Hallo Nanusia,
hätte ich auch wirklich nicht gedacht, dass du so etwas tust, ganz bestimmt nicht!
:) Ich wollte nur sagen, dass das natürlich ist, was du empfunden hast, es ist ja ein bisschen wie das, was Archäologen empfinden, so eine Art Forscherdrang, und ohne diesen Drang, dieses Interesse würden die Menschen noch nicht mal den aufrechten Gang entwickelt haben
:) Andere brechen Gräber auf, um Tote zu berauben oder um (wie in den Erbbegräbnissen, von denen ich erzählt habe) Parties zu feiern, man sah sehr oft Kerzen auf den Sargrändern kleben, das fand ich sehr übel. Aber aus deinen Worten lese ich nichts davon raus, nur Anstand und Anteilnahme sozusagen am Totsein.
Danke für deine freundlichen Worte!
:) Ich kann das nur zurückgeben
:)Tja, ich überlege mal... Also meine Uroma lebte in ihrem Haus in dem winzigen Dorf, und wie gesagt, einen Arzt zu holen hätte Stunden gebraucht, denn das Dorf, obwohl nahe Berlin, hat bis heute nicht mal einen Bahnanschluss (man muss 7 km zur Bahn laufen) und noch in der Kinderzeit meiner Mutter, die ja selbst erst fast 27 Jahre nach diesem Tag geboren wurde, fuhr man morgens, wenn man in die nächste Stadt wollte, mit dem Milchwagen mit. Nur die drei Großbauern hatten Pferde und die waren zur Arbeit auf dem Feld. Zudem hätte der Arzt nichts tun können. Mein kleiner Großonkel hatte Gelenkrheuma und das geht bei Kindern aufs Herz, da gab es 1901 keine Hilfe. Meine Oma war fünf Jahre jünger, erinnerte sich aber dennoch, dass er beim Wegrennen (nach einem Streich zb
:) ) immer die Holzpantinen verlor, da er nicht- so wie die anderen Kinder- die Zehen zusammenkrümmen konnte, um die Pantinen festzuhalten.
Naja, und dann, als er 8 war, da hat das Herz nicht mehr mitgemacht. Und meine Uroma hat sich eben in ihrer Angst, da er ja durch das Herzversagen auch schlapp und kalt wurde, mit ihm ins Ehebett gelegt. Ihr Mann war nicht da, die Leute mit der kleinen Landwirtschaft erzeugten nur Eigenbedarf und die Männer hatten zusätzlich einen Beruf, der konnte also auch nicht helfen (und wie gesagt, niemand hätte das damals gekonnt, das wusste sie ja auch). Und sie hat ihn im Arm gehalten, und immer, wenn sie merkte, dass der Tod eintreten wollte, ihm also der Atem stockte u.ä, hat sie ihn mit beiden Händen genommen und wachgeschüttelt in der verzweifelten Hoffnung, den Tod so verhüten zu können. Aber leider ging das natürlich nur eine gewisse Zeitspanne, nach einiger Zeit hatte sie eben keinen lebendigen kleinen Jungen mehr im Arm. Er ist in demselben Zimmer und demselben Bett gestorben, in dem er auch geboren worden war.
Ich kenne ihn übrigens noch vom Bild der Dorfschule (da waren ja immer alle Kinder drauf, nicht nur eine Klasse), er sah gesund aus und ist doch ganz kurz nach der Aufnahme gestorben. Meine Oma hatte immer das Schulbild, das ja das einzige Bild von ihm war, mit seinen Kranzschleifen an der Wand, aber nach '45 ist in ihr Zimmer eine Flüchtlingsfrau einquartiert gewesen, die war durch die Schrecken der Flucht wahnsinnig geworden und hat das Zimmer angezündet. Das Bild immerhin wurde gerettet (zusammen mit einem zweiten Schulbild übrigens auch eins der zwei einzigen Kinderbilder meines Opas, während das einzige Bild des Ehemannes meiner Urgroßmutter, eine Gruppenaufnahme mit Soldaten aus seiner Wehrdienstzeit, verlorenging. Von ihr selbst existieren auch nur zwei Bilder; eines, da war sie ungefähr 50 und hatte noch mal geheiratet, einen Mann, der im ersten Weltkrieg sehr tragisch starb, und eines kurz vor ihrem Tod, da wurde ein neuer Fotoapparat quasi an den Familienmitgliedern 'ausprobiert', da war sie ungefähr 70. Dies nur, um zu zeigen, dass es wirklich kaum Bilder gab damals. Selbst von meiner Mutter existieren nur sechs Kinderbilder, inklusive Schulfoto.)
Wir haben noch ein Heft, in das meine Urgroßmutter Familienereignisse eintrug; sie hatte es am Begräbnistag ihres Sohnes angefangen und das (natürlich auf einen Jungen umgeänderte) Lied, das ich verlinke, niedergeschrieben mit dem Zusatz:
'Dieses Lied haben die Schulkinder am Grabe unseres lieben Kindes gesungen.'
Ich habe manchmal gedacht, wie der nächste Tag für die arme Frau gewesen sein muss, die Sonne geht auf, die Tiere, die alte Mutter und die kleine Tochter müssen versorgt sein und vermutlich lag noch sein Spielzeug usw herum und er war verschwunden.
:(Gerok, ''Das Mägdlein schläft'':
http://gedichte.xbib.de/Gerok_gedicht_Das+M%E4gdlein+schl%E4ft..htm(Bei der einen Strophe habe ich immer gedacht: ja, es ist ein weises Lied. Er war ja auch Jahrgang 1893, wie gesagt, und mein gleich alter Opa wurde am ersten Kriegstag 1914 eingezogen, wurde zweimal schwer verwundet, musste trotzdem wieder ins Feld und kam erst 1921 fast verhungert aus der Gefangenschaft zurück. Bei Kriegsausbruch war er gerade 21, als er wieder zu Hause war 28, und sein Vater tot und alles verändert. Seine ganze Jugend wurde ihm geraubt, und doch hatte er Glück, er kam wenigstens 'nur' nach Palästina und nicht an die Westfront. Wir haben im nächsten Krieg auch einen sehr lieben Angehörigen in Stalingrad verloren; wer weiß, was auf meinen kleinen Großonkel für ein Schicksal gelauert haben würde
:(Das Mägdlein schläft; all Erdenweh und Not
Verschläfts im sichern Zelt;
Weißt Mutter du, was bittres ihm gedroht
In dieser argen Welt?
Jetzt mag der raue Winter stürmen,
Der schwüle Sommer Wetter türmen:
Das Mägdlein schläft.
Kennst du 'Die Geschichte einer Mutter' von H.C. Andersen? Die spielt auch mit diesem Gedanken. Übrigens hatte Andersen zuerst als Schluss gehabt, dass es nur ein Traum war, und dann doch als Ende geschrieben: 'Und der Tod ging mit dem Kind in das unbekannte Land'. Das war ein 'Bruch' in der bisherigen Literatur, und die Geschichte berührt sehr, wie ich finde.
http://www.internet-maerchen.de/maerchen/geschichte-mutter.htmNoch eins: dem Dichter F. Rückert sind ja Anfang des 19. Jhdts seine beiden jüngsten Kinder gestorben; wenn man die bis heute berühmten Kindertodtenlieder liest, fließen einem die Tränen.
Ich kann das einfach nicht ertragen, wenn gesagt wird, ach, früher war das nicht schlimm, die Leute haben damit gerechnet. Sie haben damit gerechnet, ja, aber voller Angst. Rückert hatte vorher noch ein Gedicht geschrieben, wie er an jedem Silvester zum Himmel flehe, alle Kinder behalten zu dürfen. Es war ihm nicht vergönnt.
Wikipedia: Kindertodtenlieder