SPIEGEL ONLINE
22. Juli 2009, 17:59 Uhr
ISRAEL
Regierung will arabische Perspektive aus Schulbuch streichen
Die arabische Sicht ist unerwünscht: Die israelische Regierung will eine Passage aus einem Schulbuch entfernen, in der Palästinenser die Staatsgründung Israels als "Nakba", als "Katastrophe" bezeichnen. Arabische Israelis reagieren entsetzt.
Die Vertreibung von Palästinensern nach der israelischen Staatsgründung 1948 soll in den Schulbüchern des Landes nicht mehr thematisiert werden. Nach einer Anweisung des Bildungsministeriums in Jerusalem soll eine Passage aus einem Schulbuch verschwinden, in der Palästinenser die Staatsgründung Israels als "Nakba", als Katastrophe bezeichnen. Das Buch mit dem Titel "Zusammenleben in Israel" wird von israelischen Arabern verwendet und im Geschichtsunterricht von Drittklässlern gelesen. Rund ein Fünftel der Bevölkerung Israels sind Araber.
"Kein anderes Land der Welt würde seine eigene Gründung im offiziellen Lehrplan als Katastrophe behandeln", rechtfertigte Bildungsminister Gideon Saar vom rechten Flügel des regierenden Likud-Blocks seine Entscheidung - und erntete scharfe Kritik: "Es ist ein schwerer Angriff auf die Identität der palästinensisch-arabischen Staatsbürger Israels", sagte Hana Sweid, selbst israelischer Araber und Mitglied der Knesset.
Der frühere Bildungsminister Jossi Sarid vom linksgerichteten Meretz-Block warf Saar vor, seine Entscheidung aus reiner innerer Unsicherheit heraus getroffen zu haben. Der israelische Staat brauche sich jedoch nicht vor einem Wort zu fürchten.
Gideon Saar sagte, Lehrern stehe es frei, über die persönlichen und nationalen Tragödien zu sprechen, die Palästinensern im Krieg widerfahren seien. Doch die Bücher müssten korrigiert werden.
Die Verwendung des Begriffs "Nakba" in dem Schulbuch für die dritte Klasse war erst 2007 von der damaligen Ressortchefin Juli Tamir von der linksliberalen Arbeitspartei genehmigt worden. "Die arabische Öffentlichkeit verdient es, dass wir auch ihren Gefühlen Ausdruck geben", sagte Tamir damals.
Schulbuch sorgte bei Rechten für Empörung
Die Entwurzelung der Palästinenser wird in dem Buch als Folge des israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948/49 dargestellt, als fünf arabische Nachbarländer den neugegründeten jüdischen Staat angriffen. "Einige arabische Bewohner waren zur Flucht gezwungen, und einige wurden vertrieben", wird in "Zusammenleben in Israel" eingeräumt.
Als Bildungsministerin Tamir das Buch vor rund zwei Jahren vorstellte, beschuldigten sie manche Rechtskonservative, sie stelle Israel dar, als wolle es sich für seine Existenz entschuldigen. Der damalige Oppositionsführer Benjamin Netanjahu nannte die Entscheidung "die größte Absurdität, die ein israelischer Bildungsminister je begangen habe". Avigdor Lieberman sagte, Tamir zeige "eine Art von politischen Masochismus und die totale Abwesenheit von nationalem Stolz". Netanjahu ist heute Ministerpräsident, Lieberman Außenminister.
Zur Zeit der Staatsgründung Israels wurden mehr als 700.000 Palästinenser vertrieben oder flohen in Nachbarländer. In Geschichtsbüchern der israelischen Juden ist lediglich von einem freiwilligen Auszug die Rede - wenn dieses Thema überhaupt erwähnt wird. Die Zahl der damaligen Flüchtlinge und ihre Nachkommen liegt heute bei vier Millionen. Sie beanspruchen ein Rückkehrrecht nach Israel, was eines der brisantesten Themen bei Friedensverhandlungen im Nahen Osten ist.
bim/AP
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