Hier eine Einschätzung der aktuellen Lage von Franz J. Marty, einem Journalisten, der schon seit 2014 in Afghanistan lebt und dort arbeitet. Einem Journalisten, der schon sieben Jahre vor Ort tätig ist, traue ich zu, die Lage kompetent zu beurteilen.
tagesschau.de: Wie gefährlich ist die Lage für örtliche Mitarbeiter von Hilfsorganisationen?
Marty: Das hängt vom Einzelfall ab. Für einige besteht, je nach dem, was sie genau gemacht haben, eine Gefahr, für andere nicht oder nur sehr beschränkt. Generell gibt es derzeit keine Anzeichen, dass die Taliban Leute, die für Hilfsorganisationen gearbeitet haben, systematisch verfolgen und bedrohen würden. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind weniger gefährdet als beispielsweise die Tausenden bisherigen Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes oder der Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte. Diese hatten die Taliban erbittert bekämpft und sind deshalb vielen Taliban verhasst.
Marty schätzt das Sicherheitsrisiko für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen für niedriger ein als für ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes oder speziellen Einheiten von Armee und Polizei, die besonders gegen die Taliban gekämpft haben. Es gibt kein generelles Bedrohungsszenario von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen.
tagesschau.de: Planen Sie, zu bleiben?
Marty: Ja. Die Situation ist, abgesehen vom Flughafen, überraschend ruhig. Die Taliban haben erklärt, dass Diplomaten, humanitäre Organisationen und Journalisten bleiben sollen. Das machen sie natürlich nicht aus Herzensgüte, sondern weil sie davon profitieren. Von ausländischen Journalisten erhoffen sie sich durch Berichterstattung beispielsweise eine gewisse internationale Anerkennung. Was diese Garantien über den Tag hinaus bedeuten, weiß man zwar nicht. Aber im Moment sehe ich mich keiner signifikanten Gefährdung ausgesetzt
Seine eigene Situation schätzt Franz J. Marty als relativ sicher ein, da er davon ausgeht, dass die Taliban darin einen Vorteil sehen, wenn weiterhin Hilfsorganisationen und westliche Journalisten in Afghanistan arbeiten.
Viele Leute haben panische Angst, viele verlassen das Haus nicht, manche nur in traditioneller Kleidung. Das war schon vorher eine Stärke der Taliban. Viele fürchten sich so sehr vor ihnen, dass sie sich so verhalten, wie sie sich vermeintlich verhalten sollen - ohne dass die Taliban das eigens sagen müssten. Eine Art vorauseilender Gehorsam. Dies kommt nicht von ungefähr. Die Taliban sind nicht zimperlich und nur, weil sie sich derzeit zurückhalten, muss es nicht so bleiben.
Viele Afghanen machen sich auch Sorgen, dass die Wirtschaft abstürzen wird und sehen dies als eines der größten Probleme. Sie sagen, dass die Taliban vielleicht auf ihre Art für Sicherheit im Land sorgen können, aber dass es keine Arbeit geben wird.
Die Stärke der Taliban liegt nach Ansicht des Journalisten auch stark in der Angst vor dem Terror der Taliban begründet, ohne dass die Taliban aktuell
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