Anton Kuh - Werke Bd. 6Dieser Band umfasst Anton Kuhs Essays von 1933 bis zu seinem Tod im Januar 1941. Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 musste Kuh Berlin verlassen, zog nach Österreich und war zu Gast in der Schweiz, in Paris und in Prag. 1938 schaffte Kuh es mit dem letzten Zug noch in die Tschechoslowakei, bevor die Nationalsozialisten die österreichischen Grenzen zu kontrollieren begannen und viele politische Gegner (mehrheitlich Sozialdemokraten) und jüdische Österreicher:innen bei der Ausreise verhaftet und inhaftiert wurden. Viele waren zur von Schuschnigg ausgerufenen und durch den Einmarsch der deutschen Armee hinfällig gewordenen Volksabstimmung in Österreich anwesend.
Zweimal berichtet Kuh, dass Nationalsozialisten einen Mordanschlag auf ihn verüben wollten. Einmal 1933 in Prag und dann 1938 ein Entführungsversuch in Salzburg, wo er sich - als Linker - auch mit dem Heimwehrführer Rüdiger von Starhemberg traf, der streng gegen Hitler eingestellt blieb und von dem Kuh sogar einen Putsch erhoffte, nur damit Österreich nicht von Hitlerdeutschland annektiert werde.
Kuh, der für seine gesellschaftlichen Themen sowie seine Kritiken wie für seinen assoziativen Schreibstil unter Verwendung österreichischer umgangssprachlicher Begrifflichkeit bekannt war, begann mit der Machtergreifung Hitlers mit hochpolitischen Essays, welche die politische Lage in Deutschland und Europa messerschaft analysierte. Und sein Bonmot ist bereits 1933 griffig wie immer: "Die Gegenwart is immer a Narrenturm."
Interessant ist, dass er Anatoli Lunatscharski, den für sowjetische Verhältnisse liberalen Bildungsminister, den Stalin 1929 entließ, persönlich kannte.
Seine Analyse der Bücherverbrennungen ist nicht nur ätzend, sondern sehr tiefblickend:
Den Leuten, die der Literatur heute Scheiterhaufen errichten, kommt es mehr auf die Quantität des Brennstoffes an; sie haben keine Spur von Achtung vor dem Geist, den sie dem Feuer überliefern, und noch weniger von geheimer Liebe zu ihm. Ihnen kommt es weniger darauf an, ein Exempel zu statuieren, als die gefährliche Saat mit Stumpf und Stiel auszurotten, damit nicht das geringste von den literarischen Giften übrigbleibe, die das Volk dazu verführen: zu denken und nachzudenken.
Asphaltliteratur - Heimatkunst, die Zweiteilung ist klar. Sie entspricht ungefähr der Einteilung der Menschen in gesunde und kranke Volksgenossen, wobei die gesunden die sind, die in Reih und Glied marschieren, der Autorität nicht lange nachgrübeln und sich an Gang-hoters würzigem Quell laben, während als krank die gelten, welche die Neigung, dem Zusammenhang der Dinge nachzuspüren und sich nach dem Sinn des Daseins zu fragen, nicht unterdrücken können.
Als ganz großen politischen Fehler hielt Kuh, dass laut ihm sowohl die Sozialdemokraten als auch die Demokraten Hitler unterschätzt hätten:
Niemand - ausgenommen die Demokraten und die deutschen Sozialdemokraten - dachte jemals daran, Hitler und seine Leute zu unterschätzen. Selbst heute gibt es kaum Leute, die die Herren Deutschlands nicht zu allem fähig halten würden.
Und in die Zukunft gerichtet, sieht er bereits die kommende Brutalität der Hitlerherrschaft:
daß eine Überschätzung des Geists des neuen Deutschland zumindest ebenso gefährlich ist wie eine Unterschätzung seines Wütens ... Fürchten wir ihn, aber schätzen wir ihn nicht!
Über die Anbiederung der Hohenzollern an Hitler schüttet Kuh seinen beißenden Spott aus:
Friedrich der Große ... sagte: »Ich bin der erste Diener meines Staates.« Sein Nachfahre kann diesen Ausspruch, nur geringfügig abgeändert, übernehmen: »Ich bin der erste Untertan meiner Diener.«
Prophetisch beinahe sind 1936 seine Analysen und Ausblicke. Einen französischen Journalisten lässt Kuh in einem (fiktiven?) Interview mit Hitler dies sagen:
In Ihrem Buch empfehlen Sie zwei abwechselnde Methoden zur Erreichung Ihrer Ziele, und Sie haben sie beide angewandt: in Zeiten der Schwäche Friedensbereitschaft versichern und in Zeiten der Stärke losschlagen. Nach dieser Taktik ist Ihrer Partei die Herrschaft über Deutschland in den Schoss gefallen: Sie haben Hindenburg, der damals noch stärker war, beteuert, die Deutschnationalen nicht anzutasten, und haben sie dann ausgerottet. Sie haben die Friedensliebe Ihrer Partei beschworen, wenn sie verboten war, und gegen die anderen gewütet, wenn sie gestattet war.
Würde eine der nächsten Folgen einer deutsch-französischen Annäherung nicht sein, dass Sie sich auf das wehrlose Österreich stürzen und Ihre Macht gegen uns verdoppeln? Und verlangen Sie vielleicht, dass wir die Tschechoslowakei im Stich lassen, damit Sie eines Tags hereinspazieren können?
Kuhs Ausblick im März 1936:
193?: Hitler-Deutschland marschiert in Memel ein
193?: Hitler-Deutschland verleibt sich Österreich ein
193?: Hitler-Deutschland rückt in Elsass-Lothringen ein
Seine brilliante Bissigkeit zeigt sich in seinem "Kleinen Wörterbuch" aus der
Neuen Weltbühne vom 25. Juni 1936:
Anstellung: Sittlicher Motor. Triebkraft des nationalen Erwachens.
Blubo (von: blubbern): Ansiedlerbewegung, die entlassenen Postbeamten die Bebauung der deutschen Sprache gestattet.
Einstellung (früher: Mentalität): Taschenrequisit, das neben der Füllfeder und dem Zigarrenabschneider seinen Platz hat. Dient der Abstossung politischer, literarischer und kosmischer Eindrücke. Ist nur von einer bestimmten Einkommens-Stufe an gestattet.
Elemente (aufbauende): Funktionäre der NSDAP.
Elemente (gewisse): Nicht-Funktionäre der NSDAP.
Friede: Alter Kriegsruf der Inkas. Heute: Giftgas im Lagerzustand.
Führergedanke: Contradictio in duce. Etwa zu übersetzen mit: Immer dran denken, nicht zu denken! Oder: nicht dran zu denken, zu denken!
Gummiknüttel: Nachhilfe zum Erwachen.
Kraft durch Freude: Ballett im Kasernenhof.
Umstellen (sich): Lieblingsbeschäftigung der Deutschen. Das »Ich« wird bei diesen Transporten wie Glasware mit Papier ausgestopft, um heil bei der nächsten Gesinnung anzukommen.
Volk: Untersuchungsgefangene auf freiem Fuss.
Auf die Aufführung von Schillers Don Carlos im Deutschen Theater 1937 geht Kuh ausführlich ein (
Die Neue Weltbühne, 22. April 1937). Es ist überliefert, dass nach dem Ausruf von Posa "Geben Sie Gedankenfreiheit!" allabendlich Beifall gespendet wurde. Die These von Kuh ist, dass es sich nicht um einen oppositionellen Akt handelte, sondern um einen vom Regime gewollten, da er auch in der deutschen Presse wohlwollend geschildert wurde. Kuh im Wortlaut:
Ein nüchtern Sehender müsste so räsonieren: »Was gehen mich Vorfälle in einem Theater an, das man Max Reinhardt gestohlen, unter einem Regisseur und Direktor, den man seinem unfreiwilligen Nachlass entnommen hat? Was geht mich ein gesiebtes Publikum an vor zugelassenen Mimen? Alles, was sich da abspielt, ist ein glorioses ›Unter sich‹. Ich geh' euch nicht auf den Leim eurer Manitestationen! ...« Aber man geht ihnen leider auf den Leim. Man hat es sich noch nicht zur Regel gemacht: nichts anscheinend »Symptomatisches« aus Deutschland ernst zu nehmen, was an die ausländische Presse gelangen und wozu die inländische gar Stellung nehmen durfte. Hätten die sogenannten Vorfälle bei »Don Carlos« irgend etwas zu bedeuten - oh, man kann sicher sein, dass zur Gedankenfreiheit längst kein Beifall mehr ertönte; eine Handvoll Geheimer hätte das jambische Gefild' gereinigt, zwei oder drei im verfinsterten Haus aufblitzende Taschenlampen wären zu Zauberlampen geworden, die das Parkett in ein Konzentrationslager verwandelt hätten; doch vor allem: kein Mensch wüsste was von Applaus. Dass man davon weiss, beweist die Anordnung von oben.
Und weiter:
»Geben Sie Gedankenfreiheit!« ruft er. Oho, er meint es nicht so, dass ihn Philipp II., der ihm Audienz gibt, dafür sofort einem zuständigen Gestapo-Spanier übergeben könnte. Er meint es nur ungefähr wie Hilpert, der »Carlos«-Regisseur, wenn er in Kunstfragen vor Goebbels steht; oder wie Gründgens, der Intendant und Staatsrat, wenn er die Erlaubnis zu »Richard III.« einholt. Er meint: »... im Rahmen der gesetzlichen Einrichtungen ...«, »... im Rahmen der vorgeschriebenen Gesinnung ...«, »... im Rahmen des Aufbaus und der Verwurzlung ...« - im Rahmen, kurz gesagt. Deutsche Parkett-Sitzer verlangen die Freiheit immer im Rahmen von, nie über den Rahmen hinaus. Und im Rahmen des Volksganzen und des neuen Geistes spielt sich natürlich auch der allabendliche Rummel um Gedankenfreiheit ab, von dem die Blätter nehmen dürfen.
»Geben Sie Gedankenfreiheit! ...« Und Philipp, nach einem geschielten Blick auf den »sonderbaren Schwärmer«, der wahrscheinlich noch an den Stahlhelm glaubt oder an die Möglichkeit, Demokratie und Christentum im Diktaturstaat unterzubringen, und mehr über die Freimütigkeit dieses dummen Nicht-Parteimitglieds den Kopf schüttelnd als von seinem Mut sympathisch angeweht - Philipp, ein Kenner dieser Stolzen vor Königsthronen, gibt die Weisung: »Der Ritter wird künftig unangemeldet vorgelassen ...!« Darauf, sagt er sich, läuft's ja in der Regel hinaus, damit kann man ihnen die Gedankenfreiheit abkaufen. Sie wollen Minister werden, Hof-Zugelassene, Besitzer von Passierscheinen, sie wollen mit ihrem Tyrannen gut stehen und, wenn sie etwa Grossherzoglich-Weimarische Freiheits-Dichter sind, eine Professur-Stelle in Jena bekommen, die sie mit der Menschheit ganzem Jammer wieder versöhnt.
»Der Ritter wird unangemeldet vorgelassen.« Wird aber nicht. Vielmehr holt sich ihn, nach gutem schillerdeutschen Brauch, doch die Gestapo, damals noch durch den menschlicheren Namen: Inquisition getarnt. Der Diktator hat seinen offenherzigen Hasen auf sicher. Er selber darf nachher vor der Öffentlichkeit beteuern, wie rein seine Hände von diesem Mord sind, wie gemütlich die Audienz verlief - die Beseitigung ging ja das Ressort eines anderen an, des Innenministers Alba, eine amtliche Untersuchung des Falles wird überdies in die Wege geleitet. Jedenfalls wird der Ritter, der vor den verzückten Augen des Presse-Photo-Dienstes von seinem gutgelaunten Herrn die Gedankenfreiheit verlangt hatte, uraltem despotisch-sittlichem Brauch zufolge nachher von hinten erschossen - »auf der Flucht«, wird es vermutlich am nächsten Tag im »Völkischen Beobachter« von Madrid geheissen haben. Und dies ist auch der Grund, warum deutsche Bürger zur Gedankenfreiheit zu klatschen wagen und deutsche Aufpasser es nicht mit zu strengen Ohren hören: sie beide wissen, dass ohnedies nichts dabei herauskommt; nichts als eine Erschiessung von hinten. Mut bei Schiller, im Rahmen Schillers - da kann der Lehrer nicht zu bös sein.
»Geben Sie Gedankenfreiheit! ...« - das heisst, im Sinne Posas und derer, die ihn akklamieren: »Sire, bewilligen Sie Gedankenfreiheit ...« Er kriegt sie nicht bewilligt. Aber der Gedanke, man könne sie, die Freiheit des Gedankens wie der Tat, also die Auflehnung gegen die Amter, eines Tags amtsbewilligt erhalten, bleibt der historische Wunschtraum des deutschen Bürgers.
In der Auseinandersetzung mit Faschismus sieht diesen Kuh als Ausdruck der Provinz. Weltstädte wie Wien sind ein Völkergemisch, Wien ist ein "slawisch-ungarisch-deutsch-jüdischer Mischmasch". Ein "deutsches Wien" sei ein "unwienerischer, antiwienerischer Traum". Diesen sieht er in der Zeit nach Ende des Ersten Weltkriegs verwurzelt (veröffentlicht am 10. März 1938):
Als der Krieg zu Ende war, begann der Rachefeldzug der Provinzler, der diesseits wie jenseits der Grenzen, gegen die laue und waschlappige Hauptstadt. Die Universität wurde zu einem Bollwerk des Wien-Hasses. In die Ämter zogen von der höchsten bis zur niedrigsten Stelle nur noch Nichtwiener ein.
Einer der Kerntexte ist der im Juni 1938 in
The Nation erschienene Essay
Escape from the Mousetrap, in dem Kuh die Geschichte Österreichs seit dem Austrofaschismus und seine Flucht aus dieser Mausefalle schildert. Die Nationalsozialisten waren Geister, die niemand sehen wollte und bis heute niemand glaubt, dass sie zu allem fähig sind.
For years ghosts have walked in friendly, gay, radiant Austria, and no one has seen them, no one wanted to see them.And just as my poor little country failed to see them groping about in the bright daylight and for that failure was ruined, so the whole world looks away from ghosts and believes only in realities. If this story of - I will not conceal it — my chronic fear, which at the same time is the story of a state without fear, instructs the politicians about "intercourse with ghosts," it will have achieved its purpose. The conclusion to be drawn is that the best weapon against the enemy is to believe that he is capable of anything.
Konkreter:
The optimists, to be sure, still believed in a power which to the world's misfortune has never materialized in the whole five years since 1933, an international public-health police which would prevent the spread of political leprosy from one country to another. As Christians and good Austrians they thought: "They can't make us into a different people without our consent, even if we do speak the language." The Jews thought further: "Even if it happens, we shall be for the 'deliverers' an alien race; and they must at least ask us what we want to do, go or stay, and grant us free passage."
Shortsighted wretches!
Auch mit der Propaganda setzt sich Kuh auseinander. Er deckt eindeutige Fälschungen auf, wie dass ein Foto eines ihm bekannten jüdischen Arztes genommen wird, um den Typus des "deutschen Arztes" darzustellen. Tiefer ist die Beobachtung, dass gegenteilige Faktendarstellungen innerhalb kürzester Zeit funktionieren, weil sie das Gedächtnis außer Kraft setzten.
Denn tatsächlich hat sich bis zu dem Zeitpunkt, wo ich diese Worte aufsetzte, kein Mensch und keine Zeitung gefunden, die auf den flagranten Widerspruch der zwei Meldungen hingewiesen hätte. Das Gedächtnis sollte schachmatt gesetzt werden und es wird schachmatt gesetzt. Das zerstörte Gedächtnis ist eine der wesentlichsten Stützen der Naziherrschaft.
Im Dezember 1939 berichtet Kuh von extremen Lebensmittelrationierungen in Österreich und dass eine überproportional hohe Anzahl von Österreichern in den Krieg gegen Polen geschickt wurden. Kuh sieht darin einen Lakmustest, den das totalitäre Hitlerdeutschland anwendet, um zu sehen, wie weit es mit einer Bevölkerung gehen kann (für mich ist dies übrigens die erste Verwendung des Begriffes "totalitär", die ich kenne).
For him they are a conquered people, an unreliable ele-ment, in the acid test proved to be poor material for totalitarianism. The best place for them is at the front, in Prussian army formations, under Prussian officers!
Auch berichtet Kuh in diesem Text über ein in Wien aufgetauchtes Graffito, welches sich in einem Zweizeiler über die miese Lage und gegen die Judenpolitik richtet:
Die Juden sind weg
Und wir haben ein' Dreck.
Interessant ist die wirtschaftliche Analyse am 6. Dezember 1940, dass sowohl der Pakt mit der Sowjetunion wie auch die kommenden Kriegsziele mit einem fehlenden Rohstoff zu tun haben, der für die Kriegsführung unentbehrlich ist: Benzin.
Das Benzin ist nicht weniger als der Preis dieses zweiten Kriegsabschnittes. (Der Preis des ersten, mit der Eroberung Norwegens und Nordfrankreichs, hiess: Erz und Stahl.)
Sonderbar genug sind zwischen den Kriegsführenden die Kräfte aufgeteilt: Deutschland hat alles: Frankreich, die Tschechoslowakei, Dänemark, Holland, Belgien, Polen, dazu als Vasallen: Ungarn, Schweden, Rumänien, die Slowakei - nur eines hat es nicht: Benzin. Das heisst: es hat davon um einige hunderttausend Tonnen jährlich weniger, als es braucht. England, auf der anderen Seite, hat nichts: kein erobertes Territorium, keine übernommenen Bergwerke und erbeuteten Muni-tionsfabriken. Aber es hat Benzin. Dort also, auf der deutschen Seite, sieht man einen gigantischen Kriegswagen, dem bloss von einer Minute zur anderen die Puste ausgehen kann. Hier, auf der englischen, ein schlankes Gefährt, das nötigenfalls doch immer von der Stelle kommt.
So ist die Situation. Und daher die undurchdringliche Dynamik der deutschen Aussenpolitik. Wegen des Benzins stehen motorisierte deutsche Truppenkörper in Bukarest. Wegen des Benzins im ferneren Osten (Syrien und Irak) muss mit den Völkern am Balkan aufgeräumt werden, und zwar: mit den Rumänen, indem man ihre Armee entwaffnet beziehungsweise sie zum Instrument Deutschlands macht (ein Vorgang, der sich hinter den verwirrenden Headlines »Pogrom«,
»Massenmord«, »Anarchie«, »Revolte der Eisernen Garde« etc. birgt, kurz, hinter dem Schleier eines rumänischen Reichstagsbrands); mit den Griechen, indem man sie unter Drohungen stellt und zugleich ihrem Protektor Russland freie Hand abbettelt. Wegen des Benzins lässt man Molotow nach Berlin kommen, die Ungarn und Slowaken nach Wien, den bulgarischen König nach Berchtesgaden.
Vor den zeitunglesenden und radiohörenden Untertanen freilich lautet die Lesart anders. Die hören vom Benzin nur in den Umschreibungen »Grossraumwirtschaft«,» Europäische Neugestaltung«, »arisch-eurasischer Mensch«. Es war immer schon die Spezialität der deutschen Kommerz-Seele, ihre Geschäfte mit hochtrabenden Ideologien zu verbrämen. Heute, unter Hitler, bekommen die kleinbürgerlichen Untertanen seines Reichs jedesmal ein aufblähendes sprachliches Schilddrüsen-Präparat verabreicht, sooft ihr Herr an einem Rohstoff knapp wird.
Aber das Wort Benzin selber bleibt tabu. Die Deutschen müssen glauben, dass es der Storch ist, der die Flugzeuge und Panzerautos ins Leben bringt.
Aufbau, December 6, 1940
Am 18. Januar 1941 stirbt Anton Kuh in New York an einem Herzinfarkt. Seine Grabstätte ist unbekannt.