sacredheart schrieb:Und für die bestehende Expertise passiert da nicht 'nichts', aber erstaunlich wenig.
Es ist mir klar, dass es Regionen in der Welt gibt, in denen man weder Geld noch Zugang zu den benötigten Fachkräften hat. Und wir wollen alle hoffen, dass trotz fehlender Expertise nichts passiert. Prinzipiell gibt es viele Dinge, die fachlich falsch sind und dennoch funktionieren ... es gibt jedoch gute Gründe, warum solche Sachen nicht mehr Stand der Technik sind. Und eben das, ist für Laien ohne Hintergrundwissen oft nicht erkennbar.
Dennoch ist diese Aussage hier völliger Unsinn und in jeglicher Hinsicht nicht haltbar:
sacredheart schrieb:Der angelernte Schwippschwager wird den Gasanschluss bestimmt besser und gewissenhafter machen als der vielleicht angelernte 'Weissnicht'
Du unterstellst damit ausgebildetem Fachpersonal gewissenlos zu arbeiten, sobald keine persönliche Bindung zum Kunden bestünde. Das ist schon unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Haftung völliger Unfug. Gerade eine erworbene, nachweisbare Qualifikation ... Lehrgang, Ausbildung Whatever ... bescheinigt dem Kläger im Schadensfall, dass du Kompetenzen hast, an denen deine Arbeit messbar wird. Passiert ein Schaden und dir kann nachgewiesen werden, dass du eine Sicherheitsprüfung ausgelassen oder die Umsetzung nicht nach Stand der Technik umgesetzt hast, kannst du dich richtig schön rein reiten. Da reden wir von 6- bis 7-stelligen Schadensersatzsummen, die dir auch keine Versicherung abnimmt ... bis hin zu Haftstrafen. Da ist jemand, der es "schwarz" macht deutlich besser dran. Denn dem musst du als Kläger erst mal nachweisen, dass er es wirklich war.
Des Weiteren ist auch eine Haftungsverschiebung in Form von "das war vom Kunden so gewünscht" oder "das hat er mir sogar unterschrieben", auch wenn's in der Praxis passiert, rein rechtlich völlig nichtig. DU bist der Fachmann, denn DU hast die Qualifikation und DU hast gegen dein Fachwissen gehandelt. Mir fallen sehr viele Gründe ein, warum sich ein ausgebildeter Fachmann sehr viel mehr Mühe geben würde, als jemand der es einfach mal so macht.
rhapsody3004 schrieb:Man muss auch bedenken, dass nicht alle Unternehmen ihre Produktionen in Billiglohnländer verlagern - nur weil sie geizig bzw. profitgeil sind und an Personal und anderen Produktionskosten sparen wollen, sondern weil sie keine Wahl haben, möchten sie wettbewerbsfähig bleiben, wo wir dann wieder bei deiner Problematik der Nachfrage nach dem Billigmarkt wären.
Das Teuerste in Industrieländern ist nun mal die Arbeitskraft / Arbeitszeit. Bestimmte Produkte werden gar nicht mehr erschwinglich, wenn sie in einem Industrieland in Handarbeit hergestellt werden. Bzw. besteht ja oft nicht mal die Bereitschaft so viel dafür zu zahlen.
Das ist natürlich auch ein Grund für den Anstieg an Absolventen ... weil viele "einfache" Tätigkeiten in einem Industrieland nun mal wegfallen. Soll ich den Beruf dann noch lernen? Für Schuhmacher und Schneider ist der Bedarf nahezu zum erliegen gekommen.
Wir brauchen uns da nichts vormachen, wir sind Teil des Problems. Unser Anspruchsdenken und unsere Prioritäten. In Zeiten als Made in Germany noch Made in Germany war, gab man prozentual viel mehr Geld vom Gehalt für die Grundbedürfnisse und Lebenserhaltungskosten aus. Heute sieht das anders aus, wir wollen Spaß am Leben, wir wollen ständig Zugang zum Internet, ständig erreichbar sein, brauchen ständig neue Produkte und völlige Mobilität. Da sind wir bei der Bedürfnispyramide, das lässt sich nicht mehr ohne gesellschaftliche Probleme umkehren. Wir wollen den Arbeitsmarkt von vor 60 Jahren, wollen aber nicht das Leben von damals führen? Das funktioniert nicht.
Das beliebte Beispiel Trigema ist auch nicht auf Rosen gebettet. Die überdurchschnittlichen Löhne werden dort auch nicht gezahlt, ganz im Gegenteil. Wie auch, das Produkt wäre gar nicht mehr erschwinglich ... zumindest nicht bei den Maßstäben unserer Gesellschaft. Wer zahlt schon 100 Euro für ein Polo-Shirt ... es fehlt ja schon die Bereitschaft 30 % des Lohns für Nahrungsmittel aufzubringen. Es gab Zeiten, da war auch das "normal". Die Zeiten ändern sich nun mal und es gibt einige schöne und einige weniger schöne Begleiterscheinungen.
Bei Trigema führen die gestiegenen Gaspreise übrigens zu einer realistischen Bedrohung.
rhapsody3004 schrieb:Aber wohl auch nur dann, aus der Erinnerung heraus, sollte er selbständig sein oder?
Nein auch in Anstellung. Es gibt Schäden, die versicherungstechnisch abgedeckt sind. Wird dir Fahrlässigkeit vorgeworfen, bist du voll drin. Egal ob selbstständig oder nicht. Ich meine Personenschäden sind mit einer privaten Haftung von 100.000 € gedeckelt, zumindest in Anstellung, sicher weiß ich das nicht.
Fahrlässig hast du aber auch recht schnell gehandelt. Es reicht, wenn du gegen dein Fachwissen eine veraltete Technik, die nicht mehr zeitgemäß war (bsp. klassische Nullung) angewendet hast, dich vom Kunden zu einer günstigen und fachlich falschen Lösung motivieren lässt, eine Sicherheitsprüfung vergessen, einen Sicherheitsmechanismus deaktiviert oder der einfach nicht beweisen kannst, dass irgendwer nach dir rumgefummelt hat.
Ich gebe dir auch gerne ein Praxisbeispiel:
Als ausgebildeter Tischler, benötige ich für Herdanschlüsse eine Qualifikation. Nennt sich "Fachkraft für festgelegte Tätigkeiten" und auch diese Qualifikation ist eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel. Denn wenn jedes Mal ein Elektriker kommen müsste, könnte er keine komplexeren Aufgaben übernehmen in der Zeit, die er für diese vergleichsweise einfache Aufgabe bräuchte. Stattdessen können wir, da wir wissen was und wann wir es können und DÜRFEN, diese festgelegten Tätigkeiten ausführen. In dem Fall ein Drehstromanschluss. Was wir nicht dürfen, ist in irgendeiner Weise in die Hausinstallation eingreifen. Wenn wir Steckdosen wieder einbauen würden, würden wir für ab sofort für das rechtzeitige Auslösen der Sicherungen bzw. etwaiger FI-Schalter haften. Wir sind jedoch gar nicht ausgebildet worden um das zu prüfen, geschweige denn haben wir das richtige Gerät zum messen dabei. Nun gibt es häufig statt einem Fliesenspiegel eine so genannte Nischenrückwand, eine Holzplatte. Die setzen wir auch, müssen dafür jedoch auch Steckdosen ausbauen. Da wir die aber nicht mehr einbauen dürfen, kommt es regelmäßig zu Diskussionen. Der Kunde sieht es nicht ein, für diese vergleichsweise einfache Arbeit ("ihr wisst doch wie das geht") einen Elektriker zu holen. Natürlich wissen wir, wie das geht. Wir dürfen es aus Haftungsgründen nicht macht. Dennoch gibt es viele, die sich verleiten lassen.
Bei einem Brand in der Küche, nehmen die Brandermittler alles auseinander. Jede Unregelmässigkeit kriegst du dann angekreidet, auch wenn die nicht ursächlich war. Bei der Steckdose ist es vielleicht schwer nachzuweisen, dass du es warst. Doch die Aussage des Kundens, in dem Fall Geschädigter, wiegt sehr schwer und sorgt für eine Beweispflicht auf deiner Seite. Tritt ein Personenschaden ein, hast du also den Jackpot.
Bei der Herdanschlussdose ist das noch viel besser. Da ist der Anschluss bereits nicht mehr fachgerecht, sobald eine Schraube in der sogenannten Zugentlastung fehlt. Das ist eine kleine Schelle, die verhindert, dass man das Kabel des Festanschlusses raus zieht. Fehlt der Deckel der Dose, nicht fachgerecht. Liegt eine klassische Nullung vor, ist die Dose nicht mehr DIN-Konform und der Anschluss kann nur noch von einem Elektriker erfolgen, der wiederum feststellen muss, ob diese klassische Nullung noch im Rahmen des Bestandsschutzes zulässig ist. Wenn nicht - Sanierung! Kannst du dir vorstellen, was der Kunde dir erzählt ... wenn der einen Herdanschluss haben will und zu hören bekommt, dass die komplette Hauselektrik saniert werden muss? Dann kannst du dir auch vorstellen, wie oft in der Praxis Kunden dich versuchen zu nötigen, dich über deine Befugnisse hinweg zu setzen.
Anderer Fall aus der Praxis, und fällt auch unter die Kategorie "Kannst du dir nicht vorstellen, bis es dir passiert". Und genau deshalb lege ich viel wert auf Hintergrundwissen, damit man auch auf so etwas vorbereitet ist. Kunde bekommt eine Küche, Herd wird angeschlossen, Küchenabnahme. Eine Woche später, Elektriker kommt, fummelt im Sicherungskasten rum und verändert was. Folge: Aufgrund der nun veränderten Sicherungsbelegung ist das Kochfeld nicht mehr 3-phasig sondern 3mal mit der selben Phase belegt, was durch fehlender Phasenverschiebung, wie im Drehstrom vorhanden, der Neutralleiter hoffnungslos überlastet wird und dir irgendwann abgefackelt wäre. Wenn du das nicht merkst, und du dann nicht mal richtig dokumentiert hast, wie der Anschluss aussah als du gegangen bist, dann bist du dran. Dem Zeitdruck sei dank wird als erstes bei der Dokumentation zeit eingespart. Nur gut, dass ich den Kunden gut kannte und er mir das "beiläufig" erzählte. Diese Szenario funktioniert übrigens auch wunderbar eine ganze Weile, für einen Laien wäre das Kochfeld richtig angeschlossen. Der Brand wäre aber in einigen Jahren vorprogrammiert.
Du musst dich völlig absichern, musst alles dokumentieren und darfst dich nicht über deine Befugnisse lehnen. Sonst kann es schneller gehen, als dir lieb ist.
Es gibt auch Fälle, die nicht sicherheitsrelevante Gewerke betrifft. Beispielsweise wenn du in einen Kamin bohrst und anschließend Rauchgas austritt.
In der Realität passiert zum Glück selten etwas, und auch viele riskante Dinge funktionieren erstaunlich gut. Aber dennoch ist echtes Fachwissen durch nichts zu ersetzen. Wenn dich jemand nötigt mit der Aussage, er übernehme die Haftung und unterschreibe dir dies ... das bringt dir auch nichts. DU bist der Fachmann und ER ist der Laie. Egal wie du es drehst.
Bei Sachschäden reguliert das in der Regel die Versicherung. Personenschäden treffen dich.
rhapsody3004 schrieb:Ein Angestellter ist ja über seine Firma abgesichert und kann glaube ich bei kompletten Unfällen ohne jegliches Fremdverschulden und sogar auch noch bei der einfachen Fahrlässigkeit nicht haftbar gemacht werden. Erst bei mittlerer und grober Fahrlässigkeit kann ein Mitarbeiter für verursachte Schäden während seines Dienstes haftbar gemacht werden.
Wo ist da die Schwelle zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit? Ich denke in der Realität ist die Art des Schadens entscheidend. Aber riskieren, und darauf wollte ich hinaus, wird das kein wirklicher Fachmann auch nur im Geringsten.
Wie die rechtliche Situation aussieht