Literatur
Menschen Wissenschaft Politik Mystery Kriminalfälle Spiritualität Verschwörungen Technologie Ufologie Natur Umfragen Unterhaltung
weitere Rubriken
PhilosophieTräumeOrteEsoterikLiteraturAstronomieHelpdeskGruppenGamingFilmeMusikClashVerbesserungenAllmysteryEnglish
Diskussions-Übersichten
BesuchtTeilgenommenAlleNeueGeschlossenLesenswertSchlüsselwörter
Schiebe oft benutzte Tabs in die Navigationsleiste (zurücksetzen).

Welches Buch lest ihr gerade?

7.330 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

23.08.2024 um 12:53
Ferdinand von Saar - Die Steinklopfer

Saar-Steinklopfer

Diese Novelle des österreichischen Schriftstellers Ferdinand von Saar ist kein proletarischer Roman, spielt jedoch im Milieu der Arbeiter:innen, welche in den frühen 1850er Jahren die sogenannte Semmeringbahn, eine Gebirgsstrecke der Südbahn von Wien nach Triest, bauten. Die für den Bahnbau benötigten Steine mussten per Hand auf die gewünschte Größe geschlagen werden, und diejenigen, welche diese Arbeit verrichteten, waren die Steinklopfer. An hierarchisch unterster Stelle waren diejenigen, welche Kalkstein zu Schotter für die Gleisbetten schlugen.

Der Beginn der Novelle:
Wer in früherer Zeit - heutzutage ist der Eindruck nicht mehr so gewaltig - die Bahn über den Semmering, die sich längs gähnender Abgründe und schroffer Felswände emporwindet, zum ersten Male befahren hat, der wird, wenn der Zug über schwindelerregende Viadukte donnerte oder plötzlich mit schrillem Pfeifen in die Nacht endlos scheinender Tunnels hineinbrauste, jene mit erhabenem Grauen gemischte Bewunderung empfunden haben, die uns stets überkommt, wenn wir etwas, das wir bisher für unmöglich gehalten, verwirklicht vor uns sehen. Und wenn dann die gekoppelte Wagenreihe, allmählich ebenen Boden erreichend, wieder gefahrlos zwischen lachenden Triften1 forteilte, dann wird er sich voll Stolz, der Sohn eines Jahrhunderts zu sein, das solche Wunderwerke hervorbringt, in seinen Sitz zurückgelehnt und sich mit halbgeschlossenen Augen hinübergeträumt haben in die Errungenschaften der Zukunft, welche in der Eröffnung des Suezkanals und dem Durchstich des Mont Cenis noch immer nicht ihre kühnste Betätigung gefunden. An eines aber, das kann man zuversichtlich annehmen, werden die wenigsten gedacht haben: an die Tausende und Abertausende von Menschen, welche im Schweiße ihres Angesichtes, allen Fährlichkeiten preisgegeben, Felsen gesprengt, Steinblöcke gewälzt, Abgründe überbrückt und so recht eigentlich jene Verkehrsstraße geschaffen, auf welcher man, fast so rasch wie der Gedanke, aus der unruhvollen, staubdurchwirbelten Hauptstadt am Ufer der Donau an den Strand der blauen Adria versetzt werden kann.
Thematisiert wird in diesem Text jedoch Persönliches: Ausbeutung, Gewalt, sexuelle Gewalt, aber auch Liebe und häusliches Glück. Das Arbeitskommando führt ein Aufseher, der die Arbeitenden um ihr Geld betrügt, indem er ihnen verdorbene Lebensmittel vorsetzt und in eine Art Schuldknechtschaft bringt, indem er ihnen Schnaps verkauft und diesen vom Lohn abzieht.

Diese Novelle handelt von der Liebe eines wegen Krankheit aus der österreichischen Armee entlassenen, "beurlaubten", Soldaten namens Georg Huber, und da seine Heimatgemeinde die Sozialunterstützung nach einer Zeit nicht mehr gewährt, wird dieser eher klein gewachsene und kränkliche Mann zu den Steinklopfern geschickt. Vom Aufseher wird er einer Frau zugeteilt, mit der er Kalkstein klopft. Sie heißt Tertschka, stammt aus Böhmen und wird vom Aufseher, der ihr Stiefvater ist, als Arbeits- und Haussklavin gehalten. Lohn erhält sie keinen, die Arbeit sei ihre Familienpflicht.

Die beiden verlieben sich, ihr Stiefvater will die beiden auseinanderbringen, was jedoch nicht gelingt. Sie treffen sich heimlich sonntags zum Kirchgang. Georg wird entlassen und Tertschka will mit ihm gehen. Aus Wut sperrt ihr Stiefvater sie in den Keller des Aufsehergebäudes und als Georg sie befreien will, wird er mit einem Messer attackiert, woraufhin er den Aufseher mit einem Hammer erschlägt.

Sehr lange Zeit verbringt Georg in einem Militärgefängnis in Wiener Neustadt, ohne einem Richter vorgeführt zu werden. Tertschka hat eine Arbeit bei einem Hausbau angenommen und schafft es schließlich, einen Offizier zu veranlassen, dass der Totschlag verhandelt wird. Das Urteil: Ein Jahr Gefängnis, diese Zeit sei aber bereits mit der Untersuchungshaft abgesessen.

Die Novelle endet idyllisch. Der Offizier, der von Schicksal und Liebe der beiden gerührt ist, verschafft ihnen eine Möglichkeit, die Kampfveteranen der kaiserlichen Armee offensteht: Georg erhält eine Bahnwärterstelle samt Häuschen und Feld an der Südbahnstrecke. Am Ende wird 15 Jahre nach vor geblendet: Man sieht ein glückliches Paar mit zwei Kindern.

Am stärksten ist die Novelle bei den Schilderungen der Herkunft der beiden. So erzählt Georg, während er neben Tertschka arbeitet:
"Vater und Mutter sind mir früh gestorben, und da hab ich im Ort die Gänse hüten müssen und später die Kühe - bis in mein achtzehntes Jahr. Denn ich war immer an Kraft zurück, und kein Bauer hat mich als Knecht nehmen mögen. Aber den Herren von der Assentierung2 war ich doch recht. ›Im zweiten Glied kann er mitlaufen‹, meinten sie und haben mir den weißen Rock angezogen. Und nun hat man mich krank und elend nach Hause geschickt. Eine Zeitlang wurd' ich von der Gemeinde erhalten; dann hieß es, ich solle gehen und Steine klopfen. Na - und jetzt klopf ich sie", schloß er mit bitterem Lächeln, während er wieder nach dem Hammer griff.
Tertschka über ihren Stiefvater und Aufseher:
"... mein rechter Vater ist bei der Arbeit verunglückt, als ich noch ganz klein war; abstürzende Erde hat ihn verschüttet. Dann ist die Mutter bei Dann ist die Mutter bei dem Aufseher geblieben, der damals, wie mein Vater, Teichgräber war und mit ihm in Böhmen umherzog. ... Schon zur Zeit, da die Mutter noch lebte, wollte er oft zärtlich mit mir tun; aber ich wich ihm aus und drohte, ich würd' es der Mutter klagen. Im vorigen Sommer jedoch kam er eines Abends allein aus dem Wirtshaus zurück und fing wieder an und sagte, er würde mich heiraten. Und da ich ihm kein Gehör gab, wollt' er Gewalt brauchen. Ich aber hab mich seiner erwehrt und hab ihm gesagt, was ich von ihm denke. Seitdem haßt er mich bis aufs Blut und rächt sich, wie er kann."


1 Trift: Von Vieh ausgetretene Pfade.
2 Assentierung: Musterung


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

23.08.2024 um 13:20
Zachary Mason - The Lost Books of the Odyssey

Mason-Lost Books

Zachary Mason lebt als Informatiker in Kalifornien und schreibt hin und wieder Texte über alte Mythen. 2007 wurde sein Text über Homers Odyssee veröffentlicht, der aus 44 kurzen losen Erzählungen besteht. Er gibt vor, dass es eine Übersetzung eines wiederentdeckten vor-ptolemäischen Papyrus sei, der im ägyptischen Oxyrhynchos auf einer Müllhalde gefunden worden sei. Ob diese Angabe korrekt ist, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Papyrii sind dort auf jeden Fall sehr viele gefunden worden - Info auf Wikipedia

Die letzte der 44 Miniaturen zeigt Odysseus, der mit 70 Jahren als Tourist die Schauplätze seiner Odyssee bereist und erkennt, dass all die Inseln, auf denen er gefangen war, leer sind und dass Troja eine blühende Handelsstadt ist, in der Laiendarsteller Schlachten des Trojanischen Kriegs nachspielen. Alles, was Odysseus' Leben ausgemacht hat, gibt es nicht mehr.

Kurzbeschreibungen der 44 Miniaturen finden sich in meinem Blog: Zachary Mason - The Lost Books of the Odyssey


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

23.08.2024 um 13:40
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Ob diese Angabe korrekt ist, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Papyrii sind dort auf jeden Fall sehr viele gefunden worden
In der Odyssee findet sich zu Odysseus' Alter und Tod glaub ich nur bei XI, 134 was, als Teiresias ihm in der Unterwelt sein Schicksal verkündet. Wenn er daheim ist und Ruhe hat, soll er mit einem Ruder auf der Schulter solange wandern, bis man ihm sagt, er trage eine Schaufel, dann soll er stehenbleiben, die Schaufel in die Erde stecken und Hekatomben opfern.
Odyssee XI, 134 schrieb:Zuletzt wird außer dem Meere
Kommen der Tod, und dich, vom hohen behaglichen Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind.
Aber cool. Danke. Ich schau mal rein. Mir war so, als hätte ich irgendwann einmal schon mal davon gehört. :Y:


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

23.08.2024 um 13:43
Zitat von SchubiackSchubiack schrieb:Mir war so, als hätte ich irgendwann einmal schon mal davon gehört
Gibt's auch in deutscher Übersetzung, ich hatte mir aber vor Ewigkeiten das Original als Kindle-Exemplar zugelegt und jetzt mal schrittweise gelesen. Zum Teil interessant. Es ist aber keine chronologische Geschichte und zum Teil auch widersprüchlich. Aber interessant, dass ein Informatiker als Hobby ziemlich gut schreiben kann.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

23.08.2024 um 13:46
@Narrenschiffer
Da ist er nicht der Einzige. Ex-Manager von IBM hat glaub ich ne kleine Philosophiegeschichte geschrieben und es gibt sicher noch mehrere. Find ich gut, dass die Hellenistik in Amiland einigermaßen hoch gehalten wird. Das ist so wichtig. :Y: : )

Aber in Westpoint lesen sie ja auch Homer. :P:


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

24.08.2024 um 13:20
Corbusier - Städtebau

vlb 9783421039842 0

Ein 1929 erschienener, zukunftsweisender Text über Stadtplanung. Viele der Visionen (manche halten sie für Horrorvisionen) wurden seit den 60er Jahren weltweit verwirklicht.

7sbX3FKZ86JAHbARTg3hgP5IPbuz-NJ-23UBj1QQ


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

26.08.2024 um 01:12
Zitat von parabolparabol schrieb:Ein 1929 erschienener, zukunftsweisender Text über Stadtplanung
Corbusier hat in den 20ern auch einen Plan für die Umgestaltung von Paris entwickelt

Plan Voisin
Wikipedia: Plan Voisin

Youtube: The Evil Plan for Paris
The Evil Plan for Paris
Externer Inhalt
Durch das Abspielen werden Daten an Youtube übermittelt und ggf. Cookies gesetzt.



melden

Welches Buch lest ihr gerade?

26.08.2024 um 13:04
Cornelia Funke - Herr der Diebe

Funke-Diebe

Cornelia Funke ist für ihre Tintenherz-Trilogie bekannt. Dieses Buch aus 2000 ist spannend und witzig erzählt, die Mischung von realer Welt und Fantasiewelt ist gelungen, ein Abgleich mit der Realität darf jedoch nicht stattfinden, da Vieles der realen Welt schlichtweg nicht oder kaum möglich erscheint.

Ein Brüderpaar, der zwölfjährige Prosper und der fünfjährige Bo, fliehen per Eisenbahn von Hamburg nach Venedig, da nach dem Tod ihrer Eltern die Tante Esther nur Bo adoptieren, Prosper jedoch in ein Waisenhaus stecken will. In Venedig schließen sie sich einer Gruppe Straßenkinder an, die in einem verlassenen Kino hausen. Versorgt werden sie von Scipio, dem "Herrn der Diebe", der jedoch in einem reichen Elternhaus lebt, von dort Gegenstände stiehlt und einem alten Antiquitätenhändler (Barbarossa) verkauft. Die Tante engagiert einen Privatdetektiv (Victor), der die beiden Entflohenen ausfindig machen soll, was ihm auch gelingt, jedoch weigert er sich im Lauf der Geschichte, die Kinder der Tante zu übergeben.

Ins Fantasievolle gleitet die Geschichte durch einen Auftrag eines alten Grafen, einen Holzflügel eines geflügelten Löwen eines magischen Karussells zu stehlen, der durch Barbarossa an Scipio vermittelt wird. Die Kinder stehlen im Haus einer Ida Spavento diesen, werden jedoch entdeckt. Ida schließt die Kinder in ihr Herz und der Flügel wird an den Grafen übergeben, der jedoch mit Falschgeld bezahlt. So dringt ein Teil der Kinder in die Insel ein, der Graf ist jedoch der ehemalige Diener, der mit seiner Schwester dort lebt. Das Karussell hat mit beiden Flügeln am Löwen die Eigenschaft, Menschen jünger oder älter zu machen, abhängig davon, auf welchem Tier man sitzt. Die beiden Alten der Insel werden nun Kinder und Scipio wird ein junger Erwachsener. Barbarossa, der ebenfalls auf die Insel kommt, um das Karussell zu stehlen, dreht sich bei seiner Verjüngungsfahrt zu lange und wird ein Fünfjähriger.

Währenddessen werden die beiden im Kino zurückgebliebenen Kinder (Bo und ein Mädchen namens Wespe) aufgegriffen, Bo seiner Tante übergeben und das Mädchen in ein Waisenhaus gesteckt. Ida gelingt es problemlos, das Mädchen zu adoptieren, und Bo läuft wieder von seiner Tante davon, die wegen seiner unmöglichen Manieren ihn nun nicht mehr haben will. Durch einen Trick gelingt es Ida, Bo von seiner Tante zu adoptieren und den fünfjährigen Barbarossa, der sich als manierliches und gebildetes Kind zeigt, Esther zu übergeben, die ihn nach Deutschland mitnimmt.

Das Ende ist wohl ein Cop-Out. Denn solch ein deutsch-italienischer Kinderhandel, auch wenn er mit Einverständnis der Kinder geschieht, ist kaum realistisch. Von den komplett neuen Identitäten durch den Alterswechsel nicht zu reden. Scipio zum Beispiel nimmt einen neuen Namen an (das Prozedere wird nicht geklärt) und wird Assistent bei Victor.

Spaßig zu lesen, aber einem Realitätsabgleich hält das Buch nicht stand. Aber es hat eine Fangemeinde, die auch versucht hat, die Handlungsorte in Venedig zu lokalisieren - nachzulesen in einem Fanblog


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

28.08.2024 um 19:09
Manfred Theisen - Checkpoint Europa

Theisen-Checkpoint Europa

Der Kölner Manfred Theisen war unter anderem in der Entwicklungshilfe (Äthiopien, Naher Osten) und als Journalist tätig, bevor er freier Schriftsteller vor allem von Jugendbüchern wurde. Dieses Buch aus 2016 greift den Flüchtlingsstrom von 2015 anhand zweier Syrer:innen (Basil und Sahra) auf, die sich auf der Flucht kennengelernt, deren Wege sich jedoch getrennt haben. Der Beginn des Textes ist sehr holprig und es ist ein Kitsch-Fest zu befürchten, was der Text jedoch nicht wird. Es werden sehr kritische Aspekte aufgegriffen, die bis zum heutigen Tag belastend auf europäische Gesellschaften wirken.

Der 17-jährige Basil flieht nach dem Tod seiner Mutter bei Angriffen der Regierungstruppen auf Homs mit dem von seiner Mutter zusammengesparten Geld. Über Istanbul, Griechenland, Italien und Frankreich gelangt er nach Deutschland, wo er nun in Köln in einem Flüchtlingsheim lebt und eine Schule besucht. Mit dem Journalisten Tobias, der ein Buch über ihn schreiben will, fährt er nach Paris, um Sahra, die er auf der Flucht lieben gelernt hat, zu finden. Ein Fluchtgenosse namens Khalil will ihm die Info verkaufen, wo sie lebt, was sich jedoch als Falle herausstellt.

Sahra ist aus Syrien vor ihrem Mann, mit dem sie mit 13 zwangsverheiratet worden ist, und ihrem gewalttätigen Vater geflohen. Sie lebt schließlich bei einer Familie in Saarbrücken, will das Abitur ablegen und Juristin werden. Aus Nostalgie schickt sie Basil eine Nachricht auf Facebook, Basil fährt mit Tobias zu ihr, doch haben beide sich so stark verändert, dass keine neue Liebe entfachen kann.

So endet der Roman und beide werden vermutlich ihre Traumberufe ergreifen können (Fremdsprachenkorrespondent für Deutsch und Arabisch bzw. Juristin).

So weit so kitschig, wenn da nicht auch der Finger auf klaffende Wunden gelegt würde: Domplattenvergewaltigungen in Köln, Islamismus, Gewalt, Verhöhnung der Polizei, Gewaltverherrlichung in sozialen Netzwerken (Video einer Frauensteinigung in Afghanistan). In Flüchtlingsunterkünften zwingen gewalttätige Islamisten die Scharia auf und der nach Paris geflohene Palästinenser und Antisemit Khalil ist das geronnene Übel: Er hat Basil bei der Flucht zwar geholfen, hat aber auf dem Schiff von Patras nach Ancona einen Wachmann mit einem Stein erschlagen, dass sie unentdeckt bleiben. In Paris steckt er nicht nur 2000 Euro für eine Information ein, die er nicht hat, er fesselt Basil und Tobias in einem Kleinlaster, um Tobias' Kontokarten-PIN zu erpressen. Erst durch das Einschreiten eines Pariser Imam, dem Khalil hörig ist, werden sie freigelassen.
Khalils Augen sind schwarz und voller Hass auf die USA, auf die Juden und auf jeden, der etwas gegen Palästina sagt oder etwas Gutes über die USA.
Khalil ... ist davon überzeugt, dass die Muslime in Deutschland bald eine Partei gründen werden, und dann würden sie bald auch die Wahlen gewinnen. So habe es Erdogan ebenfalls gemacht. Er treibe unsere Sache voran, in der Türkei und in Deutschland. Die Demokratie sei mit uns, denn in der Demokratie bestimme die Mehrheit. Und bald seien wir in der Mehrheit. Wir müssten als Erstes die Schulen ändern, damit die Kinder endlich mehr über den Koran in der Schule lernen könnten, so wie in der Türkei an allen Ecken und Enden Imam-Hatip-Schulen gegründet würden. Erdogan sei ein guter Präsident, ein Stratege.
Khalil ... sagte: "Nur der Tod ist der Sieg. Solange dein Gegner atmet, hat er eine Chance."
Basil über Islamisten in Flüchtlingsheimen:
... fängt Yasin wieder mit seinem Halal-Gerede an. Warum schicken sie ihn nicht in den Irak? Soll er doch für den IS Schiiten töten!
Basil ist verwundert, warum Islamisten überhaupt in Deutschland bleiben können:
Wir haben in der Schule gelernt, dass die Demokratie die Demokraten vor den Nichtdemokraten beschützen muss.
Auch über die Fluchtwege wird sehr deutlich geschrieben.
Die meisten Flüchtlinge hatten in Patras versucht, auf einen der Laster zu steigen und so auf die Fähre und auf das Parkdeck zu gelangen. Sie reißen an einer roten Ampel hinten die Türen der Laster auf und klettern in den Laderaum. Ein zweiter schließt sofort die Tür von außen. Das geht blitzschnell, damit der Fahrer nichts bemerkt. Am besten können es die Afghanen.
Dialog zwischen Basil und Tobias über eine Messerattacke in London:
Das Radio erzählt jetzt von einer Messerattacke in der Londoner U-Bahn, mehrere Leute seien lebensgefährlich verletzt.
»Die Attentäter werden immer unberechenbarer.«
»Das ist ihre Taktik«, sage ich. »Sie wollen uns terrorisieren. Wenn du nicht weißt, wann und wo du plötzlich angegriffen wirst, hast du immer Angst. Das ist ihre Methode.«
»Wir blöden Deutschen fallen auch noch darauf rein.«
Tobias über die Islamistenfinanzierung durch Saudi-Arabien:
... die Belgier hätten die radikalen muslimischen Internate auflösen sollen. ... Unterstützt wird dieser ganze radikale Mist von den Saudis. Ohne deren Geld wären die Salafisten nichts. Die wollten sogar zweihundert Moscheen in Deutschland bauen, aber Flüchtlinge wollen sie nicht aufnehmen. Das ist ein Schweineregime in Saudi-Arabien.
Basil im Dialog mit Tobias über den Koran und den Islamisten Yasil:
Ich sage: »Kämpft gegen diejeni-gen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glau-ben.«
»Ist das aus dem Koran?«
»Sure 9, Vers 29.«
»Und warum hast du das gesagt?«
»Weil ich glaube, dass ihr Deutschen total naiv seid.«
»Sonst wärst du wohl nicht hier. In der Bibel stehen übrigens auch einige Dinge, die ich nicht unterschreiben würde.«
»Aber ihr habt bislang nicht so viele Yasins in Deutschland gehabt, die den Koran wörtlich nehmen.«
Basil über die Scheinheiligkeit radikalisierter Flüchtlinge:
Wir sprachen darüber, dass die Baptisten nett waren, dass sie uns halfen, dass sie uns nicht einmal zum Christentum bekehren wollten, dass wir keine Amerikaner mochten, aber diese Baptisten hier in Athen waren Nordamerikaner, dass wir beide eigentlich gerne in Kalifornien leben würden, dass alle unsere Freunde lieber heute als morgen in Kalifornien leben würden, selbst die Islamisten, jeder, der noch einen Funken Verstand besaß, wollte dort leben. So redeten wir. Allzu oft hatten wir schon Libanesen, Syrer, Iraner und Türken davon reden hören, wie sehr sie die amerikanische Lebensweise verurteilten - aber merkwürdig sei, wie stark sich alle zu Amerika hingezogen fühlten. Die Menschen belogen sich selbst.
Das Verhalten der Staaten gegenüber Flüchtlingen bzw. deren Herkunftsländer wird ungeschönt angesprochen.
Adil sagte: Frag einen Iraner, was er von einem Afghanen hält, und er wird dich fragen, was du von Tieren hältst. Die Iraner mögen es nicht, wenn wir Afghanen durch ihr Land nach Europa reisen. Schließlich könnten wir dort etwas lernen und zurück nach Afghanistan kommen und unser Land aufbauen. Die Iraner wollen das nicht, sie wollen die Afghanen kleinhalten, denn sonst vergessen sie womöglich, dass die Iraner ihre Herren sind.
Die Griechen wollen uns nicht, sie wollen nicht einmal, dass wir uns registrieren.
Die Franzosen rüsten auf. Sie beschießen mein Land und versuchen ihr eigenes sauber zu halten. Ein paar Franzosen und Belgier haben in Paris Franzosen und andere Europäer ermordet und deshalb fliegen sie nun Luftangriffe gegen Syrien. In Köln sind die Bäume zu kleinen Würfeln beschnitten. Die Europäer versuchen alles zu ordnen, sie haben die Grenzen auf der Welt gezogen, in Syrien, im Irak und in Afrika. Sie machen alles, wie es ihnen passt. Früher mussten alle Menschen auf der Welt Christen werden, heute müssen alle Menschen Demokraten sein.
Khalil erzählte, dass ihn gar nicht die Griechen, sondern italienische Wachleute gefasst hätten, als er vom Parkplatz über den Zaun klettern wollte. "Sie haben mich sofort wieder laufen lassen. Einer von den Grenzern hat mir die Cola gegeben. Er sagte: ›Mach, dass du hier wegkommst.‹ Ich soll mich in einen Zug setzen und möglichst nach Frankreich, Österreich, Deutschland oder sonst wohin fahren, nur nicht in Italien bleiben. Italien sei nicht gut für mich. Sie wollten mich überhaupt nicht aufhalten."
Tobias über die arabischen Staaten, die keinen Finger rühren, um den Flüchtenden beizustehen:
... die reichen Araber geben ihr Geld nur für sich aus, für fette Autos, nicht für Bildung. Da wird keine Uni gebaut, nichts! In Köln werden im Jahr mehr Patente angemeldet als in allen muslimischen Staaten zusammen. Selbst die Türkei kann kein einziges Medikament herstellen.
Die haben nichts. Ich frage mich immer, worauf die eigentlich stolz sind? Auf einen Haufen Steine? Auf irgendwelche alten Sachen - Pyramiden, den Koran, ihre Kriegshelden? Nicht einmal Waffen können sie herstellen. Nichts! Wenn wir ihnen keine Autos verkaufen würden, müssten sie wieder auf Eseln reiten.
Ich sage dir nur die Wahrheit über die heutigen arabischen Völker und auch die Perser, die ganzen Leute, die in der Wüste leben und mit ihren Ländern nicht weiterkommen. Sie ruhen sich auf Traditionen aus, die längst überholt sind. Wann kapieren sie, dass nicht Allah, sondern Apple die Welt regiert? Die Amerikaner haben die Waffen. Das stimmt. Aber stell dir mal vor, die Deutschen wären die Weltmacht! Oder die Russen. Oder die Saudis. Was für ein Horror wäre das denn? Die Menschen wollen keinen Gott, sie wollen gut leben, deshalb laufen sie zu uns in den Westen. Sie wollen Frieden und Arbeit und Konsum. Das ist ihr Ziel.
Basil über die Deutschen:
Die Deutschen überraschen mich immer wieder. Kein Syrer hätte damit gerechnet, dass uns ausgerechnet die Deutschen helfen. Kein Araber ist für uns da. Die Deutschen haben keinen Vorteil von uns und trotzdem helfen sie uns.
Basil über die Fluchtroute als Drogenschmuggel-Route:
... dass in der Türkei tonnenweise Heroin aus dem afghanischen Opium produziert wird. Und das wird dann nach Russland, aber auch über die Balkanroute nach Westeuropa gebracht.
Es sind solche Passagen, die dieses nun bereits acht Jahre alte Buch immer noch aktuell hält.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

28.08.2024 um 21:31
Lebendige-NachtOriginal anzeigen (0,3 MB)

Einfache, populärwissenschaftliche Kost, aber höchst unterhaltsam und lehrreich.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

29.08.2024 um 10:07
Markus Zusak - Vorstadt-Fighter

Zusak-Vorstadtfighter

Markus Zusak ist ein australischer Schriftsteller mit deutschen (Mutter) und österreichischen (Vater) Wurzeln. Bekannt wurde er mit seinem Roman Die Bücherdiebin, zuvor schrieb er Erzählungen über Unterschichtjugendliche in Sidney wie diese hier. Das Besondere ist, dass dieser Roman von einem ganz Großen übersetzt wurde, von Ulrich Plenzdorf.

Im Zentrum stehen die zwei jüngeren Brüder der Familie Wolfe. Der Vater ist nach einem schweren Unfall arbeitslos, weigert sich jedoch aus Stolz, Arbeitslosengeld zu beziehen, sondern versucht erfolglos als ehemaliger Klempner privat Aufträge zu erhalten. Die Mutter hält die Familie mit zwei Putzjobs über Wasser. Der ältere Bruder, der einen Praktikumsjob an der Universität hat, verlässt die Familie und zieht zu seiner Freundin, die ältere Schwester trinkt heftig und ist als Schlampe verschrien. Der jüngste Bruder erzählt die Geschichte, wie er mit Ruben bei Hunderennen versucht Geld zu gewinnen und wie er mit Ruben einarmiges Boxen trainiert. Ruben ist durchtrainiert und neigt zu Gewalt, und als am Schulhof ein Junge seine Schwester eine "Nutte" nennt, verdrischt er ihn brutalst.

Dies macht die Runde in der Stadt und so werden beide von einem Organisator illegaler Boxkämpfe angeheuert. Ruben gewinnt jeden Kampf und wird der Liebling der Zuschauer, vor allem der Frauen. Cameron hat zunächst große Angst, kann aber ein paar Kämpfe gewinnen. Schließlich werden beide zugelost, Cameron will seinen Bruder eigentlich schlagen, doch der zieht einen Handschuh aus und sie kämpfen wie bei den Sparrings im Garten einhändig. Ihr bei den Kämpfen verdientes Geld stellen sie der Familie zur Verfügung.

Die Sprache ist vor allem in der ersten Hälfte oft derb. So schildert Cameron, wie seine Schwester um drei Uhr morgens nach Hause kommt:
Um drei wird es plötzlich laut. Es ist Schwester Sarah, die sich im Bad die Seele aus dem Leib kotzt. Ich geh nachsehen. Sie ist in ihrem roten Top, kniet vorm Klo, hält sich dran fest, umarmt es zärtlich, verschmilzt damit.
Sie hat dickes Haar, das ihren Kopf umflutet, wie bei allen Wolfes, und als ich sie mit meinen brennenden, verplierten Augen betrachte, entdecke ich in ihren wirren Locken was von der Kotze. Mit Klopapier fische ich es raus, dann mache ich ein Handtuch nass und wische ihr alles ab. Kotze stinkt. Ich hasse den Geruch.
Ist sie einsam? Unglücklich? In Panik? Wäre gut, wenn ich sagen könnte, ich verstehe es. Aber was würde das ändern? Ebenso gut könnte ich fragen, warum Rube und ich zu diesen Hunderennen gehen. Jedenfalls nicht weil wir krank im Kopf sind oder so was. Das alles ist einfach so. Wir gehen zum Rennen. Sarah lässt sich voll laufen. Sie hatte mal einen Typ, aber der hat sie sitzen lassen.
Die Beschreibung des Unfalls des Vaters:
Es war so, dass er auf einer Baustelle draußen in der Vorstadt arbeitete, als irgendein Kerl das Druckventil zu früh aufdrehte. Ein Rohr explodierte und mein Vater bekam dieses Schrapnell voll ins Gesicht.
Der ganze Schädel kaputt.
Beide Kiefer gebrochen.
Massenweise Nähte. Ein Haufen Draht.
Sehr gelungen ist auch die Charakterisierung der Zuseher:innen bei den Boxkämpfen aus der Sicht des Boxers, wenn die Scheinwerfer aufgedreht werden und die Menschenmenge nicht mehr zu sehen ist:
Nur Stimmen sind noch da. Keine Gesichter, keine Blondinen, kein Bier oder sonst irgendwas. Nur Stimmen noch, die zu den Scheinwerfern aufsteigen. So klingen nur Menschen, die sehen wollen, wie sich andere Menschen abschlachten. Nur deswegen sind sie hier, das macht sie an, und sonst nichts.
Streckenweise ist der Text packend geschrieben und die Übersetzung sehr gelungen. Nur das offene und irgendwie milde Ende ist befremdend, da mit ein paar hundert Dollar die Not der Familie nicht gelindert ist. Auch die Schwester, die zu Beginn so drastisch vorgestellt worden ist, verschwindet langsam aus der Erzählung.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

31.08.2024 um 13:39
Heinrich Heine - Atta Troll

Heine-Atta

Dieses nicht vollendete Versepos Heinrich Heines aus dem Jahr 1846 spielt in den Pyrenäen und handelt von einem Tanzbärpaar: Atta Troll und seiner Frau Mumma. Atta kann sich befreien und flüchtet in seine ehemalige Höhle zu seinen Bärenjungen, denen er gesellschaftliche Lehren vorträgt über den Hochmut der Menschen, die Ungerechtigkeit von Privateigentum (Proudhons "Eigentum ist Diebstahl" spiegelt sich darin) sowie eine gerechte Herrschaft der Tiere, die sich gegen die Herrschaft der Menschheit wendet. Atta wird schließlich vom Jäger Laskaro mit einer von seiner Mutter, der "Hexe Uraka", angefertigten Zauberkugel erlegt, sein Fell wird verkauft. Seine Frau Mumma endet im Pariser Botanischen Garten (Jardin de Plantes) und verliebt sich in einen russischen Polarbären.

Die Zugänglichkeit des Werks ist durch die vielen Verweise auf die aktuelle deutsche Literaturszene heutzutage erschwert, von den Autoren ist außer Freiligrath heutzutage kaum noch jemand bekannt. Dass das Werk unvollendet und damit auch keine Letztbearbeitung aufweist, ist deutlich merkbar.

Dennoch, so manche Passagen sind schon von einer hohen Dringlichkeit und auf hohem poetischen Niveau.

Atta über die Menschen:
»Aber ach! die Mumma schmachtet
In den Fesseln jener Brut,
Die den Namen Menschen führet,
Und sich Herrn der Schöpfung dünkelt.

»Tod und Hölle! Diese Menschen,
Diese Erzaristokraten,
Schaun auf das gesammte Thierreich
Frech und adelstolz herunter,

»Rauben Weiber uns und Kinder,
Fesseln uns, mißhandeln, tödten
Uns sogar, um zu verschachern
Unsre Haut und unsern Leichnam!

»Und sie glauben sich berechtigt,
Solche Unthat auszuüben
Ganz besonders gegen Bären,
Und sie nennen's Menschenrechte!

...

»Menschen, seid ihr etwa besser,
Als wir Andre, weil gesotten
Und gebraten eure Speisen?
Wir verzehren roh die unsern,

»Doch das Resultat am Ende
Ist dasselbe – nein, es adelt
Nicht die Atzung; Der ist edel,
Welcher edel fühlt und handelt.
In diesem Kontext dann ein Ausruf des menschlichen Erzählers, der wohl ein politisches Ziel nicht zwischen Mensch und Tier, sondern für die menschliche Gesellschaft formuliert:
Ja, ich bin ein Mensch, bin besser,
Als die andern Säugethiere;
Die Intressen der Geburt
Werd' ich nimmermehr verleugnen.

Und im Kampf mit andern Bestien
Werd' ich immer treulich kämpfen
Für die Menschheit, für die heil'gen
Angebornen Menschenrechte.
Atta Troll über die Bildung einer Einheitsfront der Tiere:
»Einheit! Einheit! und wir siegen,
Und es stürzt das Regiment
Schnöden Monopols! Wir stiften
Ein gerechtes Animalreich.

»Grundgesetz sei volle Gleichheit
Aller Gotteskreaturen,
Ohne Unterschied des Glaubens
Und des Fells und des Geruches.

»Strenge Gleichheit! Jeder Esel
Sei befugt zum höchsten Staatsamt,
Und der Löwe soll dagegen
Mit dem Sack zur Mühle traben.
Dass in der menschlichen Gesellschaft nun nicht mehr aus religiösen Gründen, sondern aus kapitalistischer Gier getötet wird, erklärt Atta seinem jüngsten Sohn bei einem Drudenstein:
»Dieser Stein« – brummt Atta Troll –
»Ist der Altar, wo Druiden
In der Zeit des Aberglaubens
Menschenopfer abgeschlachtet.

»O der schauderhaften Greuel!
Denk' ich dran, sträubt sich das Haar
Auf dem Rücken mir – Zur Ehre
Gottes wurde Blut vergossen!

»Jetzt sind freilich aufgeklärter
Diese Menschen, und sie tödten
Nicht einander mehr aus Eifer
Für die himmlischen Intressen; –

»Nein, nicht mehr der fromme Wahn,
Nicht die Schwärmerei, nicht Tollheit,
Sondern Eigennutz und Selbstsucht
Treibt sie jetzt zu Mord und Todtschlag.

»Nach den Gütern dieser Erde
Greifen Alle um die Wette,
Und Das ist ein ew'ges Raufen,
Und ein Jeder stiehlt für sich!

»Ja, das Erbe der Gesammtheit
Wird dem Einzelnen zur Beute
Und von Rechten des Besitzes
Spricht er dann, von Eigenthum!

»Eigenthum! Recht des Besitzes!
O des Diebstahls! O der Lüge!
Solch Gemisch von List und Unsinn
Konnte nur der Mensch erfinden.
Die Bequemlichkeit einer Knechtschaft wird anhand Mummas Dasein im Zoo geschildert und kritisiert:
Und die Mumma? Ach, die Mumma
Ist ein Weib! Gebrechlichkeit
Ist ihr Name! Ach, die Weiber
Sind wie Porzellan gebrechlich.

Als des Schicksals Hand sie trennte
Von dem glorreich edlen Gatten,
Starb sie nicht des Kummertodes,
Ging sie nicht in Trübsinn unter –

Nein, im Gegentheil, sie setzte
Lustig fort ihr Leben, tanzte
Nach wie vor, beim Publiko
Buhlend um den Tagesbeifall.

Eine feste Stellung, eine
Lebenslängliche Versorgung,
Hat sie endlich zu Paris
Im Jardin-des-Plantes gefunden.



melden

Welches Buch lest ihr gerade?

31.08.2024 um 15:53
Timothy Snyder - Der Weg in die Unfreiheit - Russland, Europa, Amerika

Gemeint ist vor allem der Kreml, der mithilfe seiner westlichen Freunde die Welt in eine Diktatur führen
will. Das 2018 erschienene Buch befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Euromaidan 2014 und mit der vom Kreml
geförderten Wahl Trumps zum Präsidenten.

Auffällig sind die Parallelen zum Angriff auf die Ukraine 2022, wo der Kreml zum Krieg begleitend eine Propagandaoffensive eröffnete.
Der Kreml denkt sich wohl, was schon einmal 2014 funktionierte, wird auch jetzt funktionieren

M03406725015-large

-------------------------------------------------------------------------------------

Mit dem Ballon dem Pol entgegen - Salomon Andree

Tagebucheintragungen und Berichte zur schwedischen Ballonfahrt zum Pol 1897, die im Desaster endete

Wikipedia: Andrées Polarexpedition von 1897


A1mbhtZiVTL. AC UF8941000 QL80


Boat.closeup


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

31.08.2024 um 22:48
Zitat von parabolparabol schrieb:Tagebucheintragungen und Berichte zur schwedischen Ballonfahrt zum Pol 1897, die im Desaster endete
Textbeispiel aus dem Buch:

"d. 31. 9.30 Uhr. Aufbruch. Die Sonne berührte um Mitternacht den Gesichtskreis. Landschaft in Brand. Schnee ein Flammenmeer. Fahrbahn ziemlich gut..."


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

31.08.2024 um 22:50
71NmHGWp3iL. SL1500
Die Kesh, Überlebende einer Katastrophe, durch die halb Kalifornien im Meer versunken ist, leben im Tal der Na, einem Napa Valley der Zukunft. Sie verfügen über moderne Technologie, nutzen diese aber nur insoweit, wie sie ihrer bescheidenen Art zu leben und zu wirtschaften dient. Mehr als alles andere zählen bei ihnen der Respekt für das Miteinander von Tier und Mensch und ein wohlüberlegter, sorgsamer Umgang mit der Erde. Die Hinterlassenschaft einer Wirtschaftsform, die zur Zerstörung der Zivilisation geführt hat, verfolgt die Kesh jedoch weiter; ganze Gebiete sind kontaminiert, vieles leidet an genetischen Veränderungen. Die Frage nach gedeihlichen Lebensformen durchzieht alles, was sie tun und denken. Angelegt als phantastisches Projekt einer Archäologie der Zukunft ist Immer nach Hause eine einzigartige Sammlung von Fundsachen: Mythos und Historie, Dichtung und Drama, Erzählung, Information und Lied, aufgelesen aus einer Zukunft in unbekannter Ferne.
Klappentext


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

02.09.2024 um 18:34
H. G. Wells - Die Zeitmaschine

Wells-Zeitmaschine

Eine ältere Verfilmung habe ich gut in Erinnerung, aber das Buch aus 1895 lese ich das erste Mal. Insgesamt ist es eine doch sehr dystopische Reise an das Ende der Menschheit und das Ende des Lebens auf der Erde.

Der namenlose Londoner Zeitreisende berichtet einer Gruppe von Bekannten von seiner Reise, die ihn über 800.000 Jahre und schließlich über 30 Millionen Jahre in die Zukunft führt. Schon bei seiner Reise durch die Zeit bemerkt er, dass die eine gewisse Weile hochschießende moderne Architektur zu verschwinden beginnt. Als er die Zeitmaschine stoppt, sieht er eine große sphinxartige Statue auf einem Podest, einige verfallene große Häuser, aber keinerlei städtische Infrastruktur. Er begegnet kleinen menschenähnlichen Wesen mit einer durchscheinenden Haut (Eloi), die gemeinsam in verfallenen Hallen schlafen, den Tag jedoch nur mit Spielen verbringen. Einer Tätigkeit oder Arbeit gehen sie nicht nach und er wundert sich, wer ihre Kleidung herstellt. Ihre Ernährung besteht ausschließlich aus Früchten.

Ihm fallen auch brunnenartige Abstiege und Türme ins Auge, die Teil eines Ventilationssystems sein müssten. Mit der Zeit klärt sich die Angst der Eloi (der Oberflächenmenschen) auf. Weiße affenartige Lebewesen aus dem Inneren der Erde (Morlock) attackieren und fressen die Eloi.

Die Menschheit hat sich evolutionär in zwei Richtungen entwickelt: die nicht arbeitende Oberschicht wurde zu den Eloi und der Vorfahr der Morlock war das Proletariat.
der Mensch war nicht eine einzige Gattung geblieben, sondern hatte sich in zwei gesonderten Tieren differenziert: meine anmutigen Kinder der oberen Welt waren nicht die einzigen Abkommen unserer Generation, sondern auch dieses bleiche, ekelhafte, nächtliche Wesen, das vor mir aufgeblitzt war, war ein Erbe aller Zeiten.
Die Eloi haben jegliche Kreativität und jegliches Interesse verloren, leben in den Tag und werden von den Morlock als Vieh angesehen.
Die verschiedenen großen Paläste, die ich erforscht hatte, waren bloße Wohnorte: große Eßsäle und Schlafräume. Ich konnte keine Maschinerie, keine Vorrichtungen irgendwelcher Art entdecken. Und doch waren diese Leute in schöne Gewebe gekleidet, die zu Zeiten der Erneuerung bedürfen mußten, und ihre Sandalen waren zwar verunziert, aber sie waren aus ziemlich komplizierter Metallarbeit. Irgendwie mußten solche Dinge gemacht werden. Und die kleinen Leute zeigten keine Spur von schöpferischer Neigung. Es gab keine Läden, keine Werkstätten, keine Zeichen von Einfuhrartikeln. Sie verbrachten ihre ganze Zeit, indem sie heiter spielten, im Flusse badeten, auf halb spielende Art den Hof machten, Früchte alen und schliefen.
Die Ursache sieht er darin, dass Kreativität und Intelligenz dann vonnöten sei, wenn Lebewesen in Gefahr leben und die natürlichen Instinkte nicht ausreichen, um diese abzuwenden. Die Menschheit muss in ihrer Entwicklung einer Stufe der vollkommenen Sicherheit erreicht haben, und dies sei die Grundlage der evolutionären Entwicklung, welche der Zeitreisende beobachten kann.
Die zu vollständige Sicherheit der Oberweltler hatte sie langsam zur Entartung geführt, zu einem allgemeinen Sinken der Körpergröße, der Kraft und Intelligenz.
Diese Sicherheit zeigt sich auch darin, dass alle Mücken, unnützen Insekten, Unkraut, Bakterien, Krankheiten ausgerottet waren.

Der Zeitreisende versucht eine Erklärung, wie es zur Zweiteilung der Menschen hat kommen können.
Die Oberweltler mochten einmal die begünstigte Aristokratie gewesen sein und die Morlocken ihre mechanischen Diener; aber das war längst vorbei. Die beiden Arten, die sich aus der Entwicklung des Menschen ergeben hatten, glitten zu einem ganz neuen Verhältnis nieder oder hatten es schon erreicht. Die Eloi waren wie die karolingischen Könige zu einer bloß schönen Nichtigkeit entartet. Sie besaßen die Erde noch geduldet: denn die Morlocken waren seit unzähligen Generationen unterirdisch gewesen und fanden jetzt die tagerhellte Oberfläche unerträglich. Und die Morlocken, schloß ich, machten ihnen ihre Gewänder und unterhielten sie in ihren gewohnten Bedürfnissen, weil vielleicht die alte Gewohnheit des Dienstes fortlebte. Sie taten es, wie ein stehendes Pferd mit dem Hufe scharrt oder wie der Mensch aus Sport Tiere zu töten liebt: weil alte und nicht mehr vorhandene Notwendigkeiten es dem Organismus aufgeprägt hatten. Aber offenbar war die alte Ordnung zum Teil schon umgekehrt. Die Nemesis der Uppigkeit kam schnell herbei. Vor Jahrhunderten, vor Tausenden von Generationen hatte der Mensch seinen Brudermenschen aus dem Behagen und dem Sonnenschein verjagt. Und jetzt kam dieser Bruder zurück - verwandelt! ... Und plötzlich kam mir die Erinnerung an das Fleisch wieder in den Kopf, das ich in der Unterwelt gesehen hatte. ... Diese Eloi waren nur gemästetes Rindvieh, das die ameisengleichen Morlocken hüteten und jagten - für dessen Mast sie wahrscheinlich sorgten.
Die Morlock betreiben unterirdische Maschinen, deren Zweck nicht offenbart wird. Einmal dringt der Zeitreisende über einen Brunnenschacht in die Tiefe vor, wird aber von angreifenden Morlock zur Flucht gezwungen.

Auch ist jede Empathie verlorengegangen. Ein ertrinkendes Eloi-Mädchen wird vom Zeitreisenden gerettet, die anderen interessiert dieser Vorfall nicht. Dieses Mädchen, Weena, wird zur anhänglichen Partnerin des Zeitreisenden, jedoch während eines Ausflugs in einem Wald von den Morlock aufgegriffen.

Der Zeitreisende gelangt nach diesem Vorfall alleine zurück zur Sphinx. Die Tore in das Podest sind offen, dort steht - von den Morlock verschleppt - seine Zeitmaschine. Geputzt und geölt. Einem Angriff der Morlock kann er entkommen, indem er die Zeitmaschine in Gang setzt.

In 30 Millionen Jahren ist die Sonne ein großer roter Stern, die Erde zeigt ihr immer dieselbe Seite, auf der Erde gibt es nur noch moosartige Gewächse und etwas Undefinierbares, das sich bewegt. Die Lebensformen der Erde gehen ihrem Ende entgegen.

Nach Rückkehr zum Abendessen seiner Gäste erzählt er seine Geschichte und verschwindet danach mit seiner Zeitmaschine, ohne wieder zurückzukehren.


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

03.09.2024 um 15:40
Mit ganz viel Freude und immer wieder von vorn:

Harry Potter

- jeden Teil.

Ich liebe die Bücher und lese sie auf deutsch und englisch, wahrscheinlich schon zum 100sten Mal.
J.K. überrascht mich jedes Mal, alle ihre Bücher, ein voller Erfolg.

Mein persönlicher Liebling ist "Harry Potter und der Orden des Phönix".
Snape ist in meinen Augen ein sehr interessanter Charakter und hier erfährt man viel mehr über ihn, bzw. wie damals seine Kindheit verlaufen ist.

Stundenlang könnte ich darüber reden, ist jemand vielleicht auch an Harry Potter interessiert und möchte was beitragen?


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

09.09.2024 um 16:52
Kevin Brooks - Martyn Pig

Brooks-Pig

Ein skurriler und zum Teil sehr langatmiger Thriller des englischen Jugendbuchautors Kevin Brooks. Er war sein Erstling im Jahre 2003. Es ist schlichtweg zu dick aufgetragen und der Beginn lässt eher ein übliches Mobbing-Buch erwarten, da sich Martyn, aus dessen Perspektive eine Woche geschildert wird, über seinen Namen echauffiert.

Die Story spielt in einer englischen Kleinstadt. Der fünfzehnjährige Martyn lebt bei seinem Vater, einem gewalttätigen Alkoholiker, der zu Tode kommt, als Martyn ihn bei einem Gewaltangriff abwehrt und dieser mit dem Schädel gegen einen Stein des Kamins fällt. In den Papieren des Vaters findet er einen Brief, dass in ein paar Tagen eine Erbschaft von 30.000 Pfund aufs Konto seines Vaters überwiesen wird.

Martyn ruft nicht die Polizei, sondern erzählt einer sechzehnjährigen Freundin aus der Nachbarschaft, Alex, vom Tod seines Vaters. Sie beschließen, ihn mit Hilfe des Kombi ihrer Mutter in einem Schotterteich einer Kiesgrube zu versenken. Zuvor muss noch der Schwester seines Vaters bei ihrem traditionellen Weihnachtsbesuch ein totkranker Vater vorgegaukelt werden. Als Draufgabe hat der eifersüchtige Freund von Alex, Dean, noch ein Mikro in ihrem Rucksack versteckt und das Gespräch über den Toten und die Erbschaft mitgeschnitten. Er will die 30.000 Pfund erpressen.

Der Besuch der Tante gelingt wie geplant, die Leiche wird im See versenkt. Als Dean zu Martyn kommt, kann dieser ihn abwimmeln, da er dessen Haare und Zigarettenstummel, die von seinem ersten Besuch stammen, zu der Leiche im Schlafsack gegeben hat.

Bei der Rückfahrt verunglückt Dean tödlich. Ursache: Die Bremsleitungen seines Motorrads waren durchgeschnitten. Die Täterin: Alex. Denn sie kocht ihr eigenes Süppchen. Sie stiehlt Kontokarte, Schecks und Dokumente seines Vaters, um an das Geld zu kommen. Ihre Mutter ist Schauspielerin und beide können andere Personen, auch Männer, begnadet gut imitieren. Die Schecks mit gefälschten Unterschriften schmuggelt sie ins Zimmer ihres toten (Ex-)Freunds, um eine falsche Spur zu legen. Mit ihrer Mutter und den Dokumenten hebt sie das Geld ab und beide reisen nach Kalifornien, wo sie ein neues Leben beginnen wollen.

Die Polizei findet zwar die Leiche, aber dass Martyn etwas mit dem Tod seines Vaters zu tun haben könnte, kann nicht bewiesen werden, auch wenn er verdächtigt wird. Er wird zur Schwester seines Vaters in Obsorge gegeben.

Die Ich-Perspektive bietet Möglichkeiten, Martyn über alles mögliche reflektieren zu lassen, aber diese Reflexionen sind genauso langatmig wie die Beschreibung eines Strandspaziergangs. Erst gegen Ende des Buches erhöht sich die Schlagzahl und ein wenig Spannung kommt auf, ob Martyn doch vielleicht überführt wird. Die Längen in den ersten zwei Dritteln lassen einen mehrfach die Frage stellen, ob man überhaupt weiterlesen soll.

Auch die Moral, die vermittelt werden soll, ist etwas platt. Längere Zeit nach diesem Ereignis schreibt Alex ihm einen Brief aus Kalifornien mit dieser Aussage:
Du hast mir mal erzählt, dass Schlechtsein etwas Relatives ist - du hast gesagt, etwas ist nur dann falsch, wenn man glaubt, es ist falsch. Solange man es selbst für richtig hält und andere halten es für falsch, ist es nur dann falsch, wenn du erwischt wirst.



melden

Welches Buch lest ihr gerade?

12.09.2024 um 23:42
Dungeons & Dragons Player's Handbook 2024

819WLkIun3L. AC SL1500.webpOriginal anzeigen (0,2 MB)


Offizieller Release ist am 17. Sept.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

14.09.2024 um 10:32
Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

Kinder-Zoo

Die Geschichte von Christiane Felscherinow aus 1978 dürfte zumindest in Grundzügen bekannt sein, dennoch ist die Lektüre, wie eine 15-Jährige über ihre Heroinsucht berichtet, beeindruckend. Ihre Aussagen regen doch sehr zum Nachdenken an: Häusliche Vernachlässigung und Gewalt, Lebensumfeld in Hochhaussiedlungen (hier die Gropius-Stadt in Berlin) bzw. Armenvierteln (Kreuzberg), ihre Suche nach einer Gruppe, Selbstüberschätzung und Selbsterhöhung (wir sind besser als die anderen), Selbsttäuschung (nach den mehrfachen Entzügen wird weiter gedrückt mit der Meinung, nun sei man eh nicht mehr abhängig und könne den Drogenkonsum kontrollieren).

Sehr anschaulich wird geschildert, wie schließlich das Geld beschafft wird, um an die Droge zu kommen: Anschaffen am Strich (ihr Freund am Schwulenstrich), Dealen (was Christiane letztlich Kontakt mit der Polizei einbrachte).

Christiane zieht mit ihren Eltern, die sich schließlich wegen des gewalttätigen Vaters scheiden lassen, wegen Arbeitslosigkeit vom Land nach Berlin, der Plan eines Eheanbahnungsinstituts scheitert, sie landen in der Gropiusstadt. Was Christiane auffällt, ist das andere Spiel der Kinder. Am Land spielten sie gemeinsam, in der Stadt geht es darum, sich gegenseitig fertigzumachen. Idyllisierend schreibt sie:
Es gab auch keinen Anführer bei uns im Dorf. Jeder konnte Vorschläge machen, was gespielt werden sollte. Dann wurde solange rumkrakeelt, bis sich ein Vorschlag durchgesetzt hatte. Es war gar nichts dabei, wenn die Älteren mal den Kleinen nachgaben. Es war eine echte Kinder-Demokratie.
Städtische Kinderspiele nimmt sie so wahr:
Das ganze Spiel war, den anderen fertigzumachen und für sich selbst Vorteile herauszuschinden, Macht zu erobern und Macht zu zeigen.
Die Schwächsten kriegten die meisten Prügel. Meine kleine Schwester war nicht sehr robust und ein bißchen ängstlich. Sie wurde ständig vertrimmt, und ich konnte ihr nicht helfen.
In der Gropiusstadt gab es einen evangelischen Jugendclub Haus der Mitte, in dem sie mit Drogen in Kontakt kam. Ohne behelligt zu werden, rauchten Jugendliche und Kinder Haschisch (letztlich wurde er geschlossen, als auch die Heroinszene dort ihrer Sucht nachgehen konnte). In der alternativen Disko Sound kommt sie als 13-Jährige mit der Heroin-Szene in Kontakt, begann zu sniffen und schließlich zu drücken. Wie die verschiednenen Drogenszenen hierarchisiert wurden, beschreibt sie folgendermaßen:
Die Scene im Sound wurde inzwischen immer härter. Das Heroin kam rein wie eine Bombe. ...
Andererseits hatte ich wieder diese Hochachtung vor den Gruppen, in denen gedrückt wurde. Das war wieder die nächst höhere Clique für mich. Die Fixer sahen auf uns Hascher und Pillenschlucker mit einer ungeheuren Verachtung herab.
Haschisch hieß bei ihnen die Babydroge.
Ihren Weg zu Heroin beschreibt Christiane:
... irgendwie mußte sich in den Wochen, in denen mir Tabletten, Shit und LSD nichts mehr gegeben hatten, meine Einstellung zu H geändert haben. Jedenfalls waren die unüberwindlichen Barrieren, die zwischen mir und den Fixern gewesen waren, offenbar weg.
Ihr erstes H-Sniffen:
Ich sog das Pulver sofort durch die Nase ein. Alles, was ich spürte, war ein beißend bitterer Geschmack. Ich mußte Brechreiz unterdrücken und spuckte dann doch eine Menge von dem Zeug wieder aus. Dann kam es aber unheimlich schnell. Meine Glieder wurden wahnsinnig schwer und waren gleichzeitig ganz leicht. Ich war irrsinnig müde, und das war ein unheimlich geiles Gefühl. Die ganze Scheiße war mit einem Mal weg. Kein »It is too late« mehr. Ich fühlte mich so toll wie noch nie. Das war am 18. April 1976, einen Monat vor meinem 14. Geburtstag. Ich werde das Datum nie vergessen. ... Ich fühlte mich wie in einer tollen neuen Familie. Ich sagte nicht viel, aber ich hatte das Gefühl, zu den beiden über alles reden zu können. Das H machte uns zu Geschwistern.
Christianes Mutter, die auch interviewt wurde, äußerte mehrfach ihr Unverständnis bzw. ihre Wut auf einen Staat, der nichts mehr auf die Reihe bekommt, der sie mit ihrer Tochter allein lässt: Therapieplätze gibt es für Kinder nicht, der Kinderstrich an der Kreuzung Kurfürstenstraße/Potsdamer Straße werde geduldet.

Die Schilderungen Christianes bestätigen die Beobachtungen ihrer Mutter. Ihr Vater, mit dem sie wieder Kontakt hat, will einen Dealer anzeigen, der minderjährige Fixerinnen zu sexuellen Handlungen zwingt. Die Antwort der Polizei ist mehr als befremdlich:
Die Bullen sagten ihm, daß man an der Hasenheide nur eine richtige Razzia machen könne, und das ginge nicht so von heute auf morgen. Die hatten also gar keinen Bock, so einen »Kinderverführer« - wie mein Vater sagte - zu verhaften, weil ihnen das zu viel Mühe machte.
In einer Fußnote wird erwähnt, dass dieser Mann 1978 wegen Heroinverkaufs und sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Der Polizei war der Kinderstrich mit Minderjährigen ganz offensichtlich nicht nur egal, es waren auch Polizisten unter den Freiern:
Die Streifenwagen fuhren vorbei, und die Bullen winkten uns oft fröhlich zu. Einer von ihnen gehörte sogar zu meinen ständigen Freiern.
Nach mehrfachen Entzugsversuchen und zweimaliger Gelbsucht fliegt ihre Mutter Christiane zu Verwandten in einen kleinen Ort bei Hamburg, wo sie nur wegen ihres Vorlebens von der Realschule in die Hauptschule versetzt wurde. Die Trennung zwischen Hauptschülern bzw. Realschülern und Gymnasiasten ist extrem. Sie verkehren nicht nur in unterschiedlichen Diskos, auf dem Schulgelände gibt es einen Strich am Schulhof, der die beiden Gruppen trennt. Sie dürfen einander nicht treffen.
Quer über den Schulhof lief ein weißer Strich. Auf der einen Seite waren in den Pausen die Oberschüler, auf der anderen die Hauptschüler. Es war verboten, über den weißen Strich zu gehen. Ich durfte mich also mit meinen Mitschülern aus der alten Klasse nur über den Strich unterhal-ten.
Christiane verkehrt trotzdem mit Schülern aus höheren Schulformen und wird clean.

Ihre Lebensgeschichte nach Veröffentlichung dieses Buchs, das ihr doch viel Geld einbrachte, ist nachlesbar. Aber was sie als Fünfzehnjährige für dieses Buch erzählt hat, ist ein Zeitdokument allerersten Ranges.


melden