Gedichte: Tragik
19.01.2013 um 21:52Baldurs Erlösung
Als Baldur auf den Scheitern lag,
Vor Trauer erblich der lichte Tag.
Da ist von Hermodur dem Helden
Ein herrlicher Ritt zu melden.
Auf Odins Hengste, Sleipnir genannt,
Stob er hinab, vom Vater gesandt,
Den theuern Bruder zu lösen
Aus Helas Hause, der bösen.
Tiefe dunkle Thäler, all unerhellt,
Neun Tage ritt der göttliche Held:
Da hört er den Strom erbrausen,
Dahinter die Leichen Hausen.
Ueber die Brücke kam er gefegt,
Die stand mit glänzendem Golde belegt.
Modgudr bewacht da die Marke,
Vom Stamm der Iötune, die starke.
"Wer bist du?" fragt ihn die Riesenbraut,
"Und warum schallt dein Huf so laut,
Denn unter dir donnert die Brücke,
Ich fürchte, sie bricht noch in Stücke.
"Sie donnerte gestern nicht so sehr:
Da ritten Gestorbner fünf Rotten daher.
Auch hast du, ich bin ein Kenner,
Nicht die Farbe todter Männer."
Da sprach Hennodur: "Ich reite zu
Hel Baldurn zu suchen, ich hab es nicht Hehl.
Sahst du ihn reiten, den guten,
Hier über die Gjallarfluten?"
"Wohl sah ich ihn reiten," sprach die Maid,
"Mit ihm fünf Rotten als Todtengeleit.
Du kommst nicht zu Hel, mein Ritter:
Das wehrt ein goldenes Gitter.
"Doch willst dus versuchen, ich weiß den Weg:
Hier nördlich geht es zu Hels Geheg."
Da ritt er fürder, der Ritter:
Ihn hemmte lein goldenes Gitter.
Die Sporen gab er dem göttlichen Hengst
Und hinter ihm lag das goldene längst.
Da sah er Hel, die fahle,
Sein harrend stehn vor dem Saale.
"Ich biete dir herrliches Lösegeld
Für Baldur; ihn Nagt die ganze Welt,
Die Wesen beweinen ihn alle:
Entlaß ihn denn, Hel, deiner Halle." —
"Bewährst du mir was dein Mund gesagt,
Daß ihn die ganze Welt beklagt,
Ihn alle Wesen beweinen,
So fahr er heim zu den Seinen.
"Wenn aber Eines widerspricht,
Und wiß nicht klagen und weinen nicht,"
Sprach Hel zu dem Götterboten,
"So bleib er hier bei den Todten."
Die Antwort brachte Hermodur zurück;
Da lachte den Göttern goldenes Glück:
Sie hofften in Glasors Auen
Den Geliebten wiederzuschauen.
Da sandten sie Boten in alle Welt:
"Und Wem der Schönste der Asen gefällt,
Der laße die Thronen rinnen,
So mag er ihn wiedergewinnen."
Da weinte Mensch und Thier gemein,
In der Erde weinte Erz und Gestein,
Im Walde die Eichen und Fichten,
Sie weinten um Baldur den lichten.
Den guten Baldur beklagten laut
Das Meer und der Wind und die Windesbraut;
Ihn klagten in himmlischer Ferne
Die Sonne, der Mond und die Sterne.
Und Waßer und Feuer und Erd und Luft
Und Berg und Thal und Felsenschluft,
Der Tag mit Abend und Morgen,
Sie weinten um Baldur in Sorgen.
Sie weinten manchen Eimer voll
Und schickten zu Hel der Thränen
Zoll Und baten: "Nun thu so bieder
Und sende den Schönen uns wieder."
Da saß versteckt im Nergesschacht
Die störrische Riesin in ewiger Nacht.
Die wollte Baldurn nicht klagen:
Mit Höhnen begann sie zu sagen:
"Nicht im Leben und nicht im Tod
Frommte mir Baldur ein halbes Brot.
Behalte Hela die Beute:
Ich wein ihn nicht morgen noch heute."
So blieb der Gott in Hels Gewalt:
Doch kommt der letzte der Tage bald,
Dann soll die Welt sich erneuen
Und Baldur uns wieder erfreuen.
Karl Simrock