Franz Grillparzer - Ein Bruderzwist in HabsburgDass Grillparzer 1848 das Stück vollendet hat, ist bedeutender als die Uraufführung 1872. Warum? Hauptfigur ist der in Prag vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs residierende Kaiser Rudolf II., dem Handlungsunfähigkeit nachgesagt ist und der in einem schleichenden Putsch durch seinen Bruder Matthias gemeinsam mit weiteren Erzherzögen aus der Familie der Habsburger entmachtet wurde. Ihm blieb bis zu seinem Tod 1612 letztlich nur noch der Kaisertitel, residierte aber im Hradschin ohne jegliche Machtbasis.
Grillparzer nahm den historischen Rudolf als Ausgangspunkt dieser historischen Haupt- und Staatsaktion, um seine eigenen Ideen von Herrschaft und Reich zu präsentieren und eigentlich den österreichischen Kaiser Ferdinand anzusprechen, der schließlich bei der Revolution 1848 abdankte, wodurch der junge Franz Joseph zum Kaiser wurde.
Dabei drehte Grillparzer ordentlich an der historischen Schraube, sein Rudolf starb 1618 während der Aufstände in Prag, die schließlich nach dem Fenstersturz zum Dreißigjährigen Krieg führten. Im fünften Akt lässt er Wallenstein in Wien auch noch einen langen, dreißigjährigen Krieg prophezeien.
Warum tut er das? Rudolf ist zum Teil sicherlich Sprachrohr seiner eigenen Überzeugungen, auch wenn er definitiv nicht als Guter, sondern auch als jähzorniger Herrscher porträtiert ist, der über Leichen geht. So lässt er seinen illegitimen Sohn elendiglich verbluten, weil dieser durch sein eifersüchtiges Handeln (er wurde von der Tochter eines Prager Bürgers abgewiesen) die friedliche Stabilität gefährdet.
Auch ist Rudolf einerseits sehr tolerant gegenüber den Protestanten, andererseits lehnt er einen Friedensschluss mit den Türken ab. Begründung? Ein äußerer Feind ist die beste Abwehr gegen einen Bürgerkrieg, vor dem er zurückschreckt.
RUDOLF: Fluch jedem Krieg! Doch besser mit den Türken
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsschlachten.
Wenn die kaiserliche Herrschaft geschwächt wird, dann kommen die Fürsten mit ihrem Ansinnen, unter ihnen die Adeligen und schließlich das nicht adelige Volk, das "Scheusal" genannt wird. Grillparzers Angst vor einer Revolution wird in wenigen Sätzen formuliert.
RUDOLF: Der Reichsfürst will sich lösen von dem Reich,
Dann kommt der Adel und bekämpft die Fürsten;
Bis endlich aus den untersten der Tiefen
Ein Scheusal aufsteigt, gräßlich anzusehn,
Mit breiten Schultern, weitgespaltnem Mund,
Nach allem lüstern und durch nichts zu füllen.
Sein Bruder Matthias hingegen lässt sich von den Erzherzögen der Familie in einen Waffenstillstand treiben. Rudolf kommentiert dies lakonisch:
Ihr habt gehandelt, wohl! Das Tor geht auf
Und eine grasse Zeit hält ihren Einzug.
Matthias ist als König von Ungarn, König von Böhmen und Erzherzog von Österreich am Ende doch auch nur ein Getriebener von den radikalen antiprotestantischen Erzherzögen Maximilian und Ferdinand, die Matthias machtlos werden ließen, da sie seinen Berater Bischof Klesel davonjagten. Auch diese Geschichte ist schwierig zu lesen, da die Story hinten und vorne chronologisch nicht mit den realen Ereignissen zusammenpasst.
Grillparzer hat sich da etwas zusammengschustert, das seine doch sehr pessimistische Weltsicht stützt, dass nämlich der Zusammenbruch des Reichs eine göttliche Ordnung zerstöre, wobei diese göttliche Ordnung wiederum einem gewalttätigen Intrigenhaufen zusammengehalten wird. Es ist eine Art Catch 22: Wie auch gehandelt (oder nicht gehandelt) wird, es läuft in Richtung Katstrophe. Rudolf formuliert dies in Bezug auf die böhmischen Protestanten:
Hätt' ich gehört auf das, was dorther tönt,
Wär' längst getilgt die Lehre samt den Schülern
Und in Verbannung geiferte der Trotz.
Ich aber duldete mit Vaterliebe,
Die Überzeugung ehrend selbst im Irrtum.
Verflolgt ward niemand wegen seiner Meinung:
Ich bin so gut nicht, als es etwa scheint -
Die anderen nennen's schwach, ich nenn es gut.
Denn was Enschlossenheit den Männern heißt des Staats
Ist meistenfalls Gewissenlosigkeit,
Hochmut und Leichtsinn, der allein nur sich
Und nicht das Schicksal hat im Aug' der andern;
Indes der gute Mann auf hoher Stelle
Erzittert vor den Folgen seiner Tat,
Die als die Wirkung eines Federstrichs
Glück oder Unglück forterbt späten Enkeln.
Das ist nicht Rudolf. Das ist Grillparzer. Der düstere Prophet des Kommenden.
Als Theaterstück und auch durch die Geschichtsklitterungen wohl kein großer Wurf, die Idee jedoch, die dahintersteckt und phasenweise formuliert wird, die lässt erschaudern. Ein Stück am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs, der ein Viertel der Bevölkerung dahinraffte, als Vorausschau auf Kommendes.