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Welches Buch lest ihr gerade?

7.342 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

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26.07.2024 um 12:22
Christian Linker - Dschihad Calling

Linker-Dschihad

Es ist für mich immer interessant, Aktualitätsliteratur etwas zeitversetzt zu lesen. So auch in diesem Fall. Der Leverkusener Christian Linker (bürgerlich Magnus Mahlmann) ist studierter Theologe, war in der katholischen Jugendarbeit tätig und ist seit geraumer Zeit hoch geschätzter Jugendbuchautor. In diesem Buch aus 2016 setzt er sich mit der Frage auseinander, warum sich deutsche Jugendliche einem radikalen Islam zuwenden und in Erwägung ziehen, nach Syrien zu fahren, um an der Seite des IS zu kämpfen.

Die Hauptfiguren:

Jakob, 18-jähriger Student in Bonn, rettet eine Verschleierte (Samira) in einer Unterführung vor Skinheads, findet ihre Identität raus, besucht eine Salafisteveranstaltung, bricht mit seiner Freundin, zieht zu Samiras Bruder Adil, wird Moslem, nähert sich den Salafisten an und findet die Argumente für das Kalifat anziehend, heiratet Samira, entscheidet sich im letzten Moment gegen eine Syrienfahrt, will Adil auch davon abhalten, gelingt nicht, er wird verhaftet, nach einem halben Jahr Untersuchungshaft geht er frei und fährt mit Samira nach Irland (Adils Vorstellung des Paradieses).

Adil, ca. 18-jähriger Hilfsarbeiter aus Hamburg mit libanesischem Vater, war in Hamburg Zuhälter, wird Moslem, schließt sich den Salafisten an, will im Kampf als Märtyrer sterben, um sich und seiner Familie das Paradies zu sichern, nimmt Kontakt mit islamistischen Schleppern auf, fährt mit dem Bus nach Istanbul, wird nach Syrien in die Kampfzone gebracht, zeichnet sich als tapferer Kämpfer aus, wird wegen der brutalen IS-Methoden skeptisch (Abschlachten muslimischer Brüder, Köpfen von Deserteuren, Ermordung von Homosexuellen), verliert bei der Rettung eines weiteren deutschen Dschihadisten (Max) vor einer Handgranate in Mossul beide Beine, soll als Selbstmordattentäter eingesetzt werden, sprengt die eigene IS-Kommandoführung in die Luft, Mossul wird befreit, Max flieht mit Adils Tagebuch in die Türkei und schickt dieses per Post an Jakob.

Samira, 21-jährige Studentin und Schwester Adils, ist zum Islam konvertiert, steht den Salafisten nahe, lehnt den IS als unislamisch ab.

Linker versteht sein Handwerk, so ist dieser schnell zu lesende Roman spannend und abwechselnd aus zwei Perspektiven geschrieben (Jakob erzählt die Geschichte bis Adils Aufbruch nach Syrien und Adils Tagebuchaufzeichnungen bis zu seinem Selbstmordattentat).

Der Roman ist zwiespältig. Die ideologischen Verführungen sind überzeugend und nachvollziehbar dargestellt (gilt wohl auch für andere Sekten), nur die Konvertierung der drei Hauptfiguren zum Islam ist schwer zu verstehen (bei Jakob nur wegen eines Bruchs mit einer Freundin, Adil war Zuhälter und hat nun Angst vor der Hölle, Samira war Partygeherin bei Punks, Metalheads und Raves). Und dass der sexbegeisterte Jakob wegen dem muslimischen Sexverbot mit unverheirateten freien Frauen (Nichtsklavinnen) bei einem Besuch von Samira vor dem endgültigen Vollzug des Geschlechtsverkehrs zurückschreckt, erscheint mir auch nicht ganz logisch.

Apropos Sex: Für ein Jugendbuch ist die Sexszene zwischen Samira und Jakob schon sehr explizit geschrieben. So genau wollte ich es eigentlich nicht wissen ;) Verfilmt wäre es ein Porno.

Wichtig scheint Linker zu sein, dass es auch einen nicht gewalttätigen Islam gibt und der IS keinen Anspruch auf Alleinvertretung hat. Auch bei den Salafisten nicht. So lässt er in einer Salafistenversammlung Samira folgende Fragen an die Versammelten bzw. an die Führerschaft stellen:
"Ist es nicht im Islam verboten, die Schari'a zu vereinfachen und die islamischen Wissenschaften zu missachten? Ist es nicht verboten, Unschuldige zu töten? Ist es nicht verboten, einen Angriffskrieg als Dschihad zu bezeichnen? Ist es nicht verboten, Frauen und Kinder zu misshandeln, Körperstrafen ohne ordentlichen Prozess zu verhängen, Recht zu sprechen, ohne überhaupt hinreichend klassisches Arabisch zu beherrschen und die Rechtsschulen zu kennen? Ist nicht seit langer Zeit die Sklaverei durch allgemeinen Konsens im Islam aufgehoben und verboten? Ist es nicht verboten, zu foltern und Tote zu entstellen und sich mit bösen Taten auf Gott - Er ist groß und erhaben - zu berufen? Ist es nicht eine schwere Sünde, ohne Konsens mit der ganzen Umma ein Kalifat zu behaupten?"
Ans Ende des Buches stellt er folgendes Zitat:
»Wann auch immer ihr die schwarzen Fahnen seht, bleibt auf euren Sitzen und bewegt weder eure Hände noch Füße. Danach werdet ihr eine kraftlose unbedeutende Schar sehen. Ihre Herzen werden wie Eisenstücke sein. Sie werden die Herrschaft haben. Sie werden weder einen Vertrag noch ein Abkommen einhalten. Sie werden zur Wahrheit aufrufen, doch sie werden nicht die Leute der Wahrheit sein. [...] Dieser Zustand wird anhalten, bis sie untereinander streiten. Danach wird Gott die Wahrheit hervorbringen durch wen auch immer Er will.«

Ali ibn Abi Talib, Schwiegersohn des Propheten und vierter Kalif (nach Überlieferung von Nu'aim ibn Hammad)



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26.07.2024 um 23:34
This Is Why We Lied
von Karin Slaughter

this-is-why-we-lied-taschenbuch-karin-slOriginal anzeigen (0,3 MB)

https://www.goodreads.com/book/show/199793571-this-is-why-we-lied

Ein weiteres Buch aus der Reihe um Will Trent und Sara Linton. Die beiden Figuren mag ich besonders gerne, weil sie beide einfach sympathisch sind. Auch die anderen Figuren der Reihe Amanda Wagner und Faith Mitchell mag ich sehr gerne, obwohl Amanda nicht immer sehr nett ist.

Sara und Will haben geheiratet und Will ist für die Hochzeitsreise verantwortlich. Er hat alles toll organisiert und einen Urlaub in der McAlpine Lodge im nördlichen Georgia irgendwo in den Appalachen gebucht. Da Will weiß, dass Sara Camping hasst, hat er ein Cottage in diesem luxuriösen Ressort gebucht und Sara nicht viel erzählt, da er sie überraschen will. Tessa, Saras Schwester, wurde damit beauftragt, für Sara zu packen. Die Loge ist für Gäste nur zu Fuß oder zu Pferd auf Wanderwegen zu erreichen, auch WLAN gibt es für Gäste nicht. Mobilfunkempfang gibt es nur teilweise. Sara und Will lügen über ihre Berufe, weil sie einfach ihre Ruhe haben wollen und nicht ständig darüber ausgefragt werden wollen.

Leider wird es nichts mit der Erholung. Am ersten Abend werden alle Gäste beim gemeinsamen Abendessen Zeugen einer Auseinandersetzung zwischen Mercy McAlpine, der Managerin, und ihrem Sohn Jon. Der Rest der Familie wirkt seltsam kalt und niemand scheint Mercy zu unterstützen. Das ist allen Gästen sehr unangenehm und sie versuchen, das zu überspielen.

Sara und Will möchten am späteren Abend noch Zeit zu zweit am See verbringen, als sie plötzlich einen Schrei hören. Sie ziehen sich an und rennen los in Richtung des Schreis und hören dann noch zwei Schreie einer Frauenstimme: "Help! Please!"

Als Will bei den momentan leerstehenden Cottages ankommt, die gerade renoviert werden, steht ein Cottage in Brand und Will läuft hinein, um zu sehen, ob sich jemand darin aufhält. Das Cottage ist leer und Will verlässt das brennende Cottage schnell wieder, sieht aber Mercy McAlpine halb im See liegen. Die sterbende Frau schafft es nur noch, ihren Sohn Jon zu erwähnen und sagt zu Will "Forgive him!", bevor sie stirbt.

Nun müssen Will und Sara einen Mordfall lösen. Die Zeit drängt, denn es kommt ein Sturm auf, der das Ressort komplett isolieren wird und die Wege unpassierbar machen wird. Der Mörder befindet sich im Ressort. Wer hat ein Motiv, Mercy McAlpine zu töten?

Das Buch ist sehr spannend erzählt und man bekommt immer wieder Einblicke in Mercys Leben und in eine sehr dysfunktionale Familie. Die ganzen Dinge, die innerhalb der Familie abliefern und immer noch ablaufen, sind zutiefst verstörend.

Man erfährt auch wieder etwas von Wills Leben im Kinderheim.

Ich wusste eigentlich von Anfang an, wer Mercy ermordet hat, nur führt einen die Autorin immer wieder auf eine falsche Fährte. Das macht sie wirklich sehr gut, das ganze Buch ist wie eine Achterbahnfahrt.

Wieder einmal ein sehr gelungenes Buch von Karin Slaughter.


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27.07.2024 um 13:59
Jules Verne - Reise um die Erde in 80 Tagen

Verne-ReiseOriginal anzeigen (0,2 MB)

Die Story der Weltreise des Londoner Privatiers Philias Fogg mit seinem französischen Diener Passepartout sowie den ihn verfolgenden Kommissar Fix ist wohl allgemein bekannt. Ich kenne sie noch aus der Kindheit in der Verfilmung mit David Niven, ob ich das Buch schon mal gelesen habe, weiß ich nicht, aber eher nicht. Der Roman ist flott und spannend geschrieben, die Reise lässt sich am Atlas nachverfolgen und es gibt viele Beschreibungen, welche die Welt von 1872 vor Augen führen. Und auch ist erklärt, warum bei einer Reise ostwärts der Tag um vier Minuten pro Längengrad kürzer ist (das ist der Grund, warum Fogg seine Wette gewonnen hat). Hinzu kommt am Ende auch noch ein romantisches Happy End mit der Hochzeit von Fogg mit einer vor einer Witwenverbrennung geretteten jungen indischen Kaufmannstochter.

Die Welt, die Fogg durchreist, steht am Höhepunkt des britischen Kolonialismus. Erst in Schanghai wird zum ersten Mal nicht britischer Boden betreten, die Stadt jedoch ist offen für den Handel. Die einzige vielleicht nicht von Großbritannien beeinflusste Stadt der Reise ist Yokohama, denn auch die USA sind noch vom ehemaligen britischen Kolonialismus geprägt. "So giebt's eine Kette von englischen Städten rings um die Erde herum."

Ob Verne mit diesem Roman eine ätzende Spitze gegen Großbritannien geschossen hat, kann ich nicht beurteilen, doch Foggs Lebensgewohnheit (immer gleicher Tagesablauf, nur das Whist-Spiel ist ein Hobby) wird von seinem lebensfrohen französischen Diener kontrastiert. Während Fogg sich für das Äußere seiner Reise nicht interessiert - "von den Merkwürdigkeiten Bombays etwas zu sehen, fiel ihm nicht ein", ist Passepartout lebensfroh und er bestaunt Sehenswürdigkeiten wie Menschen.

Eine Charakterisierung Foggs beim Zusammentreffen mit einem Brigadegeneral Sir Francis Cromarty, der auf demselben Schiff von Suez nach Bombay fährt wie Fogg:
Es war ein Mann von Kenntnissen, der gerne über die Gewohnheiten, Geschichte, Organisation des Hindulandes Auskunft gegeben hätte, wenn Phileas Fogg sie nur hätte begehren mögen. Aber dieser Gentleman hatte kein Verlangen darnach. Er machte nicht eine Reise, sondern eine Umfangslinie. Es war ein schwerer Körper, welcher nach den Gesetzen der rationellen Mechanik einen Kreis um den Erdball beschrieb. In diesem Augenblicke stellte er eine wiederholte Berechnung der seit seiner Abreise aus London verbrauchten Stunden an; und wäre es nicht seiner Natur zuwider gewesen, eine unnütze Bewegung zu machen, so würde er sich die Hände gerieben haben.
Die Beschreibung des Nordosten Indiens (Provinz Bihar) zeigt die Umweltzerstörung durch die britische Industrialisierung:
Dieses ganze Panorama flog blitzschnell vorüber, und oft hinderten weiße Dampfwolken seine Details zu sehen. Die Reisenden vermochten kaum flüchtig in Augenschein zu nehmen das Fort Chunar, zwanzig Meilen südöstlich von Benares, vormals Festung der Rajahs von Behar, Ghazepur mit seinen bedeutenden Rosenwasserfabriken, das am linken Gangesufer errichtete Grabmal des Lord Cornwallis, die feste Stadt Buxar, die große Gewerbe- und Handelsstadt Patna, wo der Hauptmarkt des indischen Opiums sich befindet, Monghir, eine Stadt so englisch wie Manchester und Birmingham, berühmt durch seine Eisengießereien, Zeugschmiede- und Gewehrfabriken, deren Rauchfänge Brahmas Himmel mit schwarzem Rauch beschmutzten.
Auch der britische Handel mit Opium nach China wird heftig kritisiert und die Folgen des Opiumkonsums werden anhand der Opiumcafés in Schanghai sehr plastisch vor Augen geführt.

Andererseits fällt eine durchgehend abschätzige Schilderung von nichteuropäischen Völkern auf. Die Sioux, welche den Zug von San Francisco nach Oklahoma überfallen, werden als blutrünstige Monster dargestellt, und die Papua werden so charakterisiert:
Die wilden Papua's der Insel ließen sich nicht sehen. Es sind zwar Geschöpfe, die auf der untersten Stufe menschlicher Bildung stehen, aber Menschenfresser sind sie doch nicht.
Aber auch die amerikanische Demokratie wird verächtlich dargestellt. Eine Versammlung zweier Kandidaten für die Wahl des Friedensrichters in San Francisco artet in eine wüste Schlägerei aus, wobei die Anhänger mit "Bleistöcken und Todtschlägern" bewaffnet bei dieser erscheinen.

Das Buch hat gegenüber den Verfilmungen definitiv einen Mehrwert, da bei Letzteren die Wette im Zentrum steht, kritische Aspekte jedoch mehr oder weniger ausgeklammert sind.


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27.07.2024 um 17:12
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 24.07.2024:Robert Musil - Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
Den hab ich ihn der Schule für meine Deutschmatura gelesen. Extrem heftig, diese ganzen Darstellungen von Erniedrigung und Gewalt. Das hat mir damals ganz schön zugesetzt.


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28.07.2024 um 12:34
@violetluna

Für die Schule musste ich ihn nicht lesen, aber für Jugendliche stelle ich mir den Text schon verstörend vor, wenn er im Unterricht nicht begleitet wird. Musil hat mit diesem Text damals Unausgesprochenes und Vertuschtes thematisiert, aber ich denke nicht, dass er ein jugendliches Publikum im Auge hatte.


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28.07.2024 um 13:25
Morton Rhue - Die Welle

Rhue-Welle

Ich kannte bisher nur die deutsche Verfilmung von Dennis Gansel und bin nun doch überrascht, dass das Ende des ziemlich kurzen Originals von Morton Rhue (eigentlich Todd Strasser) nicht überdramatisiert in einem Schülerselbstmord endet, sondern nahe am Originalexperiment des Geschichtelehrers Ron Jones an einer Schule im kalifornischen Palo Alto im Jahr 1967 bleibt.

Gut herausgearbeitet wird, dass der Lehrer, der zeigen will, wie schnell eine Gruppe sich einem faschistischen Führer anschließen kann, in seiner Rolle immer zwiespältiger wird, sich in der Führerrolle sogar gefällt, doch als die Gruppe beginnt, gegen Außenstehende auch mit Zwang und Gewalt vorzugehen, findet er letztlich keinen internen Ausweg, um die entstandene faschistische Bewegung zu beenden (Ziel war, die Schüler zur Selbsterkenntnis zu bringen), sondern in einer Versammlung zeigt er den nationalen Führer der Bewegung: Adolf Hitler. Letztlich gelingt es nur durch äußeres, historisches Wissen, die Gruppe aufzulösen. Ein Weg, eine totalitäre Gruppe aus sich selbst heraus zur Auflösung zu bringen, wird nicht gefunden. Beim Originalexperiment schien es Jones (einem jüdischen Lehrer) gelungen zu sein, die Bewegung mit weißen Bildschirmen aufzulösen (der Führer ist Nichts).

Detailliert ist das Originalexperiment auf Englisch hier beschrieben: Wikipedia: The Third Wave (experiment)

Der Schüler, der sich als schwacher Lerner und Außenseiter am meisten mit der Bewegung identifiziert hat, soll laut Nachwort und Aussage von Jones einen Karriereweg als Flugzeugmechaniker eingeschlagen haben. Im deutschen Film erschießt er sich.

Einige Beobachtungen des Lehrers Ben Ross sind interessant und dürften von Jones stammen. So können die Schüler zwar mehr "Quizfragen" richtig beantworten, aber die Antworten werden einsilbig:
Ben bemerkte, dass die häusliche Vorbereitung und die Beteiligung am Unterricht sich wesentlich verbessert hatten, doch es fiel ihm auch auf, dass die Schüler weniger nachdenklich an den Stoff herangingen. Sie sprudelten die erwarteten Antworten nur so hervor, doch sie analysierten und fragten nicht mehr.
Auch die Schülermeinungen sind unterschiedlich. Die Anhänger der Welle sehen eine demokratische Gleichheit der Gruppenmitglieder, innerhalb der Gruppe gäbe es keine Unterschiede mehr, von außen jedoch werden sie als "Maschinen" charakterisiert, die sich in einer sektenhaften Gemeinschaft zusammengeschlossen hätten.

Im Vergleich Film und Romanvorlage ziehe ich das Buch definitiv vor, da es nicht überkandidelt dramatisiert ist. Der Zeitaufwand ist wegen der Kürze nicht viel größer.


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29.07.2024 um 14:26
Julya Rabinowich - Hinter Glas

Rabinowich-Hinter Glas

Das ist nun das zweite Buch einer der aktuellen Stars am österreichischen Literaturhimmel, das ich gelesen, besser gesagt: quergelesen habe, und es ist ein Kitschroman (für Fortgeschrittene?).

Alice ist eine hübsche und kluge, aber kränkliche Schülerin, die in der Villa ihrer Eltern aufwächst. Die Mutter ist eine ehemalige, sehr erfolgreiche Schauspielerin, der Vater geht unbekannten Geschäften nach, und die Familie bekommt Unmengen an Geld vom Großvater väterlicherseits, der am selben Grundstück in einer schlossartigen Villa mit Ritterrüstungen lebt. Der Großvater ist an einen Rollstuhl gefesselt, kann aber mit seinem Jähzorn Sohn wie Schwiegertochter ziemlich nerven. Aber was tut man nicht alles, um die Geldquelle zufrieden zu stellen.

In der Schule verliebt sich Alice in einen neuen Schüler, der gerade von einer Weltreise zurückkommt. Er heißt Niko und sieht aus wie Kurt Cobain. Da ihre Eltern ihn Alice nicht in ihrer Villa besuchen lassen, läuft Alice kurzerhand von zuhause weg, und als auch seine Mutter nicht will, dass Alice bei ihnen wohnt, ziehen beide zu einem Freund namens Mick in dessen WG (oder Wohnung?), wo permanent mit Freunden Party gefeiert wird. Ihre Eltern informieren nicht die Polizei, weil Alice droht, irgendwas über die Familie auspacken zu wollen. Bei einem Treffen mit ihrer Mutter, wird ihr ein Bündel 200er Euro-Noten zugesteckt.

Damit die Story nicht zu fad wird, braucht es Action. Alice wird ihr Handy gestohlen und allen ihren Kontakten werden SMS-Nachrichten zugesandt. Da sie der Ansicht ist, dass ihr das Handy an einem S-Bahnhof gestohlen worden ist, fahren Niko, Mick und sie dorthin. Dort sitzt ein ausländischer Bettler auf einer Bank und hält ein Handy in seiner Hand. Niko ruft Alices Handy an und - wahrlich! - es bimmelt das Handy beim Bettler. Als Niko und Mick ihm das Handy wegnehmen wollen, läuft der Bettler weg, reißt eine alte Frau um und stürzt mit ihr auf die Bahngeleise. Beide überleben. Die Jugendlichen laufen weg.

Als Alice ein schlechtes Gewissen bekommt, will sie zur Polizei. Um dies zu verhindern, versetzt ihr Niko einen Faustschlag ins Gesicht. Sie läuft weg und in einem Park läuft ihr ein Hund zu, der sie zur Wohnung ihres Philosophielehrers führt (wtf!). Dieser sorgt für eine ärztliche Versorgung (sie hat eine Gehirnerschütterung, den Hund nur halluziniert, aber sie bekam mal eine Visitenkarte von ihrem Lehrer, nachdem sie von zu Hause ausgerissen war).

Nach der Genesung erstattet sie Anzeige gegen Niko und Mick bei der Polizei, zieht zu ihren Eltern zurück. Diese brechen mit dem Großvater, und Vater, Mutter, Kind reiten gegen Westen der untergehenden Sonne nach. HALT! NEIN! DAS IST LUCKY LUKE! Sie ziehen aus und fahren einem neuen, unbekannten Heim entgegen.

Was für ein Schmarrn!

Von der Kitschgeschichte (reiches Mädchen reißt aus und lernt die Welt kennen, die ist aber nicht so lustig, daher kehrt sie wieder zu den reichen Eltern zurück) abgesehen: Nicht nur der Einfall mit dem Hund ist absurd, es gibt auch massive Kontinuitätsfehler. Als Nick und Alice mit ihren Eltern brechen, zerstören sie ihre SIM-Karten und kaufen neue in einem Handyshop (wohl Prepaid-Karten). Ihre Kontakte kennen jedoch weiterhin deren Telefonnummer (ohne Rufnummernübernahme? - Sie wollen ja nicht getrackt werden!). Und wie soll jemand ein gestohlenes Handy mit dem Login der bestohlenen Person nutzen können? Das iPhone war definitiv 2019 mehr oder weniger nicht zu knacken. Auch bei Android kann ich es mir nicht vorstellen.

Kitschroman für Fortgeschrittene? Ein wenig Gesellschaftskritik muss auch sein. Der Großvater hat den Reichtum von dessen Vater geerbt, den Alice nur von einem Foto in einem Festanzug mit Orden und im Hintergrund mit KZ-Häftlingen hinter Stacheldraht kennt und dessen Reichtum Beutegut aus der NS-Zeit sein soll (genauer wird nicht darauf eingegangen). Als die Familie am Ende ins Glück fährt, ist keine Rede mehr von "aufdecken". Wäre blöd, ohne Geld ein neues Leben zu beginnen. Das ist schon logisch. Und den Porsche will man ja auch nicht verlieren. Und die Mutter eines Mädchens in der WG von Mick stammt aus Grosny und muss trotz Schmerzen ihr Leben als Putzfrau fristen (jetzt kennt sie auch ein Migrantenschicksal).

Und der Titel? Zu Beginn des Romans lernen wir Alice kennen, als sie ihre Sachen packt, um mit ihren Eltern ins Glück zu fahren. Dabei zerbricht sie einen Spiegel in 24 Teile. Diese symbolisieren ihr Leben in 24 Kapitel. Und als er wieder zusammengesetzt ist, ist der Roman zu Ende. Hmmm. Ja. Kann man machen.


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31.07.2024 um 17:14
Jack London - Wolfsblut

London-WolfsblutOriginal anzeigen (0,4 MB)

Dieser 1906 erschienene Tierroman von Jack London ist durchaus zwiespältig. Er ist in fünf Teile gegliedert und erzählt die Geschichte eines Wolfs, dessen Mutter eine Hunde-Wolf-Mischung war, dessen Vater ein Wolf. Das Wolfsjunge wächst bei der Mutter in der kanadischen Wildnis im Nordwesten auf, muss sich durchschlagen. Er schließt sich einer Gruppe von Natives an, genießt deren Schutz und die Fütterungen, muss jedoch als Schlitten- und Traghund dienen. Sie nennen ihn Wolfsblut. Sein Herrchen verkauft ihn an einen Weißen namens Schmitt, dem er als Kampfhund dient. Er besiegt alle Tiere (Hunde, Luchse ...), doch als sich eine Bulldogge in ihn verbeißt, wird Wolfsblut von einem kalifornischen Mineningenieur (1898 war der Goldrausch am Kondike) namens Weedon Scott gerettet und abgekauft. Dieser zähmt ihn und nimmt ihn mit nach Kalifornien auf sein Gut zu seiner Frau, seinem Vater und seinen Geschwistern. Dort lernt er, dass er keine Tiere reißen darf, die von Menschen gehalten werden (Hühner). Die letzten beiden Episoden zeigen ein Tier, das sich der Familie angeschlossen hat und dieser nützlich ist. Als Scott von seinem Pferd stürzt und sich ein Bein bricht, holt er bellend wie ein Hund Hilfe, und als ein entflohener Gefangener Scotts Vater, einen ehemaligen Richter, aus Rache ermorden will, fällt Wolfsblut ihn an und kommt dabei selbst fast ums Leben. Das Schlussbild ist idyllisch: Der wiedergenesene Wolfsblut spielt mit den Welpen der von ihm gehassten Colliehündin.

Der Eingangsteil ist brutal. Zwei Männer mit einem Schlitten transportieren im kanadischen Winter einen Sarg zu einem Fort und werden nächtlich von Wölfen angefallen, deren Anführerin eine Wolfshündin ist, die zukünftige Mutter von Wolfsblut. Jede Nacht wird einer der sechs Schlittenhunde getötet und gefressen, schließlich einer der Männer. Der Überlebende wird schließlich von einer Gruppe Männern aus dem Fort gerettet. Nach diesem Eingangsteil wird die Geschichte von Wolfsblut erzählt.

Die Geschichte wird oft aus der Sicht des Wolfs erzählt, als ob er Gedanken fassen und rational Entscheidungen treffen könnte. So sieht er in den Menschen Götter und als er auf Weiße trifft, sieht er in ihnen Übergötter (Holzhäuser, in San Francisco Steinhäuser, Straßenbahnen, Autos, ...). Auch wird die Ansicht vertreten, dass es ein vererbtes kollektives Wissen einer Art gibt.

Als erfolgreiches Jugendbuch wurde es Teil der sogenannten Nature Faker-Kontroverse. Den Nature Fakern wurde vorgeworfen, Tieren menschliche Eigenschaften wie Vernunft, Denkfähigkeit, Lernfähigkeit zuzuschreiben und sie zu anthropomorphisieren (vermenschlichen). Selbst der damalige US-Präsident Theodore Roosevelt nannte in einer Kritik an den Nature Fakern diesen Roman, vor allem den Kampf mit der Bulldogge, als negatives Beispiel. London selbst wehrte sich gegen die Vorwürfe, aber nach meinem Dafürhalten nicht überzeugend. Bei der Lektüre erhält man mehrfach das Gefühl, dass dieses Tier rational denke. Auch träumt es.

Jack Londons Replik aus 1908, The Other Animals, ist in seinen wesentlichen Teilen auf EDSITEment (PDF) nachzulesen.


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04.08.2024 um 09:46
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 31.07.2024:Die Geschichte wird oft aus der Sicht des Wolfs erzählt, als ob er Gedanken fassen und rational Entscheidungen treffen könnte. So sieht er in den Menschen Götter und als er auf Weiße trifft, sieht er in ihnen Übergötter (Holzhäuser, in San Francisco Steinhäuser, Straßenbahnen, Autos, ...). Auch wird die Ansicht vertreten, dass es ein vererbtes kollektives Wissen einer Art gibt.

Als erfolgreiches Jugendbuch wurde es Teil der sogenannten Nature Faker-Kontroverse. Den Nature Fakern wurde vorgeworfen, Tieren menschliche Eigenschaften wie Vernunft, Denkfähigkeit, Lernfähigkeit zuzuschreiben und sie zu anthropomorphisieren (vermenschlichen)
Die Vermenschlichung des Wolfshundes kann man ja als literarisches Stilmittel sehen, die Kritiker von London verstehen das alles etwas zu wörtlich. London geht es vermutlich darum eine Art Zivilisationsmodell zu entwerfen, bzw. wie menschliche Zivilisation entstanden ist.


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04.08.2024 um 11:06
Zitat von parabolparabol schrieb:London geht es vermutlich darum eine Art Zivilisationsmodell zu entwerfen, bzw. wie menschliche Zivilisation entstanden ist
Dann wären wir eigentlich bei der These der Selbstdomestikation. Dieser Hundewolf unterwirft sich freiwillig und rational.


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04.08.2024 um 12:19
Alexander - Der makedonische Prinz
(Alexander der Große 1)
Valerio M. Manfredi
Er wurde nur dreiunddreißig Jahre alt, aber sein Ruhm ist unsterblich: Alexander der Große, König von Asien und Herrscher über die Welt. Valerio Massimo Manfredi folgt im ersten Teil seiner Biographie den Spuren jenes jungen Mannes, dessen Charisma und visionäre Kraft schon früh spürbar waren. Als knapp zwanzigjähriger makedonischer König beweist er Mut, politisches Geschick und Weitsicht. Freunde wie Feinde schauen ungläubig auf den jungen Herrscher. Sie ahnen nicht, dass dies erst der Anfang ist...



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05.08.2024 um 12:48
Elena Ferrante - Meine geniale Freundin

Ferrante-Freundin

Dies ist der erste Teil der vierteiligen Neapel-Saga der unter einem Pseudonym veröffentlichenden Schriftsteller:in Elena Ferrante, der in den 2010er Jahren einen ziemlichen Hype auslöste. Es geht um zwei 1944 im neapolitanischen Kleinbürgerviertel Luzzatti zur Welt gekommene Frauen: Raffaella Cerullo (Lina, Lila) und Elena Greco (Lenuccia, Lenu). Letztere schreibt ihre Lebensgeschichte auf und beginnt im Prolog damit, dass ihre Freundin Lila mit 66 Jahren im Jahr 2010 spurlos verschwunden ist. Wir erfahren zunächst nur, dass Elena in Turin lebt. Danach beginnt sie in Ich-Form die gemeinsame Lebensgeschichte aufzuschreiben, die im ersten Band damit endet, dass Lila mit 16 Jahren (1960) heiratet und mit ihrem Mann in eine kleine Eigentumswohnung zieht.

Wir lernen die beiden Mädchen im Neapel der 1950er Jahre kennen und ihr Freundschaftsgeflecht zu Gleichaltrigen, deren Familien Krieg und Faschismus unterschiedlich erlebt haben, manche waren bei den Faschisten und wurden relativ wohlhabend, andere waren bei den Kommunisten im Widerstand (es gibt auch einen Mord eines kommunistischen Vaters an einem faschistischen Vater). Der Handel wird von der Camorra dominiert, einer der Jungen wird auch Mitglied. Da Ferrante strikt aus der Perspektive Lilas, also eines Kindes schreibt, erhalten wir keine tiefergehenden Einblicke in die politischen bzw. kriminellen Geflechte. Gegen Ende wird betont, dass die Jugend anders sein wollte als ihre Eltern.

Das politische Geflecht der verschiedenen Familien wird so beschrieben.
Den Faschismus, den Nazismus, den Krieg, die Alliierten, die Monarchie, die Republik, alles das ließ sie zu Straßen, Häusern, Gesichtern werden. Don Achille und der Schwarzmarkt; Peluso, der Kommunist; der Großvater der Solara-Brüder, der Camorra-Mitglied war; deren Vater Silvio, ein schlimmerer Faschist als Marcello und Michele; Lilas Vater, der Schuster Fer-nando, und mein Vater, alle, alle, alle waren sie in ihren Augen auf der ganzen Linie mit finstersten Untaten befleckt, alle waren sie hartgesottene Verbrecher oder duldsame Komplizen, alle gekauft mit ein paar Brotkrumen. Lila und Pasquale sperrten mich in eine schreckliche Welt, aus der es kein Entrinnen gab.
Und weiter:
Lila zufolge wollte Stefano alles auf null stellen. Er wollte versuchen, aus dem Früher auszubrechen. Wollte nicht wie unsere Eltern so tun, als wäre nichts gewesen, sondern im Gegenteil einen Satz geltend machen wie: »Ich weiß, mein Vater war der, der er war, doch jetzt bin ich da, wir sind da, und damit basta.« Kurz, er wollte dem ganzen Rione zu verstehen geben, dass er nicht Don Achille war und dass auch die Pelusos nicht der ehemalige Tischler waren, der ihn umgebracht hatte.
Beide Mädchen sind in der Grundschule sehr gute Schülerinnen (Lila immer besser als Lenu), doch Lila (Tochter eines Schusters) durfte nicht in höhere Schulen, sondern begann in der Schusterwerkstatt zu arbeiten. Lenu (Tochter eines Pförtners) durfte weitergehen und ist mit der Zeit auch im Gymnasium die beste Schülerin. Die Freundschaft reißt nicht ab, Lila liest sehr viel in ihrer Freizeit und lernt auch ohne Schule Latein, Griechisch und Englisch, wobei sie besser und schneller ist als Lenu. Überhaupt wird Lila sehr übertrieben dargestellt: Sie ist zwar ruppig, entwickelt sich spät, jedoch zu einer "Filmschönheit", einmal wird sie mit der Venus von Botticelli verglichen, spricht nicht nur rauen Dialekt, sondern auch gepflegtes Italienisch in Wort und Schrift, ist fleißig, arbeitssam, ordentlich und designt bereits als Kind Schuhe. Ihr Verlobter kauft sich in die Schusterwerkstatt ein und sie beginnen schließlich mit der Produktion ihrer Entwürfe (ob sie erfolgreich sein werden, bleibt noch offen). Die Figur Lilas ist etwas dick aufgetragen.

Lenu reflektiert viel über die Pubertät und ihre wankelmütige Zuneigung zu verschiedenen Jungen, auch von ihren sexuellen Erfahrungen (wird zum Teil explizit geschildert). Während eines Erholungsaufenthalts auf Ischia wird auch von der Zudringlichkeit des Vaters eines der umschwärmten Jungen erzählt. Vergewaltigt wird sie nicht, aber sexuell belästigt (Griff zwischen die Beine).

Gegen Ende des Romans fühlt sich die 16-jährige Lenu nach der Hochzeit ihrer Freundin immer mehr von ihrem Stadtteil entfremdet, da sie ja in zwei Jahren das Abitur ablegen werde. Dies verunsichert sie:
Auf dieser Fahrt zur Via Orazio begann ich mich deutlich als Fremde zu fühlen, die unter der eigenen Fremdheit litt. Ich war mit diesen Jungen aufgewachsen, hielt ihr Benehmen für normal, ihre grobe Sprache war meine. Doch ich ging seit nunmehr sechs Jahren einen Weg, über den sie überhaupt nichts wussten, den ich jedoch so hervorragend meisterte, dass ich die Beste war. Bei ihnen konnte ich nichts von dem anwenden, was ich Tag für Tag lernte, ich musste mich zurücknehmen, mich gewissermaßen herabsetzen. Was ich in der Schule war, musste ich hier beiseitelassen oder gegen sie vewenden, um mir Respekt zu verschaffen.
Auf wen sich der Titel bezieht, ist nicht klar. Eigentlich wäre es die überzeichnet dargestellte Lila, weil sie in allem besser und auch schöner ist, doch sagt diese einmal zu Lenu, dass diese ihre "geniale Freundin" sei.

Der Roman ist flott geschrieben, aber da die Perspektive des Mädchens über das aktuelle Wissen nicht hinausgeht, geht er - außer wenn es die Lebenswelt der Mädchen betrifft - nicht in die Tiefe, es bleiben Lücken. Der Eindruck bleibt, dass der Hype nicht zuletzt wegen des Rätsels, wer die Autor:in ist, so groß war.

Ein Kontinuitätsfehler sticht übrigens ins Auge, der vom Lektorat eigentlich hätte behoben werden können: 1960 gab es das Super-8-Filmformat noch nicht.


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06.08.2024 um 15:35
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 27.07.2024:Ob Verne mit diesem Roman eine ätzende Spitze gegen Großbritannien geschossen hat, kann ich nicht beurteilen, doch Foggs Lebensgewohnheit (immer gleicher Tagesablauf, nur das Whist-Spiel ist ein Hobby) wird von seinem lebensfrohen französischen Diener kontrastiert.
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 27.07.2024:Auch der britische Handel mit Opium nach China wird heftig kritisiert und die Folgen des Opiumkonsums werden anhand der Opiumcafés in Schanghai sehr plastisch vor Augen geführt.
Kapitän Nemo (in 20000 Meilen unter dem Meer) ist ein indischer Prinz, dessen Familie von den Briten umgebracht wurde. Eine kritische Haltung gegenüber den Briten ist typisch für Verne während Kritik am französischen Imperialismus für Verne ein Tabu bleibt.

In der Gesamtheit ist Verne jedoch ein sehr optimistischer Autor, der Wettkampf zwischen den einzelnen Nationen wird bei Verne wie ein Sportwettkampf gezeigt.


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06.08.2024 um 15:40
Zitat von parabolparabol schrieb:Kapitän Nemo (in 20000 Meilen unter dem Meer) ist ein indischer Prinz
Argh! Jetzt hast du gespoilert. Das lese ich gerade :D


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06.08.2024 um 18:08
@Narrenschiffer
Finde es eine beachtliche Leistung in welcher Zeit Du die Bücher "verschlingst", zumal es ja meist nicht gerade Bücher sind bei denen man nicht zumindest ein bisschen mitdenken müsste. Wie viel Zeit verbringst Du den am Tag mit Lesen?


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06.08.2024 um 18:16
Zitat von HexlerHexler schrieb:Wie viel Zeit verbringst Du den am Tag mit Lesen?
Wenn ich Zeit habe, 3-4 Stunden. Mein Vorteil: Ich habe keinen Fernseher mehr, der mir Zeit wegfrisst (früher waren es 3-4 Stunden sinnloses Rumzappen). Und wenn ich mal allein in einen Gastgarten gehe, habe ich mein altes iPad mit, das ich auf den Tisch stelle (ich lese das meiste elektronisch und markiere mir auch Stellen, die eine Bedeutung für mich haben, die ich dann fürs Lesetagebuch verwende).


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10.08.2024 um 11:45
Leutnant Blueberry 6
Ein Western-Comics von Giraud (Moebius) auf sehr hohem graphischen Niveau

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10.08.2024 um 13:35
Jules Verne - Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

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Dieser im Jahr 1867 spielende und 1869 veröffentlichte Roman über ein Unterseeboot namens Nautilus eines Kapitäns Nemo ist vermutlich auch wegen der Verfilmungen bekannt.

Der Plot: Mehrere Schiffe sind von einem Meerungeheuer versenkt worden und ein US-amerikanisches Marineboot macht sich auf die Suche nach diesem. Im Nordpazifik trifft man auf dieses und im Kampf geht das Schiff unter. Der französische Naturforscher Pierre Aronnax, dessen belgischer Diener Conseil sowie der kanadische Waljäger Ned-Land gehen über Bord und werden von dem Ungeheuer gerettet. Es ist ein U-Boot. Dessen Kapitän Nemo verfügt über unermesslichen Reichtum und hat der Welt nach der Vernichtung seiner Familie durch "irdische Mächte" den Rücken gekehrt. Er lässt ein U-Boot nach seinen Plänen bauen, das auch in große Tiefen tauchen kann, fährt durch die Weltmeere, ernährt sich und seine Crew, die im Dunkel bleibt, von den Nahrungsmitteln des Meeres, und die für die Batterien notwendige Energie erhält er durch Steinkohle, die er unter dem Meeresboden einsammelt.

Die drei Geretteten dürfen das Schiff nicht mehr verlassen, da das Geheimnis des U-Bootes nicht verraten werden darf. So fahren sie mit ihm vom Japanischen Meer, durch die Torres-Straße, wo sie kurz steckenbleiben, in den Indischen Ozean und vom Roten Meer durch einen Wassertunnel im Suez-Gebiet ins Mittelmeer und von dort weiter in den Atlantik. Sie erreichen nach einem Besuch der Ruinen von Atlantis den Südpol (damals war der Kontinent Antarktis nicht bekannt). Beinahe werden sie festgefroren, können sich aber befreien. Nordwärts stoßen sie nach Kampf mit einem Riesenkalmar auf ein Kriegsschiff einer unbekannten Nation, das Nemo angreift und zerstört. Die daran anschließende emotionale Verwirrung des Kapitän nutzen die Drei, um zu fliehen. Auf den Lofoten werden sie nach zehn Monaten auf der Nautilus und einer Fahrtstrecke von etwa 20.000 Meilen von einer Fischerfamilie aufgenommen. Über das weitere Schicksal der Nautilus und ihrer Besatzung erfahren wir nichts. Aronnax hofft, dass Nemos rächender Charakter ende und sein wissenschaftlicher siege.

Der Roman ist nicht "action packed" im Sinne eines modernen Thrillers. Großen Raum nehmen Naturbeschreibungen ein, selbst die Klassen der Knochen- und Knorpelfische werden wie in einem Lehrbuch gelistet. Conseil ist nicht nur Diener, sondern auch wissenschaftlicher Assistent. Während der ganzen Fahrt klassifiziert er neu entdeckte Tiere und Pflanzen. Auch Aronnax schreibt ein wissenschaftliches Tagebuch und schwankt zwischen Freiheitswillen wie wissenschaftlicher Faszination dieser Fahrt. Sehr kritisch wird die Interaktion Mensch-Natur gesehen, welche durch die Ausrottung von Lebewesen das ökologische Gleichgewicht störe.

Nemo über die Jagd auf Robben nördlich von Schottland:
Der Kapitän theilte mir mit, diese Striche seien ehemals von zahlreichen Robben bewohnt gewesen, aber die englischen und amerikanischen Wallfischjäger hätten in Zerstörungswuth durch Vernichtung der Erwachsenen sammt den trächtigen Weibchen Todesstille an der Stelle regen Lebens verbreitet.
Aronnax über die Gefahr der Ausrottung der Manati (einer Sehkuhart) im Atlantik:
Und wissen Sie, fügte ich bei, was erfolgt ist, seit die Menschen diese nützlichen Racen fast ganz vernichtet haben? Die verfaulten Gewächse haben die Luft verpestet und das gelbe Fieber erzeugt, wodurch diese herrlichen Gegenden verödet werden. Die Giftpflanzen sind unter diesen Meeren der heißen Zone zahlreicher geworden, und das Uebel hat sich von der Mündung des Rio de la Plata bis nach Florida unwiderstehlich entwickelt!
Und darf man Touffenel glauben, so ist diese Plage noch unbedeutend gegen die, welche unsere Nachkommen treffen wird, wann die Wallfische und Robben in diesen Meeren vertilgt worden sind. Dann werden sie, voll Polypen, Quallen, Kalmar, ungeheure Heerde der Verpestung, weil es nicht mehr die weiten Magen giebt, welche von Gott beauftragt sind, die Oberfläche des Meeres abzuschäumen.
Nemo über die Gefahr der Ausrottung der Wale:
Hier aber wäre es tödten, nur um zu tödten. Ich weiß zwar, daß dies ein Vorrecht des Menschen ist, aber ich lasse so mörderischen Zeitvertreib nicht gelten. Wenn Ihr den südlichen Wallfisch ebenso wie den nördlichen vernichtet, unschädliche und nützliche Geschöpfe, so ist das zu tadeln. So hat man bereits die ganze Baffinsbai verödet, und so wird man eine Classe nützlicher Thiere ausrotten.
Mit diesen Worten hält Nemo Ned-Land davon ab, einen Wal zu erlegen, um ihn als Nahrungsmittel an Bord zu holen. Eigenartig ist jedoch, dass Nemo Pottwale zu schädlichen und unnützen Tieren zählt und die Crew der Nautilus tötet Hunderte Pottwale eines Schwarms, sodass sogar Ned-Land entsetzt ist.
Das Meer war mit verstümmelten Leichnamen bedeckt. Eine fürchterliche Explosion hätte nicht ärger zerrissen, zerschnitten, zersetzt, wie hier mit diesen Massen geschehen war. Wir schwammen mitten durch die Riesenkörper mit bläulichem Rücken und weißlichem Bauch. Einige Pottfische flohen voll Entsetzen nach dem Horizont. Einige Meilen weit waren die Wogen roth gefärbt, und der Nautilus schwamm durch ein Blutmeer.
Der Kapitän Nemo kam zu uns.
- Nun, Meister Land? sagte er.
- Ei nun, mein Herr, erwiderte der Canadier, dessen Enthusiasmus sich gelegt hatte, es ist ein erschrecklicher Anblick, wirklich. Aber ich bin kein Metzger, sondern ein Jäger, und das ist eine Metzelei.
Interessant ist auch der soziale Aspekt. Kapitän Nemo ist nicht im Sinne der späteren James Bond-Bösewichte gestaltet. Er zeigt für Arme (zu den Perlenfischern von Ceylon, deren Schätze seit 1802 von Großbritannien lukriert werden, hat er Kontakt) bzw. vom Kolonialismus unterdrückte Völker nicht nur Sympathie, sondern unterstützt sie auch finanziell mit seinem Reichtum an Schätzen. So zum Beispiel die Freiheitskämpfer von Kreta gegen das Osmanische Reich. In der Bucht von Vigo hebt er aus einem untergegangenen Schiff einen Goldschatz, den er für Freiheitskämpfe zur Verfügung stellen will.

Über die schwere Tätigkeit der kolonialen Perlenfischer lässt Verne Kapitän Nemo sagen:
wenn die armen Kerle wieder an Bord kommen, strömt ihnen Wasser mit Blut vermischt aus Nase und Ohren. Ich glaube, daß die Durchschnittszeit, welche diese Fischer es aushalten können, nur dreißig Secunden beträgt, während dessen sie in aller Eile mit einem kleinen Netz alle Perlmuscheln, deren sie habhaft werden können, zusammenraffen; aber im Allgemeinen werden diese Fischer nicht alt; sie bekommen schwache Sehkraft, es bilden sich Geschwüre an ihren Augen und zeigen sich Wunden über dem ganzen Körper; und oft auch werden sie auf dem Meeresgrunde vom Schlage getroffen.
Und weiter (Dialog Nemo - Aronnax):
- Zu Panama verdienen sie nur einen Dollar die Woche. Meistens bekommen sie nur einen Sou für die Muschel mit einer Perle, und wie viele bringen sie herauf, welche keine enthalten.
- Ein Sou den armen Leuten, welche ihre Herren bereichern! Das ist abscheulich!
Auf der anderen Seite nimmt sich Nemo das Recht heraus, die drei Geretteten lebenslänglich auf dem U-Boot festzuhalten und über die Versenkung des Kriegsschiffes äußert er:
Ich bin im Recht, ich übe Gerechtigkeit! sprach er zu mir. Ich bin unterdrückt, und hier ist der Unterdrücker! Durch ihn hab' ich Alles verloren, was ich geliebt und verehrt habe; Vaterland, Weib, Kinder, Vater, Mutter, das Alles sah ich zu Grunde gehen! Dort ist Alles, was ich hasse!



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10.08.2024 um 13:59
Tage der Hoffnung

3. Teil die 50er Jahre - Die Schwestern vom Ku'damm von Brigitte Riebe
Sehr schön zu lesen!


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11.08.2024 um 09:35
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Der Roman ist nicht "action packed" im Sinne eines modernen Thrillers. Großen Raum nehmen Naturbeschreibungen ein, selbst die Klassen der Knochen- und Knorpelfische werden wie in einem Lehrbuch gelistet
Ich finde, die Naturbeschreibungen sind ein High Light bei Jules Verne. Es ist eine Mischung aus Actionhandlung, die immer wieder durch naturwissenschaftliche Exkurse unterbrochen wird.

Bei Stanislaw Lem z.B. ist es ähnlich, ausführliche Beschreibungen von außerirdischen Landschaften oder philosophische Betrachtungen sind immer ein Teil seiner Romane und Geschichten.


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