Der Dyatlov-Pass-Vorfall
06.06.2018 um 10:06
Ich bin mir sicher es trug sich so zu:
Am 1. Februar schlug das Wetter um, ein Schneesturm kam auf. Die Gruppe war müde aufgrund des strapaziösen Tags, so sehr, dass aussnahmsweise niemand in sein Tagebuch schrieb. Der Zeltplatz war ein Kompromiss, eigentlich zu wenig windgeschützt, doch es waren schon 17 Uhr und alle sehnten sich nach dem Ende eines anstrengend Tages. Ein Foto zeigt wie die Gruppe einen Graben für das Zelt inmitten der windigen Lage schaufelt. Das muss sein, denn die Heringe finden keinen Halt im lockeren Neuschnee.
Nach einer warmen Mahlzeit kann die Gruppe endlich ihre Glieder im aufgebauten Zelt austrecken. Zumindestens so weit es geht, denn die Behausung ist sehr knapp bemessen. Die berühmten Heringe in der Dose. Neun Menschen, die vermutlich alle quer in einem 4 Meter langen und 1,80 Meter breiten Zelt nebeneinander liegen. Die Schuhe gesammelt am Ende des Ausgangs, Kleidung und Ausrüstung ebenfalls innen verstaut. Klaustrophobisch durfte niemand sein, auch nach oben gab es wenig Luft, da der höchste Punkt der Plane nur ein Meter betrug. Nichtsdestotrotz schläft unsere Gruppe nach dem kräftezehrenden Tag bei Einbruch der Dunkelheit ein.
Mitten in der Nacht werden sie jäh von einem dumpfen Geräusch und mit Druck auf der Brust geweckt. Die Zeltplane über ihren Köpfen hat sich nunmehr ganz abgesenkt, Bewegungen sind schwer, die Luft wird dünn und einige schreien auf. Sie sind sich sicher, eine Lawine hat sie überrollt. Hektisch fliegen Wortfetzen durch die Luft, die die ein Messer griffbereit haben, sollen versuchen auf der Seite Richtung Abhang weit oben Löcher zum Entsteigen aufzuschneiden. Es ist ein mühseliges Unterfangen, bei einigen steigt Panik auf, sie fühlen sich wie von Beton umschlossen und können schwer atmen. Es dauert gefühlt ewig bis ein Ausgang frei ist und der erste das Zelt verlassen kann. Als schliesslich alle das Zelt verlassen haben, friert die Gruppe schon gewaltig. Der Schneesturm tobt immer noch, es ist stockfinster und man kann kaum die Hand vor den Augen erkennen. Es stellt sich raus, dass drei verletzt sind. Das Ausmass ist unter den Umständen und unter Schock kaum zu ermessen. Einige probieren mit den Händen das Zelt freizuschaufeln. Doch das gestaltet sich zu zäh, Schnee rutscht in die Senke nach und alle wissen, dass sie schnell ein Feuer brauchen um nicht zu erfrieren. Sollen sie das Risiko eingehen und weiter versuchen das Zelt zu bergen? Es ist kaputt und bietet vorerst wenig Schutz, Brennholz haben sie einen Tag zuvor zurückgelassen, ausser einige wenige Scheite für den Ofen. Die einzigste Rettung scheint der nahe Waldsaum zu sein. Sie brauchen dringend viel Holz und Schutz vor dem eisigen Wind.
Igor trifft eine Entscheidung und überzeugt die Gruppe gesammelt zum Waldrand aufzubrechen. Sie gehen dicht beieinander in kleinen Schritten, einige stützen die Verletzten. Zurück lassen sie eingeschaltete Taschenlampen als einzigst mögliche Markierungen auf dem Zelt und auf der Mitte des Weges. Als sie endlich den Waldsaum erreicht haben, die Gliedmassen schon taub, beschliessen sie die Gruppe aufzuteilen. Der gesunde Alexander soll mit den drei Verletzten eine windgeschütztere Stelle in den Wald hinein suchen, um dort aus Zweigen einen Liegeplatz für sie zu errichten. Der Rest soll bei einer grossen Zeder versuchen ein Feuer zu entfachen. Die kleinen Büsche und Sträucher bieten kein Brennholz, zu jung und feucht die Zweige. Yuri klettert die Zeder hoch, mit nur wenig Gefühl in den Gliedern bricht er dickere Äste ab. Zu dick um sie mit einem Messer zu schneiden. Die anderen sammeln panisch umherliegende Äste auf und versuchen eine Glut zu entzünden. Mit dem Holz der Zedern als Scheite gelingt ein kleines Feuer, doch der Schneesturm droht die Flammen immer wieder zu ersticken. Es ist erschöpfender Kampf gegen den Wind mit zu wenig Holz. Yuri und Yuri drohen vor Erschöpfung einzuschlafen, das Feuer ist zu schwach um sie ganz zu wärmen. Bald liegen sie nur noch reglos im Schnee. Igor, Zina und Rustem erkennen die Schwierigkeit während des Schneesturms ein Feuer zu erhalten und machen sich verweifelt auf dem Weg zum Zelt. Sie rufen vorher nach ihren anderen Kameraden, doch der Schneesturm erstickt alle Laute und es ist nichts zu hören.
Derweil hat Alexander ein Bett aus Zweigen in einer Senke errichtet, die drei verletzten Kameraden sind an einer Stelle zusammengebrochen und er versucht sie wegzuführen. Er muss erkennen, dass sie bewusstlos sind und versucht in einem letzten Akt der Fürsorge Semyon zu wärmen bevor auch er von der Müdigkeit überwältigt wird.
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Ich denke, die gemessene Radioaktivität kann beiseite geschoben werden. Es gibt diverse Gründe, unabhängig des Ereignisses, die diese erklären können. Zunge und Augäpfel sind als Weichteile zuerst verfallen. Lyudmilla lag mit geöffnetem Mund im Flussbett.
Eine, wenn auch kleine Lawine, überzeugt mich am meisten, weil sich vieles dadurch plausibel erklärt. Die Panik im Zelt, oben angesetzte Schnitte in der Plane, die Hoffnungslosigkeit Ausrüstung zügig bergen zu können, die Verletzungen, die Taschenlampe auf der Schneedecke. Ein Schneebrett oder auch frischer Treibschnee, der das Zelt umspült und belastet hat. Die Grabung für das Zelt wird vermutlich Grund und Auslöser für Schneeverschiebungen gewesen sein.
Die Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner, die einst im Zelt von Schnee eingeschlossen war, berichtet in einem Artikel, wie sie sich befreite. Es ist erstaunlich ähnlich zu den Ereignissen am Dytlov Pass.