chriseba schrieb:Die durchschnittliche ALG II-Heulsuse definiert "am Leben teilhaben" grundsätzlich so, dass nur Dinge und Unternehmungen, die Geld kosten, als "Leben" zählen. So ist zum Beispiel der Kinobesuch mit großer Cola und Extra-Popcorn für zusammen 20 Euro, während man 2h stumm nebeneinander sitzt und auf die Leinwand glotzt "am Leben teilhaben", aber völlig kostenlos mit Nachbarn im Garten sitzen und 2h über Gott und die Welt quatschen nicht.
Ich versuche immer möglichst, Dinge differenziert zu betrachten. Fairerweise hat es nicht jeder mit dem Regelsatz leicht - ohne "spoiled", also verzogen oder mit übermäßiger Erwartungshaltung durch das Leben zu rennen. Aber ich habe es sowohl mitgemacht wie auch solche Leute (die Negativklischees) in einer häuslichen Gemeinschaft erlebt - Mehrfamilienhaus, aber kein großes. Da kriegt man über die Jahre viel mit, ob im Wohnumfeld oder bei Maßnahmen usw.
Man sollte immer vorsichtig urteilen - zugleich brauche ich aber auch kein RTL bzw. kann trotz scripted reality bestätigen, dass es die "Heulsusen"-Fraktion nun mal auch gibt. Ich käme selbst mit meinem vielleicht glorifizierten Bürojob der gut Geld abwirft nicht auf die Idee, einen Kinobesuch mit überteuerten Snacks als Maßstab der sozialen, gesellschaftlichen Teilhabe zu betrachten. Das ist auch für mich Luxus selbst wen ich da pro Monat mein Geld verschleudern könnte und alle möglichen Filme durchschauen könnte. Es rentiert sich en Mass einfach nicht und jedes Netflix oder Schießmichtot-Abo ist rentabler. Kino zu besonderen Anlässen / Filmen, sonst nicht. So sehe ich das zumindest - andere fahren vielleicht voll drauf ab. Aber das ist halt eine Frage der Frequentierung. Teuer wird es auf Dauer so oder so.
Aber ehe ich abschweife oder mich auf das Kino versteife (Reim), verstehe ich die Kernaussage dahinter und stütze sie - auch wenn ich mir den Disclaimer nicht nehmen lasse, dass nicht jeder der im Bezug klagt auch Verprasser ist oder selbstverschuldet eine negative (Haushalts-)Lage erleidet sondern das eher ungewollt passiert.
chriseba schrieb:Als Kind war ich jeden Tag draußen, irgendwo mit Freunden gebolzt, einfach nur durch die Stadt gelaufen, oder mit meinem alten, klapprigen BMX durch den Wald gekachelt, mit 1 DM in der Tasche, für ein Eis. Ich glaube, ich habe als Kind nie am "Leben" teilgenommen. Da kann ich echt froh sein, dass ich nicht zum introvertieren Serienkiller mutiert bin.
Boah, ganz ehrlich, das waren noch Zeiten. Auch wenn ich viel daheim war und gezockt habe, es war fast eine Selbstverständlichkeit was zu unternehmen wenn Freunde geklingelt haben oder man sich auch spontan verabredet hat. Was haben wir alte Ruinen erkundet (teils Mitten in der Innenstadt, wie deplatziert eine Art "Mini-Idyll" in der Stadt, oder einfach in den Park oder auch mit dem BMX auf dafür gebauten Waldstrecken rumdüsen und springen.
Auch wenn ich eher die Marke Stubenhocker geworden bin, das tat mir eher gut und ich sehne mich wieder danach, mehr raus zu kommen. Ich bin schon froh, beruflich durch die Wegstrecke immer zu einem Mindestmaß unterwegs und draußen zu sein.
Wieso erwähne ich das? Natürlich nicht nur, um über irgendwas zu schwadronieren. Ich will quasi damit die Aussage unterstützen, man könne was erleben ohne groß Geld ausgeben zu müssen. Ständig ins Kino oder sonstige Tätigkeiten, das kostet - ob einmalig oder besonders auf Dauer. Aber sich nen Ball irgendwo besorgen, benutzte Fahrräder, raus an die frische Luft ... das ist oft viel günstiger bis quasi kostenlos.
Und wenn man zusammen was macht, dann ist das doch soziale und gesellschaftliche Teilhabe, oder?
Das bringt mich wieder zu meinem Argument weiter oben. Was ist denn soziale und gesellschaftliche Teilhabe genau? Alles und nichts. Ich zahl steuern. Ist das schon Teilhabe im gebenden Sinne? Ich bekomme Steuern. Teilhabe im nehmenden Sinne? Ansonsten arbeite ich abstrakt für die Bevölkerung, leiste aber oft Überstunden und habe aufgrund von Pensum und Wegstrecke vom Tag eigentlich gar nichts mehr, dafür ein passabel gefülltes Konto am Monatsende bzw. Anfang.
Manche träumen von so etwas. Ich sage von einem anderen Blickwinkel betrachtet: Ich träume von dem, was andere haben. So gesehen kann jemand der keiner Tätigkeit nachgeht und H4 bezieht viel mehr soziale/gesellschaftliche Teilhabe erfahren als jemand als jemand der sich finanziell theoretisch mehr leisten kann, aber nicht so oft oder kaum zum Zuge kommt, Zeit oder der Motivation geschuldet.
Am Ende ist halt alles relativ und ziemlich individuell.
chriseba schrieb:Ganz unterm Strich ist "Ich möchte auch am Leben teilhaben können" meist nix anderes als "Ich will mir dasunddas auch kaufen können!".
Vielleicht. Aber wie so oft gilt in dieser Gesellschaft, wenn nicht oft und abstrakt gesehen universell: Du willst was? Dann beschreite den Weg, der dich dahin bringt. So simpel ist das, egal wie man dies subjektiv bewerten will oder das als unfair empfindet - wenn zeitnah keine andere einfachere Abhilfe möglich ist, muss man den Weg gehen so wie er eben zu einem Zeitpunkt ist.
Das ist wieder sehr individuell, manchmal hängt es von wenigen, manchmal von vielen Faktoren ab. In aller Regel kann man aber sagen, dass es vom reinen Lamentieren (auch wenn es natürlich nicht jeder oder jede leicht hat, keine Frage) nicht besser wird.
Ich weiß, manche könnte diesen oder neuerliche Posts lesen und denken, es ist moralisch oder indirekt anprangernd. Besserwisserisch vielleicht?
Am Ende verstehe ich die Argumente hierin aber eher als Motivationsschub oder als Versuch dessen. Ich kann zumindest sagen: Hätte ich nur lamentiert und aufgegeben, ich würde vermutlich heute noch gut ein Jahrzehnt später H4 kriegen und totunglücklich sein, perspektivlos weil mich nach so langer Zeit eh keine Wunschstelle mehr nehmen würde.
Keine Sorge, ich komme gleich zum Ende des längeren Posts. Will sagen: Man hat nur ein Leben. Ob man H4 nun okay oder beschissen findet, in beiden Fällen sollte man seine Chancen nicht verstreichen lassen wenn man denn noch welche hat. Gerade dann, wenn man es hasst. Ich war zwar dankbar, in diesem sozialen Netz landen zu können, aber ich wollte nicht abhängig und finanziell beschränkt sein, auch wenn ich gut auskam. Ich wollte mich verwirklichen bzw. in die Nähe dieser Stufe kommen und noch was machen, zugleich habe ich manchmal das Stigma gehasst, das auf einem lasten kann - auch wenn man sich motiviert beworben hat und sich mit manchen nicht gemein machen wollte.
Einen größeren Motivationsschub kann ich mir gar nicht vorstellen.