@Rho-ny-theta Aus dem Archiv gekramt:
In China wurden seit Jahrhunderten vor allem weibliche Nachkommen getötet, da diese im Vergleich zu Söhnen als weniger wertvoll betrachtet werden. Im mittelalterlichen jüdisch-christlichen Europa waren die Gründe für eine Kindstötung vorwiegend Unehelichkeit des Kindes und die Armut der Eltern, aber auch Missbildungen des Kindes.
Seit der Antike kennt die Gesellschaft die Tötung des Nachwuchses in Zeiten der Not, des Hungers oder aus anderen Beweggründen. In der Kanalisation eines Badehauses im spätantiken Askalon wurden hunderte von Kinderskeletten gefunden. Die Knochen männlicher Neugeborener überwiegen deutlich, wie eine DNA-Analyse ergab. Man vermutet, dass das Badehaus auch als Bordell genutzt wurde und die Knochen den systematischen Infantizid männlicher Kinder anzeigen. Schon im klassischen Drama Medea und im 19. Jahrhundert im Märchen (Hänsel und Gretel) wird die Tat literarisch dargestellt.
Vor dem Mittelalter bis in die Neuzeit kam es nicht selten vor, dass ein Elternteil sein Kind umbrachte, da er es nicht ernähren konnte. Zu dieser Zeit wurden Kindstötungen wie der Mord an Erwachsenen bestraft.
1516 erließen die Bambergische Halsgerichtsordnung und die Gerichtsordnung Kaiser Karls V. neue Vorschriften, die als übliche Strafe für Kindsmörder Pfählen, lebendiges Begraben oder Auseinanderreißen des Körpers mit glühenden Zangen vorsahen. Sie sollten als Abschreckung dienen. Das Motiv bzw. die Umstände wurden bei diesem Tatstrafrecht (nur die Tat zählt, nicht die Ursachen oder das Motiv) nicht beachtet, weshalb die Strafen auch keine abschreckende Wirkung hatten.
Im 17. und 18. Jahrhundert stieg die Zahl der Morde vor allem an außerehelich geborenen Kindern an, da die Frauen den Pranger und die öffentliche Züchtigung fürchteten. Daher begann Mitte des 18. Jahrhunderts ein Umdenkprozess, sodass man sich jetzt auch über die Ursachen Gedanken machte. In der Folge wurden einige Texte zu diesem Thema verfasst. (zum Beispiel Wagners "Die Kindermörderin" (Drama) oder die Gretchentragödie aus Goethes "Faust I".)
Ende des 18. Jahrhunderts wurden Todesstrafen für Kindsmorde seltener und 1813 wurde im Bayrischen Strafgesetzbuch eine Gefängnisstrafe dafür festgelegt.
Also halten offenbar weder Folter und Todesstrafe noch Babyklappe und Adoptionsfreigabe Menschen davon ab, ihre Kinder zu töten, frei nach dem Motto: wenn ich Dich nicht haben kann/will, dann soll Dich auch kein anderer haben wollen/können.
Eine Tötungsmotivation, wie man sie sonst aus Beziehungstaten kennt, wenn Ex-PartnerInnen umgebracht werden, oder wenn Menschen, bevor sie sich töten, ihre komplette Familie ausrotten.
Ich denke, es gibt so viele Motive wie Taten.
Das Hamburger Abendblatt schrieb vor über einem Jahr:
Wenn Eltern ihre Kinder töten, sind häufiger Mütter die Täter als Väter. Sofern die Opfer Säuglinge sind, werden sie meist in den ersten 24 Stunden nach der Geburt getötet. Experten gehen von jährlich 40 bis 50 Fällen der Kindstötung durch die Eltern (Infantizid) aus, die entdeckt werden. Nach Erkenntnissen von Psychologen töten Mütter häufig, weil sie aus ihrer eigenen Situation keinen Ausweg sehen und das Kind nicht allein leben lassen wollen. Die meist gebildeten Mütter begehen dann einen "erweiterten Selbstmord".
Alleinerziehende mit mehreren Kindern oder emotional instabile Frauen, die an einer sogenannten Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, fühlen sich mit der Erziehung oft überfordert. Zwischen 1992 und 1996 erstickte eine Mutter mit Borderline-Syndrom ihre drei Kinder in Ratekau (Schleswig-Holstein), weil sie nicht aufhörten zu schreien.
Sterben Kinder an den Folgen von Vernachlässigung, stammen die Eltern meist aus sozialschwachen Verhältnissen. So verhungerte die siebenjährige Jessica aus Hamburg im März 2005 qualvoll. Die arbeitslosen Eltern hatten ihre Tochter in einem völlig dunklen, ungeheizten Zimmer wie eine Gefangene gehalten.
Auch eine Wochenbettpsychose, in der die Mütter jeglichen Bezug zur Realität verlieren und ihr Kind verstoßen, kann zu einer Kindstötung führen. Mindestens eine von 1000 Müttern bekommt nach Expertenangaben solch eine Kindbettdepression, die im ersten bis zweiten Jahr nach der Geburt entstehen kann. Drei Ursachen sind bekannt: das Ungleichgewicht des Hormonhaushalts, das traumatische Geburtserlebnis sowie der gesellschaftliche Druck, eine gute Mutter zu sein. Weitere Motive sind die Tötung aus Mitleid, weil das Kind schwer krank ist, oder die Ermordung des gemeinsamen Kindes, um sich nach einer Trennung am ehemaligen Partner zu rächen. Einige Frauen "verleugnen" die Schwangerschaft auch bis zuletzt und töten das Kind dann, um den Partner nicht zu verlieren.
dpa/HA, 28. April 2006