Nachdem ich als Vierundzwanzigjährige Augenzeugin der Ereignisse des
16./17. Juni 1953 vor dem Berliner Haus der Ministerien (Leipziger Straße) war, konnte und kann ich selbst heute noch nicht mit der in der BRD seit damals vorherrschenden Wertung dieses "DDR-Arbeiter-" oder sogar "-Volksaufstandes" einverstanden sein und war deshalb sehr froh, als in den 90ern eine unabhängige Autorengemeinschaft Zeitzeugenberichte aus allen Teilen der DDR sammelte und diese im Jahr 1999 veröffentlichte (GNN-Verlag Schkeuditz "Spurensicherung - Zeitzeugen zum 17. Juni 1953").
Zum absoluten Höhepunkt wurde dabei das Auffinden eines faszinierenden Berichtes über die Berliner Ereignisse im Nachlass von
Arnold Eisensee, seinerzeit Leiter des NAW-Funkstudios der Stalinallee.
Die Suche danach gestaltete sich nicht nur ungemein aufregend, sondern erforderte regelrecht kriminalistische Leistungen.
Auch die Spur eines möglichen Kronzeugen für die Authentizität des Eisensee-Reports schien zunächst in den Zeitläuften untergegangen. Aber dann wurde der alte Oberbauleiter der Stalinallee,
Otto Pfeng doch noch aufgestöbert und bestätigte die Jahrzehnte langen Recherchen Eisensees in vollem Umfang.
Am Ende hatten wir weitaus mehr Zeitzeugenberichte zusammengetragen, als wir anfangs zu hoffen wagten – obwohl weniger, als notwendig gewesen wären.
Jeder hatte währenddessen dazulernen und auch die eine oder andere unliebsame Einsicht gewinnen müssen.
In der Bewertung der Ereignisse gingen die Standpunkte zwar auseinander – das spürten wir besonders bei der Formulierung eines gemeinsamen Vorwortes -, aber zum eigentlichen Ablauf gab es keine Differenzen.
Manche der unabhängig voneinander entstandenen Berichte ergänzten einander sogar in überraschender Weise. Ein Wunder war das allerdings nicht, sondern nur der Beweis für sachliche, wahrheitsgemäße Schilderungen.
Selbstverständlich blieben Lücken und offene Fragen.
Trotzdem traten aus den gesammelten Mosaiksteinen die Konturen eines realistischen Bildes hervor, das den vorherrschenden Darstellungen sehr entschieden widersprach.
Doch leider ist es offenbar immer noch sehr leicht, unliebsame historische Wahrheiten als tendenziöses Machwerk abzutun, wenn sie von DDR-Zeitzeugen stammen.
Dem kann abgeholfen werden.
Wenige Monate nach dem Erscheinen unseres Buches im Frühjahr 1999 erhielten wir Kenntnis von einer äußerst interessanten Fernsehsendung. Es handelte sich um die Wiederholung einer bereits im Jahre 1973 für den Hamburger Rundfunk produzierten Bildreportage des BRD-Journalisten Lutz Lehmann, in der unter anderem maßgebliche Westberliner Zeitzeugen zu Wort kommen.
Ihre Aussagen stimmen in entscheidenden Punkten mit den unseren überein.
Falls Interesse besteht, kann ich in den nächsten Tagen einige Kostproben daraus zitieren.
Abschließend kamen in dieser Sendung zwei international bekannte Politikwissenschaftler zu Wort.
Professor Alfred Großer, Paris fand es zwar „nicht unberechtigt, wenn westliche Kräfte versuchen, … echt Revolte zu machen“ und äußerte auch Verständnis für die Adenauerschen Pläne zur „Wiedervereinigung durch Erweiterung der Bundesrepublik nach Osten, … eine Art Annexion der DDR, die verschwinden würde.“ Aber: „Solang‘ die Sowjetunion ist, was sie ist, kann man keine Annexion erträumen.“ Das wusste auch Adenauer sehr gut. Deshalb: „Was mir so schlimm erscheint am 17. Juni ist nicht, dass Adenauer keine Revolte provozieren oder unterstützen wollte, sondern, dass er es nicht gesagt hat.“
Professor Löwenthal (BRD) hatte den 17. Juni „eine verpasste Chance der westlichen Politik“ genannt und erläuterte das in der Sendung wie folgt: „Die verpasste Chance war nicht so sehr der 17. Juni selbst, wie die Wochen zwischen dem Tod Stalins und dem 17. Juni.“ Er verweist darauf, dass die neue sowjetische Führung in dieser Zeit – um die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern – nach „indirekten Beweisen“ zu Verhandlungen über die Einheit Deutschlands bereit war, aber weder Dulles noch Adenauer auf solche Signale reagieren oder selbst Verhandlungen vorschlagen wollten. Nach den Juniereignissen „entschied sich in Moskau die Abkehr von diesem Versuch. Und insofern beendete der Verlauf des 17. Juni diese Chance.“
Was die damalige wie heutige Politprominenz und diverse Medien nicht daran hindert, ihn als Meilenstein auf dem Weg zur Einheit Deutschlands zu feiern.
Und hier die angekündigten Links, die sich hauptsächlich mit den Berliner Ereignissen beschäftigen.
Darüber, wie es in anderen Städten und Teilen der DDR im Juni 1953 aussah, können sich interessierte Leser beim Vor- und Zurückblättern des Buches informieren.
http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/eisensee.htm#tophttp://www.spurensicherung.org/texte/Band2/orientierungshilfe.htm#tophttp://www.spurensicherung.org/texte/Band2/eisensee1.htm#tophttp://www.spurensicherung.org/texte/Band2/steine.htm#topPressestimmen:
http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/presse.htm#topP.S.
Eigentlich wollte ich einen eigenen Thread zum Thema 17. Juni 1953 eröffnen.
Aber da ich dann auch die Diskussionsleitung übernehmen müsste und derzeit einen schweren Krankheitsfall in der Familie habe, verzichte ich besser darauf.