Juden helfen Nazis
Aus der Kolumne von Anke Richter
http://www.taz.de/Die-Wahrheit/!109635/Ich habe es wahrscheinlich schon oft genug erwähnt, aber muss es gebetsmühlenhaft wiederholen: Ich lebe im nettesten Land der Welt. Niemand ist niemandem in Neuseeland jemals richtig böse. All dieser heilige Zorn, von dem die Weltpolitik und das europäische Intellektuellentum zehren, all die Rechtschaffenheit, die Empörung, das Anklagen und Ankreiden: das kennen Kiwis nicht.
Wer aus Versehen angerempelt wird, entschuldigt sich. Wer aus dem Bus aussteigt, bedankt sich beim Fahrer, auch wenn der fuhr wie die Sau. Höflichkeit geht über Rechthaberei und Vergeltung, solange es nicht um Rugby geht. Es ist ein äußerst angenehmes Völkchen, das sich da am Rande des Pazifiks entwickelt hat und auch mit Minderheiten immer sehr pfleglich umgeht.
Daher gibt es keinen besseren Platz auf der Welt, außer vielleicht ein paar brandenburgischen oder arabischen Dörfern, um Nazi-Parolen zu sprühen. In Aotearoa gibt es für diese Heldentat, wenn man Glück hat, ein Studium spendiert.
Im Oktober vergangenen Jahres wurde der jüdische Teil eines Friedhofs in Auckland geschändet. Hakenkreuze, das Heil-Hitler-Symbol „88“ und „Fuck Israel“ tauchten über Nacht auf 20 porösen Grabsteinen auf. 125 Jahre sind sie alt. Die Farbe ist davon nur schwer zu entfernen, 50.000 Dollar soll die Spezialreinigung kosten. Es gab Proteste vor dem Friedhof, die „National Front“ wurde verdächtigt, die israelische Botschaft zeigte sich bestürzt. Einen Sicherheitszaun im Wert von einer halben Million Dollar wollte man errichten.
Kurz darauf standen zwei junge Männer wegen der Nazi-Schmierereien vor Gericht, Robert Moulden und Christian Landmark. Der 19-jährige Moulden bekannte sich schuldig: Zum Zeitpunkt der Tat sei er betrunken gewesen. Er lebt von Sozialhilfe, wohnt in einem Hostel und hat keine Familie, die ihn unterstützt. Wer schritt dem mittellosen jungen Mann da prompt zu Hilfe? Die Jüdische Gemeinde Aucklands, die stets betont besonnen reagiert, wenn es um antisemitische oder antiisraelische Ausschläge im Lande geht.
Moulden unterzog sich einem Programm für „wiederherstellende Gerechtigkeit“. Das bedeutete, dass er über den Holocaust informiert und zu einem Sabbat-Essen dazugeladen wurde. Ein erquicklicher Abend für beide Seiten. „Ich war sehr zufrieden damit, wie die Leute am Tisch auf diesen Mann reagierten und wie er sich mit jedem unterhielt, das war gut“, bemerkte Geoff Levy, der Vorsitzende des Jüdschen Rates von Neuseeland.
Man erkundigte sich auch nach den Zukunftsplänen des Gestrauchelten. Ingenieur wolle er gern werden, sagte Moulden. Aber Studieren kostet in Neuseeland. „Wenn wir ihm helfen können, machen wir das gern“, so Levy. „Hoffentlich können wir ihm Unterstützung, Mentoring und Beihilfe geben, um eine Ausbildung zu machen.“
Eine eigens dafür berufene Person soll sich nun um die Studienhilfe kümmern, falls Robert Moulden sie denn annehmen will. Dazu hat er sich noch nicht geäußert. Aber bei der Grabsteinreinigung will er helfen. Verdammt nett von ihm, oder?
Vielleicht wäre diese Art auch etwas in den europäischen Ländern...