Was denkt ihr über Transgender?
24.12.2016 um 03:04
Ich muß bei der ganzen Körper- und Geschlechtsablehnung immer an W. Mitchell denken. Der Mann ist mit dem Motorrad unter einem Laster durchgerutscht, das Benzin hat sich entzündet und ihn massiv verbrannt. Sie haben ihm Zehen an die Hand genäht, damit er etwas greifen kann.
Dann ist er mit einem Flugzeug abgestürzt und ist seitdem querschnittsgelämt. So, der hat Grund, mit seinem Körper unzufrieden zu sein.
Und was war eine seiner ersten Fragen, die er sich gestellt hat, als er nach dem Absturz gelähmt im Bett lag?
"Wie krieg' ich jetzt gefälligst ein Date mit der Krankenschwester"?
Die beiden haben geheiratet und er tourt durch die Welt als Speaker, im Rollstuhl mit Zehenfingern.
Er könnte sich auch fragen, ob die Menschen ihn als Krüppel wahrnehmen, daß die anderen noch ihre Finger haben etc. Er könnte sich komplett entwerten, weil sein Körper nicht so ist, wie er sein sollte.
Ist dieser Körperhaß also wirklich unvermeidlich? Ist dieses Ablehnen des "falschen" Körpers, der dem "falschen" Geschlecht angehört und nicht so ist, wie man ihn gern hätte... ist das genetisch verankert oder ist das manchmal vielleicht auch eine Frage dessen, was man in diesen Umstand hineindeutet, wie man das gewichtet? Für welche Bedeutung man sich entscheidet?
Beispiel: Einer kürzt sich den Finger um 4mm und leidet Jahre, ein Mädel kriegt in Amerika den Unterschenkel weggebombt und strahlt in die Kamera.
Fakt ist. Die meisten Dinge sind nicht einfach, man entscheidet, welche Bedeutung sie haben. Meist unbewußt und aufgrund emotionaler Erfahrungen, aber es ist nie das, was passiert. Es ist das, wie man es interpretiert, was zu tiefem Leid oder Spaß führt.
Ich frage mich halt: Ich bin ein Mann. Fühle mich als Mann und denke in männlichen Arten und Weisen. Zielorientiert, pragmatisch, von Logik weit mehr beeinflußt als von persönlichen Gefühlen. Probleme sind zum Abstellen da, nicht zum Breittreten oder Anfühlen. Vom Denken her eine Antifrau. Mein Zentrum ist ziemlich maskulin.
Ich frage mich, was wäre, wenn ich Prinzip Orlando, plötzlich als Mädchen aufwachen würde? Also ein Männergehirn im Frauenkörper. Ausweis- und Behördenprobleme mal außen vor.
Bei Ranma 1/2 ist es perfekt, da wechselt man immer im unpassendsten Moment, aber gehen wir mal davon aus, es wäre permanent.
Ich glaube, ich würde keine Riesenprobleme damit haben. Es wäre ein Schock, aber keine Seelenkrise. Einfach, weil ich nicht jeden Tag drüber nachgedacht habe, wie furchtbar es ist. Auch, weil mein Geschlecht mitnichten der wichtigste Teil von mir ist. Ich bin in erster Linie ehrlich, intelligent und fair, wenn ich kann. Nicht männlich. Ich bin ein Helfer. Nicht männlich. Und es beleidigt mich nicht, wenn ich als Mädchen angesprochen werde, weil es keine Beleidigung für mich darstellt. Frau ist kein Schimpfwort für mich.
Würde ich mir die Brüste abschneiden und Hormone nehmen? Oder würde ich mich so drahtig trainieren wie Linda Hamilton in Terminator II?
Mädchen können einen Grad an Schönheit erreichen, den ich nie nie erreichen werde. Hosen sind eigentlich Frauenkleidung, wenn man sich Becken und Schritt so anschaut. Frauenkörper sind total OK. Nach meiner ersten Periode könnte das einen Dämpfer abbekommen, aber ich weiß ja aus direkter Fremderfahrung, daß Ernährung (Rechtsregulat) einen Riesenunterschied da machen kann und die Schmerzen nicht unvermeidbar sind, sondern wahrscheinlich eine Zivilisationskrankheit, falls die Frau, von der ich das weiß, kein Mutant war.
Der Lulumann ist auch nicht mein wichtigstes Organ. Nicht, daß ich mich beschwere, beim Pinkeln isser ganz praktisch. Ich bin zuerst Lebewesen, dann Mensch. Irgendwann auchmal Mann, aber was solls.
Ich mutmaße vorsichtig, daß ich mich als Mann in einem gesunden Frauenkörper ganz wohl fühlen könnte, ohne ihn ständig abzuwerten. Ohne ihn als falsch zu verdammen. Ich wäre ich. Und immer noch ein Mann. Mit Bonus. Vielleicht würde ich plemplem, aber ich bezweifle es.
Würde ich mir die Brüste abschneiden und Hormone nehmen? Oder würde ich mich so drahtig trainieren wie Linda Hamilton in Terminator II?
So, wie W Mitchell ein erfülltes, erfolgreiches Leben führt in einem verdammt verfälschten Körper. Kann es sein, daß Menschen die Erschaffer ihrer Sichtweisen sind und nicht die Sklaven ihrer Umstände?
Wenn ich morgen aufwachte und in Hawkings Rollstuhl steckte, könnte ich mich entscheiden, genauso tapfer zu sein? Manchmal höre ich in mich hinein und fühle mich nur einen Schritt von absoluter emotionaler Freiheit entfernt. Einem Zustand, wo ich losgelöst von allem gewesenen emotionalem Schmerz Lieben kann. Egal, wen. Die Entscheidung, Glücklich zu sein. Die Entscheidung, mich nicht mehr selber unglücklich zu machen. Vielleicht sogar mich und meinen langweilige, banalen Männerkörper gern zu haben. Zum Schleppen isser ja ganz brauchbar.
So wie der Mensch, der kurz vor dem Sturz in den Abgrund noch eine wilde Erdbeere pflücken kann und im Fall ihre Süße genießt, ohne vom Erdboden abgelenkt zu sein. Wir haben so viel mehr Freiheit bei der Frage, was wichtig und was schmerzhaft ist als wir uns zugestehen. Wir sind mehr Täter als Opfer, wenn es um Schmerz geht. Und ich hatte genug Schmerz für zwei Leben.
So, meine Botschaft, zu verzeihen und zu genießen anstatt zu verteufeln und emotional frei zu sein anstatt versklavt, sorgt bestimmt für einen Shitstorm, aber es steht jedem frei, mich für gehirnalbern zu halten und den ahnungslosen Schwätzer zu ignorieren. Alles eine Frage der Interpretation.