@Egalite wenn ich mir das selbstverständis so mancher journalisten anschaue so denke ich, dass dort jeglichekritische selbstreflektion abhanden gekommen ist.
Brief von Peter Henkel vom 12.4.2014 an Albrecht Müller:
Wikipedia: Peter Henkelpeter henkel
stuttgart
Lieber Albrecht Müller,
vielleicht erinnern Sie sich noch an den einstigen Korrespondenten der Frankfurter Rundschau. Auch wenn nicht, möchte ich mich mit einer wahrscheinlich nicht sehr aussichtsreichen, aber doch dringenden Bitte an Sie wenden. Dies in dem Bewusstsein, dass Sie und die nachdenkseiten alles in allem eine wichtige und wertvolle Stimme in unserer Medienlandschaft sind.
Anlass meiner Bitte sind Ihr jüngster Artikel in kontext und Ihre einschlägigen Betrachtungen zu den Medien auf den nds. Lieber Herr Müller, was Sie da schreiben, ist im Kern falsch. Und es befördert diese fatale Medienphobie, der man auf Schritt und Tritt begegnet und die bei vielen Zeitgenossen längst mit einer irrationalen Politik- und Demokratieverachtung einhergeht.
Scharf formuliert ließe sich auch sagen: Sie selber verkörpern diese Phobie. Denn Sie halten es leider für angemessen, von einem “ausgeklügelten System der Gleichschaltung” zu schreiben. Das ist abwegig. Der linke Sektor ist unterbesetzt, das ist leider wahr; aber was hat das mit Gleichschaltung zu tun? Sie ziehen sich unvermeidlich den Vorwurf zu, gewollt oder fahrlässig Parallelen heraufzubeschwören, die keine sind. Die Letzten, die mediale Gleischschaltung in Deutschland organisierten, waren Goebbels und Honecker – warum, lieber Herr Müller, belegen Sie unsere heutigen medialen Zustände mit einem Begriff für Verhältnisse, in denen es tatsächlich nur uniforme Meinungen und Nachrichten gibt, d.h. Abweichungen von der vorgegebenen engen Linie von vornherein unmöglich gemacht oder bestraft werden? Wollen Sie denn ernsthaft behaupten, wir hätten solche Verhältnisse, trotz nds und taz und frontal 21 und Panorama und Blätter für deutsche und internationale Politik und Süddeutsche Zeitung (ja, auch die gehört hierher) und Frankfurter Rundschau und Urban Priol und den Stammplätzen, die Gysi und Wagenknecht und Dirk Müller in Talkshows vor einem Millionenpublikum innehaben?
Und weil zur Gleichschaltung zwei Seiten gehören – die, die sie verordnen, und die, die sie mit sich machen lassen -, nenne ich diesen Begriff eine ebenso haltlose wie unverschämte Beleidigung von einigen tausend journalisten ist, die diesen abwegigen und ehrabschneidenden Vorwurf nicht verdient haben. ein vorwurf übrigens, der so tut, als seien Menschen (und speziell Journalisten) mit anderen Ansichten als den eigenen schon deshalb wahlweise entweder dumm oder korrupt oder beides. So zeigen sich Blindheit und Hybris.
Ihre dramatiserenden und generalisierenden Texte, lieber Albrecht Müller, leisten keineswegs durchgängig Erhellendes, sondern zu oft das Gegenteil: Wenn sie verfinsternde Fantasien befeuern. “Konservative Denkfabriken mit angeschlosssenen Medien” – “die Oberen bestimmen mit Meinungsmache, wo es langgehen soll” – das sind Beispiele für konspirative Scheindiagnosen, deren Entlarvungsinteresse alles andere übersteigt. Und keinen erkennbaren Wert mehr darauf legen, dem beurteilten Gegenstand leidlich gerecht zu werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es Situationen und Vorgänge gibt, auf die Ihre Beschreibung mehr oder weniger zutrifft. Nur machen Sie daraus einen riesigen Wandteppich. Vor ihm versammeln sich in freudiger Erregung alle, die schon immer gewusst haben, dass deutsche Redaktionsstuben ein Exerzierplatz sind für Opportunisten, Heuchler, Schleimschreiber und gekaufte Kriegstreiber, die von morgens bis abend schwindeln, unterdrücken und manipulieren.
Diesem Irrsinn, lieber Herr Müller, liefern Sie Nahrung. Und ganz nebenbei selber einen klaren Fall von Manipulation. Es gebe da, schreiben Sie, eine “Meldung” der Telekom in deren Unternehmensorgan im Netz: “Wladimir Putin will auch Finnland und Georgien annektieren.” Womit Sie, lieber Herr Müller, ja zeigen wollen, welche Propagandalügen über Putin in Umlauf gesetzt werden. Was aber steht dort tatsächlich? Die Dachzeile lautet: “Schlimme Vermutung”, und sogleich im Vorspann wird das nun Folgende als “Gedankenspiele” eines Putin-Kritikers bezeichnet. So etwas deuten Sie um zu einer “Meldung” der Telekom? Das ist Falschmünzerei durch das kritische medium nachdenkseiten. Was würden Sie sagen, wenn ich in einer derartigen Irreführung ein Symptom sähe von fehlender Redlichkeit und Kompetenz der nds, der Linken in der BRD überhaupt, womöglich von deren Fernsteuerung durch Moskau?
Den Vogel schießen Sie aber hiermit ab: “Was sich da abspielt, ruiniert den Rest an Demokratie, den wir noch haben.” Das ist ödester Stammtisch ohne jedes Augenmaß und hat mit seriöser linker Kritik an den realen Zu- und Missständen der deutschen Gesellschaft von 2014 nichts mehr zu tun. Es ist, sorry, lieber Herr Müller, paranoid.
Und nun die vermutlich erfolglose Bitte: Tun Sie was gegen diese obsessive Medienverächtlichmachung, Ihre eigene wie die unzähliger Mitbürger. Sie ist in dieser oft hasserfüllten Radikalität unbegründet und auf die Dauer hochgefährlich. Wie weit sie schon gediehen ist in diesem unserem Lande, zeigen einige hundert youtube-Kommentare zu dem (wohlgemerkt: inakzeptablen) ZDF-Interview von Claus Kleber mit Joe Kaeser über dessen Besuch bei Putin. Was sich da entlädt an Brutalität, Dummheit und Uniformität, macht schaudern. Und ist eine Aufforderung (auch an Albrecht Müller), dem entgegenzutreten – es ist mindestens so alarmierend wie die Nähe einer Handvoll Journalisten zur Deutsch-Atlantischen Gesellschaft.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Peter Henkel
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