kleinundgrün schrieb:Wenn Du ein uninteressiertes Elternhaus hast, dann kann dem Kind nur wenig besseres passieren, als in einer Ganztagsbetreuung zu landen, in der es wenigstens die Chance hat, ein ordentliches Input zu bekommen. Die Alternative ist in solchen Fällen, dass dieses Kind außerhalb der regulären Schule faktisch keine Anreize bekommt, sich zu bilden oder für schulische Themen zu interessieren. Mit anderen Worten, eine Ganztagsbetreuung bietet mehr Gerechtigkeit, weil es soziale Unterschiede etwas ausgleicht.
Da hast du Recht - im Prinzip - bei uns in der Gegend ist der Ganztag so, dass du als pädagogische Fachkraft knapp 13€ verdienst und keine Vollzeitstelle bekommst, da die Ferien ja wieder abgezogen werden. Somit bleiben die falschen Leute auf den Stellen kleben. Eine Gruppe kommt immer in unseren Park - klar hast du Recht, ohne den Ganztag würden die Kinder vermutlich vor der Playstation abhängen. Im Park findet aber keine Anleitung irgendwelcher Art statt - wenn die Kinder drei Stunden auf der Parkbank abhängen ... dann ist das so. Im Gegensatz dazu kommt immer ein Hort mit einer Spielekiste und man spielt Wikingerschach, Seilhüpfen, Verstecken ... da würde noch qualitätsmäßig ganz viel gehen.
kleinundgrün schrieb:Aber was lernte man. Natürlich vermittelt Frontalunterricht Wissen, aber seit 1980 haben sich auch die Zeiten und die Anforderungen geändert. Es ist weniger wichtig geworden, auswendig zu wissen, wann der 30-jährige Krieg genau statt fand (ich habe das als Schüler auswendig gelernt), denn die Antwort ist quasi überall verfügbar. Heute ist es wichtiger, Informationen zu finden und sie bewerten zu können. Und dafür ist Frontalunterricht jedenfalls grundsätzlich schlechter geeignet.
Auch da gebe ich dir nur teilweise Recht. Ich finde, man braucht ein gewisses Allgemeinwissen, auch wenn das googlebar ist, um Dinge richtig bewerten zu können. Klar ist es schön, wenn man auch andere Formen der Wissensvermittlung kennenlernt. Aber wenn ich googeln muss, um zu erfahren, wann der 30 Jährige Krieg war, dann geht das .... ist aber doof.
kleinundgrün schrieb:Klingt nicht danach, als ob das sonderlich gerecht gewesen wäre. Alleine das spricht gegen dieses System.
Die Probleme, die durch den Wegfall dieser Empfehlung (zumindest deren reduzierte Bedeutung) entstehen, sind sicher nicht wegzudiskutieren. Aber überwiegen sie?
Definitiv. Die Grundschulempfehlung zeigte eine Richtung an ... und klar, waren auch da Fehleinschätzungen dabei. Aber nichts im Vergleich zu dem, was heute passiert ... In B-W landen 3% der Kinder mit Hauptschulempfehlung (nennt sich nun "Werkrealschule") auf dem Gymnasium. Das klingt nicht viel ... aber es sind eben doch 3 von 100. Das ist für Kind, Klasse und Lehrer eine riesige Belastung, oft beginnen die Kinder verhaltensauffällig zu werden und alle leiden, bis in eine geeignetere Schulform gewechselt wird.
jeanne-d-arc schrieb:Das finde ich schon arg vereinfacht :/
Aus dem dümmsten Elternhaus können die nettesten Kinder kommen und aus den besten Familien die "schlimmsten" Kinder ;) Wo ich dir recht gebe ist, dass es vielen Kindern an den grundlegenden Umgangsformen mangelt (Bitte/Danke, Grüßen,Hand vor den Mund, PÜNKTLICHKEIT....). Aber die lernen das ja nicht von allein :D #Elternhaus
Das kann sein. Aber das Problem sind die Strategien. Mal klischeehaft: Lass sagen, Bankkaufmann X ist mit Arzthelferin Y verheiratet, beide mit mittlerem Bildungsabschluss, nettem Häuschen im Grünen und idyllischem Familienleben. Sohn Leander macht keine Hausaufgaben. Es findet ein Elterngespräch statt, es werden Maßnahmen getroffen, Familie X hält sich an diese Abmachungen, Leander wird wieder "eingespurt".
Die alleinerziehende Frau X arbeitet im Schichtdienst, sieht ihr Kind also nur jede zweite Woche. Dass das nicht optimal ist, weiß sie selbst, aber sie bekommt keinen Unterhalt und erwirtschaftet das gesamte Haushaltseinkommen. Sie gibt wirklich ihr Bestes. Aber ihr Sohn Leander macht keine Hausaufgaben. Es findet ein Elterngespräch statt. Frau Y kann die Maßnahmen gar nicht umsetzen, wenn sie jede zweite Woche von der Arbeit kommt, dann schläft Leander schon.
Es sind beides willige Elternhäuser ... von den unwilligen will ich dir gar nicht erzählen ... die kommen dann nur zum Gespräch, wenn du drohst, dass du sonst das Jugendamt informierst. Wie groß die Unterstützung dann ist, kannst du dir ausmalen.
jeanne-d-arc schrieb:Und das ist denke ich genau das Problem jeder braucht was anderes und irgendwer zieht immer den kürzeren und der Lehrer kann besonders bei der aktuellen Klassengröße niemanden wirklich gerecht werden.
Gerade -ich sehe das an meinem Grundschulkind, gibt es auch eine Weichspülpädagogik. Die Grundschule scheut sich z.B. davor, dass Kinder mal was pauken müssen, was keinen Spaß macht. Es wird also nicht gepaukt. Z.B. Rechtschreibung ... da gibt es keinen klassischen Unterricht mehr, da gibt es ein Arbeitsheftchen, wo die Kinder üben (ohne dass Regeln vorher klar gemacht werden), sie sollen induktiv erfassen, warum man "Baum" und "Hecke" groß schreibt. Meinem lieben Kind ist es Jacke wie Hose, ob man baum oder Baum schreibt und er denkt auch nicht darüber nach. Oder er beschließt, dass Baum und Hecke große Gewächse sind und man es daher groß schreibt. Oder .... Wenn er eine Seite lang baum klein schreibt, merkt das niemand - weil er sich nicht selbst kontrolliert, wie er soll, und weil niemand kontroliert, ob er sich kontrolliert. Falle ich in die Rolle des Hilfslehrers und kontrolliere daheim das, was er macht, erkläre deduktiv, warum das nun so war und denke mir Übungen aus. Alles sehr mühsam und eigentlich Job der Schule. Das arabische Flüchtlingskind hat niemanden, der ihm das beibringt.
kleinundgrün schrieb:Aber ich erlebe an der Stelle eher ein schlechtes Zeitmanagement, das dann dazu führt, dass noch Sonntag Nacht Klausuren korrigiert werden, was den Arbeitsstress deutlich erhöht, aber vermeidbar wäre. Zeitliche Selbstorganisation ist gar nicht so einfach, da leidet gerne die Effizienz.
Mein Problem ist, dass "Unterricht" mitunter nur eine Randerscheinung ist. Was den Lehrerberuf so anstrengend macht, ist das drumherum. Also ... Ich schildere dir mal meinen Montag: Unterrichtsbeginn 7.35 - zehn Schüler fehlen. Ich schreibe alles auf, da kommen fünf hereingepurzelt ... der Bus war zu spät. Ich vermerke 5x im Hausaufgabenheft, dass sie zu spät waren (ist eine Auflage der Schule) und führe eine Strichliste für meinen Chef, da er schon seit Wochen mit dem Busunternehmen im Clinch liegt. Also ... wir warten 1 Minute bis jeder alles hat. Es ist 7.37. Ich beginne meinen Einstieg. 7.38 - mein auffälliger Schüler kommt "waaasss? Wir haben Englisch? Habe ich im Schließfach!". Also ... kurze Diskussion ... er geht ans Schließfach.
Ich mache bei meinem Einstieg weiter. Dann 7.40 kommen noch zwei Schüler - Auto nicht angesprungen. Also nochmal kurz erklärt, um was es geht. 7.42 - alles, was ich bisher gemacht habe, würde in eine Minute passen. Klappt aber nie. 7.44 Nach zwei Minuten konzentriertem Unterricht klopft der Kollege des Nachbarzimmers. Ihm hat gerade ein Kind vor die Füße gekotzt ... es kotzt wohl schon die ganze Zeit, aber die Mutter musste dringend in die Arbeit "das Kind sollte es mal probieren". Kollege trabt los, Hausmeister (Bodenreinigung), Krankenzimmer und Mutter des Schülers zu organisieren. Ich bin mit 58 Schüler in zwei Klassenzimmern alleine. Klassenzimmer 2 stinkt wie die Hölle.
Kollege kommt wieder. Hausmeister ist in der Sporthalle, Wasserschaden reparieren. Also putzen wir selbst. Mutter des Kindes hat vorsorglich ihr Handy ausgeschaltet. Kind hat noch andere Nummern (Oma, Vater) auf dem Handy, aber das hat keinen Akku. Kollege trabt durchs Schulhaus, um ein Ladekabel zu organisieren. Ich bin immer eine Minute in meinem Klassenzimmer und scheiße zwei Minuten die andere Klasse zusammen, die keine Aufgaben hat und nicht still ist. Kollege kommt wieder. Ladekabel gefunden. Er erreicht niemanden. Also muss er nun solange, bis ein Erziehungsberechtigter erreicht ist, immer zwischen Klassenzimmer und Krankenzimmer (am anderen Ende der Schule) hin- und hertraben und ist in dem Fall schon wieder in einer juristischen Grauzone, weil er für beide die Aufsichtspflicht hat. Es ist nun 8.15. Ich habe etwa 10 Minuten unterrichtet und 30 Minuten mit das Chaos verwaltet ....
Schule ist nicht effektiv. Du hast ein Elterngespräch um 18.00 "vorher geht es nicht". Du fährst zur Schule, wartest, rufst an "oh, vergessen", fährst wieder beim ... Du hast eine Konferenz, wo nicht viel gesagt wird, aber es von jedem gesagt werden muss. Du erstellst einen Lernweg. Dann ändert sich der Bildungsplan und du klopfst ihn in die Tonne. Du gehst zu einem runden Tisch ... egal, was gesagt wird, das Leben des Schülers ändert sich nicht ...
So kommt man auch auf ewig viele Stunden.