Zeitmaschine78 schrieb am 04.04.2018:Aber Fakt ist, dass in unseren Städten, Industriezentren und Ballungsräumen nicht einfach nur handfertig begabte Schüler, sondern in riesiger Anzahl handfertig begabte Fachwerker händeringend gesucht werden. Fragt doch die Arbeitsagenturen ! Unser Schulsystem läuft vollkommen falsch ! Die Schüler sind nicht faul.
Das Problem ist, dass bestimmt seit 15 Jahren propagiert wird, dass Schüler "weiter Schule" machen sollen. Auch die, die in der 10ten Klasse überhaupt keinen Bock haben - was machen sie danach? Schule. Eine Weile lang gab es für die weiterführenden Schulen einen NC, der schlimmeres verhindert hat, der wird aber weiter und weiter abgesenkt. So landet Xtinchen mit einer 5 in Mathe, die fast eine 6 war, auf dem Berufskolleg und scheitert entweder, oder bekommt irgendwann (ja nach Schülerzahl und Anspruch) eine grottenschlechte Fachhochschulreife, studiert irgendwas ohne NC und ist Mitte 20 frustriert, weil nichts vorwärtsgeht. Am Ende nimmt sie die Lehrstelle, die sie bekommt und wird Arzthelferin. Das ist anonymisiert, aber passiert oft.
Wenn sie mal probearbeiten in einem Handwerksbetrieb, sind sie meistens ziemlich schockiert - oft haben sie auch die Kondition gar nicht, acht Stunden am Tag z.B. Rohre zu verlegen. Von Motivation ganz zu schweigen. Außerdem sind viele Schüler so gepolt, dass sie erst mal diskutieren, schon über Kleinigkeiten - und sich so im Ton vergreifen - das passt oftmals nicht zu eher patriarisch strukturierten Handwerksbetrieben. Wir hatten mal eine Schülerin in ein 5 Sterne Hotel (in die Restaurantküche) vermittelt während einer Praktikumswoche und sie brach dienstags ab, weil sie nur Salat waschen und Gemüse putzen und schälen musste - sie hat gar nicht verstanden, warum sie nicht mit dem Chefkoch Fleisch braten durfte. Dass das der Alltag ist, hat Mutter und Kind gleichermaßen geschockt.
"Handwerk" hat bei Schülern ein unfassbar schlechtes Image, auch "Realschule und Werkrealschule" werden mitunter als Resterampe angesehen. Ironischerweise ist es natürlich inzwischen so, dass die ehemaligen Schüler um die 30, die dennoch ein Handwerk gelernt haben, mitunter sehr viel mehr verdienen als der inzwischen ausstudierte Akademiker, der sich von befristeter Stelle auf die nächste befristete Stelle hangelt. Die Erkenntnis spricht sich leider sehr langsam herum.
sacredheart schrieb:Es gibt sie, die schlechten Lehrer. Das kann man nicht wegdiskutieren. Ein simples Beispiel sind die Lehrer, die 40% der Zeit selbst wegen diverser Erkältungen fehlen, wegen denen keine Aldi Kassiererin zu Hause bleiben würde. Und das Grundschulkind geht dann in der Zeit quasi auf ne Fern-Uni.
Die gibt es wirklich - da muss man differenziert hinschauen: Mitunter landen Leute in dem Job, die für den Job einfach überhaupt nicht geeignet sind. Das macht nicht nur die Schüler fertig, sondern auch sie selbst - wenn du unterrichtest und du hast keinen Draht zu den Schülern - dann ist es unfassbar schwer, die Kontrolle zu behalten. Oft scheitern solche Leute an sich selbst - sie sind wirklich ausgebrannt, frustriert - wenn du am Ende vor einer Klasse stehst, die über Tische und Bänke geht, dein Schulleiter dir im Genick sitzt, die Eltern auch, und du im Kollegium als Niete belächelt wirst - da flüchten viele in die Krankheit. Da müsste man viel früher ein zuverlässiges "Abfischsystem" entwickeln.
Dann haben wir Lehrer, die unter unfassbar schlechten Bedingungen arbeiten: Zeitverträge, die zu Beginn der Sommerferien gekündigt werden - dann arbeitslos - dann Bangen, dann den neuen Zeitvertrag. Das sind mitunter sehr brauchbare Kollegen, denen eine Lehrprobe schief ging, die mit dem Schulleiter an der Ausbildungsschule nicht konnten, oder, oder ... da setzt auch irgendwann der Frust ein. Hab nen Kollegen, der nun den achte (!) Zeitvertrag in Folge hat. Er hat eine ziemlich unbrauchbare Fächerkombination ...
Auch, dass du deine Arbeitsstelle nicht selbst wählen kannst verursacht Frust. Ein ehemalige Kommilitone von mir hat eine Stelle angenommen (dann wird man automatisch fünf Jahre nicht versetzt) und hatte eigentlich den Willen, sich dort im ländlichen Raum niederzulassen. Er ist ein geselliger Mitmensch, trat zwei Vereinen bei und war guter Dinge, dass die Integration laufen würde - seine Schule hatte ein "Fahrkollegium" und nach drei Jahren gestand er sich ein, dass er immer noch keinen wirklich Anschluss hatte. Er zog zwei Dörfer weiter, versucht es dort erneut ... nach fünf Jahren stellte er dann einen Versetzungsantrag nach Hause - den stellte er dann 12 (!) Jahre lang, bis er endlich versetzt wurde - und dann an die einzige Schule, wo er nicht hin wollte .....
Du hast als Lehrer keine wirklichen beruflichen Alternativen - wenn es mit dem Unterricht nicht klappt, fliehen viele in die Lehrerausbildung - und das ist fatal ... dorthin sollten eigentlich andere Leute. Es fehlt aber auch ganz klar an einer Qualitätskontrolle für Unterricht. Manche Leute arbeiten wirklich nach dem Minimalprinzip - glücklicherweise nicht so viele.
sacredheart schrieb:Und wenn moderne Lehrmittel erwünscht sind, hat die Schule oft nur über den Förderverein eine Chance, diese Mittel zu erhalten, weil 'die öffentliche Hand' sich weitgehend aus der Finanzierung unserer Zukunft verabschiedet hat trotz glänzender Konjunktur seit Jahren. Wann wollen die denn mal wieder investieren?
Man werfe nun Steine auf mich, aber gelegentlich halte ich den guten alten Frontalunterricht (ohne jedes Medium, von der Tafel abgesehen) - und es funktioniert. Es ist ein Trugschluss, dass Schüler mehr lernen, wenn ein Medium involviert ist. Ich habe mal eine Weile fachfremd Chemie unterrichtet. Wenn was brennt, explodiert oder in Rauch aufgeht hast du zwei Minuten die volle Aufmerksamkeit - die Erklärung interessiert nicht wirklich. Zumindest nicht alle.
Es gibt völlig verschiedene Schülertypen: (1) die intrinsisch motivierten, da ist die Unterrichtsform Nebensache, die lernen einfach. Ob Frontal, Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Lernband ... sie liefern immer supergute Leistungen, weil das einfach der Anspruch des Schülers an sich ist. (2) die "Saisonarbeiter" - die rufen mehr Leistung ab, wenn sie das Thema interessiert oder wenn sie einen gewissen Notenschnitt erreichen wollen - auch da ist die Methode dann Nebensache. (3) Die "Überforderten" - auch da ist es egal ... ganz böse gesagt Die merken ihre Überforderung nicht so heftig, wenn du im Unterricht differenzierst, aber sie sind einfach nicht so leitungsstark.
Vor 15 Jahren haben sich Schüler noch gefreut, wenn du einen Film gezeigt hast - inzwischen sind sie auch da sehr übersättigt - und ob du nun ein Whiteboard hast oder eine Tafel - Es gibt Schüler, die gehen gerne in die Schule (Sozialkontakte etc), aber sie mögen keinen Unterricht. Egal welchen. Bei Gruppenarbeiten ist es oft so, dass einer alle Arbeit macht und die anderen eine gute Note kassieren.
sacredheart schrieb: Und Lehrer X trifft oft auf Schüler, die noch kein Buch gelesen haben, aber alle Erweiterungen von online RPGs auf ihrem Laptop haben. Und das sind oft auch Schüler, die gerne mal bis in die Nacht an ihren online RPGs zocken, kaum Schlaf hatten und als Hausaufgabe in 2 Minuten 2 Sätze hingeschmiert haben. Deren Eltern, erfreut über die Ruhe hinter der Kinderzimmertür, tauschen sich dann in Ruhe in Foren wie diesem hier zum Thema Ufos, Geister, Homöopathie und Gruppensex aus.
Jo. Wenn es nur das wäre. Es gibt eine Gruppe Eltern, die sich einfach überhaupt nicht fürs Kind interessieren und die mit den Kindern in einer Art WG leben. Kommen nie zum Elternabend, lehnen jedes Elterngespräch ab. Bekommt das Kind nicht ausreichend zu Essen, verdreckt oder stürzt komplett ab, hilft das Jugendamt - leider nur in den schlimmsten Fällen. Wir hatten mal eine Theateraufführung, da kamen bei 40 Akteuren nicht mal 20 Zuschauer, davon waren 10 Kollegen, die die Kollegen unterstützen wollten, es kamen nicht mal die Eltern der Kinder, die die Hauptrolle hatten.
Dann gibt es die, die du gerade genannt hast. Immer die neuste Playstation und das neuste Handy, aber für keine kulturelle Aktivität Geld - bei uns an der Schule gibt es so ein Theaterpatenprojekt, d.h. die Schüler kommen (während der Schulzeit) einmal im Schuljahr in ein Theaterstück - in meiner letzten neunten Klasse wurde das Angebot von über 50% der Schüler nicht angenommen - die saßen ernsthaft lieber im Vertretungsunterricht als im Theater "uncool". Dann gibt es Eltern, die sind nicht bereit, die 3€ zu investieren. Ich hatte letztes Jahr ein Mädchen, die wäre gerne gegangen, die Mutter wollte das aber nicht (warum auch immer). Auch ein Elterngespräch half nichts.
Dann gibt es Kinder - hab ich schon mal geschrieben-, die sehr unter ihren häuslichen Bedingungen leiden, aber fest in den Tagesablauf eingebunden sind. Da gibt es viele Konstellationen: Alleinerziehendes Elternteil und sie sind für das jüngere Geschwisterkind/ die jüngeren Geschwisterkinder zuständig (können z.B. nicht mit auf einen Tagesausflug, weil sie das Kind vom Kindergarten holen müssen), oder haben ein krankes Elternteil und schlüpfen da in die Erwachsenenrolle und ist überfordert. Die Eltern sind sich der Überforderung oft auch bewusst, aber ohne das Kind und seine Arbeitsleistung würde das häusliche System zusammenfallen. Oft ist es auch so, dass die Eltern oder das verbliebene Elternteil gleich mehreren präkären Arbeitsverhältnissen nachgehen/-t und die Arbeitszeiten so sind, dass sie die Kinder einfach kaum sehen - die leben wirklich mitunter in einer Wohnung - Kind ist von 7.30 - 13.00 in der Schule, Mutter (Vater gibt es nicht) von 13.00 - 22.30 bei der Spätschicht. Die treffen sich morgens kurz.
Dann gibt es "den Adel" - kommen aus einen schwierigen Mileu, haben daheim gelernt, dass man auch ohne Arbeit/ Ausbildung überleben kann und halten Schule -wie ihre Eltern- für eine komplette Zeitverschwendung. Wenn man an sie rankommt, gibt es oft richtig Ärger mit den Eltern, weil die sehr viel Entschuldigungen für sich gefunden haben, warum sie im Leben nicht erfolgreich waren und insgeheim Angst davor haben, der Nachwuchs könnte es zu mehr im Leben bringen als sie. Da flüchten auch oft die Eltern in eine Parallelwelt - Drogen, Alkohol, Spiele .... Dann sind die Eltern zwar körperlich da, aber so gefangen in der der anderen Welt, dass sie das Kind und seine Bedürfnisse gar nicht wahrnehmen.
Kindern fehlen auch oft Anknüpfungspunkte für Wissen - Kollegin hat mal einen "Waldtag" organisiert, mit dem Förster - da durften gleich einige nicht mit (Zecken) und zwei Kinder haben ernsthaft gefragt, wie man sich da vor Bären oder Wölfen schützt. Die waren noch nie im Wald. Und wir sprechen von der Sekundarstufe, nicht von der Grundschule. Politik oder aktuelle Ereignisse werden nur in der Schule besprochen.
sacredheart schrieb:Aber man kann es sich auch einfach machen: Wenn Marvin-Chantalle in Mathe ne 5 hat, ist halt der Lehrer doof, unfähig, wird in online Bewertungen verrissen und falls Marvin-Chantalle nicht im nächsten Halbjahr wenigstens ne 3 hat, hört der Lehrer noch von Mustermanns Anwalt oder wahlweise der hinzugezogenen Schulaufsicht.
Das sowieso - läuft alles gut, finden Eltern immer sich toll :-), läuft was daneben, ist immer die Schule Schuld. Es gibt viele Eltern, die selbst keine Strategie im Leben haben, wie sie erfolgreich sind - die achten dann nicht darauf, ob das Kind pünktlich kommt, regelmäßig im Unterricht ist, seine Sachen dabei hat, lernt und Hausaufgaben macht. Dann fallen sie aus allen Wolken, wenn es 5er und schlechter gibt (ohne Heft lernt sich eben sehr schlecht).
Wir haben auch Eltern, die sich völlig auf dem Schlips getreten fühlen, wenn der Lehrer versucht, hier erzieherisch einzugreifen. Die beschweren sich dann an höherer Stelle, wenn du das Kind einbestellst, dass es z.B. nochmal ein Heft abschreibt, wenn es nur lose Zettel hat oder diese zumindest einklebt. Oder finden es "total übertrieben" und schreiben dem Kind eine Entschuldigung "krank".
sacredheart schrieb:Ich sehe auch den Hauptknackpunkt im Elternhaus. Das darf ruhig Arbeit machen. Und die vielen Kindern fehlende Erziehung ist meines Erachtens reine Elternaufgabe. Pünktlichkeit, Ordnung, wirklich ein Heft gekauft haben, die Kopfhörer aus den Ohren nehmen, wenn der Unterricht beginnt, ausgeschlafen sein, all das ist NICHT Aufgabe der Schule.
Leider ist es zu unserer Aufgabe geworden - und die Erziehung der Eltern gleich mit. Es sind nur wenige massiv betroffene Eltern, aber die sind dann totale Rohrkrepierer. Ich bekam am Sonntagnachmittag diese Woche zur besten Kaffeezeit einen Anruf von einer Mutter, wann denn der Elternabend sei. Mit dem Kind hat sie nicht geredet, das trug die Einladung seit Donnerstag herum. Eine Telefonliste für die Klasse gibt es auch. Dass das nun kein Grund war, die "Notfallnummer" zu wählen (die Eltern haben meine Nummer, sollen aber nur anrufen, wenn sich das Problem nicht anders lösen lässt oder wenn es ein Problem gibt), hat sie auch nicht eingesehen, sondern grußlos aufgelegt. "Danke!" Klick. Fertig. Mein Kollege bekam in den Sommerferien einen Anruf (er war im Urlaub) - die Mutter rief binnen einer Stunde siebenmal an - was war der Notfall? Sie wollte fragen, ob er die Materialliste schon fertig hatte, bei Aldi gab es reduzierte Schulhefte und sie war gerade dort.
Meine Lieblingsklientel sind die Eltern, die sehr viele "Extras" fordern (beliebt ist z.B., dass alle Lehrer täglich das Hausaufgabenheft abzeichnen), aber dann doch nicht schauen, ob die Hausaufgaben auch erledigt sind. Lustig sind auch die, die wegen "Schicht" Elterntermine ausmachen, wegen denen wir extra wieder in die Schule fahren (weil nicht mit unseren Arbeitszeiten kompatibel) und dann selbst nicht kommen "voll vergessen".
Rotmilan schrieb:Sehe ich auch so. Besonders, wenn man sich den maroden Zustand, vieler Schulgebäude ansieht. Das muss für Lehrer auch frustrierend sein, jeden Morgen solche baufälligen und graffitibeschmierten Schulen zu betreten.
Unsere Schule wird vermutlich demnächst abgerissen - es gibt so viele Mängel, dass gerade kalkuliert wird, ob ein Neubau nicht rentabler wäre. Aber ehrlich: Die meisten Mängel sehe ich schon nicht mehr. Ehrlich gesagt ist es auch so, wenn mal was saniert wird (z.B. hat eine Kollegin mit einer Klasse eine Wand bemalt) - dann klebten nach nicht mal einer Woche so viele Kaugummis auf der Wand, dass man sie dann abgestrahlt hat - und das "Kunstwerk" war auch hin.
Es fehlt vielen Schülern der respektvolle Umgang mit Möbiliar, Büchern, Schulräumen .... Von den Eltern hörst du dann oft "waren sie nie jung?". Schüler sagen "war nur Spaß".