Gedichte: Tragik
28.01.2013 um 16:01Des Grabes Blumen
Stunden Zwei an einem Grabe,
Nach den Blumen hingewendet,
Sinnend, wer die Liebesgabe
Diesem stillen Grab gespendet.
Sprach der Eine: "glaube immer,
Daß die Blumen selbst entsprungen,
Daß der helle Blumenschimmer
Ist aus ihrem Grab gedrungen.
Denn als sie, die wundervolle
Blüth', der düstre Schnitter mähte
Und sie in des Grabes Scholle,
In die tiefe Furche, säte:
Mußte solche heil'ge, klare
Schönheit bald das Grab bezwingen
Und sich aus der dunkeln Bahre
An das Licht als Blüthe schwingen.
Und ich glaube, daß ihr blauend Aug',
das stets so freundlich lachte -
Nach den lieben Freunden schauend,
Als Vergißmeinnicht erwachte."
Sprach der Andre: "glaube immer,
Daß die Blume selbst entsprungen,
Daß der helle Blumenschimmer
Ist aus ihrem Grab gedrungen.
Denn als sie, die wundervolle
Blüth', der düstre Schnitter mähte
Und sie in des Grabes Scholle,
In die tiefe Furche, säte:
Mußte solche reiche Güte,
Als ihr Busen eingeschlossen,
Wol als eine lichte Blüthe
Durch den Bahrendeckel sprossen.
Glaube, daß ihr liebeglühend
Herze, das die Welt umfangen —
Ist als Rose, purpurblühend,
Tausendblättrig aufgegangen."
Ludwig Pfau