Afghanistan, die Luft wird dicker
05.01.2010 um 13:52
Hier noch ein paar Hintergrund Infos zu Afghanistan:
Deutschland am Hindukusch
Tote und Verwundete bei Gefechten und Anschlägen, Bundeswehrsoldaten schießen wehrlose Zivilisten in Khanabad über den Haufen. Bisher waren derartige Gewaltexzesse der Spezialeinheit KSK oder von Deutschen ausgebildeten afghanischen Bullen vorbehalten, aber nun ist die Verwicklung der BRD und ihrer Streitkräfte in einen ausgewachsenen Krieg in Afghanistan im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen. Die Grünen forderten dann auch Bundeskanzlerin Merkel auf, sich einmal dazu herabzulassen, die Ziele der Bundesrepublik am Hindukusch in einer Regierungserklärung offen zu legen.
Die Bundeswehr ist seit Jahr und Tag mit einem kopfstarken Kontingent in Afghanistan vertreten. Neben der logistischen Unterstützung (die Luftwaffe wickelt 45 Prozent der Truppentransporte und 40 Prozent des Materialnachschubs für die NATO-Mission ISAF ab) für die westlichen Kampftruppen nimmt die als „Wiederaufbau“ verbrämte Kontrolle über eine Besatzungszone in Nordafghanistan eine zentrale Rolle ein. Eine gewisse Modifizierung erfuhr die bislang relativ zurückhaltende Rolle der Deutschen dadurch, dass durch die bevorstehende Verstärkung des deutschen ISAF-Kontingents um – vorerst – 1000 Soldaten weitere NATO-Kampfverbände für den Kampf gegen die Taliban und deren Verbündete freigemacht werden. Zudem übernimmt die Bundeswehr in Bälde die Kontrolle über ein bislang von den Italienern gesichertes Gebiet, aus dem seit Ende vergangenen Jahres immer stärkere Rebellenaktivitäten gemeldet werden. Deutsche Soldaten werden die norwegische Eingreiftruppe ersetzen; in beiden letztgenannten Beispielfällen ist die Verwicklung in Kampfhandlungen vorprogrammiert, und die Ereignisse innerhalb der bisherigen deutschen Besatzungszone sprechen ebenfalls Bände. Die geplante Anschaffung amerikanischer Kampfdrohnen vom Typ MQ-9 „Reaper“ deutet auch nicht gerade dafür darauf hin, dass die Hardthöhe eine friedvolle Zukunft erwartet. Ferner naht der Einsatz von in Geilenkirchen stationierten AWACS-Maschinen über dem afghanischen Luftraum heran. Hauptaufgabe werden hier Überwachungsmissionen und die Koordination von Luftschlägen sein. Auch im polizeilichen Bereich ist die BRD nicht faul, sondern stockt ihre Ausbildungsmission auf 120 Beamte auf.
Insgesamt dürfte die Beteiligung an der Intervention den deutschen Steuerzahler bis Ende 2008 3 Milliarden Euro kosten. Das Abenteuer am Hindukusch kostete ferner 39 Bundeswehrangehörige und 3 Polizisten das Leben, die Gesamtverluste der ISAF belaufen sich mittlerweile auf rund 900 tote Soldaten und eine unbekannte Anzahl von Verwundeten. Seit Jahresbeginn kamen über 180 Soldaten der ISAF bzw. der US-Streitkräfte und mehr als 3200 Afghanen ums Leben. An amerikanischen Verwundeten nennt das Pentagon 2500. Angesichts der aus dem Irak bekannten Verschleierung der wahren Gefallenenzahlen durch die USA ist mit weitaus mehr Kriegstoten zu rechnen.
Der „Krieg gegen den Terror“ als strategische Fehlkalkulation
Eine Studie der geheimdienst- und militärnahen US-Denkfabrik RAND stellt dem von der Bush-Administration betriebenen „Krieg gegen den Terror“ ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. RAND kam zu dem Resultat, dass militärische Gewalt ein ungeeignetes Mittel für die Terrorismusbekämpfung ist. Die Untersuchung benutzte als empirische Basis die Entwicklung der 648 zwischen 1968 und 2006 aktiven terroristischen Gruppierungen. Interessant hierbei sind diejenigen 268 Gruppen, die den bewaffneten Kampf aufgegeben haben. Von diesen erreichten 43 Prozent eine Verhandlungslösung mit den Regierungen ihrer Länder, und weitere 40 Prozent wurden durch polizeilich-nachrichtendienstliche Maßnahmen aufgerollt und nicht etwa durch militärische Brachialgewalt. Im Untersuchungszeitraum waren Maßnahmen wie diejenigen des „Krieges gegen den Terror“ lediglich in 7 Prozent aller Fälle erfolgreich. Als Paradebeispiel wird das Scheitern im Kampf gegen Al-Qaida angeführt. Hat sich die Terrororganisation in eine faktische Rebellenarmee mit mehr als 10.000 Kämpfern verwandelt, ist direkte militärische Gewalt das probateste Mittel. Diese muss laut RAND allerdings durch einheimische Gegenguerillas oder Regierungstruppen ausgeübt werden; ausländische Verbände werden von der Bevölkerung hingegen als Invasoren und Besatzer wahrgenommen, was zu weiteren Solidarisierungen führt und Terrorzellen wie Rebellengruppen in einen regelrechten Volksaufstand einbetten kann. Ist der Volksaufstand erst einmal da, steigen die Aussichten der „Terroristen“ auf eine annehmbare Verhandlungslösung auf 50 Prozent; in 25 Prozent aller Fälle endete der Bürgerkrieg sogar mit ihrem Sieg. Wenig erfolgversprechende Aussichten in Afghanistan für den Westen also.
In Washington treffen solche Stimmen auf taube Ohren, sowohl Obama als auch McCain werden den Weg der Bush-Administration fortsetzen, es ist mit der Verlegung von 10.000 US-Soldaten aus dem Irak nach Afghanistan zu rechnen. Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen ist also vollkommen irrelevant für die Entwicklung. Transatlantisch gesonnene Polit-Insider wie Ex-Bundesaußenminister Joseph Fischer wiesen bereits darauf hin, dass nach dem Amtsantritt des nächsten US-Präsidenten mit nachdrücklichen Forderungen behufs eines intensivierten NATO-Engagements in Afghanistan zu rechnen ist, denen sich die Bundesregierung kaum entziehen können wird. So plant das Pentagon bereits, durch Rüstungsinvestitionen in Höhe von 17 Milliarden Dollar die afghanischen Regierungstruppen bis 2013 mehr als zu verdoppeln. Die NATO-Verbündeten und hierbei wohl ganz besonders die Deutschen haben sich selbstredend zu beteiligen. Volker Rühe, seines Zeichens ehemaliger Bundesverteidigungsminister, warf seiner Parteifreundin Merkel öffentlich vor, den Afghanistan-Einsatz als eine Art „bewaffneter Entwicklungshilfe“ zu verharmlosen: „Tatsächlich sind wir im Krieg gegen aufständische Taliban."
Das Karsai-Regime
Das Geschwätz vom „Einsatz für Demokratie und Menschenrechte“ lässt einem geradewegs die Galle hochkommen. Ein befreundeter Zyniker bemerkte einmal, man könne den graduellen Unterschied zwischen Karsai und dem Taliban-Regime daran bemessen, dass man die Leichen der Gehenkten nicht mehr zwei Wochen, sondern nur noch einige Tage den Geiern zum Fraß am Galgen hängen lässt. Linksgerichtete Oppositionsgruppen sehen sich brutalster Repression ausgesetzt – offenbar stört es in Berlin niemanden, dass auf kommunistische Betätigung die Todesstrafe steht. Von Frauen- und Menschenrechten unter einem repressiven Scharia-Regime wollen wir gar nicht erst reden. Die Zustände in afghanischen Gefängnissen und amerikanischen Konzentrationslagern spotten jeder Beschreibung, brutalste Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Im Knastkomplex von Policharkhi bei Kabul werden die Insassen dermaßen drangsaliert, dass sich selbst die Todfeinde Taliban und Kommunisten zu einem Widerstandskomitee zusammengeschlossen haben. Thomas Schweich, ehemaliger Beamter im Drogendezernat des amerikanischen State Department, ist der Ansicht, die Karsai-Regierung sei bis über beide Ohren in Drogengeschäfte verwickelt. Die Drogenkartelle haben zahllose Polizeiführer, Richter und Beamte gekauft und so für ihren staatlichen Schutz gesorgt. Einer Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge sind drei Viertel aller Afghanen unzufrieden mit der Arbeit der Regierung wie des Parlaments, was angesichts nach wie vor desolater sozio-ökonomischer Zustände, der Brutalität der westlichen Invasoren und ausufernder Korruption nicht verwunderlich ist.
Wirtschaftsinteressen
Afghanistan ist alles andere als eine wertlose Einöde. So soll in fünf Jahren in der Provinz Lugar westlich Kabul die Ausbeutung des weltweit zweitgrößten unerschlossenen Kupfervorkommens beginnen. Den Zuschlag bekam allerdings nicht der Westen, sondern der chinesische Staatskonzern MCC, der hier 3,5 Milliarden Dollar investieren wird. Der Wert des Vorkommens wird bei gegenwärtigen Weltmarktpreisen auf 42 Milliarden Dollar geschätzt. Im zentralen Hochland Afghanistans lagern nach Angaben des Bergbauministeriums Bodenschätze im Wert von 300 Milliarden Dollar, vor allem Steinkohle und Eisenerz. Allerdings finden sich in Afghanistan auch Gold, Quecksilber, Schwefel, Chrom und Magnesium. Für die deutsche Seite sind bereits lukrative Aufträge zum Wiederaufbau der afghanischen Infrastruktur zu verbuchen, vor allem Siemens kann hier kräftig Kasse machen. Im deutschen Sektor in Nordafghanistan entdeckten bereits die Soldaten Alexanders des Großen eine übelriechende Flüssigkeit: Erdöl. Im von der Bundeswehr geschützten BRD-Protektorat lagern riesige Vorkommen an Erdöl und Erdgas. Die unentdeckten Reserven übertreffen die bereits bekannten Lagerstätten beim Öl um das 18-Fache und beim Gas um das 3-Fache.
Noch vor Jahresende soll mit den Vorbereitungen für den Bau der TAPI-Pipeline begonnen werden, der unter Federführung des US-Energieriesen Unocal erfolgt. Unocal ist übrigens der ehemalige Arbeitgeber des afghanischen Präsidenten Karsai. Die TAPI-Leitung wird unter Ausschluss Chinas und Russlands Turkmenistan über Afghanistan mit Pakistan und Indien verbinden, ist also ein integraler Bestandteil des geopolitischen Ringens in Zentralasien. Wenn alle Minen geräumt sind, wird die 7,6 Milliarden Dollar teure Pipeline ab 2010 fertiggestellt. Das Projekt war bereits 1998 mit den Taliban vereinbart worden, was den Islamisten Hilfsgelder und weitere Aufmerksamkeiten aus den USA einbrachte. Nachdem Osama bin Laden die Taliban-Führung davon überzeugte, Unocal auszubooten und sich lieber mit dem argentinischen Bridas-Konsortium zu arrangieren, begannen die amerikanischen Vorbereitungen für die militärische Intervention. Da Röhren bekanntlich nicht zuletzt von Vallourec & Mannesmann Tubes produziert werden, haben sowohl Frankreich als auch die BRD mit ihren drei Werksstandorten hier ein vitales Interesse. Der Verlauf der TAPI-Leitung führt allerdings mitten durch die Taliban-Hochburgen im Südwesten, die bis 2010 von US- und NATO-Verbänden freigekämpft werden müssen. Germans to the Front! Ich sterbe gern für billiges Öl!
Pakistan
Eine ungewisse Größe auf dem afghanischen Kriegsschauplatz ist die islamische Nuklearmacht Pakistan. Vor allem im Nordwesten hat die Zentralregierung die Kontrolle verloren, hier liefern sich Regierungstruppen bürgerkriegsartige Kämpfe mit islamistischen Rebellen, die wiederum über enge Kontakte zu den Taliban verfügen. Bereits der prowestliche Diktatur Musharraf hat mit den Taliban um einen Friedensvertrag verhandelt. Um seine wankende Herrschaft zu stabilisieren, bot Musharraf den Rebellen ein Gewaltverzichtsabkommen an, zudem sollte das Militär einige der umkämpften Regionen räumen. Als Gegenleistung für diesen sicheren Rückzugs- und Bereitstellungsraum sollten die islamistischen Rebellen ihre Operationen gegen die Regierungstruppen einstellen. Der afghanische Geheimdienst ist nach wie vor mit afghanischen Islamistenkreisen verflochten, so geht Indien davon aus, dass die Pakistanis in den Bombenanschlag auf die indische Botschaft in Kabul verwickelt waren, bei dem es fast 200 Tote und Verletzte gab. Das afghanische Außenministerium prangerte bereits vor Monaten eine faktische Unterstützung der Taliban durch untätiges Wegsehen pakistanischer Truppen an. Die Feuerpause war jedoch nicht von Dauer, denn im Juli und August lieferten sich Armee und Islamisten in den nordwestlichen Stammesgebieten blutige Kämpfe mit Hunderten von Toten und Hunderttausenden von Flüchtlingen. Erinnert sei auch an den immer wieder aufflackernden Konflikt mit dem Nachbarn Indien um die staatliche Zugehörigkeit des Kaschmir.
In diese gespannte Lage hinein platzte dann der Sturz des angeschlagenen Musharraf. Der pakistanische Präsident kam einem von der Parlamentsmehrheit angestrengten Amtsenthebungsverfahren zuvor und stellte sein Amt zur Verfügung. Damit dürfte der seit der Unabhängigkeit Pakistans anhaltende Machtkampf innerhalb der korrupten Oligarchien neuen Auftrieb finden. Die heillos zerstrittene Regierungskoalition aus der Pakistanischen Volkspartei PPP des Bhutto-Clans und der Muslim-Liga brach postwendend auseinander, und Pakistan kann nun wählen, wer der neue starke Mann des Landes wird: Der wegen seiner Korruption berüchtigten Bhutto-Witwer Asif Ali Zardari bzw. der wegen Ämterpatronage verurteilte Premier Jusuf Raza Gilani von der PPP oder Nahwaz Sharif von der Muslim-Liga, übrigens ebenfalls wegen Korruption übel beleumundet. Eine Machtübernahme von Islamisten oder gar ein offener Bürgerkrieg sind keineswegs auszuschließen, und das in einem Atomwaffenstaat. Man kann von Musharraf halten, was man will, aber immerhin war er imstande, das pakistanische Hornissennest jahrelang im Griff zu behalten. Ein Scherzbold im indischen Verteidigungsministerium witzelte, nichts sei gefährlicher für Südasien als ein demokratisch-instabiles Pakistan. Ein Vertreter des Think-Tanks Brookings in Washington erklärte, Pakistan sei derzeit „das gefährlichste Land der Welt“. Der 170-Millionen-Einwohner-Staat verfügt über bis zu 200 Atomsprengköpfe und gilt als weltgrößter Zwischenhändler von Nuklearwaffentechnologie. Explodiert die Lage in Pakistan, so wären die westlichen Truppen in Afghanistan von einer wichtigen Nachschubroute abgeschnitten und wären auf die Route via Zentralasien angewiesen, wo die Amerikaner auch zusehends weniger gern gesehene Gäste sind.
Verlogenes Gejammer
Die Bundesrepublik ist faktisch zur Kriegspartei am Hindukusch geworden, und das verlogene Gejammer um Soldaten, Polizisten und Wiederaufbauhelfer, die den Heimweg in Zinksärgen antreten, sollte man sich in Berlin besser sparen. Das geplante Ehrenmal für die im Bundes-Wehr-Dienst umgekommenen Soldaten wird den Hinterbliebenen sicherlich ein Trost sein, und das diskutierte neue Ehrenzeichen kann man ja auch posthum verleihen.
Die Sicherheitslage ist katastrophal. In weiten Teilen des Landes haben Taliban-Verbände und deren Verbündete die Kontrolle übernommen, andernorts herrschen am Drogenhandel verdienende Warlords. Bei Gefechten und Luftangriffen kommen Tausende von Zivilisten ums Leben, was in einem Land, dessen Bevölkerung die Blutrache in Ehren hält, den Rebellen immer weitere Kämpfer zutreibt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die nach 30 Jahren Bürgerkrieg völlig zerrüttete afghanische Ökonomie außerstande ist, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömenden Zehntausenden von Jugendlichen aufzunehmen. Die einzige Erwerbsquelle ist es da oftmals, bei einem Warlord, den Regierungstruppen oder den Taliban anzuheuern. Seit ca. einem halben Jahr ist die Intensität der Kämpfe in Afghanistan weitaus höher als diejenige im Irak, und das will schon einiges heißen. In Bundeswehrkreisen hörte man die Zeichen der Zeit schon geraume Zeit vorher: Die Zahl der Interessenten für den nun zusehends riskanteren Beruf des Zeit- oder Berufssoldaten stürzt in den Keller ab, der Unteroffiziers- und Offiziersnachwuchs verknappt sich. In der Bevölkerung ist der Kriegseinsatz in Afghanistan ohnehin schwerstens unpopulär, aber das braucht in der bürgerlich-repräsentativen Demokratie die Angehörigen der imperialistischen Geldsackaristokratie und ihre korrumpierten Helfershelfer in der Politkaste nicht zu scheren.