Grundlage auf der überhaupt erst Ehrlichkeit wachsen kann. Ohne Vertraulichkeit gibt es nur noch Masken hinter denen die Menschen ihre wahren Gedanken verstecken. Stellen Sie sich vor wie Sie Ihr Verhalten ändern, wenn Ihnen das passiert wäre.
Das ist der Effekt den Wikileaks mit dieser unverantwortlichen Aktion herbeiführt. Wer das unterstützt, sollte sich im Klaren sein, dass er sich in Wirklichkeit als Totengräber der Offenheit betätigt.
Mich würde wirklich mal interessieren, was sich einige der wirklich klugen Spiegel-Redakteure dabei gedacht haben, denn einigen muss das Problem völlig klar sein. Wahrscheinlich war die Argumentation "wenn wir es nicht tun, machen es andere". Aber ist das wirklich ein gültiges Argument sich als Totengräber der Privatheit und Vertraulichkeit zu betätigen und schlimme Potentaten zum glücklichen Lachen zu bringen ?
Und jetzt noch einmal zum Thema Ehrlichkeit: Es ist doch völlig idiotisch zu glauben, dass Diplomatie etwas mit Ehrlichkeit zu tun hat. Die Kunst besteht doch darin, obwohl man völlig anderer Meinung als sein Gegenüber ist, die Form der Höflichkeit zu wahren und irgendwie ein Mindestmaß an gemeinsamer Handlungsfähigkeit zu bewahren. Wie sollten denn sonst diplomatische Beziehungen zu "Schurkenstaaten" funktionieren? Diplomatie ist die hohe Kunst, den schmalen Grad zwischen Zugeständnis, Respekt und deutlicher Abgrenzung zu beschreiten. Deshalb ist die ungeschönte, ehrliche Sprache unter Diplomaten genauso wichtig wie die offizielle, viel weichgespültere Adresse.
Ich finde es erschreckend, dass viele das nicht verstehen wollen. Wenn ich einem Freund nach einem Streit mit meiner Frau, mal ehrlich das Herz ausschütte, werde ich völlig andere Worte wählen, als wenn ich mit meiner Frau noch einmal darüber rede, einfach weil ich sie nicht verletzten will. Dennoch ist das ehrliche Gespräch mit einem Vertrauten auch für meine Beziehung gut und deshalb unheimlich wichtig: Es gehört geschützt.
Die Preisgabe dieses Schutzes im Internet finde ich genauso unheimlich wie den Datenmisbrauch durch Regierungen. Wenn ein Staat nicht mehr intern Tacheles reden kann, weil er fürchtet, Wikileaks veröffentlicht es am nächsten Tag, dann kann jede Demokratie einpacken.
Folterpraktiken der USA im Netz zu veröffentlichen: Ja, absolut legitim.
Gesprächsinterna von Diplomaten veröffentlichen: Absolutes Tabu,wer das macht, riskiert das Ende demokratischer Interaktion und führt noch zu viel mehr Unehrlichkeit und Lüge, weil einfach keiner mehr sagt, was er denkt!