Doors schrieb am 11.10.2021:Handwerk ist eben nicht nur für Schulversager und Eingeborene.
Es ist ja nun auch nicht so, dass man für eine Ausbildung im Handwerk bloss flinke Finger, aber dafür nur einen hohlen Kopf braucht. Ich habe mir mal Lehrbücher für Berufsschüler in diversen Bauberufen, von Elektriker bis Maurer, von Sanitärkram bis Zimmermann angesehen. Da würde ich im theoretischen Bereich (Rechnen!) schon ziemlich versagen.
Der Beitrag ist zwar schon eine Weile her, aber da steckt sehr viel Wahrheit drin. Das Hauptproblem des Handwerks liegt neben der Bezahlung vor allem im Status. Die jüngere Generation bevorzugt Jobs mit höherem Ansehen, im Idealfall noch bei bedeutsamen Unternehmen.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein Job im Handwerk sehr erfüllend und vor allem, die erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse sehr nützlich sind. Das was ich kann und weiß, kann jeder um mich herum gebrauchen und es kommen auch sehr häufig diesbezüglich Anfragen. Dieser Umstand, gepaart mit der Befriedigung sein Werk nach erledigter Arbeit zu sehen ... und zu sehen, wie dauerhaft die eigene Leistung ist, das gibt einem schon ein verdammt schönes Gefühl. Auch nach vielen Jahren, ist das noch da. Das merkt man, wenn man mit einem erfahrenen Handwerker mal durch seine Heimatstadt fährt ... der zeigt dir ohne Nachfrage, was er alles gemacht hat. Das ist Berufsehre und Stolz. Der ist noch da, definitiv.
Leider sorgt der Umstand, dass viele Leute Handwerker benötigen nicht automatisch dafür, dass ihre Arbeit besonders angesehen ist. Die Gründe sind natürlich vielfältig, aber einer der Gründe ist diese Klischee: "als Hauptschüler kannst du ins Handwerk". Oder noch besser, die Einstellung, dass das ja jeder könnte. Studieren würde hingegen besondere kognitive Fähigkeiten erfordern. Aber man muss kein Akademiker sein, um so eine Einstellung zu entwickeln. Ein gerade ausgelernter Industriemechaniker hat in meinem Beisein mal verkündet, er könne ohne Probleme Möbel herstellen ... weil er ja schließlich die Maschinen herstellt, die in Tischlereien stünden. Was natürlich nicht stimmt. Und nur weil der Maler bei dir eine Wand weiß streicht, heißt das nicht, dass das der komplette Umfang seiner Kompetenz ist. Ein weiterer Punkt ist natürlich, dass viele die reine Tätigkeit sehen und nicht die Schnelligkeit und Qualität, die man eben von einem Profihandwerker erwartet. Und wie Doors sagt, Handwerk ist verdammt theoretisch geworden ... der Elektriker logischerweise mehr als der Maler. Aber die reinen Fähigkeiten, reichen nicht mehr aus fürs Handwerk ... und Hilfskräfte kann man auch nur dort bedingt gebrauchen.
Jedes Handwerk ist mittlerweile derart komplex, da reichen nicht mehr nur motorische Fähigkeiten. Mathe muss sitzen, ohne Taschenrechner. In der Tischlerausbildung hat man zudem bereits mit Berechnungen zu tun, die auch im Architekturstudium kommen. Statik, Quell- und Schwundberechnungen ... und ganz klar ... Prozentrechnung, Dreisatz, der Standardkram muss im Alltag im Kopf sitzen. Da scheitert es bei manchen schon. Möbeltischlereien und Elektriker stellen mittlerweile oft bevorzugt Abiturienten als Lehrlinge ein, meist sind das Studienabrecher, die in so einem Handwerk einen besonderen Sinn sehen. Manche gehen davon dann aber leider auch mit der Einstellung an die Sache, sie wären überqualifiziert. Am Ende ist auch Teil der Wahrheit, dass nicht jeder fürs Handwerk geeignet ist ... egal wie schlau und wie versiert.
Ich bin gespannt, wie die Zukunft aussieht. Selbst bei Elektrikern siehts mau aus in Sachen Nachwuchs, und die gehören noch zu den attraktiveren Gewerken. In Baden-Württemberg sehe ich auf vielen Baustellen "Fachkräfte" aus dem Ausland. Ob das dauerhaft die Lösung ist, wird sich zeigen ... wir haben in jüngerer Vergangenheit gesehen, was passiert, wenn viele ausländische Arbeitskräfte schlagartig zurück gehen. Mentalität ist da aber auch manchmal auch der Knackpunkt. Denn manche Leute trauen sich viel mehr zu, als sie können und dürfen ... weils in ihrem Heimatland nun mal jeder macht und die Deutschen sollen sich mal nicht so anstellen. Damit will ich sagen, dass nicht nur gewährleistet sein muss, dass es jemand macht ... sondern dass es richtig gemacht wird.
Um das Thema positiv abzuschließen: Es entscheiden sich immer mehr Frauen fürs Handwerk. Eine wirkliche Bereicherung.
Das Problem mit dem Status, kann ich mir im Übrigen auch bei den Staatsanwälten gut vorstellen. Erst kürzlich hab ich in einem Karriereratgeber aus den frühen 2000ern geblättert ... in dem eindrücklich gewarnt wurde, dass der Weg in den öffentlichen Dienst einem eine Karriere in der freien Wirtschaft im Nachhinein praktisch verwehren würde.