Pflegenotstand in Deutschland
25.09.2021 um 04:03Ich möchte hier diese Thema nochmal ganz explizit ansprechen, gerade auch so kurz vor der Bundestagswahl. Es ist ein Thema das mir auf den Nägeln brennt, da ich selbst davon betroffen bin und die Auswirkungen ganz unmittelbar zu spüren bekomme.
Zunächst zur Einstimmung die aktuelle Lage sei dieser Artikel empfohlen:
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Fachkraeftemangel-in-der-Pflege-verschaerft-sich-dramatisch,pflegekraefte162.html
Darin wir skizziert wie die Pflegekräfte unmittelbar von der Covid Pandemie betroffen waren, mit ~65.000 Infizierten und etwas über 100 Toten. Die mittelbare Über/Be-lastung kommt da noch dazu. Etwa 1/3 der Pfleger überlegt den Beruf aufzugeben, 1/3 der Azubis bricht die Ausbildung ab, bevor sie überhaupt beendet ist.
Und obwohl im Bereich Pflege in 20/21 mehr Stellen geschaffen wurden, hat sich der Mangel tatsächlich nur noch weiter verschärft, die gewonnen 20.000 Stellen sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei ist klar, dass die Belastung weiter zunehmen wird, da reicht ein Blick auf die uns bevorstehende demographische Entwicklung, die die Pflege gleich doppelt trifft.
Zum Einen wird die Zahl der zu Pflegenden weiter steigen, die Erkrankungen durch höheres Alter und bessere medizinische Versorgung immer schwerer, die Arbeitsbelastung immer höher. Zum Anderen sinkt die Zahl der Menschen die den Beruf ergreifen wollen, da es schlicht immer weniger junge Menschen gibt und die Pflege im Vergleich zu anderen Berufen nicht konkurrenzfähig ist.
Viele machen die Pfleger zumindest auch und mitverantwortlich für ihre Situation. Warum streiken sie nicht, warum gehen sie nicht auf die Barrikaden? Nun die Pfleger sind aus historischen Gründen praktisch nicht organisiert. Da der Beruf lange zum großen Teil von staatlichen- und kirchlichen Trägern dominiert wurde etwa, aber auch weil es sich um einen klassischen Frauenberuf handelt.
Und auch das Argument aus dem Artikel, dass es sich bei Pflegern um einen besonderen Menschenschlag handelt, eine höchst leidensfähige und opferbereite Gruppe, kann ich aus eigenen Erfahrungen nur bestätigen.
Da in meiner eigenen Einrichtung gerade durch Urlaub, Krankheit und Kündigungen sich ein perfekter Sturm zusammen gebraut hat, kam es auch hier zu extremen Engpässen. Eine meiner Kolleginnen leistet 14 Dienste am Stück - und soll dann jetzt in die Nacht gehen. Direkt im Anschluss.
Darauf angesprochen warum sie das tut, ob ihr nicht bewusst sei, dass dies nicht mehr vertretbar ist und sie am Ende ihre eigenes Wohl und das der Patienten gefährde, antwortet sie mir mit Tränen in den Augen: "Wer soll es denn sonst machen?"
Richtig, wer soll sich sonst um die Menschen kümmern, die uns anvertraut sind? Stehen wir ihnen gegenüber nicht in der Pflicht, ist es nicht unser Wunsch anderen zu helfen, der uns in den Beruf gebracht hat? Diese Eigenschaften - die so wesentlich und wichtig sind für unseren Beruf - werden eben gesellschaftlich gnadenlos ausgenutzt. Wer nicht knallharte Grenzen ziehen kann, zwischen sich und seinem Beruf, der wird einfach gnadenlos verheizt.
Lösungen werden da nicht aus der Wirtschaft oder einer Selbstorganisation der Pflegenden kommen. Der Ansatz ist komplett unrealistisch. Lösungen können dort nur aus der Politik kommen.
Grundsätzlich muss der Beruf der Pflege aufgewertet und die Arbeitsbedingungen verbessert werden, die Vorschläge dafür liegen auch schon lange auf dem Tisch, hier nur ein paar Beispiele:
Eine -deutlich- höhere Bezahlung, damit der Beruf für junge Menschen attraktiver wird
Der Wechsel hin zu einer akademischen Ausbildung, vorzugsweise in einem dualen Studium
Feste Tarifbindung
Konsequente Aufklärung und Ahndung von Verstößen gegen Arbeitsgesetze
Ein Ende der unsäglichen Privatisierungen im Gesundheitsbereich, die die Problem in der Pflege nur verschärft, nicht gelöst haben; womöglich eine Rückabwicklung von Privatisierungen. Es darf keine Profite auf dem Rücken von Pflegern und zu Pflegenden geben.
Die große Koalition hat viele Versprechen gemacht und konnte wenig bis nichts halten (nicht immer durch eigenes Verschulden). Eine tarifliche Bindung soll nun 2022 kommen. Hoffentlich, endlich.
Ich möchte das ganz klar sagen, wer sich entscheidet die FDP oder die CDU/CSU zu wählen, wählt Parteien die dieses Problem nicht lösen werden und nicht lösen wollen, da dort immer noch der Glaube vorherrscht das der Markt das schon regeln werde. Auch wenn beide Parteien das Thema besetzen sind die gemachten Vorschläge zum Teil blanker Hohn.
Beispielhaft sei hier nur die Stoßrichtung der FDP Pflegekräfte durch Digitalisierung zu entlasten. Sicher, nichts gegen eine Modernisierung der Pflege (wo das wichtigste Kommunikationsmedium immer noch das Faxgerät ist). Aber es gibt keine digitale oder robotische Lösung um Grund- und Behandlungspflege zu übernehmen, auch nicht in näherer Zukunft und allein diese beiden Felder vernünftig abzudecken wird immer problematischer.
Auch das Versprechen einer bedarfsgerechten Personalbemessung gibt es nun schon seit Jahrzehnten, das gab es schon unter dem letzten FDP Gesundheitsminister (manch einer wird sich erinnern). Eine bedarfsgerechte Personalbemessung liebe FDP ist vollkommen utopisch. Dafür bräuchten wir erstmal massenhaft neue Pfleger, da die heutige Personalsituation eben nicht bedarfsgerecht ist. Wo sollen die herkommen?
Aber genug mit dem Bashing einzelner Parteien, was denkt ihr über den Pflegenotstand? Wo seht ihr Lösungsmöglichkeiten, was sollte getan werden? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen.
Zunächst zur Einstimmung die aktuelle Lage sei dieser Artikel empfohlen:
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Fachkraeftemangel-in-der-Pflege-verschaerft-sich-dramatisch,pflegekraefte162.html
Darin wir skizziert wie die Pflegekräfte unmittelbar von der Covid Pandemie betroffen waren, mit ~65.000 Infizierten und etwas über 100 Toten. Die mittelbare Über/Be-lastung kommt da noch dazu. Etwa 1/3 der Pfleger überlegt den Beruf aufzugeben, 1/3 der Azubis bricht die Ausbildung ab, bevor sie überhaupt beendet ist.
Und obwohl im Bereich Pflege in 20/21 mehr Stellen geschaffen wurden, hat sich der Mangel tatsächlich nur noch weiter verschärft, die gewonnen 20.000 Stellen sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei ist klar, dass die Belastung weiter zunehmen wird, da reicht ein Blick auf die uns bevorstehende demographische Entwicklung, die die Pflege gleich doppelt trifft.
Zum Einen wird die Zahl der zu Pflegenden weiter steigen, die Erkrankungen durch höheres Alter und bessere medizinische Versorgung immer schwerer, die Arbeitsbelastung immer höher. Zum Anderen sinkt die Zahl der Menschen die den Beruf ergreifen wollen, da es schlicht immer weniger junge Menschen gibt und die Pflege im Vergleich zu anderen Berufen nicht konkurrenzfähig ist.
Viele machen die Pfleger zumindest auch und mitverantwortlich für ihre Situation. Warum streiken sie nicht, warum gehen sie nicht auf die Barrikaden? Nun die Pfleger sind aus historischen Gründen praktisch nicht organisiert. Da der Beruf lange zum großen Teil von staatlichen- und kirchlichen Trägern dominiert wurde etwa, aber auch weil es sich um einen klassischen Frauenberuf handelt.
Und auch das Argument aus dem Artikel, dass es sich bei Pflegern um einen besonderen Menschenschlag handelt, eine höchst leidensfähige und opferbereite Gruppe, kann ich aus eigenen Erfahrungen nur bestätigen.
Da in meiner eigenen Einrichtung gerade durch Urlaub, Krankheit und Kündigungen sich ein perfekter Sturm zusammen gebraut hat, kam es auch hier zu extremen Engpässen. Eine meiner Kolleginnen leistet 14 Dienste am Stück - und soll dann jetzt in die Nacht gehen. Direkt im Anschluss.
Darauf angesprochen warum sie das tut, ob ihr nicht bewusst sei, dass dies nicht mehr vertretbar ist und sie am Ende ihre eigenes Wohl und das der Patienten gefährde, antwortet sie mir mit Tränen in den Augen: "Wer soll es denn sonst machen?"
Richtig, wer soll sich sonst um die Menschen kümmern, die uns anvertraut sind? Stehen wir ihnen gegenüber nicht in der Pflicht, ist es nicht unser Wunsch anderen zu helfen, der uns in den Beruf gebracht hat? Diese Eigenschaften - die so wesentlich und wichtig sind für unseren Beruf - werden eben gesellschaftlich gnadenlos ausgenutzt. Wer nicht knallharte Grenzen ziehen kann, zwischen sich und seinem Beruf, der wird einfach gnadenlos verheizt.
Lösungen werden da nicht aus der Wirtschaft oder einer Selbstorganisation der Pflegenden kommen. Der Ansatz ist komplett unrealistisch. Lösungen können dort nur aus der Politik kommen.
Grundsätzlich muss der Beruf der Pflege aufgewertet und die Arbeitsbedingungen verbessert werden, die Vorschläge dafür liegen auch schon lange auf dem Tisch, hier nur ein paar Beispiele:
Eine -deutlich- höhere Bezahlung, damit der Beruf für junge Menschen attraktiver wird
Der Wechsel hin zu einer akademischen Ausbildung, vorzugsweise in einem dualen Studium
Feste Tarifbindung
Konsequente Aufklärung und Ahndung von Verstößen gegen Arbeitsgesetze
Ein Ende der unsäglichen Privatisierungen im Gesundheitsbereich, die die Problem in der Pflege nur verschärft, nicht gelöst haben; womöglich eine Rückabwicklung von Privatisierungen. Es darf keine Profite auf dem Rücken von Pflegern und zu Pflegenden geben.
Die große Koalition hat viele Versprechen gemacht und konnte wenig bis nichts halten (nicht immer durch eigenes Verschulden). Eine tarifliche Bindung soll nun 2022 kommen. Hoffentlich, endlich.
Ich möchte das ganz klar sagen, wer sich entscheidet die FDP oder die CDU/CSU zu wählen, wählt Parteien die dieses Problem nicht lösen werden und nicht lösen wollen, da dort immer noch der Glaube vorherrscht das der Markt das schon regeln werde. Auch wenn beide Parteien das Thema besetzen sind die gemachten Vorschläge zum Teil blanker Hohn.
Beispielhaft sei hier nur die Stoßrichtung der FDP Pflegekräfte durch Digitalisierung zu entlasten. Sicher, nichts gegen eine Modernisierung der Pflege (wo das wichtigste Kommunikationsmedium immer noch das Faxgerät ist). Aber es gibt keine digitale oder robotische Lösung um Grund- und Behandlungspflege zu übernehmen, auch nicht in näherer Zukunft und allein diese beiden Felder vernünftig abzudecken wird immer problematischer.
Auch das Versprechen einer bedarfsgerechten Personalbemessung gibt es nun schon seit Jahrzehnten, das gab es schon unter dem letzten FDP Gesundheitsminister (manch einer wird sich erinnern). Eine bedarfsgerechte Personalbemessung liebe FDP ist vollkommen utopisch. Dafür bräuchten wir erstmal massenhaft neue Pfleger, da die heutige Personalsituation eben nicht bedarfsgerecht ist. Wo sollen die herkommen?
Aber genug mit dem Bashing einzelner Parteien, was denkt ihr über den Pflegenotstand? Wo seht ihr Lösungsmöglichkeiten, was sollte getan werden? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen.