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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

11.12.2012 um 21:19

Der Ritter und die Magd


Es spielt ein Ritter mit seiner Magd,
Bis an den hellen Morgen.

Bis daß das Mädchen schwanger war,
Da fing es an zu weinen;

»Wein' nicht, wein' nicht, braun's Mädelein,
Dein Ehr will ich dir zahlen,

Ich will dir geben den Reitknecht mein,
Dazu fünfhundert Thaler.«

»Den Reitknecht und den mag ich nicht,
Will lieber den Herrn selber;

Wann ich den Herrn nicht selber krieg,
So geh ich zu meiner Mutter,

In Freuden bin ich von ihr gangen,
In Trauer wieder zu ihr.«

Und da sie vor die Stadt Augsburg kam,
Wohl in die enge Gasse,

Da sah sie ihre Mutter stehn,
An einem kühlen Wasser.

»Bist du willkommen liebs Töchterlein,
Wie ist es dir ergangen,

Daß dir dein Rock von vorne so klein,
Und hinten viel zu lange?«

»Und wie es mir ergangen ist,
Das darf ich Euch wohl sagen:

Ich hab mit einem Edelherrn gespielt,
Ein Kindlein muß ich tragen.«

»Hast du mit einem Edelherrn gespielt,
Das sollst du niemand sagen.

Wenn du dein Kindlein zur Welt gebierst,
Ins Wasser wollen wirs tragen.«

»Ach nein, ach nein, liebe Mutter mein,
Das wollen wir lassen bleiben.

Wann ich das Kind zur Welt gebähr,
Dem Vater will ich zuschreiben.

Ach Mutter, liebe Mutter mein,
Machet mir das Bettlein nicht zu klein,

Darin will ich leiden Schmerz und Pein,
Dazu den bittern Tod.«

Und da es war um Mitternacht,
Dem Edelherrn träumt es schwer:

Als wenn sein herzallerliebster Schatz
im Kindbett gestorben wär.

»Steh auf, steh auf, lieb Reitknecht mein,
Sattle mir und dir zwey Pferd,

Wir wollen reiten bey Tag und Nacht,
Bis wir den Traum erfahren.«

Und als sie über die Heid 'naus kamen,
Hörten sie ein Glöcklein läuten.

»Ach großer Gott vom Himmel herab,
Was mag doch dieß bedeuten.«

Als sie vor die Stadt Augsburg kamen,
Wohl vor die hohe Thore,

Hier sahen sie vier Träger schwarz,
Mit einer Todenbahre.

»Stellt ab, stellt ab, ihr Träger mein,
Laßt mir den Todten schauen,

Es möcht meine Herzallerliebste sein
Mit Ihren schwarzbraunen Augen.

Du bist fürwahr mein Schatz geweßt,
Und hast es nicht geglaubet.

Hätt dir der liebe Gott das Leben geschenkt,
Fürwahr ich hätt dich behalten.

Hast du gelitten den bittern Tod,
Jezt leid ich große Schmerzen.«

Er zog das blanke Schwerdt heraus
Und stach es sich ins Herze.

»O nein! o nein! o Edelherr, nein,
Das sollt ihr lassen bleiben,

Es hat schon manches liebe Paar,
Von einander müssen scheiden.«

»Macht uns, macht uns ein tiefes Grab,
Wohl zwischen zwey hohe Felsen.

Da will ich bey meinem herzliebsten Schatz,
In seinem Arm erstehen.«

Sie begruben sie auf den Kirchhof hin,
Ihn aber unter den Galgen.

Es stunde an kein Vierteljahr,
Eine Lilie wächst auf seinem Grabe.

Es stund geschrieben auf den Blättern da,
Beyd wären beisammen im Himmel.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

11.12.2012 um 21:20

Ritter St. Georg

Aus einem geschriebenen geistlichen Liederbuche vom Jahre1601.
in der Sammlung von Clemens Brentano.

In einem See sehr groß und tief,
Ein böser Drach sich sehen ließ.

Dem ganzen Land er Schrecken bringt,
Viel Menschen und viel Vieh verschlingt,

Und mit des Rachens bösem Duft
Vergiftet er ringsum die Luft.

Daß er nicht dringe zu der Stadt,
Beschloß man in gemeinem Rath,

Zwey Schaaf zu geben alle Tag,
Um abzuwenden diese Plag.

Und da die Schaaf schier all dahin,
Erdachten sie noch andern Sinn,

Zu geben einen Menschen dar,
Der durch das Loos gewählet war.

Das Loos ging um so lang und viel,
Bis es aufs Königs-Tochter fiel.

Der König sprach zu'n Burgern gleich:
»Nehmt hin mein halbes Königreich!

Ich gebe auch an Gut und Gold,
Von Silber und Geld so viel ihr wollt,

Auf daß mein Tochter, die einzig Erb,
Noch lebe, nicht so böß verderben

Das Volk ein groß Geschrey beginnt:
»Einem andern ist auch lieb sein Kind!

Hältst du mit deiner Tochter nicht
Den Schluß, den du selbst aufgericht,

So brennen wir dich zu der Stund
Sammt deinem Pallast auf den Grund.«

Da nun der König Ernst ersah,
Ganz leidig er zu ihnen sprach:

»So gebet mir doch nur acht Tag,
Daß ich der Tochter Leid beklag.«

Darnach sprach er zur Tochter sein:
»Ach Tochter, liebste Tochter mein!

So muß ich dich jetzt sterben sehn,
Und all mein Tag in Trauren stehn.«

Da nun die Zeit verschwunden war,
Lauft bald das Volk zum Pallast dar,

Und drohet ihm mit Schwerdt und Feuer,
Sie schrien hinauf gar ungeheuer:

»Willst du um deiner Tochter Leben,
Dein ganzes Volk dem Drachen geben?«

Da es nicht anders möcht gesein,
Gab er zuletzt den Willen drein.

Er kleidet sie in königlich Wat,
Mit Weinen und Klagen er sie umfaht.

Er sprach: »Ach weh mir armen Mann!
Was soll ich jetzund fangen an?

Die Hochzeit dein war ich bedacht
Zu halten bald mit herrlicher Pracht,

Mit Trommeln und mit Saitenspiel,
Zu haben Lust und Freuden viel.

So muß ich mich nun dein verwegen,
Und dich dem grausen Drachen geben.

Ach Gott, daß ich vor dir wär todt,
Daß ich nicht seh dein Blut so roth.«

Er gab ihr weinend manchen Kuß,
Sein Töchterlein fiel ihm zu Fuß:

»Lebt wohl, lebt wohl Herr Vater mein!
Gern sterb ich um des Volkes Pein.«

Der König schied mit Ach und Weh,
Man führt sein Kind zum Drachensee.

Als sie da saß in Trauren schwer,
Da ritt der Ritter Georg daher.

»O Jungfrau zart! gieb mir Bescheid,
Warum stehst du in solchem Leid?«

Die Jungfrau sprach: »Flieh bald von hier!
Daß du nicht sterben mußt mit mir.«

Er sprach: »O Jungfrau fürcht dich nicht,
Vielmehr mit Kurzem mich bericht,

Was deuts, daß ihr allein da weint,
Ein großes Volk herum erscheint?«

Die Jungfrau sprach: »ich merk ohn Scherz,
Ihr habt ein mannlichs Ritter Herz;

Was wollt ihr hier verderben,
Und mit mir schändlich sterben.«

Dann sagt sie ihm, wie hart und schwer,
Wie alle Sach ergangen wär.

Da sprach der edle Ritter gut:
»Getröstet seyd, habt freien Muth!

Ich will durch Hülf von Gottes Sohn,
Euch ritterlichen Beistand thun.«

Er bleibet fest, sie warnt ihn sehr,
Da kam der greuliche Drach daher.

»Flieht Ritter! schont das junge Leben,
Ihr müßt sonst euren Leib drum geben.«

Der Ritter sitzt geschwind zu Roß,
Und eilet zu dem Drachen groß.

Das heilge Kreuz macht er vor sich,
Gar christenlich und ritterlich.

Dann rannt er an mit seinem Spieß,
Den er tief in den Drachen stieß,

Daß gähling er zur Erden sank,
Und saget Gott dem Herren Dank.

Da sprach er zu der Jungfrau zart:
»Der Drache läßt von seiner Art.

Drum fürcht euch gar nicht dieses Falls,
Legt euren Gürtel ihm um den Hals.«

Als sie das thät, ging er zu Stund,
Mit ihm wie ein gezähmter Hund.

Er führt ihn so zur Stadt hinein,
Da flohen vor ihm groß und klein.

Der Ritter winket ihnen, sprach:
»Bleibt hie und fürchtet kein Ungemach.

Ich bin darum zu euch gesendt,
Daß ihr den wahren Gott erkennt.

Wann ihr euch dann wollt taufen lahn,
Und Christi Glauben nehmen an,

So schlag ich diesen Drachen todt,
Helf euch damit aus aller Noth.«

Alsbald kam da durch Gottes Kraft:
Zur Tauf die ganze Heidenschaft.

Da zog der Ritter aus sein Schwerdt,
Und schlug den Drachen zu der Erd.

Der König bot dem heilgen Mann
Viel Silber und Gold zu Ehren an,

Das schlug der Ritter alles aus,
Man solls den Armen theilen aus.

Als er nun schier wollt ziehen ab,
Die Lehr er noch dem König gab:

»Die Kirche Gottes des Herren dein,
Laß dir allzeit befohlen seyn.«

Der König baute auch mit Fleiß,
Der Mutter Gottes zu Lob und Preis,

Eine Kirche schön und herrlich groß,
Aus der ein kleiner Brunn herfloß.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

12.12.2012 um 20:37

Notburga Legende

Ein wüstes Schloß, das Hornberg heißt,
Von Eulen längst bewohnt,.
Durchirret noch des Fürsten Geist,
Der weiland dort gethront.

Er geht bei Nacht hervor und taucht
Ein Schwert, bedeckt mit Blut,
Das noch wie frisch vergossen raucht,
Tief in des Neckars Flut.

Umsonst! das Wasser wascht's nicht rein!
Er seufzt mit starrem Blick,
Hüllt ins Gewand den Blutstahl ein,
Und wankt zur Burg zurück. —

Einst Herzog und emporgeblüht
Zu königlicher Macht,
Doch rauh und finster von Gemüth,
Liebt' er nur Krieg und Schlacht.

Notburga, seine Tochter, war
Ein Engel, schön und gut.
Der jungen Ritter edle Schaar
Dient'ihr mit leiser Glut.

Und Hugo, mannigfalt erprobt
Als Biedermann und Held,
Gewann ihr Herz, und still verlobt
Zog freudig er in« Feld.

Nach fernen Landen zog er hin,
Durchkämpfte manche Schlacht,
Und seiner Herzenskönigin
Gedacht' er Tag und Nacht.

Ihr ewiger Gedanke blieb
Auch er, der theure Held,
Und außer ihm war nichts ihr lieb
Im ganzen Raum der Welt.

"Was schwankst Du wie im Traum herum?"
Fuhr einst ihr Vater auf.
"Du bist so bleich, so trüb und stumm,
Als ging ins Grab Dein Lauf."

"Frisch auf! bald tanzt ein Bräutigam
Mit Dir den Hochzeitreihn.
Er ist ein Fürst von edlem Stamm,
Und morgen trifft er ein!"

Erschrocken wagte sie kein Wort;
Ihr Herz nur sprach für sich:
"Nein, lieber geh ich leise fort,
Und berg' in Wüsten mich."

"Was gilt mir Ueberfluß und Pracht,
Wo ew'ger Gram mir drobt?
Viel süßer ist in Waldes Nacht
Ein frommer, treuer Tod."

Die Sonne sank, die Burgwelt schlief,
Notburga nur blieb wach,
Und einen alten Diener rief
Sie still in ihr Gemach.

"Freund," sagte sie, "ein hartes Loos
Bedroht mich hin mit Qual,
Und treibt mich aus der Heimath Schoos
Fort über Berg und Thal.

"Ein hohler Fels im fernen Hain
Sei Hafen meiner Flucht,
Mich dort dem Dienst des Herrn zu weihn,
Wo mich kein Auge sucht.

"Geleit' auf halbem Weg dahin
Den Waldberg mich hinab,
Und forscht mein Vater, wo ich bin,
So schweige wie das Grab!"

Des Greises Augen wurden feucht:
"Gott! eine Felsenschlucht,
Wo's Raubthier haust, die Schlange kreucht,
Wählt Ihr zum Ziel der Flucht?

"Zwar schlimmer ist oft Menschenart
Als Schlang' und reißend Thier,
Und wenn Ihr das mit Schmerz erfahrt,
Wohlan, so gehen wir!"

Als still vom Schloß aus ins Gefild
Der Wandrer Fuß nun trat,
Goß seine hellsten Strahlen mild
Der Mond auf ihren Pfad.

Bald sahn sie von des Waldbergs Wand
Den ganzen weiten Gau.
Des Neckars breites Silberband
Erglänzte durch die Au.

Und jenseits, wie ein Meer von Nacht,
Lag schauerlich ein Hain:
Der Wahlort, gegen Vatermacht
Der Treue Hort zu sein.

Doch dieser Freistatt sich zu nahn,
Schien unermeßlich schwer;
Denn kein erwartet Fahrzeug sahn
Sie auf dem Strom umher.

Ein Rauschen im Gebüsche drang
Der Jungfrau jetzt ins Ohr.
Es trat mit edel-stolzem Gang
Ein weißer Hirsch hervor.

Sanft schritt heran das hohe Thier,
Und neigte sein Geweih,
Als frommes Zeichen, daß es ihr
Zu dienen willig sei.

Und ihn verstand die junge Maid,
Die Furcht und Scheu bezwang,
Und sich mit rascher Freudigkeit
Auf seinen Rücken schwang.

Stracks lief der Hirsch die rechte Bahn,
Seht' in den Strom hinein,
Durchschnitt die Wellen, wie ein Schwan,
Und flog zum finstern Hain.

Am Morgen rief der Fürst durchs Schloßt
"Sagt an, wo ist mein Kind?"
Und sandte fort zu Fuß und Roß
Schier all sein Hofgesind.

Mit nichten aber that die Schaar
Den heißbegehrten Fund,
Und er, dem Alles kundig war,
Verschloß getreu den Mund.

Um Mittag stand der greise Mann
Am Thor mit schwerem Sinn,
Und sah, indeß sein Auge rann,
Starr nach dem Waldberg hin.

Da glänzte was am grünen Hang,
Wie neu gefallner Schnee.
Es war der weiße Hirsch, der sprang
Hernieder von der Höh'.

Und über Feld und Wiesenplan
Kam er zum Alten her,
Und sah ihn so vertraulich an,
Als hält' er ein Begehr.

"Was willst du, Thierlein? Drücket dich
Vielleicht des Hungers Noth? "
Sprach mild der Greis, entfernte sich,
Und bracht' ein Weizenbrod.

Drob zeigte sich vergnügt das Thier,
Und beugte sich dabei,
Als wollt' es bitten; Hefte mir
Das Brödlein ans Geweih!

Und kaum durchstach's der längste Stift,
Entsprang der Hirsch im Nu,
Und trug es in ein Felsgeklüft
Der Fürstentochter zu.

Und immer, wann der Glockenschlag
Der Mittagsstund' erklang,
Nahm er hinfort nun Tag für Tag
Ein Brödlein in Empfang.

So holt' er sich die Spend' am Thor
Drei Monden ohne Rast.
Jetzt kam sie zu des Fürsten Ohr,
Und er sah selbst den Gast.

Er nahm den Alten ins Verhör,
Und droht' ihm fürchterlich,
Bis sein Geheimniß bang und schwer
Ihm von den Lippen wich.

Dennoch empfing, auf Herrngebot,
Zur nächsten Mittagszeit
Notburga's Bote noch sein Brod,
Und Niemand that ihm Leid.

Doch als er wieder, wie ein Pfeil,
Den Berg hinüber schoß,
Folgt' ihm der Fürst mit Hast und Eil'
Auf flügelschnellem Roß.

Rasch ging's durch wildes Wogenspiel,
Und rasch den Hain entlang,
Bis dort der Hirsch an seinem Ziel
In eine Hohle sprang.

Das Roß, gehemmt vom straffen Zaum,
Stand still und schöpfte Luft.
Der Herzog band's an einen Baum,
Und bog sich in die Kluft.

Und wie ein Blick ins Todtenreich
Dünkt' und erschreckt' es ihn,
Als er die Tochter, geisterbleich,
Vor einem Kreuz sah knien.

Er donnerte:"„Was machst Du hier?"
Sie blickte schweigend auf.
Der treue Hirsch' lag neben ihr,
Entathmet noch vom Lauf.

"Sprich, Thörin!" fuhr der Herzog fort,
"Sprich, welches Unholds Macht
Trieb dich an diesen grausen Ort
Aus meines Schlosses Pracht?

"Verlaß die schauderhafte Kluft,
Und tödte nicht Dein Glück!
Des hohen Freiers Stimme ruft
Nach Hornberg Dich zurück."

"Nein, Vater!" sprach Notburga weich!
"Nein, Weltglück ist ein Traum!
Ich nähme nicht des Kaisers Reich
Für diesen kleinen Raum.

"Hier sei, von Menschen nicht vergällt,
Mein Leben Gott geweiht,
Und seinen Ruf in jene Welt
Empfing' ich gern noch heut." —

Er lacht' ihr höhnend ins Gesicht:
"Laß noch den Wolkenflug!
Die Welt, die uns der Pfaff verspricht,
Erblickt man früh genug.

"Komm jetzt nach Hornberg, wo das Glück
Dir jeden Wunsch gewährt.
Gehorch' in diesem Augenblick,
Sonst zwinget Dich mein Schwert!"

Still betend lag sie auf den Knien,
So hart er sie auch schalt.
Sie von der Erd' emporzuziehn,
Versucht' er nun Gewalt.

Allein die Dulderin umschlang
Das heil'ge Kreuz mit Muth;
Und als er lange fruchtlos rang,
Entbrannt' er bis zur Wuth.

In ausgereiztem Tigersinn
Sich seiner nicht bewußt,
Stieß er der frommen Märtyrin
Sein Schlachtschwert in die Brust.

Urplötzlich warf ein Donnerschlag
Ihn nieder in den Staub,
Und auf der Stelle, wo er lag,
Ward er des Todes Raub.

Die Höhle füllt' ein Engelchor,
Der sanft, wie Bienenflug,
Notburga's treue Seel' empor
Ins Reich des Friedens trug.

August Friedrich Langbein




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Gedichte: Tragik

12.12.2012 um 20:43

Tragik

Was mit unsäglichem Fleiß die Ameisen hier sich erbauet,
Spielend mit seinem Stock hat es ein Knabe zerstört.
So, was des Künstlers Gedanken mählich zum Kunstwerk gestaltet
Hat vernichtet im Nu oft schon ein kindischer Wicht.

Emil Peschkau




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Gedichte: Tragik

12.12.2012 um 20:45

Mein Unglück ist zu groß...

Mein Unglück ist zu groß /
zu schwer die Noth /
So mancher Hertzens-stoß
dreut mir den Todt.
Mein Schmertze weiß von keiner Zahl.
Vor / nach / und alle mahl’
häufft sich die Quahl.

Ein Mensch hat alle schuld /
das mich doch liebt.
Das weil es mir ist huld /
mich so betrübt.
Von Liebe kömmt mir alles Leid.
Ich weiß von keiner Zeit /
die mich erfreut.

Preist jemand ihre Pracht /
so wird mir weh.
Wer ihr gedenckt / der macht /
daß ich vergeh’.
Erinner’ ich mich denn der Pflicht /
was wunder ists / daß nicht
mein Hertze bricht.

Liecht ist ihr Augen-glantz /
klahr ihre Zier.
Das macht / daß ich mich gantz
verliehr in ihr.
Sie hat es / was mein Hertze sucht /
Scham / Schönheit / Jugend / Zucht /
der Tugend Frucht.

An Ihr liegt alles mir.
Was acht’ ich mich.
Mein Sinn ist freund mit ihr /
und hasset sich.
Was ich beginne spat und früh /
Was ich gedenck ist Sie /
die werthe die.

Sie hat mich gantz bey sich /
das schöne Kind.
Ihr auch zu lassen mich
bin ich gesinnt.
Die Treue / die sie mir verspricht /
find’ ich in solcher Pflicht
sonst nirgends nicht.

Und leb ich mich gleich todt
in solcher Pein /
noch hat es keine Noth;
Sie / sie kans seyn /
die mir das Leben wiedergiebt /
die mich so sehr betrübt
als sie mich liebt.

Ach! daß ich ihr mein Leid
nicht klagen kan!
Ich bin von Ihr zu weit
itzt abgethan.
Von scheiden kömmt mir alle Noth;
diß macht mich blaß für roth /
für lebend todt.

Läufft nun mein Glücke so?
Ach wehe mir.
O! warümm ward ich froh
von ihrer Zier?
Für jene kurtze Fröligkeit
hab’ ich ein langes Leid /
auff allezeit.

Bekenne selbst auff dich /
mein krancker Sinn /
hast du nicht Schuld / daß ich
so elend binn?
Warümm bewegte dich die Gunst?
Es war ja gar ümmsonst
mit deiner Brunst.

Leid’ ich für jene Lust /
so geht mirs recht.
Mir war nicht unbewust /
was Frucht sie brächt’.
Und gleichwol kunt ich gantz nicht ruhn;
Was mich betrübet nun
das must’ ich thun.

Euch klag’ ich erstlich an /
Ihr Augen ihr.
Wie habt ihr doch gethan /
so falsch an mir.
Verräther wart ihr meiner Pein.
Drüm müßt ihr ohne Schein /
und dunckel seyn.

Fliest / (denn diß sollet ihr
zur Busse thun /)
hinfürder für und für /
wie vor / und nun.
Quellt ewig / wie mein Schmertze quillt.
So wird mein Leid gestillt /
doch nie erfüllt.

Nicht aber läst mein Muth
Sie eins aus sich.
Das junge treue Blut
beherrschet mich.
So daß ich gantz nicht anders kan /
ich muß ihr ümm und an
seyn unterthan.

Liebt einer so / wie ich /
der sage mir /
wie er gehabe sich
bey Liebs-begier.
Ich fühle wol / was mich versehrt;
Noch gleichwol halt’ ich wehrt /
was mich gefährt.

Itzt ist es Mitternacht /
da alles ruht.
Mein munter Hertze wacht /
thut / was es thut.
Es denckt / von müden Thränen naß /
von ihr ohn unterlaß /
und weiß nicht was.

Ein Krancker / der gewiß
am Tode liegt /
der tröstet sich auff diß /
was er auch kriegt.
Das ist gewiß / ich muß dahin.
Doch bleib’ ich / wie ich bin /
frisch ohne Sinn.

Erbarmens bin ich werth.
Doch klagt mich nicht /
biß daß Sie von mir kehrt
der Liebe pflicht.
Doch wird Dianens Brudern schein
eh gehn am Himmel ein /
als dieses seyn.

Mit Gott und mit der Zeit
muß alles seyn.
Ein wechsel kehrt mein Leid
und gantze Pein.
Hat nichts / als Unbestand bestand /
So wird mein Ach zu hand
in Lust verwand.

Habt achtung auff mein Leid /
auff meine Quahl /
Ihr / die Ihr Wächter seyd
in Amors Saal’.
Hebt alle meine Thränen auff /
und schafft mir Freude drauff
für guten Kauff.

Ihr Sternen auch / die Ihr
vor habt geliebt /
und offtmahls / wie itzt wir /
auch wart betrübt /
Thut / wie man hat an euch gethan /
schreibt meine Seufftzer an
in Jovis Plan.

Vergeß’ ich meiner Pflicht /
ja / säum ich nur /
und halt’ ich dieses nicht /
was ich ihr schwur /
So sey mir Venus nimmer gut.
So quähle sich mein Muth /
wie er itzt thut.

Nein. Ich will feste stehn.
Sie / wie sie mir verspricht /
wird auch mir gleiche gehn
und wancken nicht.
Deß Hertzens / das sich selbst nicht schont
mit treue Treue lohnt
bin ich gewohnt.

So steht mein fester Schluß /
unwiederrufft.
Drauff schick’ ich diesen Kuß
Ihr durch die Lufft.
Diß Lied auch sey von meiner Hand /
als meiner Liebe Pfand /
Ihr zugesand.

Glückt mirs / und sagt nicht nein /
der alles fügt /
So soll sies einig seyn /
die mich vergnügt.
Mein letztes Wort ist: Treue Pflicht.
Treu’ ist es / der es spricht.
Mehr kan Er nicht.

Paul Fleming




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13.12.2012 um 01:58
Melancholie

Es lastet so schwer,
die Melancholie.
Doch brauch ich sie sehr,
sie gibt Energie.
Mein stetiger Begleiter,
auch wenn’s in mir bebt.
Du bringst mich weiter,
obwohl’s niemand versteht.
Du bist meine Liebe
und gibst mir Halt.
Ohne dich zerstiebe
und wäre alles eiskalt.

Was treibt mich voran
und gibt mir Mut?
Verleiht mir die Kraft,
tut unsagbar gut?
Du mein Gewinn,
ich vergiss dich nie.
Es ist nicht schlimm,
meine Melancholie.
Bin ich verrückt?
Ich weiss es nicht.
Zum guten Glück
gibt’s Tinte und Stift.

Schreib immer schneller,
nichts mehr im Griff.
Es wird immer heller
mit jedem Stück Schrift.
Verbeug mich vor dir.
Danke dir sehr.
Licht gibst du mir
und noch vieles mehr.
In dir bin ich erst
zufrieden und fröhlich.
Denn du hilfst und wehrst
und schützt mich ehrlich

Ich schliess meine Augen
und sauge dich auf.
Lass dich nicht berauben.
Du bist, was ich brauch.
Ich halte dich fest,
bitte verlass mich nie.
Ich lad dich zum Fest,
geliebte Melancholie.

Roland Appel


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Gedichte: Tragik

13.12.2012 um 17:44

Nachtstück

Ich kann nicht schlafen!
O hülle die Gedanken mir in Nacht,
Der du in Nacht gehüllt hast deine Erde,
Und lass mich ruhen, da ich müde bin -
So müde! ...

Still liege ich und wage nicht zu atmen,
Und regungslos erwarte ich den Schlaf,
Und hoffe, wenn ich so die Glieder fessle,
Dass mir der Geist erlahmt in seinem Sprunge
Und sacht entschwinden wird in Nacht und Traum -
Still liege ich, erwarte meinen Schlaf ...

Wie ist es dunkel doch, so still und dunkel,
Und lautlos eilend schwebt dahin die Zeit,
Die knappen Stunden schonungslos verschlingend,
Die mir zu kargem Schlummer noch bemessen
Wohl fühle ich, wie leichte Traumeswellen
Die müden Sinne überflutend nahn -

Das ist dein Kommen, grosser, heiliger Schlaf!

Noch höre ich das Pochen meines Herzens,
Und leise, leise, um es einzulullen,
Beginn' ich seinen hastigen Schlag zu zählen -
Ich zähle lange, und die Glieder ruhn ...

Doch wie ich zähle, wirft in meine Zahlen
Mir bunte Blumen meine Phantasie:
Ein abgerissenes Wort - verwirrte Blicke -
Ein süsser Duft, der einst den Sinn erfüllte -
Ein kurzes Schluchzen aus durchweinten Nächten -
Dann huscht ein Glanz aus fernen Jugendtagen
Vorbei und leuchtet und entschwindet - weit ...
Und wird zu einem altvertrauten Ton,
So lieb und fern, dass die Gedanken eilen,
Um ihn zu suchen und ihn festzuhalten -
Ein scheuer Vogel über dunklen Wassern,
So flattert meine Seele, ängstlich suchend,
Über den Tiefen der Vergangenheit ...
Und was ich that in meinen bösen Stunden,
In guten unterlassend nicht gethan -
Nun sucht es mich in meinen stillen Nächten
Und zieht vorbei wie wirre Wandelbilder,
Mich mit Erinnerung quälend heiss und schwer ...

Mit müder Hand zerwühle ich mein Kissen
Und berge tief den Kopf in seine Falten -
Ich will vergessen und vergessend ruhn!
Doch wie bewegt von einem fremden Willen,
Wälzt sich mein Leib im Fieber hin und her,
Mit heftigen Schlägen qualvoll klopft mein Herz,
So schmerzhaft, dass ich jene Stelle suche -
Ich will es meistern und zur Ruhe bringen,
Ich will dich zwingen, widerspänstiger Muskel,
Und dich, du toller zügelloser Geist -
Bin wehrlos ich in eure Macht gegeben? ...

Ich schmiege meine Glieder an einander
Und ball' sie in des Bettes Mitte fest,
Mit starkem Willen die Gedanken bannend -
Und wieder lieg' ich regungslos und warte ...
Dann fühl' ich mählig Ruhe mich durchdringen
Und lächle still - ein selig dankbar Lächeln -
Was Liebes, Gutes huscht mir durch den Sinn,
Noch eh' die Seele ihre Pforte schloss -
Und wieder lächle ich und sink' in Schlummer ...

Du trügerischer Schlummer, falsche Wohlthat,
Du nahmst mir das Bewusstsein meiner Sinne
Und gabst mich frei dem Wallen meines Blutes,
Und böse Träume füllen nun mein Hirn -
Ich sehe ekles Untier mich umschleichen -

Ein Grauen schüttelt mich - ich möchte fliehn -
Und rühr' mich nicht - ich seh' es näher kommen -
Ich fühl's herauf an meinen Gliedern kriechen ...
Da dringt ein dumpfer Angstschrei durch die Stille,
Ich schnell' empor und starr' entsetzt ins Dunkel,
Und zitternd, tastend sucht die Hand das Licht -
Als ob die Sonne in mein Zimmer träte,
So wohl wird mir beim Anblick seines Scheins!
Doch drüben von der Wand wirft mir ein Spiegel
Mein Bild zurück, ich schaue fremd hinein -
Wie müd' und trüb' die starren Augen blicken,
Von dunklen Rändern ringsum tief umschattet!
Den blassen Mund umziehen wehe Falten,
Von unterdrückten Thränen eingegraben,
Und bleich und hager sind die welken Wangen,
Das Haar zerwühlt und aufgelöst die Flechte,
Das Nachtgewand verschoben und zerdrückt, -
So trostlos-traurig bin ich anzusehn,
Dass jähes Mitleid mit dem eigenen Kummer
Vor diesem Bild mir heiss zu Herzen steigt.

Ich lehn' mich an des Spiegels kalte Scheibe,
Ich will nicht wieder in mein Bett zurück!
Mir ward es nicht zur Quelle süssen Friedens,
Ich fand nicht Ruhe drin und nicht Vergessen,
Noch Kraft zu tragen meinen neuen Tag.
Qualvolle Stunden gab es mir in Fülle,
Die Lust am Leben hat es mir geraubt
Und müde mich gemacht - so alt und müde.
Ich seh' es bitter an, wie es da steht,
Verwüstet und zerstampft, als ob ein Paar
Nach heissem Liebeskampfe es verlassen -
Und mich vertrieben wüste Träume draus!

Ein Frösteln schüttelt mich -
Ich steh' und starre stumpf ins Licht -
Es leuchtet mit gespenstig blauer Flamme -
Und zuckt - und flackert - und verlischt ...

Kalt bricht der Morgen in den dunklen Raum. -
Da plötzlich dringt mit schweren dumpfen Schlägen
Ein fernes Dröhnen her, zu mir herein,
Ein Brausen wie von mächtigen Orgeltönen:
Die Glocke, die mich einst zum Beten rief
Des Sonntags in entschwundnen Unschuldstagen ...

Ach, dass ich mich an Jenen wenden könnte,
Der Schlaf und Wachen schuf und Tag und Nacht!! ...

Ich schling' die kalten Finger ineinander
Und sinke hin auf meines Bettes Rand -
Und weine...

Thekla Lingen




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Gedichte: Tragik

13.12.2012 um 17:48

Der Nachtwandler

Wenn bald ich sterbe, grabt mir dann ein Grab,
Auf das der Mond nicht scheint!
Ich hasse ihn, den gleißenden Gesellen,
Den wandelbaren.
Zwar sah er oft auf meine Jugendträume
Und lächelte. Er lächelt immer noch,
Ein Kupplerangesicht. Ich hasse ihn!

Einst war das anders, einst — vor vielen Jahren;
Da war er ein Vertrauter mir, ein Freund.
Der alle meine Träume hat belauscht,
Der stumme Zeuge eines reinen Glücks.

Still lag der Park, es sang die Nachtigall,
Die Blumen nickten müde wie im Schlafe,
Und dann kam sie.

Durch alle Zweige lief ein seltsam Flüstern,
Und selbst der Bach schwieg einen Augenblick.

Wir trafen heimlich uns in stillen Stunden,
Der Himmel einzig kannte unsre Liebe;
Die Menschen ahnten nicht das junge Glück.
Doch nur im Mondlicht kam sie in den Park:
Das Dunkel mied sie, rein und lichtgewohnt.

Ich aber stand im Schatten einer Buche,
Sah nach der Lücke in den schwanken Sträuchern,
Die hell im Strahl des klaren Mondlichts lag.
Und flüsterte erwartend ihren Namen.

Und wenn sie kam. noch Heller ward es dann,
Als ging' ein Licht von ihren Locken aus.
So stand ich oft, so stand ich manche Stunde.
Bis daß sie kam als wie ein Heil'genbild.

Doch eines Abends stand ich da allein,
Und endlos, endlos schlich sich Stund' um Stunde.
Der Teich lag stumm, der Mond nur lächelte:
War's Hohn, war's Mitleid, was ihn lächeln ließ?
Ein seltsam Raunen ging durch alle Zweige,
Und jedes Matt ward eine Lästerzunge
Und flüsterte geheimnisvoll und scheu
Von Treubruch, Lüge und Verrat.

Ich aber biß die Lippen wund und blutig
Und trat hinaus ins hellste Mondenlicht.
Nur sie erwartend, sie nur sehnlichst suchend.

Dann ward es finster; eine Eule schrie,
Und fröstelnd stand im Dunkel ich allein,
Bis daß der Tau von allen Blättern rann
Und meine Wange naß ward wie von Tränen.

Stumm ging ich fort, stumm kam ich andern Abends;
Denn süße Lügen log der Mond mir vor.
Und "Warte! Warte!" raunt' er, "bis sie kommt!"

Doch Tag um Tag und Stunde ging um Stunde,
Und zuckend stand ich ratlos und allein.

Wie oft ich kam? Wie oft ich dort gewartet
Im Licht des Monds?
Ich hab' sie nicht gezählt,
Die bangen Tage, die das Herz mir brachen;
Doch viele waren's, viele Unglückstage,
Bis eines Abends meine kranken Sinne
Im Schein des Mondes wirre Bilder sahen:
War's Spuk? war's Wahnsinn? War es Wirklichkeit?
Ich sah sie kommen, wie sie kam vorzeiten;
Doch nicht allein! - -
Ich sah den blonden Mann
Im Schein des Mondlichts küssen sie und kosen.
Und ihren Namen schrie ich in die Nacht
So furchtbar gellend, so verzweiflungsvoll,
Daß ihn das Echo schaudernd wiederholte
Und daß die Nachtigall erschrocken schwieg. -

Am andern Morgen fand man mich im Park
Wie tot, als hätte mich der Blitz getroffen.
Und meine Hände, die im Fieberkrampf
Sich in den Boden hatten eingewühlt,
Sie hielten starr zwei welke, tote Blumen.
Maiglöckchen waren's, ihre Lieblingsblumen.

Kein Auge weinte um den Sterbensmüden,
Der feine Qual wie seine Schuld verschwieg.

Nach Wochen erst erwachte ich zum Leben,
Das Fieber schwand.
Ein Wahn nur war's gewesen:
Sie war ja längst schon eines andern Weib
Und weilte ferne, - - unerreichbar ferne.

Nie mehr betrat mein Fuß fortan den Park;
Doch wie ein Dämon sah der Mond mich an,
Der tiefverhaßte, ewig-lächelnde.
Ich mied sein Licht. das mich dereinst betörte;
Doch eines Nachts fuhr wirr ich aus dem Schlafe
Und starrte traumbefangen in den Raum,
Der so gespensterhaft im Mondlicht lag.
Da traf mein Aug' an jener Wand ihr Bild,
Das sie dereinst in Nebe mir geschenkt
— Maiglöckchen zierten's, jene Unglücksblumen —
Und wie ein blasses Totenangesicht,
So sah ihr Bild mich an, vom Mond bestrahlt,
Als wollt' es fragen - - -
"Nein, tu keine Frage;
Du bist ja tot. du bist ja tot, mein Lieb,
Und nur der Mond hat höhnend dich erweckt,
Daß du die Ruh' mir raubest und den Frieden.
Sieh mich nicht an, du Totenangesicht!


Was fragt dein Aug? Was zuckt um deine Lippen?
Mein Name war es, den du eben riefst? - - -

Laß ruhn die Toten, Mond, laß ruhn die Toten!"
Und von der Wand herab reiß' ich das Bild
Und werf' es in des Ofens müde Glut.
Da wird sie wach, die rote Flammenschlange,
Und züngelnd zielt sie wild nach meiner Hand. - -
Ach, alle Briefe, alle Liebeslügen,
Verdorrte Blumen, Lieder, eine Locke,
Die sie mir gab als ewig Angedenken:
Ich warf sie opfernd jener Schlange hin,
Der Flammenschlange. die sich bläht und reckt,
Die listig züngelnd immer höher steigt
Und nach der Hand mir schnappt mit rotem Rachen.

Jetzt wird sie still: sie ringelt sich zusammen,
Und satt vom Raube kriegt sie in die Asche:
Doch streift sie noch ein letztes Liebesblatt.
Es krümmt sich unter ihrem heißen Hauch
In wilder Qual. Da leuchtet noch ein Wort
In glühnden Lettern wie ein letzter Gruß,
Und: "Ewig dein!" schluchzt laut das Flammenwort. —

Jetzt ist's geschehn.
Wie eine irre Seele,
Die schuldbewußt im Tod nicht Ruhe findet,
Huscht noch ein Funke unstet durch die Asche.

Dann bin allein ich. alles ist dahin!
Und in die Asche meines toten Glückes
Fällt zischend eine letzte Schmerzensträne.

Mir aber war's seit jener Mondennacht,
Als hätte meine Seele ich verkauft.
Was ich begraben, weih die Erde nicht:
Der Mond nur sah's und lächelte dazu,
Als wollt' er sagen: "Schaufle nur ein Grab:
Ein Lieben, das, wie deins, verraten ward,
Sprengt seinen Sarg und geht im Tod noch um!"

Ich sah ihn an: "Du bist verschwiegen, Mond:
Noch einmal sag' ich dir: Laß ruhn die Toten!"

Er aber, der das Mitleid nie gekannt,
Er rüttelt' mich zur Nachtzeit aus dem Schlafe
Und schaute grinsend mir ins Angesicht.
Ich fahre auf. - - -
Dort in der dunklen Ecke,
Da starrt etwas so geisterhaft mich an,
So furchtbar fragend - - Gott, ich bin es selbst! —
Mein eigner Geist! - - -
Und noch vom Alp bedrückt
Seh' ich mein mondbeschienenes Gesicht
Im Spiegel drüben an der dunklen Wand
So blaß, so eisig, daß ich fast mich fürchte.

"Laß ab von mir, Gespenst aus Jugendtagen.
Du wandelbarer, gleisnerischer Mond:
Du weckst die alte Sehnsucht wieder auf
Nach jenem Park, nach ihr, die mich verraten,
Und die ich ewig doch im Herzen trage
Wie eine Wunde, die nicht heilen kann!"
Und ängstlich fast mied ich den Schein des Mondes.
Verhing das Fenster, daß er mich nicht fand,
Und atmet' auf, als war' ich nun erlöst
Von einem Banne. der mich lang umfing
Mit unheilvoller, rätselhafter Macht.

In meinem Herzen aber seine Buhle,
Die blasse Sehnsucht. war mit ihm im Bunde,
Und wenn der Schlaf die Zinne mir umnebelt,
Dann sang die Zehnsucht mir ein leises Lied.
Als meine Seele, irr und krank vor Heimweh,
Im Schlafe selbst nur ihren Namen rief,
Nur deinen Namen, den ich nie vergaß,
Und meine Kissen wurden naß von Tränen,
Die ich im Traume still um dich geweint.

Da draußen aber stand der Mond, der blasse,
Und lächelte — ein teuflisch lächeln war's.
Trotz des verhangnen Fensters fühlt' ich ihn
Im Traum.
Und schlafend, mit betörten Sinnen.
Ein blasser Schatten, hob ich mich vom Lager
Und schob geheimnisvoll den Vorhang weg,
Der mich vom Mond und seinem Zauber trennte - -

Da war's geschehn, da war ich ihm verfallen!
Ich sah ihn an, mein Mick war wie gebannt,
Und draußen sang die erste Nachtigall.
Sie sang das Lied, das einst im Parke klang,
Lang mir die ganze Sehnsucht wieder wach
Nach dir, nach dir, du Nievergessene!
Geheime Zwiesprach hielt der Mond mit mir.
Wie er gelockt, was er geflüstert hat?
"Komm, suche sie!" so raunt' er, "suche - - - suche?"

Und da geschah das Unbegreifliche:
Mit kalten Händen, drin das Leben stockte,
Ganz leis und langsam öffnet' ich das Fenster,
Mit toten klugen, draus die Sehnsucht schaut,
Starr' ich ins Mondlicht, hebe meinen Fuß,
Und durch das Fenster folge ich dem Monde
Verstört und blaß, ein Schatten meiner selbst - -

Dort, wo der Tod von allen Zeiten droht.
An jedem Abgrund, über First und Giebel,
Wie ein Gespenst Hab' nachts ich dich gesucht.
Mit wundem Herzen und mit kranker Seele,
Bis ich zerschmettert auf dem Pflaster lag,
An Leib und Seele nur ein Krüppel noch. —

Nun bin ich grau, nun bin ich alt geworden,
Und hinter mir in Trümmern liegt das Leben;
Die Sonne sinkt, die lange Nacht muß kommen. -
Doch wenn ich sterbe, grabt mir dann ein Grab,
Auf das der Mond nicht scheint.
Ich stünde nicht dafür, daß aus dem Grabe
Die Sehnsucht und der Mond mich einst nicht lockten,
Daß ich — ein Vampir — einst nicht kommen würde.
Um dir mit kalten, schmerzentstellten Lippen
Das heiße, rote, lebensvolle Mut
Aus deinem falschen Herzen auszusaugen!
Drum, wenn ich sterbe, grabt mir dann ein Grab,
Auf das der Mond nicht scheint.
Doch auch die Sonne soll mein Grab nicht sehen
Und auch die Sterne nicht, des Monds Gespielen.
Auch Blumen will ich nicht: sie lügen oft:
Nur einen kalten, schweren Stein will ich.
Grabt tief mein Grab, auf daß kein Erdenklang.
Kein Reueruf von ihren falschen Lippen,
Kein lautes Schluchzen meinen Schlummer störe:
Denn müde bin ich, ganz entsetzlich müde? - - -

Hans Eschelbach




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Gedichte: Tragik

13.12.2012 um 19:54

Des edlen Helden Thedel Unverfehrden von Walmoden Thaten

I. Die Taufe.

Es hat gewohnt ein Edelmann,
Des Tugend kannte jedermann
Nicht ferne vom Braunschweigschen Land,
Aschen von Walmoden genannt.
Gott segnete des Aschen Weib
Im heilgen Stand mit fruchtbarem Leib,
Sie hat ein Söhnlein ihm geboren,
Der war zu Grossem auserkoren.
Die Aeltern sein aus Griechenland
Theodulus ihn han genannt,
Verkürzt man aber Thedel spricht,
Von Gott ein Knecht, keins andern nicht.
Zur Schule ward er früh gesandt,
Die Sprachen lernt aus allem Land,
In fremde Land ging nach Paris,
Damit er ward der Kunst gewiß.
Da Thedel war so lange Zeit
In fremdem Land gewesen weit,
Kam endlich wieder heim nach Hauß,
Der Vater gab nen grossen Schmaus.
Da ward getauft sein Schwesterlein,
Er muß dabey Taufzeuge seyn.
Er konnt Latein, verstand so drat,
Die Tauf, die Christus setzen that.
Die Worte, die der Priester las,
Aus seinem Herzen nicht vergas,
Und als die Mahlzeit war geschehen,
Ließ er den Pfarrherrn zu sich gehen,
Er sprach: »Mir ist gezeiget an,
Daß ihr mich auch getaufet han,
Habt ihr da auch die Wort gelesen,
Die bey der Schwester Tauf gewesen?« -
»Ich sage euch bey Jesu Christ
Der unsrer aller Mittler ist,
Bey euch sind keine andre Wort
Gebraucht als heut an diesem Ort,
So wird euch Gott vom Himmels Thron
Beystand geben durch seinen Sohn!«
»Ehrwürdger Herr, bin ich also
Getauft, so bin ich herzlich froh,
Seit ich das bin von euch bericht,
Ich fürchte mich vor keinem nicht,
In Kampf und Streit in Gottes Namen,
Ich schlag den Teufel selbst zusammen.«
Den Teufel das gar sehr verdroß,
Daß Thedels Glauben war so groß.


II. Das schwarze Pferd.

Des Junker Thedels fromme Eltern
Entschlafen sind in Gott dem Herren,
Sie liessen ihm Lotter das Haus,
Unter dem Barenberg siehts heraus.
Von ungefähr ging er einmal
Mit seinem Schreiber in das Thal,
Zur wilden Hayd, genant die Haard,
Da man viel Wildes wird gewahr,
Sie wollten Hasen, Füchse fangen,
Von Reutern bald die Felder klangen.
Der Thedel sah da viel Bekannte,
All gute Freund vom Vaterlande,
All die gestorben lange Zeit,
Er war von ihnen nicht sehr weit.
Vor ihnen reitet schwarz ein Mann,
Mit einer grossen schwarzen Fahn,
Auf einem feinen schwarzen Pferd,
Das trabt daher seltsam Geberd.
Herr Thedel war ganz unerschrocken,
Die Springschnur gab und auch die Klocken
Dem Schreiber sein, zu dem er sprach:
»Stell du die Garn all fein gemach,
Der Reiter will ich nehmen wahr,
Ein Wunder ich vielleicht erfahr.«
Im Hinterhalt er droben sah,
Fünf Reiter, kam ein Reiter nach,
Derselbe saß bey seiner Reis,
Auf einer schwarz dreybeingen Geis,
Derselbe sprach: »Gevatter mein,
Was sucht und macht ihr hier allein,
Habt ihr nicht Lust und Lieb darin:
So zieht zum heilgen Grabe hin
Auf meiner schwarz dreibeingen Geis,
Sitzt hinter mir auf dieser Reis,
Verdienet euch das schwarze Pferd,
Das jezt der schwarze Mann herkehrt,
Doch müßt ihr auf dem Weg nicht sprechen,
Das würde gleich den Hals euch brechen.
Und seyd ihr dann am heilgen Grab,
So steiget nach Gefallen ab,
Wenns euch gefällt, mögt ihr ein Schild
Da hängen lassen und ein Bild:
Ihr könnt da thun nach eurer Macht
Und bleiben bis zur andern Nacht.
Wenn aber dann zum drittenmal
Wir umgezogen überall,
Dann dürfet ihr euch nicht verweilen,
Und müßt zur Stunde mit mir eilen,
Sonst möget ihr zu eurem Frommen
Zusehn, wie ihr nach Haus mögt kommen.«
Bald sprach der Thedel unverfehrt:
»Die christliche Taufe sey verehrt,
Ich bin von aller Teufels List
Erkauft durch meinen Jesu Christ,
Willst du mich hier zurücke bringen,
So thu ich um das Pferd schon ringen.«
Bald auf die Ziege sprang der Held,
Und macht sich unverzagt ins Feld,
Und da sie sind ans Meer gekommen,
Den Teufel hieß es gleich willkommen!
Der Teufel sprach zum Unverfehrden:
»Nun soll es gar nicht lange werden,
Laßt euer Rütteln, sitzet still,
Ich über die Pfütze springen will.«
Nun kamen sie zum heilgen Grab,
Sie stiegen von der Geiße ab.
Der Teufel blieb für sich allein,
Herr Thedel ging in Jerusalem ein,
Da ließ er zum Gedächtniß sein
Sich mahlen dort ein Schild so fein,
Was ich allda noch hab gesehen,
Hoch in der Kirche thut es stehen.
All seine Wunder beichtet gern,
Geht auch zum Nachtmal unsres Herrn,
Und dann besah er alles mein ich,
Ward auch gewahr den Herzog Heinrich,
Der damals mit dem Löwen sein,
Und einem Grus im Dom erscheint:
»Wie geht es unserm lieben Gemahl
Mit unsern Kindern auf dem Saal?«
Der Unverfehrt war da bekannt,
»Es steht noch wohl im ganzen Land,
Doch sagt man, daß ihr seyd ertrunken,
Mit Rittern und mit Gut versunken,
Die Herzogin will sich vermählen,
Den Pfalzgraf thut sie sich erwählen.«
Darob erschrak der Herzog sehr,
Und bat sogleich den Unverfehrt,
Zur Mahlzeit sollt er zu ihm kommen,
Und Briefe würd er da bekommen.
Darauf gab Thedel sein Bericht:
»Mein gnädger Herr sehr weise spricht,
Kanns eurer Gnaden nicht abschlagen,
Denn ich hab einen leeren Magen,
Mir sind die Wirth auch unbekannt,
Auch hab ich nicht viel Geld, noch Pfand.«
Als nun der Fürst zur Herberg kam,
Der Marschall sprach: »In Gottes Nam
Herr Wirth laßt decken, gebt zu Essen,
Vom besten Wein laßt uns einmessen,
Mein Herr hat Botschaft überkommen,
Die hat ihm alle Sorg benommen.«
Dem Unverfehrt sie gaben all
Den Handschlag recht mit lautem Schall,
Er must erzählen gar mit Fleiß,
Sie hörtens an mit froher Weis,
Sie fragten alle nach seinem Pferd,
Er that, als ob ers nicht gehört.
Als nun die Mahlzeit ging zu Ende,
Der Kanzler kam, die Brief in Händen,
Ein Jeder bracht sein Briefelein,
Das eine groß, das andre klein.
Wegfertig war Herr Thedel schon,
Nahm Abschied ging dann in den Dom.
Als nun die Mitternacht heran,
Da kam der Teufel klopfet an
Und fragt: Was machst du an dem Ort?
Herr Thedel schweigt und sagt kein Wort.
Der Teufel klopft zum drittenmahl,
Da betet er recht laut einmal.
Der Teufel schrie mit lauter Stimm:
»Du wachest noch, umsonst mein Grimm:
Dein Glauben ist so ganz und gar,
Daß ich dir bringe kein Gefahr.«
Da gab er auf den Unverfehrt,
Und schenkt ihm gleich das schwarze Pferd.
Der ritt von dannen immerfort
Bis zu der Haard, nach jenem Ort,
Wo er den Schreiber lassen thät,
Beym Hasengarn zu Abends spät.
Dem lags gar übel in dem Sinn,
Daß er nicht wußt wo aus, wo hin,
Nach Lotter er getraut sich nicht,
Weil er vom Herren ohn Bericht.
Der Junker sprach: »Gott sey geehrt,
Wie hast du Schreiber dich verfehrt,
Wovon bist du geworden grau?«
Der Schreiber sprach: »Da ich euch schau,
Wie ihr so stark und unversehrt
Gewonnen habt das schwarze Pferd,
So hab ich all mein Leid vergessen.«
Herr Thedel sprach: »So häng indessen
Das Hasengarn wohl auf dein Pferd.
Ich reit zu meiner Hausfrau heim,
Die mag in grossen Aengsten seyn.«
Die Hausfrau ihm entgegen ging,
Mit ihren Armen ihn umfing,
Und fragt ihn wo er blieben wär:
»Ich hab gejagt bey meiner Ehr.«
Da nun die Mahlzeit war gethan,
Da fing die Hausfrau wieder an,
Sprach: »Lieber Junker Unverfehrt,
Woher habt ihr das schwarze Pferd,
Das so gewaltig schlägt und beisset,
Den Haber an die Erden schmeisset,
Nichts frißt als glühende Kohlen und Dorn,
Beym Heu geräth in grossen Zorn?
Er sattelt sich auch gar zu schwer.«
Herr Thedel sagt: »Bey meiner Ehr
Ich habs gefunden auf der Haard.«
Denn er gedachte wohl daran,
Was ihm gesagt der schwarze Mann:
Ihm solle alles Glück zukommen,
So lang er sich in acht genommen,
Doch wenn er sagt, wie ers gekriegt,
Der Tod ihn in drey Tag besiegt.


III. Der gehangene Pferdedieb.

Der edle Thedel Unverfehrt
Nach Braunschweig eilt auf seinem Pferd,
Zu Herzog Heinrichs Ehgemahl
Und ihren Kindern sprach im Saal:
»Der Herzog wünscht euch so viel gute Nacht
Als manch roth Mündlein in dem Jahre lacht,
So viel als grüne Grasstiel sind,
Die man am Weg zum Grabe findt,
Von wo er diese Briefe sandt,
Die übergiebt euch meine Hand.«
Die Fürstin küßt die Brief fürwahr,
Mit Weinen, Seufzen spricht sie dar:
»Gott lohn es dir, mein edler Herr,
Ich glaubt ihn todt und weinte sehr,
Aus seinen Schreiben ich befind,
Wohl wie sie zupetschieret sind,
Du sollst hier trinken und auch essen
Nach Nothdurft, bis wir sie gelesen.«
Die Fürstin war sehr guter Ding,
Ließ bringen einen goldnen Ring,
Auch einen Kranz von Golde gut,
Der saß auf einem neuen Huth,
Sie wurd gereitzt zur Fröhlichkeit,
Daß sie ihm gab ein neues Kleid,
All das dem Thedel zum Geschenk,
Daß er ihr Gnaden bey gedenk.
Dann sagt sie ihm: »Ein gutes Pferd
Müßt ihr wohl haben Unverfehrt,
Daß ihr in zweyen Tagen hier?« -
»Dafür gebt Gott die Ehr, nicht mir!«
Die Fürstin gab ihm ihre Hand,
Eh dann sie ihn von dannen sandt,
Der Thedel in die Herberg ging,
Zu sagen also gleich anfing:
»Ihr Knechte, daß wir reiten, trachtet,
Herr Wirth genau die Rechnung machet.«
Der Wirth sprach: »Zieht in Gottes Geleit,
Die Fürstin hat bezahlet heut.«
Da nahm er gütlich sein Abschied
Zum Graf von Schladen er hinritt,
Doch fand er ihn nicht gleich zu Haus,
Er mußte vor das Thor hinaus,
Gericht ward da gesprochen,
Der Stab war schon gebrochen.
»Der Pferdedieb ist schon gehangen,
Laßt euch um euer schön Pferd nicht bangen.«
Der Graf ihn führt zu seinem Schloß,
Und freut sich übers schwarze Roß.
»Das schwarze Roß, Herr Thedel spricht,
Das fürcht selbst höllsches Feuer nicht.
Es ist wie ich, ich mach kein Kreutz
Wie auch der Teufel mir einheitz.«
Das thät den Teufel sehr verdrießen,
Er meint, das soll der Thedel büßen,
Und als es auf den Abend kam,
Der Bös den Dieb vom Galgen nahm,
Und setzt ihn auf die Heimlichkeit,
Der Teufel war voll Fröhlichkeit,
Und hat in seinem Sinn gedacht,
Wie er ihn schon zu Fall gebracht,
Daß Thedel dann ein Kreutz würd machen,
Säh er also den Ort bewachen,
Denn Thedel hat verlobt fürwahr,
Daß er in größter Todesgefahr
Kein Kreutz vorm Teufel machen wollt,
Denn Gottes Wort ihm alles golt.
Da es nun in die Nacht nein kam,
Vom Grafen Thedel Abschied nahm;
Es wurden Licht gestecket an,
In die Latern, daß er hinan
Von Dienern würd zu Bett gebracht.
Er schickt sie fort mit: »Gute Nacht!«
Begehrt dann auf die Heimlichkeit,
Und macht sich auch dazu bereit.
Der Held war kühn und unverzagt,
Er fand da, was ihm bas behagt
Den todten und gehangnen Dieb,
Dasselbe war ihm gar sehr lieb,
Nahm ihn beym Kopf und bey den Haaren,
Und sagt: Dich will ich wohl bewahren!
Und setzt ihn von dem Hohlaltar,
Daß sein ein andrer würd gewahr.
Der Schreiber kam da hergeschlichen,
Wollt seine Sachen auch ausrichten.
Als der erblickt den todten Dieb,
So wars ihm ganz und gar nicht lieb,
Fing auch gar sehr zu rufen an,
Konnt gar nicht laufen mehr der Mann,
Wär auch gestorben zu der Zeit,
Doch Thedel half ihm aus dem Leid.
Herr Thedel Morgens früh aufstund
Und thäts dem Graf von Schladen kund.
Als er die Morgensuppe aß
Und seinen Aerger ganz vergaß.
Darauf der Graf gar selbst hinging,
Um anzusehn das seltsam Ding.
Hat auch dem Schloßvogt anbefohlen,
Den Henker gleich zur Stell zu holen:
»Er hat sein Geld gekriegt dafür,
Und muß nun thun auch sein Gebühr.«
Alsdann zum Unverfehrden spricht:
»Die Nacht hast du geschlafen nicht,
Ich hätt nicht bleiben können die Nacht,
Ich hätte mich gleich fort gemacht.«
Der Unverfehrt also darnach:
»Ich war sehr müd und blieb nicht wach,
Gott lebt, ich fürcht den Teufel nicht.
Der Dieb war todt und gar nicht spricht,
Ich habe meine Seel und Leben
Gott einzig in die Händ gegeben.«


IV. Die Feder im Bart.

Nicht aber lang zu dieser Zeit
Im ganzen Land ist große Freud,
Der Herzog Heinrich ist zurück,
Und hat gestört der Freier Glück,
Und nach dem Meßhauß in der Stadt,
Er allen Adel zu sich bat.
Auch Thedel kam im neuen Kleid,
Der Herzog ihn erkannt von weit,
Auch gab ihm seine Gnad die Hand,
Und dankte ihm, wie allbekannt.
Sie assen, tranken allzumal,
Und waren guter Ding im Saal,
Auch über Essen ward gesungen,
Darnach gerungen und gesprungen,
Getanzt, gefochten und tornirt,
Auf Trommel und auf Pfeif hofirt;
Herr Thedel wollt dabey stets seyn,
Und sollts ihm kosten Arm und Bein.
Im Rennen, Torniern und Stechen,
Im Schwerdt und Spieß zerbrechen
Ward keiner mehr gesehen,
Der ihn noch wollt bestehen.
Es rief ein jeder Edelmann,
Daß er das beste hab gethan.
Der Herzog gab ein Kleinod fein,
Gemacht aus Gold und Edelstein,
Und sagt, daß er Gefallen hab
An seinem Roß, schwarz wie ein Rab,
Weil er von seinem schwarzen Pferd
Noch nie gefallen auf die Erd.
Herr Thedel sprach: »Es ist dies Pferd
Weils Nachricht bracht der Fürstin werth,
Von euch Herr Herzog mir sehr theuer,
Drum hassens ihre Räth und Freyer.«
Der Fürst fing ihn zu loben an,
Und pries ihn da vor jedermann.
Ein Jungfräulein reicht ihm den Kranz
Und führet ihn so drat zum Tanz,
Und wie er zu dem Tanz hintrat
Gedacht er in dem Herzen drat:
»Ich dank dir Gott zu dieser Frist,
Daß du mein Hülf und Tröster bist,
Herr Jesu Christ, Lob, Ehr und Preis,
Dem heilgen Geist in gleicher Weis!«
Als nun der Thedel unverfehrt
Vor andern ward so hochgeehrt,
Da ward ein Neider aus dem Freund,
Der wollt ihm schlimmer als der Feind.
Der Herzog fragt: »Ob Unverfehrt
Wohl irgend zu erschrecken wär?«
Der Neider sprach: Ich hab eins funden,
Wenn morgen kommt zur Kirch die Stunde
Steckt eine Feder dünn und klein
In eures Bartes Haar hinein,
Wird dann Herr Thedel zu euch kommen,
Er hätt sie gern herausgenommen;
Ihr gebt das zu, doch greift er drin,
Die Feder aus dem Bart zu ziehn,
So beisset schnell nach seiner Hand,
Ich setze meine Seel zum Pfand,
Er wird die Hand zurücke ziehn,
Und in dem ersten Schrecken fliehn.
Dem Fürsten wohl gefiel der Rath,
Den ihm der Mann gegeben hat,
Die Feder in den Bart er steckt,
Wie er vom Schlafe war erweckt,
Als morgens er zur Kirche ritt,
Er nahm sein Hausgesinde mit,
Auch unser fromme Thedel kam
Und seine Stell beym Fürsten nahm,
Fein tapfer kam daher getreten,
Mit seines Fürsten ersten Räthen
Und ward der Feder bald gewahr,
Die in des Fürsten Bart steckt dar.
Der unerschrockne Unverfehrt
Trat da zu ihm, wohl vor sein Pferd,
Der Fürst sich da nicht anders stellt,
Als ob er ihm zusprechen wöllt,
Und neiget sich zum Unverfehrt,
Der ihm mit sittlicher Geberd,
Nach seiner Feder tasten thät,
Meint, daß er sie ergriffen hätt;
Der Herzog biß ihm nach der Hand,
Dafür er auf der Backe fand,
Ein Schlag, und der war über gut,
Das thät er aus bewegtem Muth.
Herr Thedel sprach mit zorngem Mund:
»Sind eure Gnaden worden ein Hund?«
Der Fürst allda sprach zu der Frist:
»Ganz recht von dir geschehen ist,
Wenns uns ein andrer hätt gethan,
Wir wolltens ungestraft nicht lahn,
Von einem Narren ists gekommen,
Daß schlechten Rath wir angenommen,
Der uns den Rath gegeben hat,
Der packe sich von Hof und Stadt,
Du Thedel, unerschrockner Mann
Hast recht bezahlt und gut gethan.«


V. Der Bischof giebt das Salz.

Da er nun Abschied hat genommen,
Nach Lotter wiederum gekommen,
Wollt eine Zeitlang ruhen fein
Bey seiner Frau und Kinderlein,
Der Bischof ihm von Halberstadt
Die Freundschaft aufgesaget hat,
Er mocht wohl seyn der Narr gewesen,
Der schlechten Rath dem Fürst gegeben.
Er wollt nicht ruhen, bis er brächt
Um alle Güter sein Geschlecht.
Herr Thedel sprach: »Ich freue mich,
Der Bischof hat viel mehr als ich,
Das man ihm nehmen kann und rauben,
Das sag ich ihm mit gutem Glauben.
Mit Reitern hat er sich bemannt,
Drey hundert starke Männer fand,
Wohl über funfzig Dörfer und Städt,
Des Junker Thedels Panner weht,
Und gingen nun den geraden Weg
Und nahmen alles Vieh hinweg;
Der Bischof auch gefangen ward,
Und sitzt in Lotter wohl ein Jahr,
Er wollt das Vieh gern wieder haben,
Und mußt dazu das Salz bezahlen.


Vl. Zug nach Liefland, Heidentaufe, Tod.

Nach diesem Zug des Thedels Weib,
Verschied aus dieser Zeitlichkeit.
Er brachte sie mit grosser Pracht
Bey Fackelschein in schwarzer Nacht,
Nach Goslar in die Kaiserstadt,
Berief da einen edlen Rath
Und übergab da seinem Sohn
Die Güter all und zog davon.
Er zog auf seinem schwarzen Pferd
Zum Orden von dem heilgen Schwerdt
Nach Liefland, Helden zu bekehren,
Darin war er ganz unverfehren,
In kurzer Zeit das ganz Liefland
Kam meist durch ihn in Ordenshand.
Der Deutschmeister ihn den Unverfehrt
Vor allen hielt so lieb und werth,
Er ließ den Heiden keine Ruh,
Er taufte sie nur immer zu,
Es mußten dran, arm oder reich,
Jung, alt, groß, klein wohl alle gleich.
Der Teutschmeister da zu wissen begehrt,
Wie er gekommen zu dem Pferd,
Das sicher ihn in den Gefahren
Vor allen andern kann bewahren.
Herr Thedel bat, davon zu schweigen,
Am dritten Tag es würd sich zeigen,
Wenn er es hätt bekannt gemacht,
Er würd verscheiden in der Nacht,
Doch würd er treu der Ordenspflicht,
Es sagen, wie er es gekriegt.
Der Meister sich verwundert sehr,
Steht doch nicht ab von Ordensehr,
Hofft, daß Herr Thedel könn entgehen,
Will vom Befehle nicht abstehen.
Herr Thedel bat um vierzehn Tag,
Daß er der Welt den Abschied sag,
Empfing das heilge Sakrament,
Bereitet sich zum lezten End,
Besteiget dann sein schwarzes Pferd,
Erzählt sein Leben unverfehrt,
Da geht das Pferd gleich mit ihm durch,
Drey Tage irrt er im Gebirg,
Die dritte Nacht beym Christusbild
Er sinkt herab, entschlafen mild.
Also kam er aus dem Elend,
Also hat die Geschicht ein End.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

13.12.2012 um 20:02

Des großen Krieges Not
1914-1918


Der Abendhimmel bräunt sich still entzündet,
Das Meer wird blasser und von Dunkelheit umzäunt.
Und alte Bäume, in den Kronen breit gerundet,
Die wurzeln an dem Weg, der leer zum Wasser mündet,
Kein Windhauch wandert mehr.
Die Stille aber bringt drückende Botschaft her.
(Makassar, 28. August 1914)

Ich höre heller, als die Ohren wissen.
Es schmerzen Echos, tief in mir geboren.
Es schreien Stimmen nachts aus meinen Rissen,
Die Stimmen Mutiger, die ihre Kraft verloren,
Die auf des Krieges Feldern liegen, verblutet und zerrissen.
(Makassar, 29. August 1914)

Muß hören durch die Nacht das Stöhnen und das Stampfen,
Den Pfiff von Schüssen, die im Flug zerstören,
Den Schlag der Fäuste, die im Kampf sich krampfen,
Die wie die Wurzeln werden hart und tot –
Es liegt bei mir und schreit des großen Krieges Not.
(Makassar, 29. August 1914)

Beklommen muß ich tags zur Sonne schauen
Und sitze wie im Blutdampf, blind benommen.
Und immer wiederholt es sich, das Grauen.
Des Himmels Pracht, die blaue, seh’ ich wundenrot.
Es liegt bei mir und schreit des großen Krieges Not.
(Makassar, 29. August 1914)

Vier deutsche Handelsschiffe liegen rauchlos dort,
Die Strömung dreht sie stet am gleichen Ort.
Sie sind verankert, haben Weile, warten ab,
Bis sich gefüllt das Riesenmassengrab
Fern in der Heimat, das der Krieg gegraben,
Und sich die Raben sattgefressen haben.
(Makassar, 29. August 1914)

Verbannt in fremdes Südseeland,
Muß ich von ferne schauen,
Wie täglich sich die Leichenberge Europas höher bauen,
Wie täglich Heldentaten, große, tausendfach geschehen,
Wie kleine Bäche hochgefüllt mit Blut jetzt gehen,
Und wie vorm Tränenfall der Trauernden daheim
Kein Himmelsblau bald mehr zu sehen.
(Makassar, 31. August 1914)

Zwei große Adler schaukeln in der Morgenluft ums Schiff.
Vielleicht aufs Meer mein klopfend Herz die großen Vögel rief.
Die Adler möcht’ ich senden über Ozeane zur Brudschar
Mit meinem heißen Herzen hin zum deutschen Aar.
Will härter als die harten Meeressteine stehen
Und keinen Herzschlag spüren mehr,
– Sollt’ Deutschland untergehen.
(Makassar, 31. August 1914)

Im Bambus schaukeln rot und blaue Papageien,
Und glänzend in der lila Sonne wehen der Kokospalmen grüne Reihen.
Darunter gehen, bunt wie Edelsteine, die gelbgesichtigen Malaien.
Ich steh’ geblendet im perlmutterweißen Sand im Meergeruch, im freien,
Und seufze: "All die schnellen Südseefarben, sie können nicht das Trauerschwarz
In meinem Herzen überschreien."
(Makassar, 31. August 1914)

Die Sonne sank, das Land ward rot,
Bis alles Feuer in dem Meer ertrank.
Ein Dämmerstreifen blieb. Der Tag ist tot.
Der Tag, der hier an mir vorübergeht –
Spurlos wie Luft, die über Wasser weht –
Der Tag sagt morgens schon und winkt: "Komm, es ist spät.
Eil dich, die Heimat und die Liebste flehen."
Doch ach, die Sonne steigt und sinkt
Und läßt mich stehen.
(Makassar, 31. August 1914)

Ich landete bei Inseln heute, deren Wälder verdorrt;
Sonne hat die Wasser aufgesogen an jedem Ort.
Waldäste stehen grau und braun, blattleer im Licht.
Vergrämt, verarmt ist hier des Landes Angesicht.
Und so gequält wie jene Durstigen, die ohne Saft sich winden,
Kann auch mein Sinn jetzt früh und spät nicht Trost mehr finden.
(Soembawa, Sunda-Inseln, 2. September 1914)

Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
Er wird des Abends Herr im Meer,
Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.
Ich hab’ ihm forschend nachgestarrt,
Ich fragte ihn: "Wohin so spät?"
– Auch er weiß nicht, wohin es geht
(Soembawa, 2. September 1914)

Mir war, ich hörte draußen am Kabinenfenster
Zur Nacht Hurrageschrei im Meer.
Es waren meines Herzens Kriegsgespenster,
Die zogen johlend in der Nacht umher.
Sie schlugen Schlachten um das Schiff im Wind.
Ach, wüßt’ ich, ob sie Sieger, ob Besiegte sind!
(Soerabaya, 6. September 1914)

Zu Land, im Meer und in der Luft
Stehn alle auf, mit uns zu ringen.
Doch ob ihr Tod und Teufel ruft, –
Heil, Deutschland ist nicht umzubringen.
Die deutsche Kraft, den deutschen Geist
Ihr nicht so leicht in Stücke reißt.
Ein ehrlich Volk mit gradem Sinn
Stiebt nicht in alle Winde hin.
Wir wollen es euch lohnen,
Daß ihr gar hoch uns eingeschätzt
Und rund in allen Zonen
Das Eisen heftig gen uns wetzt.
Wir wollen blutig danken,
Nicht vor dem Sturme wanken.
O, schönes Deutschland, bist es wert,
Die große Feindschaft hoch dich ehrt.
Gern stirbt für dich der letzte Mann!
Das Schicksal aber wird’s nicht wollen.
Seht euch die deutschen Wälder an,
Ob alle Eichen stürzen sollen.
Im Wald, im Meer und in der Luft
Soll manches deutsche Lied noch klingen.
Und ob ihr Tod und Teufel ruft, –
Heil, Deutschland ist nicht umzubringen.

Stampfe, Maschine, stampfe,
Jung-Deutschland zog zum Kampfe.
Kein Weib sah man da klagen,
Sie taten’s mutig tragen.
Stampfe, Maschine, stampfe,
Jung’Deutschland stand im Kampfe.
Nun Hüft’ an Hüfte liegen
Die Toten, die da siegen.
Stampfe, Maschine, stampfe,
Nacht ist es nach dem Kampfe,
Viel schnelle Bäche fluten,
Jung-Deutschland muß verbluten.
(An Bord vor Sumatra, 12. September 1914)

Hilf Gott, wie ich mich quäle!
Todstill wird meine Seele.
Ich weiß schon längst von Lust nichts mehr,
Nie war die Welt so erdenschwer.
Mein Herz zuckt schmerzend Stund’ um Stund’,
Nur Feinde, Feinde wandern rund.
(Medan, Sumatra, 15. September 1914)

Indiens Tannen aufrecht in der Nacht.
Und im Netzwerk ihrer Nadelzweige
Stehen alte Sterne jung entfacht.
Muß an meinem Fenster schauend bleiben
Und steh’ schweigend vor der Sterne Treiben,
Die ins Dunkel weite Wege schreiben. –
Und ich sah der großen Stille zu.
Sprach zu meiner Sorge: "Sorge, schweige!
Sieh, die Sterne wandern immer noch voll Ruh’."
(Lima Poeloe, 7. Oktober 1914)

Bis weit nach Asien zeigt das All
Des großen Krieges Widerhall.
Die Sonne geht mit blassem Leibe
Ums Atapdach.
Sie zeigt kaum noch die bange Scheibe,
Ihr Strahl ward schwach.
Versteckt im Dunst, bleibt sie verschwunden,
Der Mittag gleicht den Abendstunden.
Fern in Europa ging durch Blut
Ihr Strahl seit Tagen,
Nun fehlt zum Leuchten ihr der Mut.
Sie will nicht immer Licht nur tragen
Zum Töten und zum Wundenschlagen.
Sie macht den Weg tief grau verhüllt,
Bis daß der Friede sich erfüllt.
(Lima Poeloe, 18.Oktober 1914)

Wie bin ich verdammt zum Lesen hier,
Zum Kriegserleben auf Zeitungspapier,
Ich folge den Heeren nur zwischen den Zeilen,
Durchstampfe mit Buchstaben Schlachtfeld und Meilen,
Verliere, gewinne zu Land und Meer
Und wende das Zeitungsblatt hin und her.
Und doch fühl’ ich aller Verwundeten Schmerzen.
Die Kriegsnot wütet in meinem Herzen. –
Ich weiß nicht: legt’ ich das Blatt aus der Hand,
Oder flog’s vor mir auf in zornigem Brand?
(Lima Poeloe, 24. Oktober 1914)

Alle großen Berge wurden klein,
Nirgends ist ein Berg so schwer aus Stein
Als der Berg der Schmerzen und der Klagen,
Den die Menschen in der Kriegsnot tragen.
Nächte werden wilde Ewigkeit.
Nie war je so krasse Winterszeit.
Viel Verzweifelte ins Dunkel stieren,
Viele tausend Tote machen frieren.
Auch der Frieden brächt’ nicht Frieden her.
Siege wecken Tote nimmermehr.
Nur ein Tor spricht mir von frohen Siegen,
Nur ein Narr kann froh bei Gräbern liegen.
Grollend dacht’ ich’s, und der Regen fiel.
Und der Krieg trieb fort sein wütend Spiel.
Suchend mußt’ ich in die Wolken schauen,
Wo der Himmel weinte wie die Frauen.
Aber lebte nicht ein ewig Blau,
Ewig Sonnenlicht dort hinterm Grau?
Dieses kannte keine armen Toten,
Helle Helden ihren Gruß mir boten.
All die Tapfern sprachen auf mich ein:
"Sollen wir umsonst verblutet sein?
Deine Klagen wollen uns entwerten,
Uns, die wir den Gott der Tat verehrten.
Keiner stirbt, der für das Leben fällt,
Keiner, der gekämpft für seine Welt.
Und ihr sollt um uns nicht Klage tragen.
Um Verklärte nicht aus größten Tagen.
Größer als die Sorge ist die Kraft,
Die aus Totem Berge Leben schafft."
Danach sah ich sie, die hingegangen,
Höher als den Berg der Kriegsnot prangen.
(Tana Besih, Sumatra, 25. November 1914)

Sternenlose Nacht im Battakland,
Nur ein Blitz schießt auf am Erdenrand,
Zeigt die Berge mächtig, Wand bei Wand,
Mißt der toten Finsternisse Breite,
Reißt die Seele mir hinaus ins Weite,
So wie Blitz und Nacht, lieg’ ich mit dem Heimweh stumm im Streite.
(Brastagi, Sumatra, 9. Dezember 1914)

Wie oft sind wir im Osten hier erwacht,
Und jeder hat dann rasch bei sich gedacht:
Wo kämpft die "Emden" diesen Augenblick,
Und welches wird das Ende, das Geschick
Der Deutschen, die auf jenes Kriegsschiffs Planken
Eng Kameraden wurden den Gedanken?
Wir hörten nah des fernen Schiffes Rauschen.
Ein jeder Mann wollt’ mit den Männern tauschen,
Die dort als Wache standen auf dem Deck,
Stumm aufmerksam vom Bug bis an das Heck.
Wir lebten dicht am Bord die Taten mit.
Jed’ Herz fuhr auf der "Emden" hin und stritt.
Wie flog uns heilig heißes Feuer an,
Kam Kunde, was ein Schifflein wirken kann.
Als sie zum erstenmal fünf Boote nahm,
Die "Emden" leuchtend in die Brust uns kam.
Noch nachts der "Emden" Lichter uns umglühten.
Des Deutschen Wunsch war: Herr, wollst sie behüten!
Damit begann der Abenteuer Reigen.
Von da wir alle auf die "Emden" steigen.
Wir folgen ihr im dunkeln Weiterziehn
Wie Sonne, die auf blinden Nebel schien.
Bald hören wir in grauer Ferne Kampf,
Kanonenschüsse hinterm Nebeldampf.
Welch’ Mut doch diese tolle "Emden" hat!
Erst schießt das kleine Schiff auf eine Stadt,
Dann dringt’s verkappt in einen Hafen ein.
Die Herzen weiten sich, die vorher klein.
Man hört berauscht, wie unerhört sie handelt,
Die "Emden" wird zum Geisterschiff verwandelt.
Denn eh’ die Feinde zur Besinnung kamen,
Schoß sie ein russisch Panzerschiff zusammen.
Sie wird zum großen Grauen, kämpft und raucht
Gleich wie ein Spuk, aus Hirnen aufgetaucht.
Verfolgt, bohrt sie die Schiffe in den Grund,
Sie wird zum Wunder bald in aller Mund.
Sie nimmt sich nach dem Kampf auch noch die Zeit,
Setzt Boote aus und rettet hilfsbereit
Die, deren Schiff zur Tiefe hingerollt.
Der Feind bald selbst Bewunderung ihr zollt.
Man spricht von ihrer Mannschaft wie von Rittern.
Nur um ihr Ende aller Herzen zittern.
Nun sind es lange, stumme, stille Wochen.
Die Stunden kommen einförmig gekrochen.
Denn nun ist’s tot hier draußen auf dem Meer.
Der "Emden" Wrack kreist auf dem Meergrund leer.
Die Geister kehrten heim aus hoher Luft,
Die immer noch den Namen "Emden" ruft.
Man sagt, sie ist im braven Kampf verbrannt.
Man sagt, sie hat sich selbst aufs Riff gerannt.
Man sagt, man sagt, und nichts sagt jedes Wort.
In deutschen Herzen lebt die "Emden" fort.
In uns kämpft sie noch immer ohn’ Ermatten,
Erst mit uns stirbt der kleinen "Emden" Schatten.
(Brastagi, 11. Dezember 1914)

Daheim liegt jetzt Eis auf der Straße,
Die Krieger kauern im Schnee.
Hier steht die Rose im Grase
Wie tut ihre Schönheit mir weh.
Ich mag keine Rose hier sehen,
Daheim lauern Winter und Not.
Wie darf ich bei Rosen stillstehen?
Daheim blüht den Brüdern der Tod.
Daheim, wo die Schneeflocken fliegen,
Dorthin will ich schauen und warten.
Wenn meine Brüder dann siegen,
Wird mir die Seele zum Garten.
(Tandjong Morawa, Sumatra, 23. Dezember 1914)

Wohin hat mich ein Traum gebracht?
Weihnachten nennt ihr diese Nacht!
Ölpalmen stehen aufgeschlagen
Wie Säulen, die die Sterne tragen.
Und Wärme kommt aus jedem Baum
Der Mond hängt blumenhaft im Raum.
Die Luft durchbebt von Blütengasen,
Mein Fuß geht hin auf weichem Rasen.
Und wie ein Geist, dem Schwere fehlt,
Bestaunt mein Herz die Tropenwelt.
Die Orchideen dunkel liegen,
Umkreist von blanken Feuerfliegen.
Ich taste hin durch diese Nacht,
Vom Heer der Grillen laut bewacht.
Ich suche, kann mich selbst nicht finden
In dieser Weihenacht, der linden.
Ein Laut aus weiter Stille kam.
Mir zittern plötzlich Trotz und Gram.
Es fiel dort hinterm letzten Sterne
Schlag oder Schuß aus klarer Ferne, –
Es krachte nur ein Palmenblatt,
Das morsch zur Erde stürzen tat.
Ich aber höre mehr und schaue
Auf Felder hin, verschneite, rauhe,
Auf weiße Wege, eisig glatt.
Der Mond, umraucht, scheint hier nur matt,
Und große schwarze Flecken breiten
Im Schneefeld sich, im himmelweiten.
Das Blut der Brüder heiß hier floß.
Ein Sterbender liegt mir im Schoß.
Er haucht: "Ich melde mich zur Stelle,
Herr Leutnant!" – Und Todeshelle
Tritt auf die Stirn. Sein Aug’ erstarrt.
Sein Blick wird wie das Eisfeld hart.
Es ist nur Einer von den Tausend!
Mein Blut schlägt mir zur Schläfe brausend.
Ich fühl’ die Weihenacht vollendet,
Da so voll Pflicht ein Deutscher endet.
(Tandjong Morawa, 24. Dezember 1914)

Neunzehnhundertvierzehn, hast ausgekämpft,
Sie nennen dich laut, mancher gedämpft.
Manchem drückst du die Kehle eng.
Blutiges Jahr, wie warst du so streng!
Kinder, die einst zur Schule gehn,
Werden dich groß im Geschichtsbuche sehn.
Greise, die nachmals die "Vierzehn" nennen,
Werden dich blitzenden Auges noch kennen.
Ward je ein Jahr in die Erde begraben,
Wie du, Jahr voll schwarzer, gemästeter Raben!
Lachte eines so herrlich den Kühnen,
Wie du, dem noch winters die Lorbeeren grünen!
Drückst der "Fünfzehn" den fressenden Brand
Wild zum Willkomm in die Jugendhand.
Salven krachen zum letzten Gruß.
Tod mäht weiter beim Jahresschluß.
(Am Toba-Meer, Sumatra, 31. Dezember 1914)

Mutter Erde, deutsche Erde,
Gibst jetzt deinen Wäldern Kraft,
Machst, daß es jetzt Frühling werde.
Von den Birken tropft der Saft,
Alten Eichen springt die Rinde,
Und es blinkt der junge Trieb.
Unsere Feinde überwinde,
Deutscher Faust gib Trotz zum Hieb!
(Garoet, April 1915)

Es kämpfen nicht Waffen, nicht Pulver, nicht Erz,
Es kämpft das deutsche, das pflichtheiße Herz.
Es fliegt an die Grenzen, es schützt sich sein Land,
Es drängt sich zu opfern, es wurde zum Brand.
Wir wollen es segnen, besingen laut
Furchtlos dies Herz zur Zukunft schaut.
Dem deutschen Mann, dem deutschen Weib
Lebt um dies Herz kein banger Leib.
Eh’ ihr nicht beiden das Herz entreißt,
Zertretet ihr niemals den deutschen Geist.
Es siegen nicht Waffen, nicht Pulver, nicht Erz,
Es siegt das deutsche, das pflichtheiße Herz.
Das deutsche Herz ist stolz gefeit,
Es ist der Zucht und Pflicht geweiht.
Und fällt ein Mann, sein Herz, es lebt,
Aus jedem Deutschen sich’s neu erhebt.
Das deutsche Herz, der deutsche Geist,
Sie sind unsterblich zusammengeschweißt.
Sie sind die Frucht der deutschen Erd’,
Sie sind geboren am deutschen Herd.
Es kämpfen nicht Waffen, nicht Pulver, nicht Erz,
Es kämpft das deutsche, das pflichtheiße Herz.
(Garoet, April 1915)

Sie sparen sich das Brot vom Munde
Und fügen gern sich in Geduld.
Und wächst die Sorge jede Stunde,
Sie ändern nicht den Blick der Huld.
Sie, die ihr Liebstes fern verloren,
Sie zeigen ihre Tränen nicht.
Sie wandeln nicht in schwarzen Floren,
Nur blasser wird ihr ernst Gesicht.
Sie stillen Blut der fremden Wunden
Und leugnen stumm die eignen fort.
Sie stehn bei fremden Sterbestunden
Und trösten sanft mit Tat und Wort.
Herr, sieh die Heldinnen! Und kröne
Mit Sieg mein Volk, dem solche Frauen,
Stark, wie im Feld die braven Söhne,
Voll Mut und Zucht zur Zukunft schauen.
(Garoet, April 1915)

Das erste Gras am Wege fragt
Die junge Frau im Gartenwind:
"Kaum daß mein Halm zu grünen wagt,
Weil deine Augen glanzlos sind.
Fühlst du denn nicht die Frühlingsnacht?
Spricht nicht der junge Mond zu dir?
Dein Mund nicht wie im Vorjahr lacht,
Da gingst du mit dem Liebsten hier.
Warum kommt er nicht her zur Bank
Und legt den treuen Arm um dich,
Wie immer, wenn die Sonne sank?
Du bleibst so ernst, – ich fürchte mich" . . .
(Garoet, April 1915)

Zu Hause schmolz der Schnee vom Dach
Und munter sprudelt schon der Bach,
Er ward mit Leib und Seele wach.
Leicht hüpft er wie das Nachbarskind,
Und beide singen in den Wind.
– Ich weine mir die Augen blind.
Die Heimat, ach, o Wanderstab,
Die Heimat ich verloren hab.
– Die Fremde ist ein Grab.
(Garoet, April 1915)

In der Frühe am Altangeländer,
Ehe die Sonne noch aufgegangen
Und die gelbglitzernden Wolkenränder
An den rauchenden Bergketten hangen,
Frage ich stumm: Wann kommt das Wort "Friede",
Wie dort der Strahl aus dem Morgengrauen,
Dem Aug’ zur Freude, dem Ohr zum Liede,
Und dem Blut zu neuem Vertrauen?
Frage: Wann lernt der Geist wieder fliegen
Leicht in Gedanken, sorglos im Hoffen,
Wie sich Vögel im Götterbaum wiegen,
Wie der Garten der Frühsonne offen?
Steine klappern mit lebhaftem Schalle,
Munter springt dort der Rappe zum Grasen,
Rollernd flattern Truthennen vom Stalle,
Freigelassen zum tauigen Rasen.
Drüben beim Nachbarn lernt laut ein Knabe
Aus dem Koran die tausendste Sure;
In den Palmen jagt krächzend ein Rabe
Und überschreit der Tauben Gegurre.
Frisch in das Weltall klingt lautes Leben,
Harmlos wachsend zur Höhe der Stunden.
Ich nur stehe beklommen daneben,
An die Frage: Wer siegt? stumm gebunden.

Augen und Ohren zur Ferne lauschen,
Höre des Krieges Blutbäche rauschen,
Sehe rundum den Frühling aufgehen,
Eifriges Blühen im Kampf ums Bestehen.
Es streiten wie Menschen die schwachen Blumen
Um den Besitz ihrer Ackerkrumen.
(Garoet, 20. April 1915)

Ein Palmbaum, höher als ein Vogelschrei,
Stellt eine Fächerkrone rund und frei
Gleich wie ein Federspiel vor Wolken hin,
Die dort den Feuerberg wie Schnee umziehn.
Ein Schmetterling, stumm, trauerschwarz und groß,
Entstieg aus eines Mandelbaumes Schoß.
Er kommt zu mir herein ins offne Haus
Und füllt es wie mit dunkler Botschaft aus.
Mein Blick vor Palmen, Wolken und Vulkan
Wird innerlich, seh’ ich den Falter an.
Vom großen Krieg ein Schatten mich umfliegt,
Vielleicht ein tapfrer Freund verwundet liegt.
Vielleicht von einem Schlachtfeld, grimmig rot,
Grüßt mich der düstre Schmetterling vom Tod.
Im Zucken seiner Flügel winkt ein Gruß
Von einer Seele, die sich trennen muß.
(Garoet, 23. April 1915)

Immer gurren eingesperrte Tauben
Drüben in den Hütten der Javanen,
Aus den Käfigen an den Altanen.
Immer seh’ ich über grünen Lauben
Der Javanenkinder Drachen fliegen,
Die sich wie papierne Vögel wiegen.
Immer rauscht’s im Reisfeld von den Bächen,
Die da schläfrig vor der Türe sprechen,
Und ich möchte nur an Frieden glauben.
Immer muß ich mir den Frieden rauben,
Muß im Geist zu meinen Brüdern stehen,
Die mit Bajonett und Kugel mähen.
(Garoet, April 1915)

Die Sonne wollte nicht untergehen,
Die hohe, sie wollte heut Helden sehen.
Es kämpft das Geschwader des Grafen Spee, –
Granaten brummen und krachen und heulen.
Und aufrecht stehen des Salzwassers Säulen,
Weiß ragt der Gischt aus runder See.
Die Treffer schlagen wie eiserne Keulen
Ins Admiralschiff, das neigt sich nach Lee.
Die Sonne wollte nicht untergehen,
Die hohe, sie wollte heut Helden sehen.
Noch einmal die deutsche Flagge blinkt,
Und alle Mann stramm an den Geschützen,
Und alle schwenken mit Hurra die Mützen.
Der Graf auf der Brücke den Söhnen winkt,
Die, wie im Sieg einst, im Tod ihn stützen.
Sein Schiff, es feuert noch, als es sinkt,
Schon halb unterm Wasser die Mündungen blitzen,
Schon halb unterm Wasser der Ruf noch erklingt:
"Hoch Deutschland, Deutschland; Gott, magst es schützen!"
O Sonne, konntest stolz untergehen,
Hast als Helden der See Jung-Deutschland gesehen!
(Garoet, 29. April 1915)

Die Vöglein, die aus den Bäumen dort locken,
Die fragte ich jüngst: "Wann wird es Friede?
Wie lange muß mir mein Herzblut noch stocken?
Jetzt komme ich nur zur Liebsten im Liede.
Ach, Vöglein, sagt es mir armem Verbannten,
Wie lang’ muß ich hier die Stunden noch dehnen?
Ach, Liebste, ich gleiche jetzt einem Entmannten,
Ich koste nie Liebe, erleide nur Sehnen.
Sagt, mich zu trösten, darf ich bald reisen?
Schickt, wenn der Friede nahe, der klare,
Winkende Schmetterlinge, die weisen,
Schickt sie, daß ich’s als Hoffnung erfahre!"
Bald nach der Frage sah ich mit Staunen,
Wie um das Laub weiße Falter erschienen.
Sind sie der Landschaft spielende Launen?
Oder wollen als Zeichen sie dienen?
(Garoet, 30. April 1915)

Seht dort die Reihen Kreuze stehen,
Gleich einem Pilgerzug zu sehen
Am Himmelsrand ohn’ Ende.
Seht um die Kreuze Primeln blühen,
Die Gräber frohen Mutes glühen
Und lächeln im Gelände.
Die Toten aus den Feldern winken:
"Laßt nicht den Mut zum Kampfe sinken!
Wir reichen euch die Hände."
(Garoet, April 1915)

Es springen Ziegen am Straßenrand,
Und Bauern, die Reisbündel in der Hand,
Ziehn unter Mandelbäumen hin.
Der Tag hat sonnigen Arbeitssinn.
Es hocken Verkäuferinnen am Weg
Mit Käufern, versunken in Handelsgespräch.
Und Bambus schattet mit hohem Strauß,
Und Käfige schaukeln am Strohmattenhaus,
Und Kinder Spielen am Treppenstein.
Vom nahen Reisfeld glänzt Spiegelschein
Des Wassers, das um die Reisähre steht.
Und eine Kokospalme weht
Und winkt ins blaue Licht hinaus.
Sie alle sind warm und wohl zu Haus.
Nur ich schau’ zu mit fremdem Blick
Und trage die Fremde als Stein im Genick.
(Garoet, 16. Mai 1915)

Es kämpfen nicht nur Mann gen Mann
Zu Fuß und hoch zu Pferde,
Die Sonne es dir sagen kann:
Es kämpft der Geist der Erde.
Ich saß zur Ruh’ bei einem Baum,
Der hielt die Luft umschlungen,
Die Sonne kam zum Blättersaum
Und hat mir’s zugesungen.
Zu meinen Füßen glänzte Gras
Blank wie der Pferde Mähnen,
Es war vom scharfen Tau noch naß
Wie ein Gesicht voll Tränen.
Es kämpft der deutschen Erde Geist,
Er will die Völker führen,
Viel Blut aus tausend Wunden schweißt,
Der Grashalm muß es spüren.
Sah dann im jungen Morgenblau
Hell eine Taube fliegen,
Ihr Lichtbild spiegelte im Tau.
Heiliger Geist, hilf siegen!
(Garoet, 17. Mai 1915)

Ein großer Regen hastig fällt.
Es regnet Tränen. Es weinen
Die Toten meiner Heimatwelt,
Die sich um mich vereinen.
Es gischt der Regen, und es schallt,
Und fliegende Blitze scheinen,
Und Donnergehämmer im Berg verhallt,
Der Regen springt zu den Steinen.
O großer Regen, o stehe still.
Halt ein, o großes Weinen!
Der Tob das große Leben will,
Und nie die beiden sich einen.
(Garoet, 18. Mai 1915)

War doch, solang’ die Erde steht,
Den Menschen nie die Zeit so heiß.
Des Krieges tolle Flamme weht,
Der Tag ist rot, der Tag war weiß.
War doch, solang’ die Erde grünt,
Kein Kampf so männerstolz im Gang,
Kein Dichter hat sich je erkühnt,
Zu träumen solchen Eisensang.
War doch, solang’ die Erde denkt,
Kein Tod so sehr voll Lebensbrand.
Kein Mann hat je solch Macht verschenkt,
Wie der heut fällt fürs Vaterland.
(Garoet, 26. Mai 1915)

Ein wolkenschwerer enger Tag,
Wie ich ihn in der Heimat mag,
Liegt über Reisfeld und Vulkan.
Der Morgen sieht sich dunkel an.
Und der Mimosenbäume Zeile
Windstill am Wege. Und ich teile
Den Ernst der Straße, die gebleicht
Wunschlos in graue Fernen reicht.
Und lautlos, wie nur Vögel fliehen,
Javanen durch die Felder ziehen.
Sie eilen wie Gedanken fort
Und grüßen nur mit Flüsterwort.
Lautlos zu sein, ist ihr Behagen.
So still; man hört die Wolken fragen:
Wo will der Weg der Menschen hin?
Wunschlosigkeit gibt frommen Sinn.
(Garoet, 13. Mai 1915)

Das Auto rattert laut bergan,
Und Bambus dunkelt mir die Straße.
Ein Hähnlein kaum noch fliehen kann.
Ein Kopf guckt aus dem Strohgelasse,
Der Sundanese staunt uns an.
Im Reisfeldwasser Frauen stehn,
Und junge Brüste fromm sich runden.
Die Mütter nur ihr Kindlein sehn,
Im Liebesurwald nackt gefunden.
Es kommen Dörfer und vergehn.
Der Wagen, lautlos, sinkt zum Tal.
Im Abgrund rollt mit schroffem Gruße
Hin durch der roten Erde Saal
Der Leib von einem Urwaldflusse.
Der Weg zum Tode ist hier schmal.
Der Wagen überholt den Schaum,
Der rund um Lavablöcke flutet.
Knapp streift er hin am Felsensaum.
Manchmal die Hupe heulend tutet,
Dann hallt der Täler grüner Raum.
Das Urwaldkraut das Stahltier kennt,
Das donnernd kommt und, schnell verschwunden,
Laut rasselnd um die Hänge rennt,
Und das die Eile hier erfunden,
Wo Ruhe nie die Eile nennt.
Die Blüten vom Trompetenstrauch,
Baumfarren, alle, sie erschrecken,
Kommt knatternd der metallne Bauch
Des Tieres durch die Teestrauchstrecken
Zum Baumvolk, schwälend Gift und Rauch.
Die Urwaldblöcke nie begreifen das Ziel.
Sie wissen nichts von Menschenlaunen.
Bei steifer Blätter altem Spiel,
Bei alten Sprüchen, die sie raunen,
Ist ihnen Eile viel zu viel.
Die Urwaldseele schläft auf Daunen.
(Garoet, 1. Juni 1915)

Der Kokospalmen Federblätter in dem Wind,
Die sträuben sich. Die Mandelbäume rauschend sind.
Und Pisangschäfte schaukeln sich erregt,
Die Lauben alle sind schreckhaft bewegt.
Ich sehe über das Geländer weit hinaus
Von meinem Altan in dem offnen Haus.
Der Wind, gleich einem Boten, tritt heran,
Ich höre Worte, die er wecken kann.
Es spricht dort aus den Lauben, laut und leis,
Gar mancher, den ich bei den Toten weiß.
Es ruft vom großen Wolkenhintergrunde
Die Sehnsucht, und es braust der Bäume Runde.
Und sitze ich so lauschend vor dem All,
So spricht die Welt mit meinem eignen Munde.
Der eine ist des andern Widerhall.
(Garoet, 1. Juni 1915)

O Krieg, wie lange willst du noch
Des Tages wüster König sein?
Die Sonne ward vor dir längst klein,
Der Himmel niedrig, der einst hoch.
O Krieg, nährt dich doch nicht genug
Das reiche arme Menschenblut,
Der Männer eisigblinder Mut,
Der Toten ungezählter Zug?
O Krieg, wie lange lauschst du schon
Dem Schrei der Wunden, die du schlägst?
Die Stirn ist schlaflos, die du trägst,
Und nur aus Trümmern ragt dein Tun.
Krieg, deiner Krone roter Schein
Bringt vielen ein unsterblich Glück!
Auf Helden siehst du starr zurück,
Und Namen hallt dein Herz aus Stein.
O Krieg, dein wahnhaft Heldentum
Läßt wenig Lebenslicht entstehn,
Die Völker blutleer untergehn,
Die sich berauscht an deinem Ruhm.

Da draußen liegt der Sonnenschein,
Drückt er denn nicht die Blätter tot?
Mich zwingt er nur zum Traurigsein,
Mir spricht er nur von Krieg und Not.
Da draußen ewig Himmelsblau.
Doch mir wird längst kein Tag mehr hell.
Um mich ist’s stündlich kummergrau,
Mein Leid rückt nicht von seiner Stell’.
Man hungert meine Heimat aus,
Man tötet deutsches junges Blut
Und hält mich fern von Weib und Haus.
Wer krankt da nicht an stiller Wut?
(Garoet, Juni 1915)

Ach, gestern schossen sie hier voll Wut.
Die Bäume stehen bespritzt mit Blut.
Was tun sie heute? Was tun sie dort?
Sie gehen im Gras umher ohne Wort,
Den Helm im Nacken, sie stehen gebückt,
Soldat bei Soldat heut Blumen pflückt.
Heut grub man den töpferen Toten das Grab,
Heut senkt man sie blumengeschmückt hinab.
Nicht eine Hand heut ans Töten denkt.
Sie sind ins Blumenpflücken versenkt.
Der Fluß geht vor sichte voll, nicht hart,
Und Wiesenhalme umwehen den Bart.
Sie pflücken alle. Sanft pflückt die Hand,
Die gestern nur Zeit zum Töten fand.
Und bald vielleicht liegt still und Starr
Dieselbe Hand in der Blumenschar.
(Garoet 1915)

Wie ich mich schäme, wenn ich mich labe,
Daß ich täglich mein Essen habe.
Wie ich mich schäme des Bettes, der Kissen,
Und meine Brüder im Schneefeld zu wissen,
Die da im Laufgraben brechen ihr Brot,
Zur Seite den kältesten Freund – den Tod.
Wie ich mich schäme der tatlosen Hände,
Die ich nur falten kann täglich ohn’ Ende,
Den Himmel droben um Segen zu flehen,
Segen für sie, die im Feuer heut stehen,
Schäme mich meiner Atemlust,
Schäm’ mich im Schlafe noch unbewußt.
Schäme mich blind vor den Sonnentagen,
Die da glänzen, nicht Kummer tragen,
Sehn’ mich nach Nebel, nach grauem Regen,
Darin die Tage sich trauernd bewegen.
Schäme mich stündlich und trage Gram,
Bald erstick ich an dieser Scham.
(Garoet 1915)

Wie Berge einsam bin ich. Möchte klagen.
Muß täglich, stündlich in die Leere fragen.
Reisvöglein hat es gut dort im Geäst,
Das ab und zu fliegt zu der Brut im Nest.
Der Leute Schritte in der Bäume Schatten,
Die vor dem Haus hinwandern ohn’ Ermatten,
Sie wissen still und stet ihr täglich Ziel.
Doch Ungewißheit treibt mit mir ihr Spiel.
Die Hahnenschreie, die vom Zaun herschallen,
Hell heimatlich im Ohr mir widerhallen.
Ein Rechen vor der Tür scharrt hin und her, –
Einfachste Laute, von Erinnerung schwer.
Doch Krieg verhüllt mit grauer Luft die Ferne.
Vergeblich such’ ich nach der Heimat Sterne.
Kein Frieden zieht mir in die bange Brust.
Nie hat mein Blut von solcher Qual gewußt.
(Garoet, 1915)

Wage kaum zu atmen mehr,
Rundum geht der Tod einher,
Viele Schwellen bleiben leer.
Viele Augen schlossen sich,
Jedes ward ein dunkler Strich,
Als das Lächeln bleich entwich.
Schwere Wolken ziehen hin,
Mancher dort ich ähnlich bin,
Hängen ernste Schatten drin.
(Garoet, 1915)

O Brust, gäbst du den Atem her,
Du hebst doch nicht das bange Meer,
Darauf sich schwer mein Heimweh wiegt.
Zu Hause sind die Städte leer,
Und viele deckt die Erde schwer.
Die Jugend gibt ihr Blut und siegt.
Die Luft voll toter Helden fliegt.
O Brust, ich weiß es bald nicht mehr,
Ob Deutschland noch auf Erden liegt.
(Garoet 1915)

Wollt’ so gern es tragen,
Wollte nicht verzagen,
Was es mir auch bringt.
Könnt’ ich euch nur nützen,
Könnt’ ich euch nur schützen,
Euch, die ihr dort ringt.
Ach, so fern ich lebe!
Gar nichts ich euch gebe
Als der Treue Gut.
Und ihr dort zu Hause
Steht im Stahlgebrause.
Opfert Kraft und Blut.
Sieg schlägt euch zu Rittern!
Muß ich nicht erbittern,
Weil ich nicht dabei?
Kann ich’s je verwinden
Wenn wir je uns finden?
Nie schweigt mir der Schrei.
(Garoet, 3. Februar 1916)

Und kämen die Dichter wieder
Die je auf Erden gesungen,
Zu bringen heut neue Lieder
In allen den Völkerzungen, –
Sie hätten nicht genug Töne,
Zu singen vom Mut der Heere,
Der dem Tod geweihten Söhne,
Die fielen im Feld der Ehre.
Schlug man die Wälder auf Erden
Daß Ehrentempel und Hallen
Den Heeren der Helden werben,
Die vor den Feinden gefallen, –
Das Holz, das würde nicht reichen
Ein würdiges Haus zu richten,
Nicht alle Wälder der Eichen.
Nicht alle Wälder der Fichten.
Was können wir opfern ihnen
Die frisch ihr Blut hingegeben?
Zum Dank, den diese verdienen,
Dazu reicht nicht unser Leben.
Die Menschheit hat es geduldet.
Kann sie den Dank jemals zahlen?
Die Menschheit bleibt tief verschuldet
Dem letzten Mann, der gefallen.
(Malang, 23. Sept. 1916)

"Wir sind die Vögel vom Niemandsland".
Ich ging am Meer, das lag da frei.
Da jagten Vogelscharen vorbei,
Und deutlich ich ihren Schrei verstand.
"Wir sind die Vögel vom Niemandsland.
Die Erde dort ist vom Tode blind.
Dort lebt kein Haus und lebt kein Gesind.
Wir lernten fressen aus Leichenhand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland,
Wo Wolken Eisen wild niedergehn.
Wo rund sich die Lüfte brüllend drehn,
Im Granatenloch das Nest uns stand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland.
Wo nur Männer sterben, Männer blühn,
Wo des Nachts noch die Geschosse glühn,
Aufflogen wir im Raketenbrand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland.
Dort ist der Tod der Tageslohn,
Singt die Kanone dem Leben Hohn.
Wir löschen den Durst beim Blut im Sand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland
Kein Baumzweig hat uns jemals gewiegt
Weil jeder Baum dort in Splittern liegt.
Wir fanden nur Schutz im Unterstand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland,
Wir sangen dem Manne am Brustwall zu,
Doch mehr als Lieder gab Helden Ruh
Die singende Kugel am Grabenrand.
Wir sind die Vögel vom Niemandsland.
Dort bei des Trommelfeuers Gedröhn,
Dort singt es sich gar so wunderschön,
Der Sterbende dankt, uns zugewandt.
Der Krieg weicht nicht, bis den Mann man fand,
Den Mann, vor dem den Zärtlingen graut."
Verschwindend riefen die Vögel laut:
"Wir suchen den Herrn vom Niemandsland."
(Malang, 16. November 1916)

[...]




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Gedichte: Tragik

13.12.2012 um 20:08

[...]

(Aufruf an die Deutschen auf Java, der Heimat zu helfen)
Wir sitzen hier in der Sonne, die wir nie missen.
Wir sitzen hier vor gefüllten Schüsseln und Schalen.
Wir, die wir am Leibe hier nichts vom Kriege wissen,
Nichts von der Todeskälte und den Hungersqualen.
Daheim ist kaum Wolle zu haben und kaum Essen.
Der Säugling schon lernt den lähmenden Hunger kennen.
Ihr sollt die zu Hause keinen Tag hier vergessen.
Wenn sie auch nicht laut und dringend ihr Leiden nennen.
Kartoffeln und Brot werden ihnen knapp bemessen.
Wenig Fleisch wird in Grammen sparsam zugewogen.
Sie bekommen ein Ei in der Woche zu essen.
Fett und Zucker sind allen so gut wie entzogen.
Die Frauen müssen in Stunden und Stunden warten,
Aufgestellt auf dem Pflaster vor den Ladentüren,
In der Hand die Brot-, Milch- und Kartoffelkarten
Und dürfen nicht Ungeduld und nicht Kälte spüren.
Wie wird das Mehl vorsichtig verteilt aus dem Spinde.
Mancher Magen hat lange kein Fleisch mehr gesehen.
Und manche Mutter hungert und gibt ihrem Kinde,
Und sie muß tags am eisernen Schraubstocke stehen.
Seit Monaten hat sich keiner mehr satt gegessen.
Was nützt den Reichen das goldene Geld im Kasten!
Noch im Schlaf wird der Krieg nicht vom Hunger
vergessen.
Beide, Reiche und Arme, fürs Vaterland fasten.
Darum sollt ihr geben und geben und noch geben,
Ihr Deutschen hier draußen. Denn nicht mit Blut und Nöten
Habt ihr zu kämpfen um jede Stunde im Leben.
Helft Frauen und Kindern daheim, die Not zu töten!
Es kämpfen dort nicht nur Männer im Schützengraben.
Frauen, Kinder bekämpfen den Hunger, den kalten.
Deutsche, hört! Zögert nicht mit eures Geldes Gaben.
Pflicht ist jetzt: Durchhalten mit ihnen, die aushalten!
Gebt ihr viel, so ist das Viel noch wenig. Bedenket:
Was geben Deutschland jene, die den Hunger geben!
Ist dagegen nicht wenig, das was ihr hier schenket?
Die zu Haus hungern, halten die Heimat am Leben.
(Soerobaya, Dezember 1916)

Sind je die Zeiten trauriger gewesen?
Die Menschheit hat die Brüderschaft vergessen.

Die Stundenreihen in dem Haß versinken.
Die Erde muß mehr Blut als Regen trinken.
Im Westen dort, das ist nicht Abendglut, –
Die Erde bricht zum Himmel aus das Blut.
(3. März 1917)

Kann nicht mehr fluchen. Ich muß trauern und schweigen,
Da sich die Völker endlos belauern, endlos die Zähne zeigen.
Muß sie bedauern. Die Träne will still steigen.
Ohne Nutzen wühlen in Wut die Nie-Satten,
Lassen das Eisen nicht kühlen, nie ermatten.
Tot ist all ihr Fühlen. Es rasen nur Schatten.
Hassende sind sie, die geistlos weitertöten.
Gegenwart wird verhallen, Zukunft erröten.
Sie lallen sinnlos, haben Vernunft vonnöten.
Ihr Götze lacht, der Neid, den Ohnmacht geboren.
Sie haben für Lust und Leid den Sinn verloren,
Abgestumpft vom Streit, dem Hunger vor den Toren.
Der Erde wachsen Sorgen wie Leichenhaufen.
Alle wollen das Morgen im Blut ersaufen.
Doch vom Tod ist nichts zu borgen, nichts zu kaufen.
(Tosari 1917)

Ach, Tag und Nacht der gleiche Drang
Nach deutscher Luft und deutschem Klang.
Und immer klafft des Krieges Kluft,
Darüber hin das Heimweh ruft.
Vier Jahre quäle ich mich hier,
Die Sonne kommt tags kaum zu mir.
Es ist ein fremdes, wildes Licht,
Und auch kein Baum von Deutschland spricht.
Mein Leib lebt hingejagt und Scheu.
Der Geist ratlos, der Heimat treu,
Gibt meinem Blut schmerzlich Gewicht,
Und stets: "Geduld, Geduld" er spricht.
Geduld, – ein Strohhalm ist dies Wort.
Dran klammern wir uns fort und fort.
Wenn einen die Geduld jetzt ließ,
Das Heimweh ihn in Stücke riß.
(Tosari, 28. Februar 1918)

Im Wasser vor mir rosa, weiß und lila stehen
Auf starren Stengeln Scharen von Nymphäen.
Die Blüten still und regungslos zum Morgenhimmel sehen,
Doch unter ihnen ihre Spiegelbilder sich zuckend drehen.
Von dir getrennt muß ich durch diesen Tropengarten gehen,
Stumm, nur im Blut bewegt sich mein Gesicht,
Wie tief im Teich der Blumen Spiegellicht.

Ihr alten Tamarindenstämme mit Kronendach, das wie ein schwarzer Schleier,
Zu euch komm’ ich nun Abend hinter Abend gewandert durch den Staub
Und übe Dämmerfeier.
Das enge Blut, das trübe, klopft mir ein wenig freier,
Seh’ ich euch stark und streng zum Himmel hingestellt
Auf festen, zähen Wurzelfüßen in diese schwanke Welt.
Den Abend mag ich gern bei euch begrüßen
Und seine goldne Farbenleier.
Euch alten erdentsprungenen Recken seh’ ich willig zu.
Ihr ladet Unruh’ ein zur Ruh’.
(Makassar, 29. August 1914)

O, oft am Tag
Muß ich die Hand
Ans Herz rasch legen.
Auf stillen Wegen
Trifft ein Stein
Die Brust.
Mir wird bewußt:
Ich bin allein,
Weit von der Liebsten
Und vom deutschen Sonnenschein.
(Makassar, August 1914)

Im Zwielicht lagern Kähne auf der Meeresfläche.
Von dünnen Masten springt ein schmales Licht.
Gleich Widerschein im Wasser, leben mir Gespräche,
Zu denen meine Augen ein Gesicht sich weben.
Bleib! Bleib! Du sollst in schweren Nächten mich umgeben.
(Makassar, 29. August 1914)

Es spielen keck spiegelnde Fische in morgendlicher Flut.
Sie schnellen auf zur Luft im Übermut.
Nach ihnen schweben stumm zwei Möwen,
Getrieben von des Hungers Willen.
Die Lust des einen muß die Not des andern stillen.
(Soembawa, 2. September 1914)

Mein Herz, wird sie noch reichen, die Kraft,
Die in dir schafft?
Das Haar will mir schon bleichen.
O Herz, noch eine Weile halt aus!
Bald glänzt das Ziel,
Dann deine Sorgen teile.
Zwei Herzen tragen viel.
(Soembawa, 2. September 1914)

Im alten Tempelhof, der grau ist und verlassen,
Da blühn allein vielarmig Frangipanibäume
Und halten ihre Blüten hoch, die weltentrückten, blassen,
Und opfern ihre scharfen Düfte, ihre ganz verzückten,
Den grimmen Götterbildern, die da, Stein bei Stein, sich selbst besehen,
Im alten leeren Hofe dort im Schatten stehen und verwildern.
(Bali, 6. September 1914)

Ich fuhr die lange Straße im Staub dahin,
Sah hundert mal hundert Leute vorüberziehn.
Die in Staub und Sorgen gehen, wann sind selig die?
Ich glaube, sie wandern und sterben, und wenn sie nicht liebten,
Lachten sie selig – nie.
(Lombock, September 1914)

Großtropfiger Regen, der auf die Erde schlägt,
Unter dir stehen im Donner die Bäume rauschend bewegt.
Blitz und Donner und Regen, wie lebt ihr glücklich und frei!
Erhört und erfüllt doch eines Gefangenen Sehnsuchtsschrei!
(Medan, September 1914)

Ich sitze in einem großen Baum,
Weit greifen die Äste zum Himmelsraum.
So klammern sich meine Gedanken ins Leere
Zur Heimat fort über luftige Meere.
Der Wind nur belebt grüner Blätter Schar,
Und er bewegt am Haupt mein Haar.
Mein Blut, das erstarrte, horcht aufgetaut,
Es sucht im Wind einen Heimatlaut.
(Lima Poeloe, Oktober 1914)

In dem Gartengange,
Um die funkelroten Blüten
Der Hibiskushecken
Flattern Falter aus Verstecken,
Die sich froh im Liebesdrange
Spielend fangen und sich necken.
Ach, wie lange
Muß ich andere glücklich sehen
Und muß warten!
Darf, der Wolke gleich,
Im besonnten Garten
Nur als Schatten gehen. –
Wie die Wolke bleich.
(Lima Poeloe, 23. Oktober 1914)

Wie der zähe Gummisaft aus jenen Bäumen,
Die die Pflanzung bis zum Urwaldrande säumen,
Quillt aus mir ein jähes Sehnsuchtsträumen.
Muß uns auch die halbe Erde trennen,
Sie, um die im Kreise meine Stunden rennen,
Muß ich immer meiner Seele Seele nennen.
(Lima Poeloe, 24. Oktober 1914)

Mir kommt ein Grauen an vor dem Leben.
Es kann uns Ruhe unter den Füßen
Und vor die Augen sonnige Landschaft geben.
Aber im Herzen hallt es von Vernichtungsschüssen,
Toben Krieg und Verwüstung,
Wagt die Seele den Todessprung.
(Lima Poeloe, 24. Oktober 1914)

Blaue Wolken in langen Strichen
Auf gelblichem Grunde.
Es ist Dämmerstunde,
Die Nacht kommt geschlichen.
Wieder ist ein Tag ohne dich entwichen
Und ließ mir im Herzen die Wunde.
(Lima Poeloe, 11. November 1914)

Gerne möchte ich die Hände falten
Und die Wege gehen, die erinnerungsalten,
Möchte meine Heimatnächte wiedersehen.
Ach, nun singt die Amsel bei der Röte
Schmaler Abendwolken im Holunder,
Hier im Reisfeld gurgelt die Posaunenkröte,
Und zum Himmel spreizt sich Palmenplunder.
Ach, daheim der Mondstrahl überm Flieder!
– Hörst du nicht der Gartentüre Klinke?. –
Liebste, steig die hellen Stufen nieder,
Und ich steh’ im Hohlweg unten, winke.
Und wir wandern um das kleine Haus,
Sitzen unterm alten Apfelbaume.
Und der Nachtigall geht die Lust nicht aus,
Und der Mond, er krönt uns in dem ewigen Raume.
(Garoet, Java, 28. März 1915)

Mit Flöte und der Violin’
Javanen, zwei, die Landstraß’ ziehn.
Sie feiern so die helle Nacht.
Musik am grauen Weg erwacht.
Hörst nicht der nackten Füße Schritt, –
Hörst nur Musik. Sie schreitet mit.
Musik als Dritter ist Gesell.
Sie folgt den beiden wie ein Quell.
Musik geht vor den beiden her.
Sie wissen bald von sich nichts mehr.
Musik zieht ihre Seelen fort,
Und zu Musik wird Zeit und Ort.
(Garoet, April 1915)

Es huschen dort Vogelschatten im Laub,
Ach, Vöglein sind nicht für Klagen taub.
Die kleinen versteckten Sänger im Grün
Sind fröhliche Seelen, die sich bemühn,
Das Herz, das sich quält, mit des Himmels Ruf
Zu locken zum Lichte, das uns schuf.
Sie singen, entzückt von Liebe, sich zu.
Sie geben dem gramvollen Horcher Ruh’.
Er segnet die Sänger. Und Freude und Glück,
Die lang’ ihn gemieden, sie kehren zurück.
Laßt die Vögel nisten um euer Haus,
Es schlüpfen aus kleinstem Ei Glückslieder aus.
(Garoet, 28. April 1915)

Dort in der rauschenden Nacht, schlafender Mandelbaum,
Meine Lampe bescheint dich streichend im finsteren Raum.
Heute am Tage, da spielten Schmetterlinge bei dir,
letzt in der Nacht da stehst du, ach, so verlassen still hier.
Dir kehrt die Freundin, die Sonne, morgen zurück ins Geäst,
Morgen, da feiert ihr wieder begeistertes Blütenlustfest.
Doch ach, zu mir Verlassenem kommen die Stunden nur leer,
Licht ward zur Dornenkrone, täglich drückt sie mich mehr.
(Garoet, April 1915)

Ich ging und ließ die Sonne versinken,
Ließ die Wolken in lila Tinten blinken,
Ließ das Feuer der Schnitter im Strohfeld winken,
Ließ alles Leben in Nacht ertrinken.
Ich ging und ließ der Gedanken Saaten,
Ließ die Nähe schwinden und ihre Taten,
Die Stunden, die mir den Weg vertraten,
Ich ließ sie alle, und ob sie auch baten.
Ich ließ die Leere und ließ den Schaum.
Ich ließ die Zeiten und ließ den Raum.
Ich ließ des Daseins endlosen Saum.
Da fand ich mein Herz. Ich erkannte es kaum.
(Garoet, 1. Mai 1915)

Es hockte im Morgen der Hirte am Bach,
Die Ziegen gingen den Kräutern nach,
Er hielt ins Wasser die Fingerspitzen
Und ließ sich von kreiselnder Welle bespritzen.
Es grasten am Uferrain Stier und Ruh,
Die Holzglocken pochten leis ab und zu.
Das Bachwasser rauschte frisch ohne Ermatten
Und rannte durch blaue und grüne Schatten.
Es sprach zum Herzen des Grases Duft,
Der Wolken Türme, gebaut aus Luft.
Und wunschlos betrat ich die schwindelnden Gassen, –
Einen Augenblick ward ich bei Gott eingelassen.
(Garoet, 2. Mai 1915)

Die Wolke, die im Blau hinschleicht,
So fern, so fern dein Haus erreicht.
Der Wind, der an die Mauer schlägt,
So fern, so fern dein Haar bewegt.
Die Erde, die uns Mutter ist,
So fern dich von mir grüßt.
(Garoet, 2. Mai 1915)

Am Hügel schlummert der Klapperbaum
Und das Lalanggras an des Weges Saum.
Der Halbmond wacht im Himmelsraum.
Die Sehnsuchtgedanken sind mein Geleit.
Ihr Atem ist warm. Ihr Weg war weit.
Sie kommen von dir über Urbusch und Meer.
Sie trinken mein Blut. Sie trennen sich schwer.
(Garoet 1915)

Es wird so dunkel, und mir wird so bang.
Die Trennung von der Liebsten ist so lang.
Ich zittre, liege still und atme kaum, –
Ein Blitz fiel geisternd durch den Himmelsraum.
Ich bin so schreckhaft wie ein Wild im Wald.
Die Sonne sank; und kehrt sie wieder bald,
So hab’ ich nur das eine stets gedacht:
Fern von der Liebsten ist es ewig Nacht.
(Garoet 1915)

Nur die Sorge mir übrig blieb.
Nun habe ich bald die Sorge lieb.
Die Sorge redet ernst und schlicht,
Die Sorge wie eine Mutter spricht.
Bist du mit der Sorge auf du und du,
Dann siehst du der Wahrheit des Lebens zu.
Liebst du mich, Gott, dann Sorge gib.
Die Sorge macht uns das Leben lieb.
(Garoet 1915)

Der Kokospalmen Federblätter in dem Wind,
Sie sträuben sich. Die Mandelbäume rauschend sind.
Und Pisangschäfte schaukeln sich erregt,
Die Lauben alle sind schreckhaft bewegt.
Ich sehe über das Geländer weit hinaus
Von meinem Altan in dem offenen Haus.
Der Wind, gleich einem Boten, tritt heran.
Ich höre Worte, die er wecken kann.
Es spricht dort aus den Lauben, laut und leis,
Gar mancher, den ich bei den Toten weiß.
Es ruft vom großen Wolkenhintergrunde
Die Sehnsucht, und es braust der Bäume Runde.
Und sitze ich so lauschend vor dem All,
So spricht die Welt mit meinem eignen Munde.
Der Eine ist des ändern Wiederhall.
(Garoet, 1. Juni 1915)

Steigt frisch der Morgen auf mein Dach,
Dann rufen mich die Sorgen wach.
Sie schreien: geh der Arbeit nach!
Ich leg die Hände nicht zum Schoß,
Ach, meine Arbeit ist so groß:
Gezähmt soll sein der Sehnsucht Roß.
Unbändig hält es niemals Schritt.
Der Zügel mir die Faust zerschnitt.
Noch keiner solche Wildheit ritt.
(Garoet, Juni 1915)

Und nun lege ich Messer und Gabel nieder,
Komme von einem Zimmer zum andern,
Sitze immer neben der Leere wieder,
Und von Leere zu Leere muß ich tagsüber wandern.
Heimat und Liebste, die den Reichtum bedeuten,
Suche ich nachts noch auf dem Kissen, dem leeren.
Bettler bin ich bei fremden Landen und Leuten.
Heimat und Liebste, keiner kann sie entbehren.
(Garoet, Juli 1915)

Du Baum, allein am Hügelrand,
Dein Einsamsein ist mir verwandt.
Du siehst wie ich den Tagen nach,
Und ruhlos rauscht dein Blätterdach.
O Wolken, Wind, o, Abendland,
Wie seid ihr Schweigenden mir verwandtl
Ein Blitz springt übers dunkle Kraut, –
Die Ewigkeit hat uns angeschaut.
Das Leben, – ein feuriger Augenblick!
Und Sehnsucht und Sehnsucht ist unser Geschick.
(Garoet 1915)

O, ich habe gebetet unter dem nächtlichen Baum,
O, ich habe gebettelt um eine Gnade nur.
O, ich fragte beim Reichtum der Sterne im Raum.
Götter, lenket das Glück auf meine Spur!
Ging und wurde schweigend wortlos entlassen.
Ging und schwieg vor mich hin in den leeren Gassen.
(Garoet 1915)

Allmachtgott, du naher,
Seit ich zu dir halte,
Wird mein Kummer leichter,
Glatt die Sorgenfalte.
Gott der hellen Höhe,
Gott der klaren Tiefe,
Selig machst du alle.
Daß dich jeder riefe!
Bist die Lebensruhe
An der wilden Straße.
Bist die Lebenswelle
In der toten Masse.
Bin dir voll ergeben.
Glücklich macht dein Wille.
Dein Wunsch ist mir Freude,
Gott der Lebensfülle.
(Garoet, 2. August1915)

Ein Jahr ist die Erde um die Sonne gegangen
Und trug mit sich meines armen Herzens Verlangen,
Der Wind kam oft die Bäume zu umfangen,
Nur ich hin mit leeren Armen heimgegangen.
Meine Schritte gehen still, die einst froh erklangen,
Ein Jahr ist, ohne daß ich es lebte, vergangen.
(Garoet 1915)

Ach, die Stunden, die langen!
Die Sonne ist untergegangen
Die dunklen Bäume, die lieben,
Die sind stehen geblieben.
Sie wiegen sich bei mir die ganze Nacht,
Wir fliegen dem Mond zu, der sich aufgemacht.
Ach, die Bäume, die lieben,
Wenn sie rauschend die Blätter verschieben,
Rufen sie Gedachtes in die Räume.
Aber ihre Schattenspiele sind ihre Träume.
Sie sind nicht wie die ändern.
Im Stillstehen können sie wandern.
Aber da wir einer Erde Kinder sind,
Sprechen die Bäume, die lieben,
Nicht nur in den Wind.
Es ist nicht übertrieben:
Ihre Worte sind oft in mir hängen geblieben.
(Garoet 1915)

Was soll ich in dem fremden Land?
Noch keinen Tag ich rein an Freude fand.
Was soll ich bei den fremden Frauen,
Die mich erstaunt weither anschauen.
Was soll ich ohne Heimaterde hier?
Gequält klagt still mein Ohr im Wortgewirr.
Ich wünsche, stand’ ich doch an alter Schwelle!
Nur Heimat gibt dem Mannesgeist die Helle.
(Garoet 1915)

Der blaue Himmel und der Sonnenschein,
Sie stiegen nicht mit mir ins Schiff hinein.
Beim Regen bin ich einsam hier gelandet.
Im Meere schlug mein Herz noch weit – jetzt liegt es hier versandet.
Der Regen fällt und füllt mit Trübnis die Gedanken,
Sie schwimmen grau vorbei wie tote Hüllen.
Ihr Mut starb hin, da sie in Gram versanken.
Die Wünsche töten, die sich nicht erfüllen.
Bin wie ein Kranker, den die Nacht bedrängt,
Bin wie der Mond, der blaß im Raume hängt.
Darf ich mein Blut nicht bald an Liebe stillen
Sterb ich an meiner Wünsche letztem Willen.
(Garoet 1915)

Die Welt um mich ist ein Krankenzimmer
Mit geschlossenen Läden im Zwielichtschimmer.
Ich möchte nur leise Schritte machen,
Meine Augen schmerzen vor nächtlichem Wachen.
Meine Brust ist von Sorgen eng umbunden,
Inwendig bluten mir stechende Wunden.
Ich kann noch kein Ende der Krankheit sehen.
Werd ich je froh auf den Füßen stehen?
Das Fieber des Krieges, Heimweh und Sehnen, ---
Ich dulde stumm mit verbissenen Zähnen.
(Garoet 1915)

Und der Wind hat sich aufgemacht
Er durchwühlt die Bäume in der Nacht,
Kommt dahergerannt groß entfacht,
Und es wankt der Boden unterm Wind.
Möglich auch, daß es meine Sorgen sind.
Ach, ich ward von langem Heimweh blind.
(Garoet, 24. August 1915)

Mit Sehnsucht schau ich nach Westen gewandt,
Es stirbt mein Seufzen im fremden Land/
Wie eine Welle verläuft im Sand.
Kein Weg, o Heimat, führt zu dir!
Nur deine Sprache lebt bei mir.
Sonst aber bin ich toteinsam hier.
(Garoet 1915)

Es klagt ein Hund dort hinter der Mauer.
Nachts liegen noch Nächte auf der Lauer.
Kein Licht die Dunkelheit vertreibt.
Nacht auch am Tag auf Erden bleibt.
(Garoet 1915)

Im Haus ist’s still. Ein Vogel lacht.
Im Garten sehn sich die Rosen um.
Ihr Blick die Stille leichter macht.
Ich horche auf den Donner hin,
Auf einer Wolke dumpf Gebrumm;
– Wie ich mir unerklärlich bin!
(Garoet 1915)

Du Berg, der hin zum Äther zieht,
Des Gipfel über die Zeiten sieht,
Du Ewiger, der nicht altern kann,
Die Jahre reichen nicht an dich heran.
Und die Jahrhunderte du kaum fühlst,
Wenn du die Stirn im Weltraum kühlst.
Du lebtest, als der erste Mann
Das erste Frauenherz sich gewann.
Du lebst noch, wenn einst das letzte Paar
Hinstirbt im letzten Menschenjahr.
Wie wichtig sind mir doch meine Sorgen.
Wie wichtig das Gestern, Heute und Morgen.
Du lehrst weit über die Tage zu schauen,
Du lehrst, dem Ewigen zu vertrauen.
(Garoet 1915)

Unter dem großen Waringienbaum,
Der da trägt den nächtlichen Raum,
Sitze ich bei den bloßen Sternen
Wie unter kleinen blauen Laternen,
Die ihre Gedanken haben, still,
Über das, was ein jeder will.
In der lampenhellen Moschee
Stehen die Säulen, gebaut wie aus Schnee,
Nicht weit von des Baumes finsternden Zweigen.
Der Vorbeter singt über die Rücken, die sich dort neigen.
Es ruft ein Vogel im Waringiengeäste.
Vielleicht will er warnen aus seinem Neste,
Daß mir nicht wünschen, was unerfüllbar ist,
Will, daß der Beter sich selbst vergißt.
Mir ist, als sei ich bei meinen Vätern,
Wenn ich da lausche bei Sternen und Betern.
Schweigend komm’ ich Abend für Abend zum Baum
Als sei auf der Welt für mich sonst kein Raum!
(Garoet 1915)

Bewegte Welt der Berge
Auf Wolken hingebaut!
Das Frühlicht, das erregte,
Nur schmal zum Tale schaut,
Darin die Nacht noch blaut.
Die Wolkenschar zuerst erwacht.
Der Himmel klingt von Geistern laut,
Und ihre Stimme durch die Täler lacht,
Die jedem Klumpen Berg das Herz auftaut.
(Garoet 1915)

Vor dem Fensterrahmen, in der Leere des Himmelsraumes,
Steht draußen die dünne Krone eines Kapokbaumes.
Das Stämmlein hält seine wagrechten Zweige von sich wie Sprossen,
Seine Blätter gilben und winken; sie haben ihr Leben genossen.
Sie wollen sterben und scheiden – und andern Raum geben an den Zweigen.
Sie sind meinen Hoffnungen gleich, die täglich enttäuscht vom Himmel zur Erde steigen.
(Garoet, 5. September 1915)

Und Nacht um Nacht der Wind hinrauscht,
Und Nacht um Nacht mein Ohr hinlauscht.
Und immer die gleichen Sterne ziehn,
Und immer dieselben Stunden fliehn.
Und immer nagt in mir derselbe Gram,
Und keine Nacht ich weiterkam.
(Garoet, 5. September 1915)

Wo ist mein Abendfriede?
Vernichtend naht die Nacht.
Ich suche nach einem Liede.
Ich suche nach deinen Händen,
Nach Gedanken, die du gedacht,
Die Stille stockt an den Wänden.
Ein Schrei liegt mir im Munde,
Ich habe ihn lange bewacht,
Den Schrei der Abendstunde.
(Garoet, 18. September 1915)

Der Schlaf kommt nur als Maske über mein Gesicht,
Darunter wallt mein Blutstrom, der heimwehfiebrig
spricht.
Er bringt mir in dem Traum den liebsten Leib.
Ich finde heim im Wahn zu meinem Weib,
Bis daß des Schlafes Maske spröd wie Gips zerbricht.
Und wieder stier’ ich taumelnd ins leere Tageslicht.
(Garoet, 18. September 1915)

Nun wird es wieder abendstill,
Der Wind noch einmal atmen will.
Er biegt die Bäume hin und her.
Die Sonne schwand. Die Luft ist leer.
Nur gelbe Wolken strahlen leicht.
Die Baumwelt dunkelt und verbleicht.
Die Wolken glänzen um das Haus, --
Sie ziehn den Blick mir weit hinaus.
Ich schaue hin von meinem Tisch.
Der Wind verzischt. Die Luft wird frisch.
Die Wolken wandelt tiefes Rot.
Das Haus versinkt – und mir wächst Not.
Der Himmel ward der Erde gleich:
Ein großes totes Dunkelreich.
Und ich allein mit meinem Blut
Und in mir all der Wolken Glut.
Die Nacht mir um die Schultern hängt.
Die Nacht mich nicht so sehr bedrängt
Wie Ruf um Ruf, den ich erstickt
Im Blut, das in die Leere blickt.
(Garoet, 21. September 1915)

Der Vollmond macht die Nacht so weit,
Die Bäume wachsen dunkel breit,
Und durch die Blätter springt Gefunkel.
Wie eine reiche goldne Last
Hängt er dort blendend auf dem Ast,
Sein Gleißen hell verschwendend.
Schutzspendend glänzt er wie ein Schild,
Der Ruhe und der Wilde Bild
Auf himmlischem Gefilde.
(Garoet, 23. September 1915)

Berge hochgewölbter Wolken standen aufgebaut.
War, als fänden sich im Himmel weiße Wälder,
Von der Ewigkeit gebleicht und umblaut.
Und mein Auge hat sie froh erreicht.
Meine Füße wandern durch der Erde Felder,
Aber meine Seele gern der Welt entweicht.
(Garoet, 23. September 1915)

Stummer Tag legt stumm sich nieder,
Morgen kehrt er stumm dann wieder.
Tage haben zähe Glieder.
In dem schmalen Licht vom Morgen
Stehen schon die stummen Sorgen,
Weint die Sonne noch verborgen.
Ach, es dorren diese Hände,
Wenn ich so ohn’ Ende, Ende
Nur die stummen Blätter wende.
(Garoet, 10. Oktober 1915)

Aufmerksam an der Wegecke ein Laternenlicht sich dreht,
Mutterseelenallein ein warmer Wind über die Straße geht,
Eine weiße Hauswand leuchtend in der Nacht steht.
Unruhig ein Palmenschatten am Wegrand weht.
Meine Augen schreiben auf die Wand ein Gebet,
Ein Gebet meines leeren Armes, der nach der Liebsten fleht,
(Garoet, 10. November 1915)

Ein junger Götterbaum hat heut zum Gruß entboten.
Die eben aufgeschlossenen Tulpenblüten, die Scharlachroten.
Und liege ich zur heißen Stunde auf dem Bett,
Dünkt mich, er hält die Blumen hin aufs Fensterbrett.
Der Baum steht stammend auf der Straße
Mit seiner großen Blüten Scharlachmasse.
Der Glückliche, der hell der Liebe Leben zeigt,
Das ihm durch das Geäder seiner Äste steigt.
(Garoet, 11. November 1915)

Jetzt rührt der Morgenwind die Bäume an.
Sie wiegen sich. Sie flüstern, winken dann,
Und leichthin jeder Baum dort lächeln kann.
Sie deuten auf den Himmel, wo der Geist
Der Güte mit der großen Sonne kreist
Und jedes Blatt das helle Leben preist.
Die Zweige wiegen sich so flink und leicht.
Ein jeder Baum dem Himmel Hände reicht.
Des Baumes Seele der des Menschen gleicht.
Die Seele ist die Summe unsrer Kraft,
Die sich im Augenblick zusammenrafft
Und neue Ewigkeiten in uns schafft.
Der Geist der Ewigkeiten baut im Raum,
Der Geist wirkt auch im Menschen und im Baum.
Dein Körper wird so leicht, du spürst ihn kaum.
Es sind nicht leere Lüfte die dort weht.
Es sind nicht tote Zweige, die sich drehn.
Du kannst die Weltallseele wachsen sehn.
(Garoet, 6. Dezember 1915)

Die Dezembernacht geht warm ins Land,
Wetterleuchten flackt in stummer Ferne.
Und die dunkelglatte Himmelswand,
Überblinkt von Stichen starker Sterne.
Dort das gelbe Lämplein leuchtet kaum
Klein am Boden einer armen Klause.
Offen steht die Tür in Nacht und Raum.
Einer betet halblaut in dem Hause.
Manchesmal ein Menschenschatten liegt
Vor mir lang im grauen Sand der Straße.
Manchmal fällt mich an ein Duft und fliegt
Aus der Bäume hoher Kronenmasse.
Und ich ahne, dort im Dunkel lebt
Vieles, das verborgen sich geboren,
Davon Freude süß vorüberschwebt.
Und die Nacht lacht leis zu meinen Ohren,
(Garoet, 7, Dezember 1915)

O der Abend, o die Dunkelheit!
Sehnsucht macht sich breit!
Tragen soll ich Nacht um Nacht
Diese schwere Ewigkeit.
Längst zu Bergen wuchs die Zeit,
Die mein Warten hingebracht.
Längst verging die Wirklichkeit
Und ich lebe wie der Raum leer und weit.
Ab und zu mein Ich erwacht
Und sieht fragend zur Vergangenheit,
Fragend auf den Berg der Zeit.
(Garoet 1915)

Die Bäume laut im Dunkeln rauschen,
Der Wind nimmt mich zur Ferne mit.
Ich muß noch nachts der Sehnsucht lauschen,
Mein Ohr horcht hin auf jeden Schritt.
Der Sehnsucht ist es nie genug.
Die Bäume reden schnell im Winde.
Und Schmerzen, die ich täglich trug,
Ich nachts noch spät am Wege finde.
(Garoet 1915)

Ich sah in dem Morgen den Hirten am Bach,
Seine Ziegen gingen den Kräutern nach,
Er hielt ins Wasser die Fingerspitzen
Und ließ sich von kreiselnder Welle bespritzen.
Ich ging vorbei an Stier und Ruh,
Ihre Holzglocken pochten sacht ab und zu.
Das Bachwasser rauschte fort ohne Ermatten
Und rannte durch blaue und grüne Schatten.
Es sprach mich an des Graswassers Duft,
Es sprachen die Sommerwolken der Luft,
Ich sah in ihre blendenden Gassen –
Einen Augenblick ward ich bei Gott eingelassen.
(Garoet, 1915)

Ein Licht brennt auf dem Tische
Die lange, lange Nacht.
Und in der Fensternische
Steht bleich ein Weib und wacht.
Sie wandert mit den Blicken
Nie müd’ am Himmel hin.
Die Himmelslichter nicken,
Die langsam weiterziehn.
Kehrt er zurück? Die Frage
Stellt sie still Nacht um Nacht.
Sie wartet ohne Klage.
Sie wartet und sie wacht.

Durch die dunkeln Blätter des Baumes
Sieht mich eine gelbe Abendwolke an.
Die leichten Blätter winken im Wind,
Sie, die des Baumes glückliche Familie sind.
Wann kommt die goldne Wolke zu mir heran?
Nicht mal wie ein Baum ich froh sein kann.
Die Tage sind ein wirrer Wahn,
Wirr, ohne die Gnade des Traumes.
(Garoet, 1915)

Steh in die Wolken, sie bilden
Gesichter verbannter Zeit.
Die Wolken, die weißen, die milden,
Wandern wie Heimweh so weit.
Wolken, mit euch, muß ich fliehen.
Die Wolken hält keiner fest.
Solange Wolken noch ziehen,
Mein Heimweh nicht von mir läßt.
(1916)

Ach, im Hügelland am alten Main,
In dem Rebenland in frohen Franken
Möchte ich mit beiden Füßen sein,
Nicht nur mit den sehnenden Gedanken.
Manches gute Lied singt man am "Stein",
Manchen guten Tropfen wir dort tranken,
Warum muß das Gute fern jetzt sein?
Ach, die Liedertage, sie versanken.
In den Guttenberger Wald hinein
Liegt mein Dach im ewigjungen Franken,
Träte gern zur grünen Pforte ein,
Greifend nach zwei Händen, lieben, schlanken.
Ach, sie geht im Garten dort allein,
Drinnen sich Erinnerungen ranken.
Wann steht wieder zwischen uns der Wein?
Wann liegt alle Not fern in Gedanken?
(Malang, 1916)

Große weiße Malvenblüten, frischbetaute,
Sah ich in der Frühe, da das Taglicht graute,
In dem Garten, und es schliefen noch die Laute.
Jede runde Blüte leuchtete und brachte
Hellen Schmelz dem Himmel, der erwachte,
Als das Gartentunkel noch der Nacht gedachte.
In der Ferne stand ein blauer Berg gehoben,
Lange Wolken sich am freien Gipfel schoben,
Und vom Lichte lag dort dünne Spur gewoben.
Und ich dachte: Blüten, Berg und Licht, sie wissen,
Daß sie heut am hellen Tage nichts vermissen,
Und nur ich, nur ich bin heimatlos, zerrissen.
(9. September 1916)

Die Äcker platzen dürr. Die Luft weht ohne Würzen,
Die Bäche längst nicht mehr sich überstürzen;
Der Staub wächst auf den trockenheißen Wegen,
Die Wurzeln krümmen sich im Durst nach Regen.
Das Farrenkraut vergilbt. Der Berg steht wolkenleer.
Am hellen blauen Himmel glüht das pralle Licht.
Doch wie mein Herz, so lechzt der arme Staub noch nicht.
(6. Oktober 1916)

Jetzt funkeln mir im dunkeln Haar
Schon weißer Haare Spitzen.
Es ist, als ob Erinnerungen blitzen
Von dem, was einmal war.
Und immer mehr wird ihre helle Schar.
Ich seh’ mich bald mit weißem Haare sitzen.
Das Leben dringt dann nur noch durch die Ritzen.
Stumm lausche ich, verschneit, dem letzten Lebensjahr.
(Malang, Oktober 1916)

Ein Aufschrei steckt in meiner Brust,
Es schreit aus mir die Heimwehlust.
Und wie ein Sterbender sich streckt,
Mein Geist sich nach der Heimat reckt.
Er will nichts sehn, nichts hören mehr,
Die Fremde ist ihm menschenleer.
Die fremden Worte sind ihm Last,
Die fremde Luft mein Atem hasst.
Gefangenschaft macht grau mein Haar.
O Leben, das mich einst gebar,
Las mich zur Heimat! Hör’ den Schrei.
Allmacht des Lebens, mach’ mich frei.
(Malang, 23. Oktober 1916)

Nächtlich im Garten leidenschaftlich singend.
Im Hintergrund der Bäume volle Stille,
Und Äste, hochgereckt wie mit dem Festem ringend.
Und jemand sitzt im Gartengrund versteckt.
Und jemand presst die Hände fest zum Mund,
Vom schrillen Grillenrufe aufgeweckt,
Mit einem harten Heimwehschrei im Schlund.
(Malang, 26. Oktober 1916)

O, ein Schluck Heimatfrische! O, ein Schluck kühle Luft!
Ich sehne mich fort vom Gemische
Aus Schwüle und giftigem Duft.
O, etwas Winterdunkel! O, eine Flocke Schnee!
Das immergrüne Gefunkel
Der Palme tut mir weh.
O, ein Paar Augen, stahlblaue,
Eine Strähne goldblondes Haar,
Darauf ich mein Glück erbaue.
(Malang, 28. Oktober 1916)

Ich sehne mich nach tiefer Ruh’!
Kein Frieden mehr im Atmen ist.
Deckt mich mit stiller Erde zu!
Damit mein Heimweh mich vergißt!
Deckt mich mit stiller Erde zu,
Die wilde Leere stößt mich fort.
Ich sehne mich nach tiefer Ruh’
Und nach dem neuen Heimatort.

Ein Vogel klagt, ich sehe auf.
Welk steht der Baum vor meiner Türe.
Ich sehe an dem Baum hinauf,
Aus jedem Zweig den Tod ich spüre.
Die Blätter, die sonst hochgestellt,
Von grünem Lichte frisch erhellt,
Die Blätter hängen grau herab.
Es steigt der große Baum ins Grab.
Als mir der Vogel ihn gezeigt,
Flog er dann fort im Wolkenmeere.
Ich habe still den Kopf geneigt.
Rund um mich wächst die Totenleere.
(Malang, 12. November 1916)

Die Regenwolken rauschen
Ich bin so weit, so weit von dir ..
Muß zu den Wolken lauschen,
Sie sprechen laut mit mir.
Sie und das Reisekissen,
Das deine Hand für mich genäht,
Sie fragen, ich soll’s wissen,
Wann’s wieder heimwärts geht.
Im Kissen meine Tränen,
Die trocknen, ach, so schwer, so schwer.
Die Luft ist voller Sehnen,
Die Hände bleiben leer.

Wie sind die Sekunden still und groß,
Und jede zeigt mir mein Heimweh bloß,
Und gefangen rief ich den Berg dort an,
Der sich über Wolken hochheben kann,
Und gefangen rief ich zum Meere hin,
Unendlich dehnt sich sein freier Sinn.
Und gefangen ich es der Sonne klag’,
Die wandert zur Heimat jeden Tag.
Wie sind die Sekunden still und groß,
Und jede zeigt mir mein Heimweh bloß.

Der Morgen leuchtet voll Vertrauen,
Die Höhen friedlich sich beschauen.
Dort auf dem Bergkamm
Auf dem frischbetauten Rasen
Drei blanke Kühe ernst geruhsam grasen,
Stehn aufgerichtet kühn,
Am Abgrund ragen sie vermessen.
Die Wolken an der Wälder Spitzen fressen,
Im Nebeldunst verwandelt sich das Grün.
Der Nebel schließt des Grundes schroffe Kluft.
Es wandert durch den Morgen stillen Mundes
Der graue Geist, der heißt: "Vergessen".
(Tosari, 1. März 1917)

Und es durchgeistigt nun der Mond die Nacht.
Vom fernen Bergdorf tönt ein Gamelang.
Der Luftzug hat die Laute hergebracht,
Leicht mit dem Winde stirbt der leise Klang.
Die Welt im Mond ist nur ein blasser Traum,
Farblos wie die Gedanken im Gehirn.
Doch hat im Mondschein noch so manches Raum,
Was nicht erdacht wird von dem Menschenhirn.
Die Dinge gaben her den bunten Schein,
Der Körper schwand, nur grüner Schatten blieb.
Die Blumen werden ähnlich einem Stein,
Der Geist allein ist nur dem Monde lieb.
Die Blüte duftet stärker als am Tag,
Und mehr als sie hat jetzt der Duft Gestalt.
Der Mond von Taten nicht mehr sprechen mag,
Die Sehnsucht aber wird im Mond Gewalt.
(8. März 1917)

Mich ruft dein Bild in meiner Brust,
Es kommt zu mir und weint.
Im Leide fühl’ ich mich bewußt
Und eng mit dir vereint.
Im Leide treffen wir uns still,
Da trennt nicht Land noch Meer.
Dein Schmerz, der bei mir weinen will,
Er findet zu mir her.
Das Leid, es ist ein fester Ort
Für unser Stelldichein.
Dort kommst du zu mir ohne Wort,
Bin nie im Leid allein.
(Tosari, 9. März 1917)

Dieses ist die Aussicht, die der Tag gegeben:
Ein Blick auf Festigkeit, geruhiges Leben.
Zypressenstämme, graue, totenstill.
Der Kleeteppich kein Blättchen rühren will.
Die Berge, schwergemauert im Flachland.
Die Meeresbucht gezirkelt an den Strand.
Bergdörfer, drei, hoch zu den Wolken lauschen,
Und Schluchtwasser mit tiefem Brustton rauschen.
Die Meilen sind nun mein vom glatten Meer,
Die Berge kamen zu mir klein daher.
Ich atmete die blanken Fernen ein,
Der Schall der rauhen Schluchten wurde mein.
Der Bäume Kraft, des Klees Feuchte ruht
Mir jetzt wie junges

Max Dauthendey




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Gedichte: Tragik

14.12.2012 um 21:16

Der Held ohne Furcht und Tadel

Seht ihr dort überm grünen Tal,
Das Fels und Wald umkränzen,
Im purpurroten Abendstrahl
Das alte Bergschloss glänzen?

Hoch ragen in der Vorzeit Pracht
Die Türme aus der Schattennacht
Fast tausendjähr’ger Eichen,
Die an die Wolken reichen.

Doch mied das Schloss der Wanderer
Mit flüchtig-scheuem Schritte,
Das Land umher lag wüst und leer,
Entvölkert jede Hütte;

Und Disteln, Dorn und Unkraut nur
Bedeckten die verlassne Flur.
Des Schlosses stumme Mauern,
Sie schienen selbst zu trauern.

Denn in des Tales tiefem Grund
Ließ zu der Menschen Grauen
Mit hungrigem, stets offnen Schlund
Ein Ungetüm sich schauen;

Vom Kopfe bis zum Schlangenschwanz
Bedeckt mit grünen Schuppen ganz
Und tausend Zähn’ im Rachen –
Man nannt’ es einen Drachen.

Des Fräuleins Vater auf dem Schloss,
Ein kühner Held in Kriegen,
Hat’s wohl gewagt auf hohem Ross
Das Untier zu besiegen;


Doch in die Schuppen fest wie Stein
Drang weder Schwert noch Lanze ein –
Vom Ungeheu’r zerrissen
Musst’ er das Wagstück büßen.

In einen hohlen Felsenstein
Des Quellchens Silber quillet,
Schnell tauchet sie ihr Krüglein ein
Und es bis oben füllet.

Doch weh! In naher Höhle Grund
Hebt sich der Drach’ mit offnem Schlund,
Und glutrot aus dem dunkeln
Geklüft’ die Augen funkeln

Doch horch! Sie hört’s mit einem Mal
Wie ferne Donner hallen,
Getroffen wie vom Blitzes Strahl
Sieht sie den Drachen fallen.

Ein Hufschlag war der Donnerhall,
Der Blitz des Speeres blanker Stahl,
Von Rittershand dem Drachen
Geschleudert in den Rachen.

Ha, wie das Tier vor Schmerz und Wut
Sich bäumt und krümmt und schmieget
Und endlich tot in einer Flut
Von schwarzem Blute lieget.

Der edle, hohe Rittersmann
Mit goldner Rüstung angetan,
Nun von dem Schimmel steiget
Und zierlich sich verneiget.

Die Freudenpost: „Der Drach’ ist tot!“
Geht schnell von Mund zu Munde,
Und alles dankt und lobet Gott
Viel Meilen in die Runde.

Mit Freudentränen in dem Blick
Kehrt das verscheuchte Volk zurück –
Das Schloss steht hoch inmitten
Beglückter, froher Hütten.

Der Ritter ward nach seinem Tod
Den Heil’gen beigezählet,
Vom Landmann nach dem lieben Gott
Zum Schutzpatron erwählet.

In mancher Kirche prangt sein Bild
Mit Schwert und Lanze, Helm und Schild;
Der Schimmel nebst dem Drachen
Wird es euch kenntlich machen.

Christoph von Schmid




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Gedichte: Tragik

14.12.2012 um 21:20

Die Reise

I

Dem Kind, berauscht von bunter Bilder Flimmer,
Scheint wie sein Lebenshunger weit die Welt,
Wie ist sie gross beim stillen Lampenschimmer!
Wie klein von der Erinnrung Licht erhellt!

Es kommt ein Tag, da ziehn wir in die Weiten,
Voll bittrer Sehnsucht und voll banger Glut,
Und wiegen unsre Unermesslichkeiten
Auf eines Weltmeers engbemessner Flut.

Der eine flieht aus fremdverhassten Landen,
Der andre macht sich von der Heimat frei,
Sternforscher, die im Weib den Himmel fanden,
Fliehn vor der Kirke holder Tyrannei.

Sie wollen nicht zum Tier sich wandeln lassen,
Drum flüchten sie zum Meer und Himmelsstrahl,
In Sonnenglut, im Eishauch wird verblassen
Mählich der Küsse brennend rotes Mal.

Die wahren Wandrer aber sind's, die ziehen
Aus Wandertrieb leicht wie die Feder fort.
Sie können ihrem Schicksal nie entfliehen,
Und »weiter, weiter« heisst ihr Losungswort.

Sie, deren Wünsche sind gleich Luftgebilden,
Die träumen wie ein Knabe vor der Schlacht
Von leuchtenden, stets wechselnden Gefilden
Voll Schönheit, wie sie nie ein Mensch erdacht.

II

O Schreck! Wir drehn uns, springen wie ein Kreisel,
Die Neugier peitscht uns auf aus Schlaf und Traum,
Dem strengen Engel gleich, der mit der Geisel
Die Sonnen wirbelt durch den Weltenraum.

Seltsames Glück, des Ziele sich verschieben,
Das nirgends ist und dennoch überall!
Der Mensch, von Hoffnung hin- und hergetrieben,
Er sucht die Ruhe und durchrast das All.

Sein Geist gleicht einem Segler, rastlos strebend,
Und »Augen auf« ertönt es aus dem Schiff,
Vom Mast schreit eine Stimme, glühend, bebend:
»Ruhm! Liebe! Glück!« – O Fluch, es war ein Riff!

Doch jedes Eiland, fern im fahlen Lichte,
Scheint uns das Eden, das der Traum verhiess,
Und jeder Tag macht unsren Traum zunichte,
Zeigt starre Klippen uns, kein Paradies.

O arme Sucher lockender Gefilde!
Den Trunknen, der die neue Welt entdeckt,
Stürzt in das Meer, denn vor dem Zauberbilde
Noch bitterer der Staub des Alltags schmeckt.

So stampft der Bettler hin durch öde Strecken,
Durch Kot und Schmutz, träumt eine Zauberwelt,
Und will verzückt ein Capua entdecken,
Wo nur ein Span das finstre Loch erhellt.

III

Erhabne Wandrer, sagt, was ihr errungen,
Was in dem meerestiefen Blick euch lebt,
Zeigt die Kleinodien der Erinnerungen,
Aus Luft und Meer und Sternenglanz gewebt!

Wir wollen ohne Dampf und Segel fliehen,
Erhellt den Kerker, drin wir festgebannt,
Und lasst an unsrem Geist vorüberziehen,
Was Ihr erlebt, vom Horizont umspannt.
Sagt, was ihr saht! –

IV

Wir sahen Sterngefunkel

Und Wogenglanz. Auch Wüsten sahen wir;
Und trotz Sturmschauer und Gewitterdunkel,
Kam oft der Überdruss uns, so wie hier.

Das Abendmeer in violettnem Prangen,
Der Stadt Erglühen, wenn die Sonne sinkt,
Erweckten nur im Herzen heiss Verlangen
Nach einem Himmel, der verlockend winkt.

Die schönsten Länder und die reichsten Städte
Berauschten nie so glühend unsren Sinn
Wie fern am Himmel jene Wolkenkette,
Und traurig zogen wir voll Sehnsucht hin.

O Sehnsucht, nur die Freude gibt dir Kräfte!
Du gleichst dem Baum, den nur die Lust erweckt,
Es wachsen und es schwellen deine Säfte,
Wenn dein Geäst sich nach der Sonne reckt.

Wächst du noch immer kühn wie die Zypressen,
Du alter Baum? – Doch seht, ihr Freunde, hier,
Wir haben auch die Skizzen nicht vergessen
Für euch, die ihr das Fremde liebt wie wir.

Wir grüssten Götzen, halb in Staub gesunken,
Throne von leuchtendem Gestein bedeckt,
Paläste, deren feenhaftes Prunken
Goldgierigen Seelen wilde Träume weckt,

Gewande, deren Pracht die Sinne lähmen,
Und Frauen, die sich färben Zahn und Hand,
Und kluge Zauberer, die Schlangen zähmen –

V

»Was noch, was noch?« –

VI

»O kindischer Verstand!
Allüberall bot sich, was wir nicht suchten,
Was immer sein wird und was immer war,
Die Stufen auf und nieder, die verruchten,
Bot sich des ewigen Lasters Spiel uns dar.

Das Weib, gemein, voll niedrigem Behagen,
Das schamlos sich vergöttert und geniesst,
Der Mann, der Sklavin Sklave, feig, verschlagen.
Ein schmutziger Schaum, der durch die Gosse fliesst.

Der Henker roh des Opfers Qual verschärfend,
Die wilden Feste unterm Blutgerüst,
Das Gift der Macht, Despoten selbst entnervend,
Das knechtige Volk, das seine Rute küsst.

Und Religionen – immer war's ein Gleiches:
Zum Himmel klettern sie, und doch zum Schluss
Ist Glaube nur ein Bett, ein wollustweiches,
Und Dorn und. Geissel wird für sie Genuss.

Der Menschen schwatzhaft, hochmutstolle Rotte,
Die fetzt wie ehdem blöde und verrucht,
Schreitauf im Todeskampf zu ihrem Gotte:
»O Herr, mein Ebenbild du, sei verflucht!«

Nur wenige fliehn wahnwitzig und vermessen
Aus dieser eingepferchten Herde Stall,
Und suchen in dem Opiumrausch Vergessen
– So lautet der Bericht vom Erdenball.

VII

O bittre Weisheit, die die Fahrt uns lehrt!
Es hat der Welt stumpfsinnig Einerlei
Stets unser eignes Bild uns zugekehrt,
Ein Quell des Schrecks in öder Wüstenei.

Gehn? Bleiben? Wie wir müssen, wollen;
Der duckt sich nieder und der andre rennt,
Der Feindin zu entgehn, der unheilvollen,
Wachsamen Zeit, die keine Schonung kennt.

Du siehst die Menschen gleich Ahasver eilen,
Da nützt kein Wagen, nützt kein schnelles Boot,
Die Schlimme holt sie ein. – Andre verweilen
Und schlagen sie schon in der Wiege tot.

Doch setzt sie ihren Fuss auf unsren Rücken,
Dann hoffen wir, und »Vorwärts!« heisst der Schrei.
So fuhren wir nach China voll Entzücken
Mit sturmverwehtem Haar, die Blicke weit und frei.

So schiffen wir uns ein zur düstern Reise,
Und jung das Blut durch unsre Adern fliesst,
Hört ihr die Stimmen feierlich und leise:
»Kommt her, kommt her! Und labt euch und geniesst!

Geniesst des Lotos Blüte, schwer von Düften,
Erlesne Früchte, die ihr lang entbehrt;
Berauscht euch an den seltsam fremden Lüften,
Des heissen Nachmittags, der ewig währt!«

Es sind der Schatten liebvertraute Stimmen,
Doch die Pyladen wehren dem Gelüst;
»Willst Labung du, musst zu Elektra schwimmen!«
Spricht eine, deren Knie wir einst geküsst. –

VIII

Tod, alter Fährmann, komm die Anker lichten!
Segel gehisst! – Wir sind der Erde satt.
Wenn schwarz auch Meer und Himmel sich verdichten,
Du weisst, dass unsre Seele Strahlen hat.

Reich uns dein Gift, dass Tröstung wir erfahren!
Noch brennt das Feuer – lass zum tiefsten Schlund,
Lass uns zu Himmel oder Hölle fahren !
Nur Neues zeig uns, Tod, im fremden Grund!
An den Leser

In Dumpfheit, Irrtum, Sünde immer tiefer
Versinken wir mit Seele und mit Leib,
Und Reue, diesen lieben Zeitvertreib,
Ernähren wir wie Bettler ihr Geziefer.

Halb sind die Sünden, matt ist unsre Reue,
Und unsre Beichte macht sich fett bezahlt,
Nach ein paar Tränen rein die Seele strahlt
Und wandert froh den schmutzigen Pfad aufs neue.

Satan, der Dreimalgrosse, übt die Künste,
Auf seinem Kissen wiegt er unsern Geist,
Bis das Metall, das Kraft und Wille heisst,
Vom Zaubrer aufgelöst in fahle Dünste.

Des Teufels Fäden sind's, die uns bewegen,
Wir lieben Graun, berauschen uns im Sumpf,
Und Tag für Tag zerrt willenlos und stumpf
Der Böse uns der Hölle Stank entgegen.

Wie an der Brust gealterter Mätressen
Der arme Wüstling stillt die tolle Gier,
So haschen nach geheimen Lüsten wir,
Um sie wie dürre Früchte auszupressen.

Gleich Würmern wimmelnd ist ins Hirn gedrungen
Die Teufelsschar, die uns zerstören muss,
Wir atmen, und ein unsichtbarer Fluss,
Der Tod, strömt klagend hin durch unsre Lungen.

Wenn Notzucht, Gift und Dolch und alles Böse
Noch nicht geschmückt mit holder Stickerei
Des Schicksals Grund voll fadem Einerlei,
Dann ist's, weil unsre Seele ohne Grösse.

Doch zwischen Panthern, Schakalen und Hunden,
In der Skorpionen, Schlangen, Affen Welt,
Die kriecht und schleicht und heult und kläfft und bellt,
Im Tierhaus unsrer Laster ward gefunden.

Das schlimmste, schmutzigste von allen Dingen,
Die Qual, die nicht Gebärde hat noch Schrei,
Und doch die Erde macht zur Wüstenei
Und gähnend wird dereinst die Welt verschlingen:

Der Überdruss! – Tränen im Blick, dem bleichen,
Träumt vom Schafott er bei der Pfeife Rauch.
Du, Leser, kennst das holde Untier auch,
Heuchelnder Leser – Bruder –: meinesgleichen!

Charles Baudelaire




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Gedichte: Tragik

14.12.2012 um 21:23

Der Loup Garou

Brüderchen schläft, ihr Kinder, still!
Setzt euch ordentlich her zum Feuer!
Hört ihr der Eule wüst Geschrill?
Hu! im Walde ist's nicht geheuer;
Frommen Kindern geschieht kein Leid,
Drückt nur immer die Lippen zu!
Denn das böse, das lacht und schreit,
Holt die Eul' und der Loup Garou.

Wißt ihr, dort, wo das Naß vom Schiefer träuft
Und überm Weg 'ne andre Straße läuft,
Das nennt man Kreuzweg, und da geht er um
Bald so, bald so, doch immer falsch und stumm
Und immer schielend; vor dem Auge steht
Das Weiße ihm, so hat er es verdreht.
Dran ist er kenntlich und am Kettenschleifen,
So trabt er, trabt, darf keinem Frommen nahn,
Die schlimmen Leute nur, die darf er greifen
Mit seinem langen, langen, langen Zahn. —

Schiebt das Reisig der Flamme ein,
Puh, wie die Funken knistern und stäuben!
Pierrot, was soll das Wackeln sein?
Mußt ein Weilchen du ruhig bleiben,
Gleich wird die Zeit dir jahrelang!
Laß doch den armen Hund in Ruh'!
Immer sind deine Händ' im Gang,
Denkst du denn nicht an den Loup Garou?

Vom reichen Kaufmann hab' ich euch erzählt,
Der seine dürft'gen Schuldner so gequält,
Und kam mit sieben Säcken von Bagnères,
Vier von Juwelen, drei von Golde schwer;
Wie er aus Geiz den schlimmen Führer nahm
Und ihm das Untier auf den Nacken kam.
Am Halse sah man noch der Kralle Spuren,
Die sieben Säcke hat es weggezuckt,
Und seine Börse auch, und seine Uhren,
Die hat es all zerbissen und verschluckt. —

Schließt die Tür, es brummt im Wald!
Als die Sonne sich heut verkrochen,
Lag das Wetter am Riff geballt,
Und nun hört man's sieden und kochen.
Ruhig, ruhig, du kleines Ding!
Hörst du? drunten im Stalle — hu!
Hörst du? Hörst du's? kling, klang, kling,
Schüttelt die Kette der Loup Garou.

Doch von dem Trunkenbolde wißt ihr nicht,
Dem in der kalten Weihnacht am Gesicht
Das Tier gefressen, daß am heilgen Tag
Er wund und scheußlich überm Schneee lag.
Zog von der Schenke aus, in jeder Hand
'ne Flasche, die man auch noch beide fand.
Doch wo die Wangen sonst, da waren Knochen,
Und wo die Augen, blut'ge Höhlen nur;
Und wo der Schädel hier und da zerbrochen,
Da sah man deutlich auch der Zähne Spur.

Wie am Giebel es knarrt und kracht!
Caton, schau auf die Bühne droben —
Aber nimm mir die Lamp' in acht! —
Ob vor die Luke der Riegel geschoben.
Pierrot, Schlingel, das rutscht herab
Von der Bank, ohne Strümpf' und Schuh!
Willst du bleiben! Tapp, tipp, tapp,
Geht auf dem Söller der Loup Garou.

Und meine Mutter hat mir oft gesagt
Von einem tauben Manne, hochbetagt,
Fast hundertjährig, dem es noch geschehn
Als Kind, daß er das Scheuel hat gesehn,
Recht wie 'nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz
Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz,
Und spannenlang die Zunge aus dem Schlunde;
So mit der Kette weg an Waldes Bord,
Dann wieder sah er ihn im Tobelgrunde,
Und wieder sah er hin — da war er fort.

Hab' ich es nicht gedacht? Es schneit!
Ho, wie fliegen die Flocken am Fenster!
Heilige Frau von Embrun! wer heut
Draußen wandelt, braucht keine Gespenster;
Irrlicht ist ihm die Nebelsäul',
Führt ihn schwankend dem Abgrunde zu,
Sturmes Flügel die Toteneul',
Und der Tobel sein Loup Garou.

Annette von Droste-Hülshoff




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Gedichte: Tragik

15.12.2012 um 18:43

Die sieben Steinhäuser


Die Frauen vom Stamme der roten Hunde
Die schrien auf wie aus einem Munde,
Die weite braune Haide erklang
Von ihrem gellenden Jammergesang.

Die Wölfe stoben entsetzt von dannen,
Das Rotwild polterte in die Tannen,
Der Adler ruderte hastig vorbei,
Vergrämt von dem gellenden Jammergeschrei.

Die Krieger umstanden die Bahren im Kreise,
Sie sangen die dunkele Racheweise,
Sie sangen das alte böse Lied
Von dem roten Hund, der auf Raub auszieht.

Der Häuptling stand zu Füßen der Bahren,
Die rote Fellkappe auf den Haaren,
Die rechte Hand umschloß das Beil,
Die andere lag auf dem Feuersteinkeil.

Sah nicht zur Rechten, sah nicht zur Linken,
Seine Augen starrten, ohne zu blinken,
Auf seiner toten Söhne Gesicht,
Seine schmalen Lippen die zuckten nicht.

Sein Antlitz färbten die Zeichen der Trauer,
Sieben weiße Striche und ein blauer,
Die Brust war siebenmal aufgeschlitzt,
Die Stirne siebenfach blutig geritzt.

Er hob das Beil, der Kreis sich teilte,
Vom Lager her der Zauberer eilte,
Er führte herbei ein weißes Roß,
Von dessen Maule der Geifer floß.

Die Frauen schrien, die Männer sangen,
Die Schilde dröhnten, die Hörner klangen,
Der Zauberer riß mit dem heiligen Stein
Dem Schimmel die Opfermarken ein.

Und warf ihm Staub in die weiße Mähne,
Und rieb ihm Asche zwischen die Zähne,
Und sengte die Locke auf seiner Stirn
Und trieb ihm das Messer in das Gehirn.

Die Hörner heulten, die Schilde klangen,
Die Weiber schrien, die Krieger sangen,
Der Zauberer schwang das brennende Scheit
Und weihte die Toten der Dunkelheit.

Aus sieben Bahren schlugen die Flammen
Und kamen in einem Rauche zusammen,
Des brennenden Wacholders Duft
Erfüllte weit und breit die Luft.

Die Flammen flackerten auf und nieder
Und fraßen der Häuptlingssöhne Glieder,
Die Krieger sangen das böse Lied
Von dem roten Hund, der auf Raub auszieht.

Und sangen das Lied wohl sieben Jahre,
Und ließen wachsen am Kinne die Haare,
Und wuschen Leib nicht und Gesicht,
Und schliefen bei ihren Frauen nicht.

Es blieb das Beil in ihren Händen,
Das Messer wich nicht von den Lenden,
Es flog in jedes Kriegers Haar
Der rote Fuchsschwanz sieben Jahr.

Bis daß vertilgt waren von der Erde
Die Männer vom Stamme der weißen Pferde,
Es blieb verschont nicht Weib noch Kind,
In ihren Schädeln pfiff der Wind.

Da machte der bunte Stock die Runde
In allen Hütten der roten Hunde
Und rief die Krieger alle heran,
Sie kamen im Festschmuck Mann für Mann.

Und feierten das große Gelage,
Das dauerte ganze sieben Tage.
Die weite braune Haide erklang
Von ihrem gellenden Jubelgesang.

Dann bauten sie lange, breite Dämme,
Dann fällten sie lange, dicke Stämme,
Dann wälzten immer hundert Mann
Die großen Steine der Haide heran.

Daraus sie sieben Kammern türmten,
Die sieben Totenurnen beschirmten,
Und wölbten hoch den gelben Sand,
Hell leuchtend aus dem braunen Land.

Zu geben weit und breit die Kunde
Vom Rachekrieg der roten Hunde,
Von ihrer sieben Helden Tod
Und von der Schimmelreiter Not.

Hermann Löns




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Gedichte: Tragik

15.12.2012 um 18:44

Der Doktor


Einsam steht ein Haus
In Waldes tiefem Orte
Menschen gehen ein und aus
Quetschen sich durch eine Pforte
Und drinnen schmoren Braten
Auf dem vollgerussten Herd
Auf die Weine muß man warten
Durst an vielen Gästen zerrt

Der Tag hat seinen Weg gemacht
Und legt sich hin zur Ruh
Aufgestanden ist diese Nacht
Zauber kehrt im Nu
Christoph steigt aus seinem Wagen
Und im Mondesschein
Geht er dort wo Tannen ragen
In das Haus hinein

Setzt sich dort nun schweigend nieder
Schaut noch still in diese Menge
Kellner kommen immer wieder
Hin und her durch diese Enge
Und sieh, ein bucklig Männlein
Steht ganz plötzlich hier am Ort
Und schiebt im trüben Lampenschein
Das ganz normale Treiben fort

Seine Stimme, wie sie soll
Mal laut und wieder sacht
Wunder! Wunder! Wie wundervoll!
Und blickt dann schaurig in die Nacht
Im Namen der Wissenschaft
Hört mich an!
Befreiet euch aus Gottes Haft
Und Glück sei euch nun zugetan!

Jeder Schmerz vergeht
Jeder Kummer schwindet!
Ihr edlen Herren seht
Wie Wissenschaft die Sorgen bindet!
Und jeder kluge Mann
Wende sich mir um!
Seht doch, ein Wunder begann
Ich trage es herum!

Wissenschaft, segnet euer Schicksal
Segnet diesen Tag!
Denn unter euch ist ER im Saal
Der weder Tempel noch Götter mag!
Nun streckt er gar die Arme aus
Hoch oben auf einer Bank
Und Zauberei schleicht in das Haus
Beendet Streit und Zank

Ich bin da, Professor aus Wien
Bolognas zweifacher Bakkalaureus!
Doktor schwarzer Magien
Verachter von Zeus!
Ich, der Polonien mit magischer Hand
Vor Pest und Unglück schützte!
Ich, der im Ungarland
Menschen in der Armut stützte!

Bezwinger von sieben Bischöfen
Freund des Kaisers Sigismund!
Wissenschaftler auf allen Höfen
Hier, die größten Wunder geb ich kund!
Ich, der totenerweckende Wundermagier
Blinde werden sehen!
Ich, Ökonom Ridiculus von Trier
Lahme werden gehen!

Frauen gebären ohne Haft
Hühner legen goldene Eier!
Wissenschaft, o Wissenschaft
Die ganze Welt wird meine Feier!
Und Christoph geht auf Tisch und Plätze
Wandelt träumerisch durch Weiten
Der Gelehrte hat die Schätze
Die ihn tragen durch Ort und Zeiten

Im Kamin die Flammen blaß
Wandeln sich dann grün und lila
Und als ER glühend Holz noch fast
Sind all die Wunder wieder da
Denn plötzlich ganz dunkel
Nur um Lampen ein bläulich Schein
Und von allen Seiten tönend Gemunkel
Das kann nur der Mächtigste sein

Christoph fühlt sich nun allein
Auf Stirn und Nase kalt der Schweiß
Ach lieber Gott, wer soll das sein?
Und was er wusste, geht nun leis
Das Feuer flammt gar plötzlich auf
Ward grelles, zischend Licht
Schlägt nun hoch zur Decke rauf
Als käme nun das jüngst Gericht

Die Menge horcht auf
Drängt sich zur Seite
Und ein drohender Lauf
Lenkt sich durch Nähe und Weite
Denn ER sagt nun Sprüche
Der schwarzen Magie
Und murmelt in Brüche
Worte der Philosophie

Nun kommt der Zauberer hervor
Um ganz leise hier zu wandeln
Um zu mustern, wie ein Thor
Um mit Menschen anzubandeln
Du!
Christoph ist gefangen
Und ruft dem Volke zu
Doch Worte kann er nicht erlangen

Hast du Schmerzen?
Der Zauberer streift sein Kinn
Und trifft ihn im Herzen
Und zeigt ihm den Sinn
Au! Ruft er nun aus
Und faßt sich ans Gesicht
Wohin geht nur dieser Lauf?
Denn Schmerzen sind es nicht

Du wirst Durst bekommen
Dort steht dein Glas!
Und so greift er wie benommen
Doch nur ins Leere, ohne Naß
Auch bist du schwach, sehr schwach!
Christophs Muskeln sind gelähmt
Wie im Schlafe, doch hellwach
Ohne Kraft, nun ganz beschämt

Und in seinem Rausche
Sieht er schwarze Schwingen
Denn der Teufel will im Tausche
Für seine Seele, Heilung bringen
Nun schallts, soll Gold dein Eigen sein?
Und alle Schätze dieser Welt?
Auf dem Tische nun ein rötlich Schein
Bewunderung hat sich gesellt

Christoph tritt heran
In seinen Augen glänzend Gold
Er weiß nicht wo und wann
Ihm war das Glück so hold
Trunken von der reichen Menge
Giert besessen er danach
Doch schwindet dann, in dieser Enge
Alles durch das kleine Dach

Und wieder zischt es um seinen Leib
Und wieder Worte ihm ins Ohr
Willst du ein Weib?
Ich brings hervor!
In Christoph ballt sich wilde Gier
Denn Träume werden wach
Und in die Höh schwebt der Magier
Läßt neue Wunder durch das Dach

Von oben fällt ein Schein
Der dann rötlich fließt
Der dann taucht in Wellen ein
Und sich als Zaubermeer ergießt
Heiße Wogen kommen schwer
Um als Säule aufzustehen
Um sich zu teilen hin und her
Um als Blume aufzugehen

Glühend Metall
Nun schwappend in der Blüte
Und türmend nun ein Wall
Schützt diesen Ort mit Güte
Noch mit leichten Füßen
Tanzend auf dem Zaubermeer
Will sie endlich ihn begrüßen
Und zeigt sich vor ihm her

Christoph haut sich auf die Brust
Wilde Gier strafft seine Lenden
Nun stürmt er vor, welch eine Lust
Die schönste Frau in seinen Händen
Doch von den Wellen im Zaubermeer
Schwindet rötlich Gischt
Das Wunder hier umher
Erstickt, als auch die Frau erlischt

Nicht! Nicht!
Verzweiflung durch die Räume schrillt
Christoph löscht das Licht
Ist länger nicht dem Leben gewillt
Doch schallt es plötzlich her
Du König der Lüge genug!
Durch die Menge ins Zaubermeer
Drängt ein Mönch geschickt und klug

Noch naß vom Regen
Brennt gefährliche Wut
Fäuste sind nicht Gottes Segen
Für den Zauberer mit Doktorhut
Lüge, Lüge! ruft der Mönch empört
Und am Boden liegt der kleine Mann
Die Kirche hat auf Gott geschwört
Doch Wissenschaft kommt besser an

© Detlef Maischak




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Gedichte: Tragik

15.12.2012 um 18:46

Die Büßerin

Es, ist ein wenig lange her,
Da sprach zu einem Zauberer
Ein ehrenfester Ritter!
"Herr, meine Frau,
Die Perl' im Gau,
Macht mir mein Leben bitter!

Ihr sanftes, himmlisches Gesicht
Lügt Jedem vor, sie könne nicht
Ein Wasserchen betrüben:
Doch sie gebart
Sich oft nach Art
Der schlimmsten bösen Sieben.

Für Fremde fließt zu aller Zeit
Ein Honigbach der Freundlichkeit
Von ihrer Rosenlippe;
Allein mit mir
Zankt für und für
Die häusliche Xantippe.

Ich bat sie oft, sich ernst und treu
Der buhlerischen Höfelei
Der Schmeichler zu erwehren:
Doch seh' ich sie
Den Lassen nie
Mit Zorn den Rücken kehren.

Und so durchbohrt sie tausendfach,
Bald schlau versteckt, bald frei und jach,
Das Herz mir, wie mit Messern.
Sagt, weiser Mann,
Wie soll, wie kann
Ich ihren Sinn verbessern?

Ich habe Gut' und Ernst versucht,
Doch beides schaffte leine Frucht;
Sie bleibt bei ihren Sitten.
Ich muß durch Euch
Das Zauberreich
Deßhalb um Hälfe bitten."

Und während so der Ritter sprach,
Sann still der Hexenmeister nach,
Und thät am Ende fragen;
"Liebt Eure Frau
Die Spiegelschau
Mit eitlem Wohlbehagen?"

"O freilich!" rief der Ritter aus.
"Sehr reich an Spiegeln ist mein Haus.
Ich habe wohl an hundert!
Und immerfort
Wird hier und dort
Des Lärvchens Reiz bewundert."

Der Meister ging und holt' ein Kraut,
Und wickelt' es in Schlangenhaut,
Bemalt mit Zauberzügen;
"Hier, Ritter, nehmt!
Dadurch bezähmt,
Wird Eure Frau sich fügen.

Legt ihr, wann's Euch ihr Schlaf erlaubt,
Dies Päckchen heimlich unters Haupt,
Nachts zwischen elf und zwölfen!
Und spiegelt sie
Sich Morgens früh,
So wird mein Mittel helfen."

Der Nitter kehrte heim bei Nacht,
Und schob der Schläferin ganz sacht
Das Päckchen unters Kissen.
Sie merkt' es nicht;
Es wurde Licht;
Sie war auf Putz beflissen.

Zum nächsten Spiegel flog ihr Blick;
Doch schaudernd prallte sie zurück,
Als sah'sie Geisterdrinnen;
Und todtenbleich
Lief sie sogleich
Mit stummer Hast von hinnen.

Durch Säl' und Zimmer stürzte sie
Zu allen Spiegeln hin, und, schrie
Bisweilen laut und gräßlich!
"Wie seh' ich aus!
Mir selbst ein Graus!
Zum Abscheu alt und häßlich!"

Drauf schloß sie in ihr Kämmerlein
Wie eine Büßerin sich ein,
Und saß, nach deren Weise,
Stumm wie ein Bild
Und dicht verhüllt,
Zwei Tage sonder Speise.

Das lag dem Ritter schwer im Sinn.
Er ritt zum Hexenmeister hin
Und meldet' ihm die Sache.
"So muß es sein!"
Fiel jener ein.
"Nun brennt's bei ihr im Dache!

Mein Kraut hat ihr den Spuk gemacht,
Daß sie sich häßlich, wie die Nacht,
Im Spiegel mußte finden.
Allein sie sei
Nur fehlerfrei,
So wird das Schreckbild schwinden.

Geht hin zu ihr und saget dreist:
Es Hab' ein wohlgesinnter Geist
Euch offenbart im Schlafe;
Der Schönheit Flucht
Sei Gottes Zucht
Und ihrer Unart Strafe.

Allein sie werde wieder schon
Vor ihren hundert Spiegeln stehn,
Wenn Reue sie durchglühe,
Und sie sofort
Mit That und Wort
Die alten Mucken fliehe."

Der Ritter macht, auf dies Geheiß,
Der Büßerin das Mährchen weis,
Und herrlich trug es Früchte.
Sie war ganz Ohr,
Und sprang empor
Mit fröhlichem Gesichte.

"O, lieber, goldner Herzensmann, -
Nie gern will ich der Schönheit Bann
Durch strenge Buße lösen!
Wohl war ich traun
Im Chor der Frau'n
Oft eine von den Bösen.

Doch ändre sich mein Sinn und Thun!
Die finstre Eule soll sich nun
In's frömmste Täubchen wandeln,
Und, ohne Groll,
Stets liebevoll
Mach deinen Wünschen handeln."

Er sprach sein Amen hoch erfreut,
Und sie vereinte Friedlichkeit
Der Schmeichler Heer
War jetzt nicht mehr,
Wie sonst, bei ihr gelitten.

Und als sie einen Monat lang
Sich ehrlich, ohne Heuchelzwang,
Als Biederweib gehalten,
Verschwand der Dunst
Der schwarzen Kunst
Und ihr geheimes Walten.

Und wieder fand, mit Jubelschall
Die Dam' in jeglichem Krystall
Den Schatz, den sie verloren.
Sie sprang und sang
Die Burg entlang,
Und war wie neu geboren.

Der schöne Fund war ihr so lieb,
Daß sie ein frommes Täubchen blieb
In Worten und Gebärden,
Um nicht durch's Leid
Der Häßlichkeit
Nochmals gestraft zu werden. —

Ob wohl nicht Mancher, der dies las,
Sich seufzend mit dem Ritter maß,
Und sich den Wunsch vergönnte,
Daß er, auch er,
Durch Zauberer
Sich Hausruh schaffen könnte?

August Friedrich Langbein




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Gedichte: Tragik

16.12.2012 um 15:49

Der Schwätzer
(Nach Horaz)

Jüngst, da ich mich, wie sonst, den Grillen überlasse,
Gerath ich ungefähr in die Mariengasse.
Ein Fremder, den ich nur dem Namen nach gekannt,
Läuft plötzlich auf mich zu, ergreift mich bei der Hand
Und spricht: »Wie geht's? Mon cher!« Noch ziemlich, wie Sie sehen;
Von Ihnen hoff' ich auch erwünschtes Wohlergehen.
Er folgt mir Schritt vor Schritt, und klebt mir lächelnd an.
Ist etwas, frag' ich ihn, womit ich dienen kann?
Er danket und versetzt: »Sie werden mich schon kennen,
Und Ihre Freundschaft mir, als einem Dichter, gönnen.«
Mein Herr, Sie sollen mir um desto werther sein.
Ich eil', ich stehe still, von ihm mich zu befrein,
Und raun', ich weiß nicht was, dem Diener in die Ohren;
Doch hier ist alle Müh' und alle Kunst verloren.
Mir bricht der Angstschweiß aus. O wie beneidenswerth
Gedenk' ich, ist der Thor, der Thoren gerne hört!
Indessen strömt sein Mund von rauschendem Geschwätze;
Er lobt die schöne Stadt und nennt mir alle Plätze,
Die Brücken, jedes Thor, die Märkte, Wall und Wacht,
Und lehrt mich, wie der Lenz die Gärten lustig macht.
Ich schweig, er fähret fort: »Ist man so still? ich finde,
Daß die Begleitung Sie nicht sonderlich verbinde;
Allein, ich schlendre mit, und Sie erlauben mir
Für dies Mal kühn zu sein. Doch wohin gehen wir?«
Bemühen Sie sich nicht: ich kann mich nicht verweilen,
Und muß zu einem Freund, den Sie nicht kennen, eilen.
Er wohnet weit von hier, die Alster ganz vorbei,
Noch hinter Böckelmanns bekannten Gärtnerei.
»Ich habe nichts zu thun; was heißen tausend Schritte?
Im Gehen, glauben Sie's, bin ich ein rechter Britte.«
Mich krümm' ich, wie ein Pferd, das, bei zu schwerer Last,
Kopf, Maul und Ohren hängt, und seinen Treiber haßt.
Er räuspert sich und spricht: »Wahr ist's, sich selbst zu rühmen,
So sehr man sich auch kennt, das will sich nicht geziemen;
Doch prüfen Sie mich nur: ich wette, daß Ihr Freund,
Mit dem ein jedes Jahr Sie zärtlicher vereint,
Ich wette: Wilkens selbst, und Müller, den Sie lieben,
Und Carpser, und Borgeest, die sollen ihren Trieben
Nie so gefällig sein. Mich übt der Dichtkunst Flor.
Neun Musen stell' ich mir, so wie neun Kegel, vor.
Man wirft, und trifft doch Holz: es sei viel oder wenig.
Die Ecken schlägt man um, verfehlt man gleich den König.
Man ziele, dichte nur, und mische sich ins Spiele.
Werd' ich nicht episch groß, und bin ich kein Virgil;
Wohlan! so reim' ich schnell von tausend andern Dingen:
Mit einer Muse muß mir doch der Streich gelingen,
Erreich' ich Alle nicht. Ich tanze wie du Vall:
Das sah man auf dem Baum, bei dem Freimäurerball.
Finazzi singet gut: doch ich kann besser singen.«

Nunmehr gewann ich Zeit, ein Wörtchen anzubringen.
Hat keine Mutter nicht, kein Vetter, kein Geschlecht,
An Ihrem Wohlsein Theil, an Ihren Stunden Recht?
Sollt' ihrer keiner nicht Ihr Dasein nöthig haben?
»Wir sprechen uns nicht mehr, denn alle sind begraben.«
O die sind wohl daran! nun trifft die Reihe mich,
Betäubte Märtyrer! Verfolge! Morde! Sprich!
Denn ach! die Stunde kömmt, die ich so lange scheute,
Die mir das alte Weib in Borstel prophezeite,
Als ich ein Knabe war, und sie mit dürrer Hand
Den Loostopf schüttelte, griff, mein Verhängniß fand,
Und mir den Ausspruch gab: Es wird ihn, merkt es eben!
Kein Arzt, kein Alchmist, kein Fahnenschmidt vergeben:
Ihn fällt kein Rauferschwert, kein Seitenweh und Gicht,
Das träge Podagra, die Schwindsucht thut es nicht.
Die größeste Gefahr wird er von Schwätzern leiden,
Und wird er alt und klug so muß er Redner meiden.

Wir waren, recht um zehn, wo man die Kirche schaut,
Die, Magdalene, dir Graf Adolph aufgebaut.
Da sollte nun mein Freund, mit Acten und Gebühren,
Selbst vor dem Richter stehn, und sonst sein Recht verlieren.
»Weil ich auf diese Zeit jetzt vorgeladen bin,
So,« spricht er, »gehn Sie doch mit mir zum Prätor hin,
Und hören, wie ich dort ...« Ist mir das zuzumuthen?
Kann ich Ihr Beistand sein? Versteh' ich die Statuten?
Und bin ich nicht versagt? »Nun werd' ich zweifelvoll,
Ob ich Sie, oder nicht mein Recht, verlassen soll?«
Mich, mich, mein Herr. »O nein!« Er rennt mir vor; ich schleiche,
Als im Triumph geführt, weil ich dem Stärkern weiche.

Geduld! Was hab' ich nun für Fragen auszustehn?
»Wie finden Sie den Brocks, Hammoniens Mäcen?«
Ich find' und ehr' in ihm den Weisen unsrer Zeiten;
Allein, er wird, daher, kein Freund von allen Leuten.
Er wählet, die er liebt, ist sinnreich ohne Tand,
Leutselig ohne Falsch, noch edler, als sein Stand,
Und ihn vergnügen nur die Würden, die er schmücket,
Wann er sein Vaterland und das Verdienst beglücket.
»Empfehlen Sie ihm den!« (Hier zeigt der Thor auf sich.)
»Ihr Mitgehilf', Ihr Rath, Ihr Hinterhalt werd' ich.
Ich sterbe, falls Sie mir die zweite Rolle geben,
Wenn wir nicht jeden dort bald aus dem Sattel heben.«
Sie irren ungemein in Ihrer Klügelei.
Vor andern ist sein Haus von solchen Ränken frei.
Der Liebling des Mercur, den Fleiß und Glück erhöhet,
Der Doctor, der sogar den Lycophron verstehet,
Verdrängen keinen nicht, der einem Brocks gefällt,
Der jeden, nach Verdienst, den Freunden zugesellt.
»Das ist was Seltsames. Sie scherzen.« Was ich sage,
Bestätiget gewiß die Wahrheit alle Tage.
»Ja, nun verehr' ich erst den weitberühmten Mann,
Und, kurz, ich ruhe nicht, bis ich ihn sprechen kann.«
Ihn sprechen fällt nicht schwer, wenn Sie es nur verlangen:
Ein so gescheidter Kopf wird immer wohl empfangen.
Und sollt' er anfangs auch nicht mehr als höflich sein,
So räumen Sie ihm Zeit, Sie g'nug zu kennen, ein.
Vielleicht verbirgt er sich im Reden und im Schweigen,
Sein hulderfülltes Herz nicht gar zu früh zu zeigen.
»Mir fehlt es nicht an Witz, wann ich geschäftig bin.
Sprech' ich ihn heute nicht, so geh' ich morgen hin,
Und übermorgen auch. Die Sache recht zu lenken,
Will ich den Diener selbst mit einem Vers beschenken.
Ich gebe gar zu gern. Er merkt mir schon den Tag,
Da er mich melden darf, und auch den Zeigerschlag.
Begegnet mir der Herr, so eil' ich ihm zur Seiten;
Ich will vom Rathhaus ihn bis an sein Haus begleiten,
Oft gegenwärtig sein: kraft eines Unterrichts,
Den jener Waidmann gab: Jagt; sonsten fangt ihr nichts.«

So sprach, doch nein! so schrie der unerschöpfte Schwätzer,
Als nun mein Liscow kam: (der Bruder von dem Ketzer,
Den noch Germanicus vielleicht dereinst bekehrt)
Der kannte meinen Mann und seinen ganzen Werth.
Wir bleiben also stehn. Indem wir uns befragen:
Woher jetzt, und wohin? und uns die Antwort sagen,
Zupf' ich ihn bei dem Arm, durch ihn mich frei zu sehn;
Doch der verstockte Schalk lacht und will nichts verstehn.
Ich wink' ihm, recht im Zorn, weil alle Winke fehlen.
Wie? wollten Sie mir nicht was insgeheim erzählen?
»Ja: etwas Wichtiges; allein zur andern Zeit,
Denn heute wird von mir der Nisan nicht entweiht.
Das auserwählte Volk aus Abrahams Geschlechte
Verzehrt sein Osterlamm und freut sich seiner Rechte.«
Die Scrupel solcher Art, mein Herr, verschonen mich.
»Doch mir und Tausenden sind Scrupel fürchterlich.
Verhöhnen Sie so sehr der Juden Glaubenszeichen,
Die, dem Gewissen nach, so vielen Christen gleichen?
Entschuldigen Sie mich: ich sprech' ein andermal.«

O schwarzer Unglückstag, was bringst du mir für Qual!
Der Unbarmherzige, der Spötter, geht, und fliehet,
Obgleich er über mir das große Messer siehet,
Mit dem der Prahler ficht. Allein, wer zeigt sich dort?
Sein Gegner kömmt und schreit: »Wohin, Nichtswürd'ger? Fort!«
Und sagt im Scherz zu mir: »Dürft' ich Sie zeugen lassen!«
Ja! müßt' auch Ihre Hand mein Ohr, auf römisch, fassen.
Er schleppt ihn vor Gericht: man lärmt, man ruft und schilt:
Und alles läuft herbei, zu sehen, wem es gilt.
So hat mich dem Verdruß, den ich erdulden müssen,
Der Gott, den Käuflin kennt, Apollo selbst entrissen.

Friedrich von Hagedorn




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Gedichte: Tragik

16.12.2012 um 15:58

Aus dem Trauerspiel »Sophonisbe«


Die Liebe.

Der Zirkel der Natur umschränkt
Nicht mein Altar, nicht meines Tempels Zinnen;
In einem meiner Finger hängt,
Daß euer Leben euch die Parzen spinnen.
Kommt nun, Höll', Erde, Himmel, Meer,
Kommt, streut mir opfernd Weihrauch her!

Der Himmel.

Du bist mein Kind, die Götter opfern mir;
Der Donner kämpft für meines Zepters Würde.
Was ziehst du denn dich meiner Gottheit für?
Dein Tempel ist vor meinem eine Hürde.

Die Liebe.

Eh', als der Himmel stand, war ich.
Er buhlt liebäugelnd mit der Welt von ferne
Und schmückt mit tausend Augen sich.
Sein Kleid und Antlitz sind verliebte Sterne,
Bär, Stier, Orion, Adler, Schwan
Zeigt meine Macht, sein Feuer an.

Der Himmel.

Auf, rüste dich, o Herrschsucht, für mich aus!
Laß, Jupiter, dein Zepter nicht verachten!
Was deinem Reich trotzt, schlag' durch Blitz' in Graus!
Laß diese Kinder mir zum Opfer schlachten!

Die Liebe.

Vor mir muß Jupiter selbst knie'n,
Ein Kukuk sein, ein güldner Regen werden.
Reißt, Kinder, ihm den Mantel hin!
Weist, daß er sei ein Satyr auf der Erden!
Brecht ihm die Donnerkeil' entzwei!
Lehrt, daß mein Pfeil ihr Meister sei!

Die Hölle.

Wer Jupiter'n und Kronen auch besiegt,
Läßt doch den Pfuhl der Höllen unversehret.
Die Lieb' erstickt, ihr Anmuthsreiz erliegt,
Wo man nur Ach und Ketten schwirren höret.

Die Liebe.

Auch bis zur Hölle dringt mein Strahl;
Mein Pfeil steckt noch in Ariadne's Brüsten,
Und Dido's Geist fühlt Liebesqual.
Dringt Orpheus nicht, gereizt von süßen Lüsten,
In Abgrund zur Eurydice
Und Theseus zur Persephone?

Die Hölle.

Auf! Grausamkeit, die meine Nacht verwahrt!
Auf, Pluto, auf! bewaffne dich mit Flammen!
Beweise hier, wie Rach' und Grimm gebahrt!
Zertreib' den Schwarm der Kinder stracks vonsammen!

Die Liebe.

Die Grausamkeit wird vor mir bleich,
Ein Polyphem erstarrt vor Galateen;
Selbst Pluto läßt sein finstres Reich,
Gereizt durch Brunst der Cerestochter, stehen.
Geht, Kinder, schleppt ihn zum Altar;
Reicht mir der Höllen Schlüssel dar!

Die Erde.

Wenn in der Gluth gleich Höll' und Himmel kracht,
So nährt mein Schooß doch Seelen ohne Flammen.
Leucate's Fels vertilgt der Liebe Macht,
Silenus Bach theilt Seel' und Brunst vonsammen.

Die Liebe.

Durch mich wird Cirth' und Troja Graus;
Die Erd' ist in den Himmel selbst verliebet;
Sie schmückt im Frühling schön sich aus,
Nur, daß sie ihm, geschwängert, Anmuth giebet.
Der Tiger Grimm, der Schlangen Gift
Verraucht, wenn sie mein Liebreiz trifft.

Die Erde.

Alcides, auf! greif diesen Drachen an!
Der Tugend weicht jedwedes Ungeheuer.
Wer Höll' und Neid und Löwen tödten kann,
Bleibt unversehrt, wie Salamand'r im Feuer.

Die Liebe.

Die Tugend wird mein glüher Brand.
Geht, Kinder, reißt die Keule weg dem Riesen,
Gebt ihm den Rocken in die Hand!
Nun spinne, wie dir's Omphale gewiesen!
Ja, Oeta soll dein Leichenstein
Und meine Gluth dein Holzstoß sein!

Das Wasser.

Das Wasser löscht, fängt aber keine Gluth;
Wie soll nun 's Meer dir heißes Opfer bringen?
Selbst Phaethon kühlt sich in meiner Fluth,
Und Syrinx kann bei mir dem Pan entspringen.

Die Liebe.

Die Lieb' hat ihre Wieg' in dir.
Jedweder Fisch, jedwede Muschel brennet;
Neptun wird rasend selbst vor mir,
Daß er der Ceres, wie ein Pferd, nachrennet.
Ja, des verliebten Alpheus Bach
Kreucht durch's Meer Arethusen nach.

Das Meer.

Auf, Jason, auf! Hier ist mein Dreizacksstab!
Spritz' aus hierdurch die Brände der Begierde!
Denn Ehr' und Ruhm gewinnt der Wollust ab;
Das güldne Vlies ist deiner Seele Zierde.

Die Liebe.

Die Lieb' hat dir's zu Weg' gebracht;
Medeens Brust mußt' erst mein Pfeil zertrennen.
Geht, prüft, ihr Kinder, meine Macht,
Versucht, ob nicht der Dreizacksstab kann brennen!
Kommt nun, Höll', Himmel, Erde, Meer,
Kommt, streut mir opfernd Weihrauch her!

Daniel Casper von Lohenstein




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Gedichte: Tragik

17.12.2012 um 10:46

Klage um Auerswald und Lichnowsky

Hast du noch Lebensodem,
O Erde grün und schön,
Um die aus schwarzem Brodem
Nur finstre Nebel wehn,
Auf der blutwilde Horden
Brand, Mord und Zeter schrein
Und frech in Meuchelmorden
Der Freiheit Glanz entweihn?

Wie? Sind dies deutsche Fahnen?
Die Farben roter Wut?
Will deutsche Kämpfe mahnen
Das Rot an Brust und Hut?
Wie? Rot der welschen Seine
Das mahnte deutschen Mut,
Für Wolf und für Hyäne,
Doch nicht für Deutsche gut?

Sind dies der Freiheit Gaben?
Ist dies der Freiheit Klang,
Von schwarzen Galgenraben
Der Mitternachtgesang?
Nein! Nein! Von Freiheitstötern
Des Blindschleichs Schlangenlist,
Wo unter grausen Zetern
Kein Laut der Freiheit ist.

Ist dies die deutsche Treue?
Trifft so das deutsche Schwert?
Springt so der deutsche Leue,
Der grad' aufs Eisen fährt?
Mann steht den Mann, den Satan
Bestehen zwei und drei,
Doch sieht man solche Tat an,
So bricht das Herz inzwei.

Zwei Helden sind gefallen,
Nicht, wie der Tapfre fällt
Bei hellem Trommelschallen
Auf blut'gem Schlachtenfeld;
Sie haben andre Rosen
Weiland gepflückt im Streit:
Was war den Waffenlosen
Hier für ein Kampf bereit?

Mein Deutschland, Land der Treue!
Mein Deutschland, Land des Muts!
Wann löschet lange Reue
Die Flecken solchen Bluts?
Den Mord, womit der Feige
Den Unbewehrten trifft?
O deutschen Ruhmes Neige!
O deutscher Erde Gift!

O wehe, dreimal wehe!
Weh dieser düstern Tat!
Nein, meine Seele gehe
Nie mit in solchen Rat!
Der Ruhm, den Mörder haschen,
Der werde nie mein Ruhm!
Ach! Nimmer wegzuwaschen
Vom deutschen Heldentum!

Ernst Moritz Arndt




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