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Wir sollten Gefängnisse langfristig abschaffen

1.555 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Kriminalität, Norwegen, Gefängnisse ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Wir sollten Gefängnisse langfristig abschaffen

27.03.2021 um 19:12
Zitat von TripaneTripane schrieb:Aber auch nicht um jeden(!) Preis. Sonst haben wir schnell nur "Opfer". Und zwar die Opfer totalitärer Überwachungsphantasien. In anderen Strängen wundert man sich (oder tut wenigstens so) warum Verschwörungstheorien so im Trend liegen. Auch diese Zusammenhänge fände ich durchaus diskutierbar. Diskutierbarer jedenfalls, als einfach die Forderung in den Raum zu stellen, die Gefängnisse abzuschaffen.
Warum immer totalitäre überwachungsfantasien? Taten vorab zu verhindern erfordert keinen Minority report.

Lies dir mal das hier durch:

https://www.aachener-zeitung.de/nrw-region/nur-jede-vierte-koerperverletzung-wird-angezeigt_aid-54383179
Nur jede vierte Körperverletzung und etwa jede hundertste Beleidigung wird angezeigt und damit der Polizei bekannt. Das sind Ergebnisse der großen Dunkelfeldstudie zu Gewalt und Kriminalität in Nordrhein-Westfalen, die am Montag in Düsseldorf vorgestellt wurde. NRW-Innenminister Herbert Reul und Heimatministerin Ina Scharrenbach (beide CDU) hatten die Studie in Auftrag gegeben. Gekostet hat sie eine halbe Million Euro.

Forscher hatten 60.000 repräsentativ ausgewählte Bürger über 16 Jahre in NRW angeschrieben, um mehr über das Ausmaß der Kriminalität in NRW zu erfahren. Dabei geht es um das sogenannte Dunkelfeld, also die Taten, von denen die Strafverfolger nichts erfahren. Im Gegensatz dazu findet das sogenannte Hellfeld, also die angezeigten Straftaten, seinen Niederschlag in der Kriminalitätsstatistik.

Aus der Studie geht hervor, dass sich die meisten Menschen in NRW sicher fühlen – tagsüber mehr als nachts. Dieses Sicherheitsgefühl hängt allerdings weniger vom tatsächlichen Risiko ab, Opfer einer Straftat zu werden, als von der Zufriedenheit mit der eigenen Wohngegend und einer intakten Nachbarschaft. Müll auf der Straße, Graffiti, Beschädigungen, Lärm und öffentliche Streitereien verursachen ein Gefühl von Unsicherheit.
Nicht nur bei Vergewaltigung, selbst bei einfacher Körperverletzung (sogar der mit waffe, wird nur zu 40% angezeigt) ist das Dunkelfeld deutlich größer als das Hellfeld. Der Rattenschwanz der gewalt in deutschland (inklusive der, die nicht offiziell als straftat gilt wie mobbing oder indirekte formen der missbräuchlichkeit oder stalking in der grauzone) ist unsichtbar. Als solche kann sie strafrechtlich nicht sinnvoll verfolgt werden.

Wenn du mich fragst, wie das gehen soll, gefängnisse abzuschaffen, dann frag ich dich, warum es geht, mehr als 70% der Täter bei Körperverletzungen nicht zu belangen oder anzuzeigen? Warum geht das, mehr als 90% der kindesmissbrauche oder vergewaltigungen ungeahndet zu lassen? Das geht scheinbar alles, aber das ziel, gefängnisse langfristig abzuschaffen ist dann naiv und ideologisch. Warum?

Ja, es gibt schlimme verbrechen, die werden fast immer angezeigt und aufgeklärt, wie z.b. mord.
Aber du musst mir erklären, wie das sein kann, dass quasi die welt zusammenbricht, wenn wir vergewaltiger nicht härter bestrafen oder lange in den knast stecken, wenn 90% der vergewaltiger eh nicht bestraft werden.

ICH finde es nicht in ordnung, dass 90% der vergewaltigungen nicht aufgeklärt werden. Aber ich weiß halt, dass ich nichts mit gefängnissen daran ändern kann. Mit einer anderen sozialpolitik, die nicht auf sanktionen geeicht ist, können wir das aber ggf. schon erreichen bzw. wenigstens eine deutliche verminderung dieser verbrechensarten.


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28.03.2021 um 10:35
Zitat von TripaneTripane schrieb:Und zwar die Opfer totalitärer Überwachungsphantasien.
Da gibt es mit der "Silvesternacht in Köln" doch ein praktisches Beispiel - @Tripane, hast du das Gefühl, es sei ein "Überwachungsstaat" dadurch entstanden, dass Frauen nun im Kölner Karneval eine geringere Hemmschwelle haben, Grapscher anzuzeigen?

Hast du daran gedacht, dass es z.B. auch heißen könnte/müsste, die Polizisten zu "überwachen", wie sie die Aufnahme einer solchen Anzeige gestalten?
Damit die Frauen sich nicht nochmal vergewaltigt fühlen, wenn sie sich fragen lassen müssen, ob der Typ sie nur am Hintern angefasst hat - und sie, leider, leider, ihn nur anzeigen "dürfen", wenn sie tatsächlich "penetriert" wurden?
Und ob sie´s nicht vielleicht doch darauf angelegt haben, weil sie ja Stress mit ihrem Freund hatten - warum waren sie allein unterwegs?!!

Während jeder Typ alleine rum laufen kann, ohne dass er sich auch nur den Hauch von Sorgen darum machen muss, dass ihm jemand an die Eier packt.


Und was mich vor allem nervt ist diese fehlende Differenzierung zwischen "Überwachung", Kontrolle, Einmischung und einfachem Beistand. Wir passen als Gesellschaft zu wenig aufeinander auf, wir stehen uns nicht zur Seite.

Und wenn es das gäbe, diesen "Beistand", diese menschliche Solidarität, dann würde ich mich freuen - das würde meine Ängste bezüglich "Überwachung" durchaus reduzieren können.

Für mich läuft das Thema dieses Fadens darauf hinaus, dass wir mehr Anstand brauchen - in unserer "Zivilisation".
Und nicht "mehr Gesetze für unsere Gesellschaft"; also dass sich andere kümmern sollen.


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29.03.2021 um 16:35
Zitat von DalaiLottaDalaiLotta schrieb:Für mich läuft das Thema dieses Fadens darauf hinaus, dass wir mehr Anstand brauchen - in unserer "Zivilisation".
Den Anstand ihren Kindern beizubringen, hat die antiautoritäre Elterngeneration leider häufig vergessen. Bei den Schimpfwörtern, die heute auf Schulhöfen ständig zu hören sind und wo sich keiner mehr dran zu stören scheint, wäre zu meiner Kinderzeit noch fett der Watschenbaum umgefallen, erst von den Lehrern und dann noch mal von den Eltern her. Oder die Schandmäuler wären mit Seife ausgewaschen worden, auch ein probates Mittel damals gegen unfeine Ausdrücke. Erziehung zum Anstand ist eine Eltern-Bringschuld. In der Schule ist es heute dafür bereits zu spät, angesichts der kaum vorhandenen Mittel und Rechte der Lehrer, renitente Schüler zur Besinnung zu bringen.


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29.03.2021 um 16:39
Zitat von Ray.Ray. schrieb:Ich sehe noch immer einen großen Punkt in der Aufklärung über einige Themen wie Alkohol und Co.
Aufklärung über Drogen aller Art einschließlich Alk und Tabak kann man heute kaum entkommen. Zu meiner Schulzeit wurde das in den höheren Klassen rauf und runter behandelt. Zu viel Aufklärung hat den gegenteiligen Effekt - beim einen Ohr rein, beim anderen wieder raus, und Zuwiderhandeln beweist doch nur, daß man ein "mutiger Querdenker" ist, der sich nichts vorschreiben läßt. Da ist nix mit großem Punkt, wer einfach nicht lernen will den kannst Du mit Aufklärung erschlagen und es ändert nichts.


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29.03.2021 um 17:22
Zitat von T.RickT.Rick schrieb:Watschenbaum
Ich möchte mich von deiner Antwort auf meinen post distanzieren - @T.Rick, no front, aber so hab ich das nicht gemeint.

Mal davon abgesehen, dass ich am Anfang diesen Jahrhunderts mit großem Genuss "Die wilden Fussball Kerle" gelesen habe
- gerade weil die da so herrlich kreativ fluchen,
meine ich mit "Anstand", dass man sich für Schwächere einsetzt. Gegen Ungerechtigkeit anstinken kann.
Dass man "Nein!" dazu sagt und dazu steht - etwas, das man durch den "Watschenbaum" eher nicht lernt.

Oder dass man halt zumindest selber nicht so was macht, weil man eben Anstand besitzt.

Und wieder: dafür braucht es weder harte Strafen noch die total Überwachung ("Helikopter Eltern"),
dafür braucht es Eltern, die ihre Kinder wahrnehmen; als Kinder, nicht als "Konsumerweiterung".


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29.03.2021 um 17:48
Zitat von DalaiLottaDalaiLotta schrieb:Mal davon abgesehen, dass ich am Anfang diesen Jahrhunderts mit großem Genuss "Die wilden Fussball Kerle" gelesen habe
- gerade weil die da so herrlich kreativ fluchen,
Kinderbücher sind imho totale Fluchtlektüre. Da ist viel möglich, daß Kinder Verbrecher verfolgen, daß jedes Mädchen mit Pferden zu tun haben darf, daß Kinder fluchen wie altgediente Seebären. Die Realität ist im Vergleich dazu meistens enttäuschend langweilig und grau, mit Einschränkungen und Verboten überall, und die Eltern leben meist eh in ihrer eigenen Welt, wo sich alles um Arbeit oder Miete zahlen oder sonstige Alltagsprobleme dreht, die ein Kind wenig interessieren.
Zitat von DalaiLottaDalaiLotta schrieb:meine ich mit "Anstand", dass man sich für Schwächere einsetzt. Gegen Ungerechtigkeit anstinken kann.
Dass man "Nein!" dazu sagt und dazu steht - etwas, das man durch den "Watschenbaum" eher nicht lernt.
Anstand heißt schon, daß man anderen keine Schimpfwörter nachschreit (außer es sind in Wahrheit Kumpel, unter Kumpels ist eine rauhe Sprache erlaubt), und andere (Schwächere) auch nicht mobbt. Welche Schule hat heutzutage keine Probleme mit Mobbing. Zwischen "selber nicht mobben" und "sich für Schwächere einsetzen" liegt ein ziemlich weiter Abstand.


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30.03.2021 um 14:01
Zitat von shionoroshionoro schrieb:Aber du musst mir erklären, wie das sein kann, dass quasi die welt zusammenbricht, wenn wir vergewaltiger nicht härter bestrafen oder lange in den knast stecken, wenn 90% der vergewaltiger eh nicht bestraft werden.
Die Logik erschließt sich mir überhaupt nicht.

Wenn es ein großes Dunkelfeld gibt, dann wäre doch naheliegend, zu versuchen, das Dunkelfeld zu verkleinern. Soweit bin ich dabei.
Aber daraus zu folgern, dass man die Täter iM Hellfeld nicht hart bestrafen soll, weil sowieso egal, kann ich nicht nachvollziehen.

Einen Kinderschänder, der einmal verurteilt ist, sollte aus meiner Sicht nie wieder einen Knast von außen sehen. Der wird ja auch den von Dir angedachten Maßnahmen kaum mehr zugänglich sein. Die Täter sind ja keine Vorschulkinder.
Zitat von DalaiLottaDalaiLotta schrieb:Mal davon abgesehen, dass ich am Anfang diesen Jahrhunderts mit großem Genuss "Die wilden Fussball Kerle" gelesen habe
- gerade weil die da so herrlich kreativ fluchen,
Das stimmt. Allerdings unterscheiden die sich doch erheblich von den Flüchen, die üblich sind. Ich hab von den Wilden Kerlen nie etwas mit figg und mudda gehört. Hätte die FSK Zuteilung wohl auch erschwert.

Kennt noch jemand Monkey Island 1 und 2? Die krativsten Adventure games der Windows 95 Ära. Da musste man gegen ein Piraten ein Schimpfwortduell austragen, sehr originell.


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30.03.2021 um 15:43
@sacredheart, das ist aber doch grade der Punkt:
Zitat von sacredheartsacredheart schrieb:Allerdings unterscheiden die sich doch erheblich von den Flüchen, die üblich sind.
Glaubst du echt, Kinder, die es auf die Reihe kriegen, sich so mit sich und ihren negativen Gefühlen auseinander zu setzen, hätten es noch nötig, dumm rum zu fluchen? Nee, auf gar keinen Fall.

Und hast du noch nie davon gehört,
Zitat von sacredheartsacredheart schrieb:Die Täter sind ja keine Vorschulkinder.
dass Täter in den allermeisten Fällen selbst Opfer von Missbrauch waren?
Die fallen doch nicht so vom Himmel - die werden genau von der "Politik" (der allgemeinen Herangehensweise, nicht nur den Gesetzen) gemacht, gegen die @shionoro hier anschreibt.

Dieses "Schwanz ab!" Getue füttert die Missstände und hilft weder den Opfern, noch reduziert es Täter - die tarnen sich nur besser.
Zitat von sacredheartsacredheart schrieb:sehr originell.
Gibt´s auch in der Boomer Version


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30.03.2021 um 15:55
Zitat von DalaiLottaDalaiLotta schrieb:dass Täter in den allermeisten Fällen selbst Opfer von Missbrauch waren?
Die fallen doch nicht so vom Himmel - die werden genau von der "Politik" (der allgemeinen Herangehensweise, nicht nur den Gesetzen) gemacht, gegen die @shionoro hier anschreibt.
@DalaiLotta

Sehr viel Missbrauch findet innerhalb Familien statt. Und da ist es für einen Staat ohne konkreten Anfangsverdacht natürlich schwer reinzuschauen oder erst recht zu regulieren.

Die Maßnahmen, die @shionoro vorschlägt, sind ja so neu nicht und auch die werden leider das Allermeiste nicht verhindern können.

Und alle Maßnahmen, die sehr invasiv ins Private hineinreichern, haben ja auch unerwünschte Wirkungen.

Gäbe es da ganz effektive Maßnahmen, die wirken, aber aus welchen gründen auch immer nicht angewandt werden, wäre ich sofort dafür. Ich sehe das nur nicht und auch @shionoro bliebt ja relativ vage.

Schon die Frage 'Im Verdachtsfall aus der Familie nehmen?' ist einfach sehr heikel und kann in einzelnen Fällen zu dem Missbrauch führen, den es vorher nie gegeben hatte, siehe Wormser Missbrauchsprozesse, die sicher der Tiefpunkt der bundesdeutschen Rechtsgeschichte sind.

Aber selbst, wenn es solche Maßnahmen gäbe, würde das ja nicht verhindern, dass man heutige Täter am Besten langfristig von der Gesellschaft separiert.

Und selbst wenn aktuelle Täter als Kind selbst Opfer waren, kann man sie ja nun nicht weitermachen lassen. Dann gäbe es nämlich noch mehr Opfer, die später Täter werden.


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30.03.2021 um 16:27
Ich hab die "Worms Geschichte" grad nochmal auf Wiki durchgelesen - das war ja hochgradig sexualisiert - und die Gewalt, die offensichtlich miesen Zustände in einigen Familien, scheinen die "Professionellen" da ganz schön überfordert zu haben.

Würde man die Programme, die es gibt, auch bezahlen und flächendeckend durchführen, hätte man auch Leute, die Erfahrung mit so was haben.

Und wenn von den Kids, die damals dabei waren, inzwischen welche zu Tätern wurden, braucht man sich wirklich nicht mehr wundern.


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31.03.2021 um 04:07
Zitat von sacredheartsacredheart schrieb:Die Logik erschließt sich mir überhaupt nicht.

Wenn es ein großes Dunkelfeld gibt, dann wäre doch naheliegend, zu versuchen, das Dunkelfeld zu verkleinern. Soweit bin ich dabei.
Aber daraus zu folgern, dass man die Täter iM Hellfeld nicht hart bestrafen soll, weil sowieso egal, kann ich nicht nachvollziehen.

Einen Kinderschänder, der einmal verurteilt ist, sollte aus meiner Sicht nie wieder einen Knast von außen sehen. Der wird ja auch den von Dir angedachten Maßnahmen kaum mehr zugänglich sein. Die Täter sind ja keine Vorschulkinder.
Man kann nicht zwei Herren gleichzeitig Dienen, denn man kann nur einen Grundsatz haben.

Entweder ist unser Grundsatz: Wir erkennen, dass Kriminalität kein Problem einzelner, bösartiger Individuen ist sondern eien Gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die viel mehr Bereiche, als nur das Strafrecht berührt.
Oder wir sagen: Nein, Kriminalität ist etwas Individuelles und vorrangig geht es darum, die zu bestrafen, die etwas Verbotenes gemacht haben.

Wenn man sich dem ersteren Grundsatz verschreibt, kann ein Lebenslanger Freiheitsentzug gerechtfertigt sein, weil man sagt: "Diese Person kann ich leider nicht resozialisieren, da ist so viel schief gelaufen in der Entwicklung, dass der sofort jemanden umbringen würde." Das ist in Ordnung. Dann geht es da aber nicht um Strafe, sondern um eine Abwägung, in der mir nichts anderes übrig bleibt.
Sobald ich aber mit 'wir müssen hart bestrafen' unterwegs bin als einen gewissen Selbstzweck, weil da auch Genugtuung im Spiel ist und prinzipielle moralische Standpunkte wie 'einer der sowas gemacht hat, darf nie mehr glücklich sein', dann beißt sich das mit dem Grundsatz, Kriminalität als ein gesellschaftliches Phänomen zu verstehen. Denn hier geht es dann wieder um rein individuelle Einzelfallgedanken.

Mit diesem Denken werden wir es meiner Ansicht nach weder schaffen, dass Hellfeld zu vergrößern, noch, das Gesamtfeld der Verbrechen zu verkleinern. Denn dazu muss ich mich eben vom Sherriff Wildwest denken wegbewegen, wo aufrechte Gesetzteshüter galgenstricke jagen, sondern Verbrechen als Auswirkung gesellschaftlicher Missstände begreifen.

Wenn es einzelne Täter gibt, die wirklich ganz klar permanent gefährlich sind, muss ich für die Lösungen finden. Diese Lösungen müssen dann aber aus dem Schutzgedanken für die Bevölkerung heraus geboren sein und dem täter dennoch ein so Humanes Leben wie möglich ermöglichen. Sie dürfen nicht aus Rachegedanken durchgeführt werden.

Und ich glaube, dass man durch Prävention die Zahl der unverbesserlichen täter so stark verringern kann, dass sie kaum noch ins Gewicht fallen.


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31.03.2021 um 04:56
Zitat von sacredheartsacredheart schrieb:Die Maßnahmen, die @shionoro vorschlägt, sind ja so neu nicht und auch die werden leider das Allermeiste nicht verhindern können.
Es ist nicht neu, über Resozialisierung nachzudenken. Aber Kriminalität als gesamtgesellschaftliches Problem und nicht nur als Strafproblem zu sehen, das ist eine relativ junge Idee.

Resozialisierung heißt "ok der hat was schlimmes gemacht und wir geben ihm eine chance, sich zu bessern". Aber darum geht es hier nicht allein. Es geht darum "Sorgen wir als Gesellschaft dafür, dass möglichst wenige Menschen sich dazu verleitet sehen, schlimme Dinge zu tun?"

Das ist ein großer Unterschied, denn er vermeidet, die Schuld allein dem Individuum zu geben. Er ignoriert die Shculdfrage sogar ein Stück weit, weil es nicht um Schuld geht, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen für den Schutz der Gesellschaft. Und der Schutz der Gesellschaft beinhaltet eben, Verbrechen zu vermeiden und ein gesundes Zusammenleben zu ermöglichen, nicht nur, die, die Straftaten begehen, dafür zu sanktionieren quasi als Sünder.

Ich hab dafür gerade ein gutes Beispiel gefunden. Erinnerst du dich noch daran, dass ich darüber sprach, dass viele der unverbesserlichen verbrecher FAS haben?

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/berlin-urteil-nach-mord-an-15-jaehriger-faehigkeit-zu-manipulieren-a-b8077928-c6a3-4daa-b226-410186249fdb

Der Typ war in der Forensik, kam da wieder raus, hat danach weiter drogen genommen und sich überhaupt nicht geändert aber alle Stellen haben versagt, bis er eine 15 jährige vergewaltigt und umgebracht hat.

Definitiv ein Fall, der nicht resozialisierbar ist. Aber jetzt einfach zu sagen 'man hätte ihn lebenslang wegsperren sollen' greift viel zu kurz. Sicherlich hätte man das machen sollen, aber er hat ja auch schon vorher jemanden vergewaltigt und diverse straftaten begangen.

Und warum ist der so unresozialisierbar?
Bei dem Angeklagten liege »eine ausgeprägte Dissozialität« vor, sagt der Vorsitzende Richter Matthias Schertz. Eine Psychiaterin hatte in ihrem Gutachten von einer Psychopathie, einer extremen Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung gesprochen, die sich bei Bekim H. schon in jungen Jahren ausgebildet habe. Hinzu komme eine angeborene Schädigung seines Gehirns. Dennoch sei der Angeklagte voll verantwortlich für den Tod des Mädchens. Seine Schuldfähigkeit sei zur Tatzeit weder aufgehoben noch erheblich eingeschränkt gewesen, stellt das Gericht fest.
Schuldfähig, sicher, aber dass der so ist, wie er ist, hat mit der Krankheit zu tun. Und wo kommt die her?
Bei Bekim H. liegt aufgrund eines fetalen Alkoholsyndroms eine hirnorganische Störung vor, da seine alkoholkranke Mutter auch während der Schwangerschaft trank. Doch diese Störung sei zum Tatzeitpunkt »nicht handlungsleitend« gewesen, so das Gericht. Bekim H. sei auch nicht derart betrunken oder berauscht gewesen, dass er sein Verhalten nicht mehr habe steuern können. Davon zeuge sein Verhalten vor und nach der Tat.
Der ist schuldfähig, weil er wusste, was er da macht, dass er das Mädchen umbringt. Aber es ist kaum hergeholt, zu vermuten, dass das FAS einen gehörigen Anteil daran hatte, dass er unresozialisierbar kriminell ist. Schließlich werden über die Hälfte der Menschen mit FAS mit dem Gesetz in Konflikt treten, statistisch.

Wenn ich hier den Schutz der bevölkerung wirklich ernst meine, dann kann ich natürlich den Täter wegsperren und sollte das auch, aber letztendlich werde ich nur dann wirklich schützen können, wenn ich auch die ersten taten verhindere und das werde ich nur schaffen, indem ich (bei dieser Tätergruppe) FAS bekämpfe oder wenigstens die Kinder, die darunter leiden, besser betreue.
Und wenn ich das schaffe, muss ich sie auch nicht mehr ewig wegsperren.

Das meine ich mit 'zwei herren dienen'. Entweder wir erkennen, dass wir als gesellschaft instrumente in der Hand haben, mit denen wir diese Art Fall oft verhindern können, oder wir machen es uns einfach und reden nu darüber, wie schrecklich solche Menschen sind und dass sie für immer weggesperrt gehören. Aber wie gesagt, die ewig wegzusperren und nicht über die statistischen Gründe für solche Taten zu sprechen dient nur der beruhigung und befriedigung eines Rachegedankens, es dient nicht dem Schutz von Mädchen und Frauen wie seinen Opfern.


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31.03.2021 um 06:48
@shionoro

Erst mal danke für die gehaltvolle Antwort.

Die bringt mich aber zu der Frage wie ich FAS verhindern will.

Entweder versucht man das refulativ über Verkaufsverbote etc oder vermehrte Meldungen an Ämter oder verpflichtende Kontrollen aller Schwangeren. Na ich weiss nicht...

Oder man will eine Gesellschaft erzeugen in der Menschen freiwillig nie soweit kommen. Es wäre schön wenn das möglich wäre, es fehlen aber die Methoden. Die Mutter von dem von Dir verlinkten Täter wird ja schon ähnlich ins Leben gestartet sein. Die war ja bestimmt nicht Klassensprecherin dann Siegerin bei Jugend Forscht dann ne tolle Karriere gemacht aber in der Schwangerschaft plötzlich gebechert haben.

Aus meiner Sicht gibt es eben eine bestimmte Menge Vollasis, die kaum einer positiven freiwilligen Maßnahme zugänglich sind. Ob die das überhaupt beeinflussen könnten glaube ich nicht.


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31.03.2021 um 07:44
@sacredheart

Also ich würde weniger auf reine Kontrolle als wie gesagt auf verantwortung gehen.

Zunächst: In Deutschland trinken leider viel mehr Frauen, als man denken würde, in der Schwangerschaft. Nicht nur irgendwelche Asozialen. Das sind ca 25% der Frauen. Klar kommt es da schon darauf an, wie viel man davon trinkt, aber trotzdem ist das Problem kein reines Unterschichtending.

Ich bin der Meinung, dass Alkohol teurer sein müsste und weniger stark beworben dürfen werden müsste, aber ich glaube, dass das hier nicht der Punkt ist.

Für mich ist es immer wichtig, Lösungsorientiert zu denken und dabei immer nach dem 'warum' zu fragen, um erstmal überhaupt verstehen zu können, wie das eigentliche Problem funktioniert.

Warum trinken Schwangere Alkohol? Liegt das an Unwissen oder Unwilligkeit? Bei Unwissen muss ich informieren, das ist nicht schrecklich schwer. Bei Unwilligkeit muss ich verstehen, warum sie Unwillig sind.
Ist es, weil sie es zwar eigentlich nicht wollen, aber ohne Alkohol nicht klarkommen, ob aus Stress oder Sucht? Dann komme ich in die Suchtproblematik generell rein und muss da weiterverfahren, oder ich muss schauen, warum so viele Mütter gestresst sind und wie ich das ändern kann.
Sind das Leute, denen wirklich alles egal ist? Auch da muss ich fragen, was das für Leute sind, wie sie wohl so geworden sind.

Und wenn wirklich jemand keinerlei Maßnahmen zugänglich ist, muss ich überlegen, wie ich die Bereitschaft erhöhen kann, ob ggf. sogar mit Sanktionen oder mit anderweitigen Möglichkeiten.

Und daran siehst du auch, warum ich dann plötzlich immer vage werde: Es wird bei komplizierten Problemen niemals die eine einfache Maßnahme geben, die das Problem löst. Denn fast alle heutigen gesellschaftlichen Probleme sind komplex.
Wenn ich will, dass weniger Mütter trinken, dann muss ich in verschiedenste soziologische Probleme reingehen, die teilweise mit fundamentalen sachen in unserer gesellschaft zu tun haben.

Was ist z.b., wenn ich feststelle, dass ich in der Tat wohl etwas am Gesamtalkoholkonsum drehen müsste, z.b. durch ein bewerbungsverbot, dann hingen an meiner Kriminalitätsproblematik noch ganz andere gesellschaftliche Probleme dran. Oder wenn ich merke, dass der Alkoholkonsum der Mütter etwas mit komplexeren sozialen Problemen wie Einsamkeit, Entfremdung oder Stress zu tun hat, die alle selbst chimärenhafte Probleme sind.

Und dann müssen wir uns wieder daran machen, ganz grundsätzlich erstmal schematisch Lösungskonzepte zu entwerfen und Gründe zu erforschen, bevor wir konkrete Einzelmaßnahmen vorschlagen.

Das ist meiner Meinung nacha uch der Grund, warum das politische Entscheidungsträger nicht machen. Sich hinzustellen und zu sagen "naja, es wäre wirklich sehr schwierig und aufwändig, dieses Problem zu lösen, und die Zahl der Vergewaltigungen ist relativ konstant und managebar, das lohnt sich nicht", das macht keiner, der noch klar im kopf ist. Obwohl das stimmt. Wir gehen einige Probleme nicht an, weil man sie verwalten kann und ihre Lösung sehr aufwändig wäre, weil man viele komplexe Teilprobleme lösen müsste. Sowas macht man dann erst, wenn man wirklich unter Zugzwang ist und dann macht man es meist schlecht, weil man schnell handeln muss.

Aber wir sehen ja, dass unsere gesellschaftliche verrohung und Entfremdung zunimmt. Und mir macht das Sorgen. Ich glaube, wenn wir uns nicht daranmachen, wieder zu einem wärmeren miteinander zu kommen, fliegt uns der Laden irgendwann um die Ohren. Kriminalität ist dabei ein sehr wichtiger Punkt, weil sie ein sehr guter Indikator dafür ist, wie gesund meine Gesellschaft im Sozialen ist.

Für mich wäre es da schon wichtig, überhaupt erstmal Gründe offen zu benennen und ehrlich damit umzugehen. Es ist einfach für einen Politiker, sich hinzustellen und zu sagen 'das war schrecklich und der täter wird hart bestraft'. Weil das kein Geld und keinen Aufwand kostet. Oder für ein paar Millionen irgendeine kampagne zu machen (ob ne konservative oder ne linke, tropfen auf den heißen stein halt. Irgendeine Razzia, irgendein kleines Resozialisierungsprojekt), damit man gut dabei aussieht. So lenken politiker von den eigentlichen Problemen ab und täuschen Handlung vor.
Ich finde, gerade bei Taten wie dieser muss man benennen, dass alkohol in der schwangerschaft wohl eine große rolle gespielt hat und das wohl bei sehr vielen unresozialisierbaren fällen so ist. Wenn wir darüber sprechen würden anstatt darüber, wie grausam der Täter das Mädchen ermordet hat und wie unglücklich die Familie im prozess war, dann wäre in der Richtung glaube ich schon einiges gewonnen.

Mein Problem ist, dass sich beim Thema Gewalt unsere Gesellschaft konsequent selbst täuscht und anlügt.


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31.03.2021 um 07:51
Aber um wenigstens doch mal was konkretes zu nennen beim thema alkohol und taten:

-Konsequent auf jede Flasche und Dose, undzwar groß, wie beim Rauchen: Alkohol kann ihrem Kind irreperable Schäden zufügen.
-Ein FAS register, wie bei krebs, wo jeder Fall erfasst wird und die Eltern dann sofort Hilfestellung angeboten bekommen und das Kind eine Therapie (denn in jungen Jahren kann mand a noch einiges machen, bezüglich Impulskontrolle und so).
-Sensibilisierung von Ärzten für das Thema (häufig wird bei solchen kindern nu ADHS diagnostiziert, ohne die Gründe zu erforschen).

Diese drei Maßnahmen allein würden vermutlich einige Menschenleben retten können und auch für Betroffene weniger Konflikt mit dem Gesetz ermöglichen und sind nicht abstrakt und schwer umzusetzen.

Aber sie bedeuten eineng ewissen aufwand und man müsste sich mit der alkohol lobby anlegen, darum lässt man das bleiben.

Und das stört mich, ich wünschte, nach jedem solchen fall würde der druck auf politiker wachsen sowas umzusetzen, anstatt vor der Kamera auf hart und betroffen zu machen.

Denn eins ist klar: FAS wird längst nicht bei jedem diagnostiziert und auch natürlich in medienberichten nicht genannt. Wenn wir das bei jedem solchen Täter wüssten und es immer mit dabei stehen würde, hätte man das glaube ich schon lange gefordert, was ich schreibe.


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31.03.2021 um 23:28
Zitat von shionoroshionoro schrieb:Man kann nicht zwei Herren gleichzeitig Dienen, denn man kann nur einen Grundsatz haben.
Sag mir nicht, dass du nicht bemerkst, was das für ein Unsinn ist. Was beabsichtigst du damit, solche sinnlosen Phrasen abzusetzen?


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31.03.2021 um 23:48
@Tripane

Was ist daran sinnlos? erklär mir das mal. Man kann nicht von zwei Menschenbildern gleichzeitig ausgehen.
Entweder man begreift straftäter als Menschen, die individuell bösartige Entscheidungen getroffen haben und dafür bestraft werden müssen, oder man begreift Straftaten als soziales Problem, das dann auch im sozialen Bereich Reformen bedarf.

Wenn wir darüber sprechen, das dunkelfeld zu verringern indem wir einfach überlegen, wie wir noch mehr Täter bestrafen können, dann entspricht das Menschenbild 1: Mehr Leute haben was gemacht, also müssen wir mehr Leute bestrafen.

Aber wenn wir uns für die Gründe interessieren, warum täter so werden und begreifen, dass da indirekte faktoren wie eben z.b. FAS eine große Rolle spielen, dann werde ich automatisch vom bild das bösen Straftäters, der einfach nur bestraft werden muss, abrücken müssen.


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01.04.2021 um 00:03
Zitat von shionoroshionoro schrieb:Was ist daran sinnlos? erklär mir das mal. Man kann nicht von zwei Menschenbildern gleichzeitig ausgehen.
Alleine der Ansatz, bei knapp 8 Milliarden Menschen und Millionen von Tätern mit "Menschenbildern" daher zu kommen, ist sowas von kontraproduktiv. Im nächsten Beitrag redest du plötzlich wieder davon, wie kompliziert und differenziert alles ist.
Entweder man begreift straftäter als Menschen, die individuell bösartige Entscheidungen getroffen haben und dafür bestraft werden müssen, oder man begreift Straftaten als soziales Problem, das dann auch im sozialen Bereich Reformen bedarf.
Wer sagt das denn? Das haust du einfach so raus. Woher nimmst du diesen Quatsch?


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01.04.2021 um 00:05
Zitat von TripaneTripane schrieb:Alleine der Ansatz, bei knapp 8 Milliarden Menschen und Millionen von Tätern mit "Menschenbildern" daher zu kommen, ist sowas von kontraproduktiv. Im nächsten Beitrag redest du plötzlich wieder davon, wie kompliziert und differenziert alles ist.
Erklär das mal genauer. Warum ist es kontraproduktiv, über die grundsätze unseres politischen handelns zu sprechen? Und dazu gehört nunmal ganz besonders unser menschenbild, weil sich an dem die logik unseres handelns entscheidet.
Zitat von TripaneTripane schrieb:Wer sagt das denn? Das haust du einfach so raus. Woher nimmst du diesen Quatsch?
Das ist reine Logik. Wie soll das denn gleichzeitig gehen?


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01.04.2021 um 00:15
Zitat von shionoroshionoro schrieb:Aber wenn wir uns für die Gründe interessieren, warum täter so werden und begreifen, dass da indirekte faktoren wie eben z.b. FAS eine große Rolle spielen, dann werde ich automatisch vom bild das bösen Straftäters, der einfach nur bestraft werden muss, abrücken müssen.
Es sei jedem selbst überlassen, wie er eine Tat und den Täter bewertet, gilt für allen Dingen für deren Opfer.
Ebenso, ob er für den Straftäter und dessen Tat sowas wie Verständnis zeigt oder eben nicht.

Nenne den Freiheitsentzug nicht Strafe, eher eine Konsequenz ;)


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