Gibt es eine objektive Wahrheit?
15.06.2024 um 01:21Korrigan, ich gebe mir jetzt noch einmal die Mühe, das deutlich und ausführlich zu beschreiben. Einfach weil du freundlich fragst. Allerdings: ich bezweifle den Erfolg. Nicht wegen dir, ich kenn dich ja nicht mal, sondern dem Medium geschuldet. Gib mir eine verrauchte Kneipe, genügend Bier und Zeit - und das Ganze wäre deutlich einfacher.
Bleiben wir also beim Begriff der Wirklichkeit. Wir haben - fraglos, so hoffe ich - eine Wirklichkeit die sich aus unseren Sinnen, Erfahrungen, Vorstellungen, Ideen usw. usf. speist. Und die ist - ebenso fraglos, hoffe ich - subjektiv. Die hat jeder, das ist die Wirklichkeit in der wir leben und mit der wir tagtäglich in irgendeiner Form zurecht kommen müssen.
Wir können uns nun mit anderen verständigen, auch darüber was "wirklich sei" und dabei einen Konsens erreichen. Etwa über einen Baum den ich sehe. Der ist wirklich da und es ist auch ein Baum, weil du ihn ebenfalls siehst und wir uns über den unterhalten können. Du kannst mich vorm Baum warnen, wenn ich kurz davor bin dagegen zu laufen und falls ich meinen sollte der Baum sei nur in deiner subjektiven Wirklichkeit wird er mit einiger Gewissheit hölzern in die meine vordringen.
Das ist Intersubjektivität. Wenn du "objektive Wirklichkeit" so verstanden wissen willst, als das worauf wir uns einigen können, naja - dann haben wir keinen Streit, wir nutzen die Worte nur unterschiedlich. So verstehe ich dich aber nicht.
Ich verstehe dich (und die meisten anderen) da so, dass es eine von jedem Beobachter unabhängige Wirklichkeit gibt. Weiter beruhen unsere gesamten Sinneserfahrungen und vermutlich auch Vorstellungen usw. wie du schreibst "zu einem gewissen Grad" auf eben dieser unabhängigen Wirklichkeit. Und noch weiter lese ich bei dir die Behauptung, das wir uns in einem fortschreitendem Erkenntnisprozess befinden - vermutlich ist das sowohl individuell wie gesellschaftlich zu verstehen - der uns immer dichter an diese von allen Beobachtern unabhängige Wirklichkeit heranführt.
Korrekt?
So eine Vorstellung lehne ich als unnützen metaphysischen Ballast einfach ab. Ich sehe keinen Grund derartiges anzunehmen.
Du sagst ich würde da "künstliche Grenzen der Erkenntnis" ziehen. Nein, diese Grenzen liegen in diesem Konzept der Objektivität selbst. Wenn eine solche von allen Beobachtern unabhängige Wirklichkeit existiert, dann ist sie eben nie ident mit der subjektiven Wirklichkeit in der wir leben. Darum geht es ja gerade in der Behauptung. Unsere Sinne, Erfahrungen, Prägungen, Ideen und Gedanken sind es gerade die unsere Subjektivität konstruieren, nichts davon kann irgendwie "objektiv" sein.
Und auch die Idee, dass diese nun irgendwie "zu einem gewissen Grad" Teil der objektiven Wirklichkeit sein sollen, hilft nicht weiter. Es bleibt völlig hohl, wie sollen wir aus einer subjektiven Position heraus jemals feststellen können was an unserer Wahrnehmung denn nun "objektiv wirklich" ist? Im besten Fall können wir wie oben beschrieben mit anderen Subjekten einen Konsens herstellen und uns darauf einigen. Aber was hilft das? Es gibt niemanden der einen objektiven Standpunkt einnehmen könnte (denn genau das verneint die Idee der objektiven Wirklichkeit), es wird nie der Punkt kommen an dem wir mit letzter Gewissheit sagen können "aber dies, dies ist nun objektiv wirklich!"
Oder anders: es bleibt immer eine notwendige Differenz zwischen unserer subjektiven Wirklichkeit, auch unserer intersubjektiven Wirklichkeit und der erhofften objektiven Wirklichkeit. Es genau die gleiche Differenz die wir zwischen Zeichen und Bezeichnetem finden. Und hier wird das ganze Spiel noch fatalistischer. Selbst wenn du annimmst, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, deine Beschreibung der Wirklichkeit wird immer und notwendig die oben beschriebene Differenz zu dem was du beschreiben willst aufweisen. Egal wie viel Mühe du dir gibst, wie genau du bist, wie klar und eindeutig du zu sein versuchst - über diese Brücke kommst du nicht. Der ganze oben geschriebene Teil, der sich um Wahrnehmungen und Erfahrungen dreht - das ist nur Vorspiel zum Kern der Sache. Der Sprache in der wir sprechen. Selbst wenn du tatsächlich durch göttliche Offenbarung oder unglaubliche Superkräfte in der Lage wärst objektive Erkenntnisse zu gewinnen - du könntest sie nicht vermitteln. Jeder Versuch würde unweigerlich an der Differenz zwischen dem was du zu beschreiben versuchst und der Beschreibung scheitern, es würde immer im subjektiven (für dich) / intersubjektiven (für uns) enden.
Und damit enden wir genau bei dem, was ich dir schrieb: objektive Wirklichkeit lässt sich nicht erfahren (weil jede Erfahrung subjektiv ist) und es lässt sich nichts darüber sagen (durch die Differenz). Klar können wir über das Konzept als solches reden, aber über konkrete Inhalte, was nun "ganz wirklich echt objektiv ist"? Nö. Kann keiner. Und das folgt aus dem Konzept selbst, es ist keine Grenze die ich oder irgendwer anders willkürlich gezogen hätte.
Zurück zu dem Gedanken, dass wir uns aber doch dieser "objektiven Wirklichkeit" annähern. Fortschritt, Baby. Wenn du das vorher Gesagte betrachtest, was soll eine solche Aussage dann überhaupt noch bedeuten? Ist die newtonsche Physik "weniger dicht an der objektiven Wirklichkeit" als die einsteinsche? Wie beurteilt man das, wer beurteilt das? Es gibt keinen Abstand den wir messen könnten, keinen Vergleich den wir ziehen könnten, wir können nicht schauen wie weit das eine denn mit der objektiven Realität übereinstimmt und wie weit das andere.
Alles was wir haben ist wieder - das worauf wir uns intersubjektiv einigen können. Das von dem wir sagen können: es ist Tatsache, es ist so. Und wenn du mich fragst, reicht das auch völlig aus.
So und wenn ich mich nun geirrt haben sollte und objektive Wirklichkeit für dich am Ende nicht mehr als wissenschaftliches Ideal oder gemeinsamer Konsens der Vernunft ist - naja, dann hab ich viele Buchstaben für meinen Allmy Counter hinzugefügt.
Korrigan schrieb:Deine Rahmenbedingungen scheinen mir unschlüssig zu sein. Die Unmöglichkeit der schrittweisen Annäherung an die Objektivität wird durch künstlich aufgezogene Grenzen eingeschränkt.Naja, ich habe mir weder die Rahmenbedingungen, noch die Grenzen der Erkenntnis ausgedacht oder ausgesucht. Ich habe auch die Referenzen auf dich ich mich beziehe, zumindest bin ich der Meinung, deutlich gemacht.
Korrigan schrieb:Wenn du also behauptest, dass man sich der objektiven Wirklichkeit nicht nähern kann, dann frage ich dich nach wie vor: Warum? Das, was wir wahrnehmen, muss aus Prinzip zumindest zu einem bestimmten Grad Teil der objektiven Wirklichkeit sein, allein schon aus entwicklungsbiologischen Gründen.Nein, das gilt nur wenn du ein objektive Wirklichkeit als gegeben voraussetzt. Wenn du das - wie ich - für eine reine Kopfgeburt hältst, dann ist das nicht der Fall. Warum sollte es? Und wenn ich dich nun (wieder) frage, welcher Teil unserer Wahrnehmung zu welchem Grad objektive Wirklichkeit sein soll und wie das konkret von statten gehen soll, naja - ich werde wieder keine Antwort erhalten.
Korrigan schrieb:Es muss an unterschiedlichen Definitionen von Objektivität liegen. Doch auch wenn ich deine Definition davon nicht gänzlich nachvollziehen kann, muss du es jedoch trotzdem zumindest für dich selbst definieren können.Objektivität ist ein Ideal, dem man in bestimmten Bereichen versucht gerecht zu werden - etwa in der Wissenschaft. "Objektive Realität" oder "objekt. Wirklichkeit" oder "objektive Wahrheit" meint etwas völlig anderes.
Bleiben wir also beim Begriff der Wirklichkeit. Wir haben - fraglos, so hoffe ich - eine Wirklichkeit die sich aus unseren Sinnen, Erfahrungen, Vorstellungen, Ideen usw. usf. speist. Und die ist - ebenso fraglos, hoffe ich - subjektiv. Die hat jeder, das ist die Wirklichkeit in der wir leben und mit der wir tagtäglich in irgendeiner Form zurecht kommen müssen.
Wir können uns nun mit anderen verständigen, auch darüber was "wirklich sei" und dabei einen Konsens erreichen. Etwa über einen Baum den ich sehe. Der ist wirklich da und es ist auch ein Baum, weil du ihn ebenfalls siehst und wir uns über den unterhalten können. Du kannst mich vorm Baum warnen, wenn ich kurz davor bin dagegen zu laufen und falls ich meinen sollte der Baum sei nur in deiner subjektiven Wirklichkeit wird er mit einiger Gewissheit hölzern in die meine vordringen.
Das ist Intersubjektivität. Wenn du "objektive Wirklichkeit" so verstanden wissen willst, als das worauf wir uns einigen können, naja - dann haben wir keinen Streit, wir nutzen die Worte nur unterschiedlich. So verstehe ich dich aber nicht.
Ich verstehe dich (und die meisten anderen) da so, dass es eine von jedem Beobachter unabhängige Wirklichkeit gibt. Weiter beruhen unsere gesamten Sinneserfahrungen und vermutlich auch Vorstellungen usw. wie du schreibst "zu einem gewissen Grad" auf eben dieser unabhängigen Wirklichkeit. Und noch weiter lese ich bei dir die Behauptung, das wir uns in einem fortschreitendem Erkenntnisprozess befinden - vermutlich ist das sowohl individuell wie gesellschaftlich zu verstehen - der uns immer dichter an diese von allen Beobachtern unabhängige Wirklichkeit heranführt.
Korrekt?
So eine Vorstellung lehne ich als unnützen metaphysischen Ballast einfach ab. Ich sehe keinen Grund derartiges anzunehmen.
Du sagst ich würde da "künstliche Grenzen der Erkenntnis" ziehen. Nein, diese Grenzen liegen in diesem Konzept der Objektivität selbst. Wenn eine solche von allen Beobachtern unabhängige Wirklichkeit existiert, dann ist sie eben nie ident mit der subjektiven Wirklichkeit in der wir leben. Darum geht es ja gerade in der Behauptung. Unsere Sinne, Erfahrungen, Prägungen, Ideen und Gedanken sind es gerade die unsere Subjektivität konstruieren, nichts davon kann irgendwie "objektiv" sein.
Und auch die Idee, dass diese nun irgendwie "zu einem gewissen Grad" Teil der objektiven Wirklichkeit sein sollen, hilft nicht weiter. Es bleibt völlig hohl, wie sollen wir aus einer subjektiven Position heraus jemals feststellen können was an unserer Wahrnehmung denn nun "objektiv wirklich" ist? Im besten Fall können wir wie oben beschrieben mit anderen Subjekten einen Konsens herstellen und uns darauf einigen. Aber was hilft das? Es gibt niemanden der einen objektiven Standpunkt einnehmen könnte (denn genau das verneint die Idee der objektiven Wirklichkeit), es wird nie der Punkt kommen an dem wir mit letzter Gewissheit sagen können "aber dies, dies ist nun objektiv wirklich!"
Oder anders: es bleibt immer eine notwendige Differenz zwischen unserer subjektiven Wirklichkeit, auch unserer intersubjektiven Wirklichkeit und der erhofften objektiven Wirklichkeit. Es genau die gleiche Differenz die wir zwischen Zeichen und Bezeichnetem finden. Und hier wird das ganze Spiel noch fatalistischer. Selbst wenn du annimmst, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, deine Beschreibung der Wirklichkeit wird immer und notwendig die oben beschriebene Differenz zu dem was du beschreiben willst aufweisen. Egal wie viel Mühe du dir gibst, wie genau du bist, wie klar und eindeutig du zu sein versuchst - über diese Brücke kommst du nicht. Der ganze oben geschriebene Teil, der sich um Wahrnehmungen und Erfahrungen dreht - das ist nur Vorspiel zum Kern der Sache. Der Sprache in der wir sprechen. Selbst wenn du tatsächlich durch göttliche Offenbarung oder unglaubliche Superkräfte in der Lage wärst objektive Erkenntnisse zu gewinnen - du könntest sie nicht vermitteln. Jeder Versuch würde unweigerlich an der Differenz zwischen dem was du zu beschreiben versuchst und der Beschreibung scheitern, es würde immer im subjektiven (für dich) / intersubjektiven (für uns) enden.
Und damit enden wir genau bei dem, was ich dir schrieb: objektive Wirklichkeit lässt sich nicht erfahren (weil jede Erfahrung subjektiv ist) und es lässt sich nichts darüber sagen (durch die Differenz). Klar können wir über das Konzept als solches reden, aber über konkrete Inhalte, was nun "ganz wirklich echt objektiv ist"? Nö. Kann keiner. Und das folgt aus dem Konzept selbst, es ist keine Grenze die ich oder irgendwer anders willkürlich gezogen hätte.
Zurück zu dem Gedanken, dass wir uns aber doch dieser "objektiven Wirklichkeit" annähern. Fortschritt, Baby. Wenn du das vorher Gesagte betrachtest, was soll eine solche Aussage dann überhaupt noch bedeuten? Ist die newtonsche Physik "weniger dicht an der objektiven Wirklichkeit" als die einsteinsche? Wie beurteilt man das, wer beurteilt das? Es gibt keinen Abstand den wir messen könnten, keinen Vergleich den wir ziehen könnten, wir können nicht schauen wie weit das eine denn mit der objektiven Realität übereinstimmt und wie weit das andere.
Alles was wir haben ist wieder - das worauf wir uns intersubjektiv einigen können. Das von dem wir sagen können: es ist Tatsache, es ist so. Und wenn du mich fragst, reicht das auch völlig aus.
So und wenn ich mich nun geirrt haben sollte und objektive Wirklichkeit für dich am Ende nicht mehr als wissenschaftliches Ideal oder gemeinsamer Konsens der Vernunft ist - naja, dann hab ich viele Buchstaben für meinen Allmy Counter hinzugefügt.
Korrigan schrieb:Ich habe dir einige Beispiele dafür geliefert die darauf hindeuten, dass die Gedanken eben nicht immer subjektiv sind.Spätestens an dem Punkt, an dem wir Gedanken verbalisieren sind sie nicht mehr nur subjektiv. Dann sind sie intersubjektiv. Sie werden verhandelbar und Teil eines Spiels mit dem wir bestimmen was wahr ist - und was nicht. Ich finde es frappierend, das man konstant meine Verweise auf die Intersubjektivität unterschlägt.