Venice2009 schrieb:soweit ich das richtig verstanden habe, hat die Staatsanwaltschaft in den USA im Gegensatz zu unserer Staatsanwaltschaft eben eine andere Rolle?
Venice2009 schrieb:Es wäre somit die Aufgabe seines Anwalts gewesen, Zeugen zu finden, die keine Verletzungen gesehen haben. Nicht die Aufgabe von Updike, wie das immer wieder hier fälschlich behauptet wird.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem amerikanischen (angelsächsischen) System und dem deutschen (napoleonischen) System liegt in der Rolle der drei Juristen, die am idealen Prozess beteiligt sind, das stimmt schon. Der Hauptunterschied liegt in der Rolle des Richters. Im deutschen System ist es der Richter bzw. die Kammer, die investigativ die "Wahrheit" herausfinden soll. Daher vernehmen diese Angeklagte, Zeugen, Opfer und so weiter relativ intensiv.
In den USA ist das ganz und gar nicht Aufgabe des Richters. Er ist lediglich eine Art Schiedsrichter der dafür sorgen soll, dass beide Seiten eine faire Möglichkeit haben, ihren Fall darzustellen, icl. aller Vernehmungen usw. Entscheiden über Schuld und Unschuld muss dann in der Regel die Jury.
Verteidiger und Anklagevertreter haben bewusst eine antagonistische Rolle: beide versuchen auf Basis ihrer Überzeugungen die Jury von Schuld oder Unschuld zu überzeugen. Anders als im deutschen System sind sie es allein, die entscheiden, wer als Zeuge vernommen wird, welche Beweismittel eingebracht werden sollen, welche Fragen gestellt werden usw. Wie bemerkt, in Deutschland ist das weitgehend der Richter.
Es gibt in den USA den Zwang zur "discovery," dem gegenseitigen Austausch aller Beweismittel. Niemand soll vor Gericht von der anderen Seite überrascht werden können, alle sollen genug Gelegenheit haben, auch gegnerische Zeugen befragen oder hinterfragen zu können usw. Daher funktioniert was typischerweise in Fernsehserien gezeigt wird in der Realität nie: der geviewte Anwalt, der den Überraschungszeugen bis zum dramatischen Auftritt im Gerichtssaal geheim hält... das gibt es so nicht mehr.
Discovery bedeutet also, dass hier in diesem Fall die Verteidigung davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass man ein Indiz vorlegen werde, das JS mit einer typischen Verletzung zeigt, wie sie nach einer Messerstecherei vorkommen kann. Nun ist es an der Verteidigung, daraus etwas zu machen oder nicht.
Hier allerdings muss die Anklagevertretung auch alles entlastende Material, das sie im Rahmen ihrer Ermittlungen gefunden hat, der Verteidigung übergeben. Damit wird man der Tatsache gerecht, dass der Staat in der Regel einfach die besseren Möglichkeiten zu Ermittlungen hat. Und, wenn diese so überwiegend sind, sollte auch in den USA der Staatsanwalt verzichten, Anklage zu erheben. Das passiert hier sehr oft, da Staatsanwälte nicht gerne verlieren. Viele der Fälle, die die Polizei zu ihnen bringt, werden abgelehnt, weil der Staatsanwalt nicht überzeugt ist, dass die Beweise ausreichen, eine Verurteilung zu erreichen.
Das ist immer eine strategische Entscheidung: spielt so etwas eine Rolle? Wie wird die Jury auf die Information reagieren? Welche Gründe könnte es geben? Wie glaubwürdig sind die Zeugen? Gibt es Zeugen, die das Gegenteil sagen können? Wie glaubwürdig sind diese Zeugen?
Manchmal gibt es durchaus gute Gründe, als Verteidiger so etwas zu versuchen zu ignorieren, in der Hoffnung, dass die Jury das auch vergessen wird. Hier in unserem Fall wäre zu fragen: wie glaubwürdig ist der Zeuge, dass er sich wiklich an diese Tatsache erinnern kann, an diesem Tag hatte JS die Verletzung usw usw.
Wenn die Aussage sehr fundiert ist, weil der Zeuge z.B. einen guten Grund hat, sich darin zu erinnern (z.B. ich habe ihm damals ein Pflaster gegeben) und die Verteidigung nur ein paar generelle Zeugen bringen kann, die nichts gesehen haben, aber eben auch gar nicht genau hingesehen haben, dann kann ich durch das Paradieren dieser Zeugen bei der Jury am Ende genau das Gegenteil erreichen: dass sie sich sehr wohl an den Zeugen der Anklage erinnert, dem gegenüber die Verteidigung nichts überzeugendes zu bieten hatte.
Wie schon mal gesagt, man stellt sich hier ein Strafverfahren oft ganz falsch vor. Die Verteidigung hier war sicherlich nicht so grottenschlecht wie manche denken und die Anklagevertretung nicht so pöse, wie manche es gerne hätten.
Am Ende zählen die Beweise. Vor Jahren habe ich meinen ersten Wiederaufnahmeantrag verloren. Der Staatsanwalt kam zu mir und sagte: Machen Sie Sich nichts draus, Sie haben sehr gut argumentiert, aber sie haben nun mal mit dem Mandanten zu tun, den sie haben.
Voriges Jahr, als wir ein anderes Wiederaufnahmeverfahren gewonnen haben, war es genauso: die Staatsanwaltschaft hatte wie ein Löwe gekämpft, mit sehr harten Bandagen aber am Ende siegten einfach unsere überzeugenderen Beweise.