shionoro schrieb:Die war beendet, sobald Russland in Georgien eingefallen ist. Nicht sofort, aber das war der Anfang vom Ende.
Nun ich bin über die Details nicht mehr so im Bilde, aber der "Stunt" an der Krim hat sicherlich dann auch die Wogen nicht geglättet.
Dazu natürlich die (Kriegs-)Rhetorik, die fortwährend gegenüber dem Westen und anderen Buhmännern (aus rus. Sicht) ausgerollt wird und seinen Teil dazu beiträgt.
Ich will ja gar nicht sagen, dass westliche Elemente (einzelne Staaten, sonstige Zusammenschlüsse, NGOs, keine Ahnung, irgendwer halt) nicht manchmal Anteil dazu geben. Das kann ich schlicht nicht ausschließen, vieles ist auch schlicht relativ und hängt im Kern vom Auge des Betrachters ab. Damit will ich auch von vornherein etwas Wind aus den Segeln nehmen ehe es heißt, "Wie kann man denn einseitig Russland bashen, ABER DER WESTEN...!"
Nobody is perfect und eklatante Fehler auf der anderen Seite muss man auch beachten. Fair is fair.
Letztendlich denke ich aber nach diesem Disclaimer, dass ein größerer Teil einer möglichen Bringschuld im Sinne besserer Kooperation / weniger Feindseeligkeit beim politischen Russland liegt. Wenn da nicht die Impulse zumindest Europa ggü. kommen wird man sich in Europa auch nicht auf den Kopf stellen oder irgendwie die Lust haben es von sich aus proaktiv anzubieten, wenn in England nicht lange vorher jemand vergiftet wird und die Spur gen Osten zeigt, wenn in Berlin jemand erschossen wird und die Spur gen Osten zeigt, wenn in den Niederlanden rus. Geheimdienstler quasi bei frischer Tat erwischt werden, DE auch so seine Schläfer hat oder hatte ("Anschlag") und so weiter und so fort.
"Dem Westen" kann man vielleicht viele andere Dinge anhängen, aber so etwas zieht er meiner Kenntnis nach nicht ab, ggü. RU.
Ich sah vorhin auch parallel diesen Artikel:
https://www.welt.de/politik/ausland/article225358879/Nawalny-Proteste-In-Russland-Vier-junge-Moskauer-erzaehlen-von-ihrer-Wut.htmlDa erzählen vier Individuen und teilen ihre Ansichten. Ich denke in jener von Irina finde ich mich ganz gut wieder, bzw. die Einwände wirken auf mich nachvollziehbar.
Irina, 34, Psychotherapeutin*
Die Proteste vom letzten Wochenende konnte ich nur im Internet verfolgen, aber diesen Sonntag werde ich bei der Demonstration vor der Zentrale des FSB (Russlands Inlandsgeheimdienst; Anm. d. Red.) dabei sein. Ich war nie zuvor bei nicht von der Staatsmacht genehmigten Aktionen. Aber allein die Vorstellung, dass der Staat Protest genehmigen soll, halte ich für absurd. Nawalnys Video über Putins Schloss und alles, was ihm in letzter Zeit passiert ist, zeigen doch: Bei uns läuft einiges falsch.
Der Staat darf niemanden vergiften und niemanden ins Gefängnis stecken, weil die Vergiftung misslang. Als Politiker gefällt mir Nawalny eher nicht. Aber das ist heute Nebensache, ich will, dass er freikommt. Wir brauchen endlich unabhängige Gerichte. Wir brauchen ein Parlament, das wirklich die Interessen unterschiedlicher Gruppen vertritt, statt Gesetze aus dem Kreml abzunicken. Mit Parteien, die von mir aus für sogenannte traditionelle Werte eintreten, und auch mit solchen, die für Fortschritt und Liberalität eintreten, oder für mehr Sozialstaat.
Ich bin überzeugt, nur durch Pluralismus kann in der Gesellschaft offener Dialog entstehen. Und wenn jemand an die Macht kommt, der mir nicht gefällt, dann weiß ich – seine Wahl kam demokratisch zustande. Und in vier Jahren ist er mit Glück weg. Wie Donald Trump in den USA. Das Wichtigste ist aber, wir müssen das schwere Sowjeterbe loswerden: Die Vorstellung, das Individuum sei unwichtig, seine Meinung sei unwichtig. Und den Glauben, dass der Staat alles regeln soll. Diese Staatsgläubigkeit ist sogar bei Kremlkritikern verbreitet. Das hält uns als Gesellschaft zurück.
Quelle: siehe oben
Ich bin weder Wirtschaftsexperte noch Politikkenner erster Güte, der alles relevante dazu studiert hat. Man kann meine Ansichten hier also deswegen so mit einer Prise Salz genießen, wie die Meinung von Irina. Aber ich denke, wenn man sich überwinden könnte, das "Sowjeterbe" loszuwerden oder eben alternativ noch "viel Staat" zu behalten aber eine bessere Anbindung an zumindest Europa oder den Westen allgemein zu suchen, dann würde man auch in Russland mittel- bis langfristig ziemlich profitieren, als wenn man weiter eine Art trotzigen Alleingang versucht, in der Idee, eine Art "Zarenreich" aufzubauen oder was weiß ich. Ich zeige auch jedem den Vogel, der mit deutscher Großmannssucht auf Kosten anderer vom Aufleben des Dritten Reiches träumt. Genau so deppert.
Aber dass man bei mehr Kooperation / weniger Feindseligkeit profitieren würde kann ja schon rein darin aufgehen, dass man bei weniger Feindseligkeit auch Militärausgaben ggf. etwas nach unten skalieren und das Geld dann in andere Bereiche stecken kann. Russland hat ja auch genug interne Probleme, wie mir scheint oder Dokus implizieren.
Wenn man das oft nach außen hin aufgebaute oder vermarktete Image des "toughen Bären", der sich gegen alle anderen immer wieder durchsetzt, mit internen Problemen vergleicht und gegenüberstellt, dann entsteht bei mir zumindest dieses mentale Bild: Schweizer Käse. Löchrig. Nicht dicht.
Manchmal glaube ich auch, Putin "braucht" fast schon dieses externe Feindbild. Es ist sicherlich auch historisch mehr als einmal belegt, dass bzw. wie ein externes Feindbild über interne Probleme zumindest erst einmal hinwegtäuschen kann. In Nordkorea ist ja auch nur alles scheiße, weil ... der böse imperialistische Westen seinen Anteil dazu beiträgt. Ja, man sieht wie schlecht es z.B. den Südkoreanern unter dieser bösen teuflischen Herrschaft geht (Klar, Formen des Kapitalismus sind nicht frei von Fehlern, aber das ist ein anderes Thema) /Satire aus
navi12.0 schrieb:Das kann man sicher, nur denke ich, dass das mit der momentanen Polit-Elite dort nicht machbar sein wird, weil sich Vlad und Konsorten so viele Feinde im eigenen Land schufen, dass nur das Festhalten an der Macht sie vor größerem persönlichen Schaden bewahrt.
Die Konsequenz aus diesen innenpolitischen Verhärtungen ist das Warten auf einen Generationenwechsel, der aber auch immer schwieriger wird, je mehr sich die Dinge verhärten.
Unter Putin wird das nichts (mehr). Da stecke ich die Hoffnung in jüngere Generationen die da im Schnitt anders ticken und weniger Feindbild-Mentalität mitbringen. Ich fürchte aber, da in Russland eher "viel Staat" in vielen Bereichen der Gesellschaft steckt und Politik nun mal maßgeblich ist, so muss sich eben auch diese Generation politisch irgendwie effektiv durchsetzen.
Sinngemäß: Nawalny hat meinem bescheidenen Eindruck nach viel erreicht was einen möglichen Aufbruch angeht, selbst wenn man ihn als Politiker ablehnt. Er hat Leute "im Westen" (ihr wisst schon was ich meine, ich erspare mir die Disclaimer irgendwann) wie auch in Russland überrascht. Wenn die Berichte stimmen ist es lange her oder unüblich, dass man in Moskau z.B. mehrere Metrostationen sperrt. Das ist also neben den berichteten Zahlen ein Indikator dafür, dass da etwas Neues oder Unübliches passiert.
Aber die Proteste nützen wenig, wenn sie "versacken" und am Ende wenig bis nichts bei rumkommt weil die kritische Masse quantitativ oder qualitativ nicht erreicht wird.
Sie müssten dauerhaft relevante politische Macht oder politischen Einfluss gewinnen. Vielleicht werden sie das auch irgendwann, aber es braucht Zeit. Ob ich das noch zu Lebzeiten wahrnehmen darf, ist offen. Ein wenig bezweifle ich es. Aber Zeit ist ja relativ.