sacredheart schrieb:Wenn sich alle im Sinne von alle einig gewesen wären, wäre das damals auch so gekommen. Es waren also nicht alle hellauf begeistert.
Merkel hatte drei Berater die hier maßgeblich verantwortlich sind und diese Politik gegen den Widerstand anderer EU-Länder und gegen gravierende Bedenken aus akademischen Kreisen durchgedrückt haben. Die Einsicht, dass das falsch war kam spät. Anfang dieses Jahres sprach sich das Bundeskanzleramt für eine Aussetzung der Schuldenbremse aus:
https://www.sueddeutsche.de/politik/schuldenbremse-helge-braun-coronavirus-1.5185960 Helge Braun spricht hier stellvertretend für die wirtschaftswissenschaftlichen Berater und die Kanzlerin, die sich zunächst die Schuldenbremse ausgedacht haben und dann festgestellt haben, dass das eine dumme Idee war.
Diese Policies hatten auch keine demokratische Legitimation. Schäuble sagte damals "Wahlen ändern nichts." was für sich ja schon eine Bankrotterklärung jedes demokratischen Politikers ist, aber es hat auch dazu geführt, dass gerade die Südeuropäischen Demokratien zusätzlich zur Wirtschaftskrise noch in eine extreme Legitimationskrise gefallen sind, die vor allem dazu führte, dass Rechts- und Linksextremen Bewegungen sich etablierten.
Nationales Vertrauen in die Politik, aber auch supranationales Vertrauen in europäische Institutionen wurden hier nachhaltig zerstört.
Man hat also großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden angerichtet, man hat damit keinerlei finanzpolitische Stabilisierung erreicht, man hat einen gewaltigen Investitionsstau verursacht und die Wirtschaft vieler unserer wichtigsten Handelspartner in eine Sackgasse geführt.
Und FDP und Union, ohne überhaupt zu verstehen wofür sie da kämpfen, halten an diesen Policies fest, auch nachdem ihre Erfinder schon eingesehen haben, dass es der falsche Weg war. Es ist eben jetzt tatsächlich so, dass die einzigen Leute in der Union die wirklich was von der Thematik verstehen, gegen die Schuldenbremse sind, während die, die nix davon verstehen dafür sind. Es ist absurd.
Die Unfähigkeit so offensichtliche Fehler einzugestehen und entsprechend das eigene Handeln anzupassen ist eine hochgefährliche Eigenschaft in der Politik.
sacredheart schrieb:Letzten Endes kann man immer nur ausgeben, was reingekommen ist oder reinkommt.
Falsch. Der Staat ist kein Haushalt. Er gibt seine eigene Währung aus und kann die Geldmenge beliebig erhöhen, solange das Preisniveau stabil bleibt. Das Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben ist ein bedeutungsloser Indikator.
Preisniveau ist entscheidend und das reagierte die letzten 20 Jahre praktisch nicht auf Erhöhungen der Geldmenge.
Das ist eine der fundamentalsten neuen Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft der letzten 20 Jahre und der Umstand, dass du davon nichts mitbekommen hast zeigt schon irgendwie, dass das nicht dein Thema ist, deswegen wundert mich deine starke Meinung. Woher kommt die? Offensichtlich ja nicht von wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema.
sacredheart schrieb:Und in dem Sinne können wir nachhaltig nur das ausgeben, was wir haben.
Achtung, Mind Blow: Was wenn das was wir in Zukunft einnehmen können davon abhängt was wir jetzt ausgeben?
sacredheart schrieb:Ich bin ja bei Dir, dass in Infrastruktur zu investieren ist und zum Teil recht deutlich und auch staatlich. Aber da soll man besser mal alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Mittlerweile ist es ja Gang und Gäbe, Milliarden für Scheisse auszugeben, Beispiel: Berater im Verteidigungsministerium, Pkw Maut. Ups, we did it again. Das geht eben nicht.
Das sehe ich genauso. Aber man muss es auch in Relation sehen.
Klar ist es ärgerlich wenn man von dieser Verschwendungen von Steuergeld hört, klar ist es bedenklich wenn die Politik Armadas von McKinsey Leuten bezahlt um Politik nach deren operationalisiertem Aberglauben zu machen.
Aber das hat nicht wirklich was mit Staatsausgaben zu tun. Das fällt kaum ins Gewicht und sollte schon gleich drei mal nicht als Argument gegen zukunftssichernde Investitionen angeführt werden.
sacredheart schrieb:Und im Vorgriff auf die Steuereinnahmen unserer Kinder- und Enkelgenerationen Geld auszugeben halte ich für falsch.
Dein Verständnis ist völlig verdreht hier. Wir belasten mit diesen Investitionen nicht künftige Generationen sondern entlasten sie.
Der Lebensstandard unserer Kinder und Enkel ist absolut unabhängig vom deutschen Schuldenberg sondern hängt vor allem davon ab wie schnell Deutschland es schafft seine Industrie und Infrastruktur zu Entkarbonisieren und eine führende Rolle in den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts(regenerative Energien, nachhaltige Lösungen) einzunehmen. Ersteres ist vorraussetzung für die Einhaltung der Pariser Ziele, zweiteres sichert den Wirtschaftsstandort Deutschland und erlaubt es Deutschland Einfluss darauf zu nehmen, dass die Pariser Ziele auch global erreicht werden. Um das zu erreichen muss investiert werden, nicht gespart. Sparen zementiert den Status Quo, der uns geradewegs in den Abgrund führt.
Es ist ein ähnliches Problem wie mit Griechenland. Griechenland wurde nicht gesund gespart, sondern kaputtgespart und die Union und FDP wollen das Selbe in Deutschland auch erreichen.
sacredheart schrieb:Das würde unter der Prämisse Sinn ergeben, dass wir in 'der einen alles entscheidenden Zeit' leben. Das ist aber nicht so. Die werden ganz eigene Herausforderungen und Infrastrukturprobleme haben.
Ich denke der Klimawandel ist ein "alles entscheidendes" Event. Mehr als jeder Krieg oder jede sonstige Krise es jemals war.
Wir haben eine Welt mit 8 Milliarden Menschen, es werden wohl noch fast 10 werden.
Diese bald 10 Milliarden Menschen benötigen zum Überleben ein stabiles globales Ökosystem.
Wenn wir vermeiden wollen, dass die Erdbevölkerung wieder drastisch sinkt (um mehrere Milliarden) in einer Ära der Naturkatastrophen, Hungersnöte und Genozide, dann müssen wir zwei Dinge schaffen:
1. Die Stabilität des globalen Ökosystems erhalten (das ist das 1.5°C Ziel)
2. Nachhaltige globale Wirtschafts- und Ressourcen Systeme schaffen
Diese Probleme sind neuartig. Vorherige Generationen hatten sie nicht. Dass die Stabilität unseres globalen Ökosystems in Gefahr ist wissen wir erst seit den 70ern so richtig. Das Problem der Nachhaltigkeit stellt sich auch erst, seitdem der Mensch die planetaren Grenzen quasi ausgelotet hat. Erst seit Kurzem haben wir ein umfassendes Bild womit wir haushalten müssen.
Und selbst heute gibt ja noch viele die nicht wahrhaben wollen, dass menschliche Aktivität so einen massiven Einfluss aufs Klima hat.
Aber diese Probleme werden nicht vorbei gehen. Fragen der Nachhaltigkeit und systemischen Stabilität werden die Menschheit auf ewig begleiten.
Jede Zivilisation die Fortschritt und Wachstum zum Ziel hat arbeitet an ihrer eigenen Vernichtung solange ihre Systeme nicht nachhaltig funktionieren.
sacredheart schrieb:Ich sclachte auch nicht die Sparschweine meiner Kinder mit dem Hinweis 'besondere Zeiten'.
Solltest du vielleicht, wenn du mit dem Geld aus diesem Sparschein dafür sorgst, dass deine Kinder ein gutes Leben haben können.
Der Knackpunkt ist ja, dass es für unsere Kinder spät sein wird diese Investitionen zu tätigen. Sie sind darauf angewiesen, dass wir es jetzt tun.
sacredheart schrieb:Und noch mal ein kleiner nachschlag zu unserer Steuerpolitik, die ja angeblich ach so wichtig ist, damit nicht lauter Milliardäre entstehen:
In Wahrheit greift unsere Steuerschraube doch schon Leuten ganz heftig in die Tasche, die keine 60.000 Euro im Jahr verdienen.
Ich stoppe gleich mal hier.
Du musst unterscheiden zwischen Einkommensungleichheit und Vermögensungleichheit.
Einkommensungleichheit ist schon ziemlich massiv, aber die Vermögensungleichheit um ein vielfaches größer.
Beide Probleme sind unabhängig von einander, denn Vermögen wachsen nicht hauptsächlich durch Einkommen, sondern durch Kapitalertrag.
Ich persönlich denke nicht, dass an der Einkommensungleichheit steuerlich noch viel geregelt werden kann oder sollte. Die Besteuerung von üblichen Einkommen in Deutschland ist im Großen und Ganzen angemessen.
Aber die Vermögensungleichheit ist ein Thema das sich nur durch Steuern bekämpfen lässt und gerade hier ist die Besteuerung ganz und gar nicht nicht angemessen.
Diese beiden Themen werden oft vermischt. Keiner will mehr Steuern auf sein Gehalt zahlen, und das nutzen vermögende Menschen aus und vermischen ihr eigenes Anliegen (das angehäufte Vermögen zu schützen) mit dem Umstand, dass niemand gern Steuern zahlt.
Und dann wird so getan als würden die Grünen den Leuten die Steuern erhöhen, obwohl es tatsächlich vor Allem um Vermögen geht.
Kapitalertrag ist nicht der gerechte Lohn von Arbeit, sondern ein Produkt besonderer Umstände und solche sollten besonders hoch besteuert werden. Zumal das Kapital aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Effizienz einbüßt, wenn es auf einem großen Haufen liegt.
Das heißt: Auch rein ökonomisch gesehen ist es rationaler große Vermögen stärker zu besteuern und umzuverteilen um die Produktivität des Kapitals zu maximieren.
Und ich weiß ja nicht was ihr für Leute seid, aber wenn ihr weniger als 1 Mio. auf der hohen Kante habt, dann gehört ihr nicht zu denen die stärker belastet werden sollten.
Und, zu Guter letzt, die Steuerpläne und FDP und Union belasten explizit Einkommensgruppen unter 100.000€ pro Jahr stärker als die über 100.000.
Die allermeisten, die FDP wählen, weil sie nicht mehr Steuern zahlen wollen, würden unter FDP-Plänen tatsächlich mehr zahlen als unter den Plänen der Grünen.
Seidenraupe schrieb:erstens das: jede Zeit hat eigene Probleme
zweitens:
jede Bahnstrecke, jede Straße, jede Infrastruktur die heute eine "Investition" in Infrastruktur(ausbau) erlebt, ist in 20 Jahren wieder fällig - sei es weil der Zahn der Zeit daran nagt, weil Unterhalt verpennt wurde, oder weil es schlicht neue Anforderungen an Infrastruktur gibt
so zu tun, als würden noch unsere Kindeskinder von den heutigen Investitionen in Infrastruktur profitieren, ohne dass für den Unterhalt und neue Anforderungen massiv Geld ausgegeben werden müsste, ist mit zu einseitig und vorallem zu sehr zu Lasten der folgenden Gneration gedacht.
Ja dafür gibt es eine Lösung: Nennt sich Abschreibungen.
Alle Infrastruktur, die heute in Deutschland steht, steht da, weil vorherige Generationen investiert haben.
Stell dir vor es gäbe in Deutschland keine Straßen und keine Schienen, weil die vorherigen Generationen uns die Schulden, die diese Dinge verursacht hätten nicht aufbürden wollten. Wäre doch blöd oder?
sacredheart schrieb:In Wahrheit greift unsere Steuerschraube doch schon Leuten ganz heftig in die Tasche, die keine 60.000 Euro im Jahr verdienen. Da wird ja nicht der Milliardärswahn eingehegt, sondern basaler Vermögensaufbau verhindert.
Die Grünen-Steuerpläne entlasten alle bis 100.000 im Jahr, belastet werden nur die, die mehr verdienen.
Die FDP will Jahreseinkommen ab 100.000 stark entlasten, während niedrigere Einkommen kaum entlastet werden.(weniger Entlastung als bei den Grünen oder der SPD)
Also kurz: Wenn du unter 100.000 im Jahr verdienst, dann sind die Steuerpläne der Grünen besser für dich als die der FDP.
Die Entlastungen für Reiche die die FDP fordert würden ein 88 Milliarden € großes Loch in die Staatkasse reißen, sprich: Die Entlastungen für Reiche werden durch Schulden finanziert bzw. über weiteren Sozialabbau.
Das sind Schulden die nicht in die Zukunft investiert werden, sondern dem Vermögensaufbau der Oberschicht dienen. DAS belastet zukünftige Generationen wirklich.
Aber wie gesagt, die Diskussion um Besteuerung von Einkommen ist eigentlich nur Ablenkung, wirklich interessant wird es erst wenn wir über die Besteuerung von Vermögen reden. Und da fallen dann auch die Stories von den hart Arbeitenden Leute weg, denen "etwas weggenommen wird", denn die Vermögen um die es da geht speisen nicht aus Lohn oder Gehalt, sie speisen sich aus Kapitalerträgen
Selbst ein deutscher Top-Manager der 10 Mio. im Jahr verdient wird damit niemals Milliardär werden. Arbeit in der Wertschöpfungskette , selbst als Manager, kann zu Wohlstand führen, aber nicht zu Reichtum in dem Sinne. Wahren Reichtum erlangt man nur durch den (anteiligen) Besitz von Wertschöpfungsketten.
Besteuerung von Konzernen und systematische Steuerhinterziehung (durch Lobbyarbeit um Schlupflöcher zu schaffen bzw. ihre Schließung zu verhindern) sind das nächste große Thema, auch deutlich relevanter als die Besteuerung von Einkommen. Aber die FDP und ihre Demagogen tun immer gerne so als ginge es darum den Menschen mehr vom Lohn abzuzwacken.
Wie gesagt: FDP macht Klientelpolitik für Reiche und Konzerne.
Das einzige Thema bei dem ich wirklich Finde, dass die FDP eine gute Idee hat ist ihr Rentenkonzept.
Das Geld der Rentenkasse anzulegen statt es nur rumliegen zu lassen ist einfach objektiv betrachtet eine vielversprechendere Lösung.
Also meine Frage an euch
@SomertonMan @sacredheart @Seidenraupe da ihr die Positionen der FDP verteidigt.
Ihr seid gegen Investitionen in zukunftsfähige Infrastruktur, weil ihr den künftigen Generationen keine Schulden hinterlassen wollt,
aber ihr seid für 88 Milliarden Neuverschuldung um Steuerentlastungen für Reiche und Konzerne zu finanzieren?
Ihr seid für einen freien Markt, aber den marktverzerrenden Einfluss von mehr als 5% der Weltwirtschaft die genutzt wird um fossile Technologien zu finanzieren stört euch nicht?
Ihr vertraut auf die Marktmechanismen, aber seid gegen eine angemessene Einpreisung von Klimaschäden?