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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

17.12.2012 um 10:47

Die Pestjungfrau

Schon läutet der Abendglocke Klang
Den Tag, den müden, zur Ruh,
Da zieht ein Wandrer das Thal entlang
Den Hütten der Heimath zu.

Doch als er gelangt an den Mühlenbach,
Ist fortgerissen der Steg;
Es wälzen die schäumenden Fluthen gemach
Die letzten Trümmer hinweg.

Und als er staunend die Stätte beschaut,
Erblickt er ein hageres Weib,
Das Antlitz gerunzelt, das Haar ergraut
Und dürr und gebrechlich der Leib.

Und flehend spricht ihn die Alte an:
"O sieh mein morsches Gebein Und habe Erbarmen,
Du fremder Mann, Muß heute noch drüben sein!"

Da jaminert den Jüngling die Knochengestalt,
Er faßt sie mit kräftiger Hand
Und trägt sie leicht durch der Strömung Gewalt
Hinüber zum sicheren Strand.

Da schüttelt die Alte ihr dürres Gebein:
"Hab' Dank, Du freundlicher Mann!
Auch will ich wieder erkenntlich Dir sein,
Dir lohnen, wie Niemand es kann!

„Nimm dieses Tuch und eile nach Haus,
Und knüpf es am Pfosten fest,
Und Niemand der Deinen laß heute hinaus,
Denn wisse, Du trügest — die Pest!

"Doch wo eine Faser von diesem Tuch,
Da endet der Pestiungfrau Macht,
Da hat man des Schutzes übergenug!"
Sie spricht's und entweicht in die Nacht.

Und bebend zum Dorfe der Jüngling eilt;
Rasch hat er zu rettender That
Das Tuch zertrennt und die Fetzen vertheilt,
Noch eh' das verderben sich naht. —

Und als es vom Thurme Mitternacht schlägt,
Wohl brauset es wild durch die Lust,
Doch jede Thür einen Talisman trägt
Zum Schutze vor Seuche und Gruft.

Da raset die Pest in machtloser Wuth,
Wild schleudert sie Mord auf Mord!
Allein ihre Streifen sind echt und gut,
Und heulend verläßt sie den Ort.

August Freudenthal




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Gedichte: Tragik

17.12.2012 um 17:17

Frommer Soldaten seligster Tod

Viel Krieg hat sich in dieser Welt
Mancher Ursach erhoben;
Demselben hat Gott zugesellt,
Die Musik, ihn zu loben.
Ihr erst Erfinder war Jubal,
Des Lamechs Sohn mit Namen,
Erfand Drometen- und Pfeifenschall,
Konnt sie stimmen zusammen.
Die Musik gut,
Erweckt den Muth,
Frisch unverzagt,
Die Feind verjagt,
Ruft stark, dran, dran,
An Feind hinan,
Brecht mächtig durch,
Schlagt Gasse und Furch,
Schießt, stecht und haut alles nieder,
Daß keiner aufsteht wieder.

Als dort Elisa weissagen sollt,
Da Israel Durst litte,
Sprach er: Mir bald ein Spielmann holt,
Der spielt nach Davids Sitte.
Auch spielt vor ihm des Herren Hand,
Er thäte Trost weissagen:
Ohn Regen, floß groß Wasser durchs Land,
Der Feind wurd auch geschlagen.
Drom, drari, drom,
Pom, pom, pom, pom,
Droml und Pfeifen gut
Macht Helden Muth,
Erweckt Propheten,
Reizt die Poeten;
In Fried und Streit,
Hört mans allezeit,
Musikam soll man ehren,
Man kann ihr nicht entbehren.

Man schreibt, daß wenn Timotheus,
Nach der Dorier Weise thät singen,
Als ein berühmter Musikus,
Konnt' er in Harnisch bringen,
Alexandrum Magnum den Held,
Streit satt konnt er nicht werden,
Bis er zwang fast die ganze Welt,
Bekriegt den Kreis der Erden,
Thimotheus
Milesius
Konnt' gewaltig sing'n,
That mit aufbringen
Alexandrum,
Regem Magnum,
Daß er in Wuth,
Und Heldenmuth
Faßt Schild, Schwerdt und Kriegs-Waffen,
Im Grimm die Feind zu strafen.

Ob theils gleich wollten weichen ab,
Wie oftmals ist geschehen:
Jedoch ein Löwenmuth ich hab'
Und vorn sollt ihr mich sehen:
Der Kern springt vor, die Spreu bleibt hint'n,
Laßt herzhaft hier drein schlagen,
Sie werden sich wohl wiederum wenden,
Ihr Brüder thut nicht verzagen.
Kierieleison,
Pidi, pom, pom, pom,
Lerm, Lerm, Lerm, Lerm,
Sich keiner herm,
Wirst gleich gepfezt,
Vom Feind verlezt,
Solchs thu jezt gar nicht achten,
Hilf nur die Feind abschlachten.

Gott selbst ist vorne mit uns dran,
Thut selber für uns streiten,
Der Feind nicht länger stehen kann,
Weicht ab auf allen Seiten:
Ihr Brüder, setzt nur muthig drein,
Die Feinde thun verzaget seyn,
Der Sieg und Preis sey unser,
Drom, Drari, Drom,
Komm, Bruder komm,
Pomp, Pomp, Pomp, Pomp,
Freu dich mein Comp,
Hilf frisch nachjag'n,
Thu wackr drein schlagen,
Acht nicht der Beut,
Sie hat ihr Zeit,
Wir wollns noch wohl finden,
Bleib keiner nicht dahinten.

Gott Lob, ihr werthen Kriegesleut,
Und streitbarn Helden gute,
Den Sieg hab'n wir erhalten heut,
Habt nur ein guten Muthe,
Raubt und beutet was jeder findt,
Doch theilts fein friedlich aus,
Damit ihr Eltern, Freund, Weib und Kind
Was schickt, oder bringt zu Haus,
Bidi, Bom, Bom, Bom,
Feldscherer komm,
Und mich verbind,
Bin halber blind.
Hie steckt ein Pfeil,
Zieht aus in Eil.
Verbind mich vor,
Sonst kost's mein Ohr.
Verbind mich auch:
Pech, Feur und Rauch!
Laß mich vorgehn,
Kann nicht länger stehn.
Lieber gebt her zu trinken,
Mein Herz will mir versinken.

Ein Wundarzt hat drei Angesicht,
Wird erst für Gott gehalten,
So oft ein Schaden wütet und sticht,
Kömmt er in Engelsgestalten,
Wenn man ihn aber zahlen soll,
Undank thut sich bald finden:
Wollt, daß ihn dieser und jener holt,
Oder müst gar verblinden!
Undank, Undank
Macht Gutthat krank,
Ist ein groß Laster
Für heilsame Pflaster,
Halt den Arzt werth,
Der verständig ihn ehrt,
Des Arztes Kunst
Soll bringen Gunst,
In großer Noth
Schafft dir ihn Gott,
Kein Arztgeld soll man sparen,
Gott woll' uns all' bewahren.

Kein selger Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen
Auf grüner Heid, in freiem Feld,
Darf nicht hören groß Wehklagen;
Im engen Bett sonst einer allein
Muß an den Todesreihen,
Hier aber findt er Gesellschaft fein,
Falln mit wie Kräuter im Maien;
Ich sag ohn Spott,
Kein selger Tod
Ist in der Welt,
Als so man fällt
Auf grüner Heid,
Ohn Klag und Leid,
Mit Trommeln Klang,
Und Pfeifen Gesang
Wird man begraben,
Davon wir haben
Unsterblichen Ruhm.
Die Helden fromm,
So setzen Leib und Blut
Dem Vaterland zu gut.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

17.12.2012 um 17:57
Ich hatt’ einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen,
Gilt’s mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär’s ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew’gen Leben
Mein guter Kamerad!

Ludwig Uhland


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Gedichte: Tragik

17.12.2012 um 21:57

Die Garde stirbt, und ergibt sich nicht

Noch einmal ziehet zum Kampf ins Feld
Der Kaiser von Elba, der Frankenheld.
Sein Volk, dem wieder von Freiheit träumt,
Hat die Schwerter geweht und die Rosse gezäumt.
Von Charleroy zieht der Gewaltige aus,
Und besteht bei Ligny den ersten Strauß,
Und rüstet sich nun zur gräßlichen Schlacht
In Feldherrngrüße und Kaiserspracht.

Ihm gegenüber der Blücher sitzt,
Und Gneisenau's Aug' ihm emtgegenblitzt,
Und neben diesen Sir Wellington
Mit Nassoviens muthigem Königssohn. —
Im Sturmschritt Colonn' an Colonn' sich reiht;
Die Feldherrn rufen, da ist's an der Zeit,
Da schlägt der Donner an jedes Ohr,
Und zum Angriff klirren die Reiter hervor,
Und mit: Vive l'Empereur! ist die Schlacht entbrannt,
Mit Gott für König und Vaterland!

Es donnert und tobet und wüthet der Kampf,
Die Völker umnachtet der Pulverdampf,
Und nach Säbelhieb und nach Kugelwuth
Entrieselt das edle Heldenblut.

Da steht, die Arme verschränkt auf der Brust,
Der Kaiser, und schwelgt schon in Siegeslust;
Sein Antlitz aber hat dessen Hehl,
Und kalt nur ertheilt er den Heerbefehl.
Doch nicht wie bei Wagram und Austerlitz,
Sein Wort wie ein Donner, sein Blick wie ein Blitz!
Entflohn ist der Zauber, und lässig zur That
Der Feldherrn mancher, und spinnet Verrath.

Drum plötzlich der Kaiser erstarrt und erbleicht,
Und der höhnische Zug von der Lippe weicht.
Die Schlacht ist verloren! das sieht er ein,
Und sein Herz durchwühlt unsägliche Pein.
Doch worauf er sein Heldenvertrauen gesetzt,
Sein Bestes, das will er noch wagen zuletzt;
Und die alte Garde, die mit ihm war
In Aegypten und Rußland in grauser Gefahr,
Rückt todesmuthig und ernst und still
Im Sturmschritt vor, weil ihr Kaiser es will.

Da wälzt sich entgegen den festen Reih'n
Ein Meer von Völkern, und rasend spein
Congreve's Raketen den Tod auf sie aus.
Und Tausende sinken in Nacht und Graus;
Doch sinkend noch rufen sie: Vive l'Empereur!
Und lassen vom Kaiser nimmermehr.

Das schmerzte den Mann von Victoria,
Da so viel Brave er fallen sah,
Und schnell ist sein Vorschlag hinüber gebracht:
Sie sollten sich geben in guter Schlacht,
Umsonst doch all ihr Bemühen sei,
Und der Feind selbst ehre die muthige Treu'.
Held Cambronne aber gemessen spricht:
Die Garde stirbt, und ergibt sich nicht!
Und aufs Neue der blutige Kampf begann,
Bis die Garden lagen, Mann bei Mann,
Und fühlten im Sterben keine Noth
Durch das falsche Gerücht, auch der Kaiser sei todt.
— Doch Gourgaud wandte dem Kaiser das Pferd,
Und so nur entkam er Gneisenau's Rächerschwert.

Wilhelm Smets
(Aus der Schlacht von Waterloo)




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Gedichte: Tragik

18.12.2012 um 16:23

Der Teufel und der Zecher

Auf steiler Höh' im Felsenschloß
Da lebte einst ein Ritter,
Er kannte nicht den Gerstensaft
Auch nicht den Magenbitter.

Er kannte nur den edlen Wein,
An diesem hielt er feste,
Er war für ihn in Freud' und Leid
Zu jeder Zeit das Beste.

Und wenn er sich Vergnügen schuf,
So stieg er in den Keller;
Nahm seinen Humpen, füllte ihn,
Und leerte ihn noch schneller.

Und wenn er so im Keller saß,
Vergessend alles Andern,
Ließ er an dreißig Humpen voll
Die Kehl' hinunterwandern.

Und stieg er dann des Morgens erst
Hinauf nach seinem Lager,
Da nahm er noch drei Kannen mit,
Die waren auch nicht mager.

Und wenn er schlief und 's träumte ihm,
Daß Durst ihn schrecklich quäle:
Da griff er eine Kanne schnell,
Und netzte sich die Kehle. —

Einst saß der edle Freund des Weins
Bei seinem Lieblingssafte
Und dachte, welche Seligkeit
Das Trinken ihm verschaffte.

Da plötzlich poltert's, lärmt und schreit
Das Kellerloch herunter;
Erstaunt blickt er empor, und sieht
Ein Mönchlein frisch und munter.

„Ei sieh', ein frommer Pater ist's,
„Der so spektakulieret!
„Was ist es, das auf solche Art
„Euch in den Keller führet?"

„„Verzeihet Herr! ich bin ein Mönch
„„Und wand're nach dem Grabe;
„„Ich wollte Ruh' für diese Nacht
„„Und Herberg' nur und Labe.

„„Doch kaum betrat ich dieses Schloß,
„„Ich that noch nicht drei Schritte:
„„Fiel ich herab, und stehe nun
„In Eu'res Kellers Mitte.""

„Fürwahr! Ihr hattet Glück dabei,
„Das muß ich offen sagen,
„Daß Ihr Euch bei so hartem Fall
„Kein Bein am Leib zerschlagen!

„Nun, frommer Mann, setzt Euch zu mir,
„Und laßt in Gott uns laben,
„Wir danken ihm nnd loben ihn
„Und ehren seine Gaben! —

„Da sieh'! Ihr hinkt auf einem Fnß,
„Ist Euch doch was gescheh'n?" —
„„Ach nein! 's ist eine Prellung nur
„„Das wird sehr bald vergeh'n.""

„Ei, seht das Kreuz, es ist verletzt,
„Das Querholz ging zu Schaden;
„Nun, frommer Pater, tröstet Euch,
„Ihr steht in Gottes Gnaden!" —

Es ward des Mönches Angesicht
Bald glatt, bald wieder faltig;
Bei jedem „Gott" und „frommer Mann"
Da zuckt es ihn gewaltig.

Der Ritter füllt den Humpen ihm: „
Nun feuchtet Eu're Kehle!
„Nicht wahr, das ist ein Göttertrank
„Erquicket Herz und Seele?

„Weiß Gott! Ihr seid kein Bacchusfreund,
„Zum Trinken gar nichts nutze!
„Was steckt Ihr denn bis an die Nas'
„In Euerer Kapuze?

„Herunter mit dem Klosterschmuck,
„Ihr braucht Euch nicht zu schminken;
„Der Fromme, der im Keller sitzt,
„Der muß auch weidlich trinken.

„Denn Trinken ist das Allerbest'
„Da heben sich die Zweifel;
„Ich trinke, bis ich selig bin,
„Bei Gott! Hol' mich der Teufel!" —

„„Ei! ei! Herr Ritter nicht so laut,
„„Nur still in Kuckucksnamen;
„„Die zwei, wenn Ihr beim Lichte schaut,
„„Die passen nicht zusammen!"" —

„Je nun! Herr Bruder! schaut nicht scheel,
„Daß ich so dumm es machte;
„Verzeiht, daß Gott und Lucifer
„In einer Hast ich brachte.

„Denn deshalb bin ich doch ein Christ
„Vom Scheitel bis zur Sohlen,
„Ich bet' zu Gott; den Teufel doch
„Den soll der Teufel holen! —

„Sagt selbst, soll man dem lieben Gott
„Nicht danken und ihn ehren?
„Er schuf den edlen Wein und will
„Auch den Genuß nicht wehren.

„Der Teufel doch, was thut denn der
„Zu unserm Nutz und Frommen?
„Zu uns'rer Not, zu uns'rer Qual
„Ist er zur Welt gekommen.

„Das Beste ist, daß Dummheit ihm
„So quasi angeboren;
„Denn wenn der Teufel Wetten macht
„So hat er stets verloren.

„Er ist so kannibalisch dumm,
„Es ist gar nicht zu glauben;
„Ihr könnt' ihm, meiner Treu, die Seel'
„Noch aus den Krallen rauben.

„Und wenn er's merkt, so heißet mich
„Den allergrößten Schuften;
„Mich soll kein Trüpflein Rebensaft
„Zeitlebens mehr umduften!" —

Da plötzlich fährt der Mönch empor
Mit Zorn und Grimm im Blicke,
Und schlägt mit der geballten Faust
Geschirr und Tisch in Stücke.

Die Möncheskutte war dahin,
Und fort war die Kapuze;
Des Teufels schwarze Majestät
Stand da im vollsten Schmutze.

Voll Zorn brüllt er den Ritter an:
„„Verdammter Schwelggeselle!
„„So wisse denn, mit wem Du sprichst:
„„Ich bin der Fürst der Hölle!

„„Verfallen bist Du, Trinker, mir,
„„Ein Ende hat Dein Saufen,
„„Und Deine Seel', Du werter Freund,
„„Laß ich so schnell nicht laufen!""

Der Ritter war wohl etwas stark
Verblüfft durch die Verwandlung;
Doch er verlor die Fassung nicht
Und schritt zur Unterhandlung.

„Verzeiht", sprach er, „Herr Satanas!
„Ich hab' es nicht geahnet,
„Daß Ihr, die Hüllen-Majestät,
„Mich an mein Ende mahnet.

„Doch wenn Ihr glaubt, biu ich bereit,
„Nur Eins müßt Ihr gestehen,
„Ihr müßt doch retten En're Ehr',
„Und eine Weit' eingehen.

„Die Schmach, daß ich Euch dumm genannt,
„Dürft Ihr mit Euch nicht tragen,
„D'rum prüft erst Eu're Weisheit noch
„Und faßt mich dann beim Kragen."

„„So sei es"", spricht Herr Lucifer,
Gestachelt durch die Worte;
„„Doch mache schnell, man harret mein
„„Schon an der Höllenpforte."" —

„Ihr seht", sprach nun der Bacchusfreund,
„Dort hinten das Geglitzer,
„Da steh'n zwei Fässer angezapft,
„Voll edlem Carlowitzer.

„Es handelt sich um's Trinken hier,
„Das sollt Ihr gleich erfahren;
„Denn durstig in die Höll' mit Euch,
„Da soll mich Gott bewahren!

„Was schneidet Ihr Gesichter denn?
„Ich sagt's ja nur zum Spaße;
„Wir trinken auf die Bruderschaft
„Zwölf Züge aus dem Fasse.

„Und weil Ihr im gerechten Zorn
„Die Kannen habt zerschlagen,
„So mag des Fasses Zapfen uns
„Als Mundgeschirr behagen! —

„Zwölf Züge nur, versteht mich wohl,
„Nicht d'runter und nicht d'rüber;
„Ein jeder gibt bei jedem Schluck
„Dem Zapfen einen Stüber.

„Und sind der Schläge zwölf gescheh'n,
„Muß zugerieben werden;
„Kein Tröpflein darf am Zapfen sein,
„Kein Tröpflein auf der Erden.

„Und wenn kein Tropfen auf die Erd',
„Nur in die Kehle fließet:
„Dann sei es so, daß Ihr mit mir
„Sogleich zur Hülle schießet.

„Doch sei's, daß selbst ein Tröpflein nur
„Den rechten Weg verfehle,
„Dann bleibe ich im Keller hier,
„Ihr fahrt allein zur Hölle."

Der Teufel lacht und freuet sich
Der einfach dummen Probe;
Die, denkt er, werd' ich wohl besteh'n
Zu meinem eig'nen Lobe.

Und jeder liegt bei einem Faß,
Den Zapfen schon am Munde;
Der Ritter ruft: „Herr Bruder, Pros't!
„S'mollis zur guten Stunde!" —

Die Hähne dreh'n sich; Jeder spürt
Den Wein zur Kehle wallen;
Und Schluck und Schlag hört man zugleich
Im Keller wiederhatten.

Der Teufel schlug gewaltig los,
Damit's der And're höre,
Was er für kräftige Züge that
Dem edlen Wem zur Ehre.

Doch bei dem achten Schlage springt
Der Zapfen aus dem Fasse;
Der Wein entsprudelt, oh herrje!
Und gießt ihn pudelnasse.

Der Trinker that den zwölften Zug,
Er kam gar nicht in's Stocken,
Er dreht den Hahn, und schlürfte noch
Den Zapfen beinah' trocken.

Jetzt sieht er wie sein neuer Freund
Im Weine förmlich badet;
„Zum Teufel auch, was treibst Du denn?
„Gib Acht, daß Dir's nicht schadet!

„Ei! ei! wie bist Du doch so naß.
„Du armer Fürst der Hölle!
„Mach' fort, Du holst den Schnupfen noch
„Von dieser frischen Quelle! —

„Und wie Du frierst, das thut mir leid,
„Die Weisheit ließ Dich sitzen,
„Du mußt jetzt wohl allein zur Höll'
„Da kannst Du wieder schwitzen!" —

Der Teufel rast und grinst und brüllt,
Er wollt' es noch nicht glauben;
Und so im Ärger und im Zorn
Schlägt er des Fasses Dauben.

Der Trinker aber mahnte ihn,
Man warte sein zu Hause;
Dort soll' er sich nun gütlich thun
Beim glüh'nden Höllenschmause.

„So geh'!" spricht er, „was willst Du noch?
„Du kannst mich nicht beerben,
„Du wirst doch nicht vor Gift und Gall'
„Das Faß mir noch verderben? —

„So oft der Satan Wetten macht,
„Verliert er's ohne Zweifel:
„Da hast Du doch Gewißheit jetzt,
„Nicht wahr, Du dummer Teufel?" —

Der Trinker lacht und höhnt ihn noch,
Da wird's ihm doch zu bunte;
Voll Wut zerschlägt er 's edle Faß
Und fährt zum Höllengrunde.

Der Ritter doch saß Jahre noch
Und viele Tag' im Keller;
Es quälte ihn kein Teufel mehr,
Der Durst nur kam als Quäler.

An jenes Faß, da ließ er gleich
Von Gold den Zapfen schlagen;
Daß es ein Denkmal an die Stund'
Ihm bleibt in alten Tagen.

Mit stillem Lächeln schaut er oft
Des Zapfens Goldgeklitzer,
Und lebte der Erinnerung
Bei edlem Carlowitzer.

Peter Auzinger




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18.12.2012 um 18:11

Der Tod und das Mädchen

Das Mädchen
Vorüber! Ach, vorüber!
Geh, wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.

Der Tod
Gib deine Hand, du schon und zart Gebild!
Bin Freund, und komme nicht, zu strafen.
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen!

Matthias Claudius




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18.12.2012 um 20:45

Judas Ischarioth

Er ist es! Jede Stunde lehrt: er ist's!
Die Flut gehorcht ihm, und der Feigenbaum
Verdorrt auf sein Gebot. Kein Geist der Plage,
Des Siechthums ist, den er nicht bändigte:
Die Stummen reden und die Lahmen wandeln,
Aus ihren Gräbern stehn die Todten auf,
Und gehn hervor im Schweißtuch. Das verbürgt
Ihn als Propheten, Aber hätt' er auch
Von diesen Wundern keins gethan und wäre
Das ganze Land nicht seiner Zeichen voll',
Vom todten Meere bis an Zions Burg:
Wenn er mich anblickt, und aus seinem Auge
Der stille Glanz der Ewigkeit mich trifft,
Wenn ich ihn reden höre, und sein Wort
Voll schlichter Klarheit, jedem Kind verständlich,
Und tief doch wie des Himmels tiefster Abgrund,
Die Festen meines Wesens schüttern macht,
Fast wie Posaunenschall – das ist's, woran
Ich dennoch spüren müßte: Hier ist mehr
Denn Moses und Elias und der Täufer,
Hier ist der Eine, der verheißen ward.
Er ist's. Und doch, schau' ich in mich hinein:
Wie starr und düster alles, und kein Ton,
Der auf die Freudenbotschaft Antwort giebt!
Warum denn stürmt nicht ohne Rückhalt ihm
Dies Herz entgegen; warum jauchzt es nicht
In lichten Psalmen auf, und schmilzt nicht hin
Am Strahl des Heiles, wie ein eis'ger Born
Der rauschend in lebend'ge Flut zergeht?
Warum auch jetzt noch, da mich seine Kraft
Für Augenblicke schauernd angerührt,
Dampft trüber Zweifel, wie ein Nebel, wieder
Im Geist, empor mir, und wenn Zweifel nicht,
Doch stete Luft, zu zweifeln? Was empört
In diesen Gliedern, die doch Juda's Samen,
Sich trotzig wider seine Göttlichkeit,
Und bäumt zurück von seinem Liebesjoch
Gleich wie ein störrisch Roß, und sähe lieber
Das große Werk der Gnaden ungeschehn,
Als so geschehn? – Ich hab' es oft durchgrübelt,
Doch all mein Grübeln frommt und ändert nichts.

Als Knabe hatt' ich Stunden, ahnungsreich
Und wie voll Weissagung; dem Jüngling wurden
Sie Kern des Lebens bald. – Sah ich den Römer
Mit ehrnem Fuße schreiten durch dies Land,
Gebietrisch trotzend, wo das Heiligtum
Des Höchsten ragt, und in geweihten Grüften
Der Staub der Väter schläft da wandte sich
Von jachem Weh durchzuckt mein Eingeweid,
Und jeder Tropfen Bluts in mir ward Zorn.
Hinaus in's Felsgebirge trieb es mich,
Und unterm Sternenhimmel, beim Geseufz
Des Nachtwinds in den dürren Disteln flammte
Mein brünstig Beten Fluch um Fluch herab
Auf der Bedrücker Haupt und schrie empor
Um den Messias, daß er uns erlöste
Aus solcher Schmach. – Und wenn ich heimgekehrt,
Erschöpft vom Eifern, mich auf's Lager warf,
Da füllten, seltne Bilder mir den Schlaf,
Und meiner Seele grimme Sehnsucht trat
In körperlosen Schatten vor mich hin,
Auf Bergeszinnen einsam fand ich mich
Und eine Hand aus Wolken reichte mir
Ein schneidig Schwert, und da ich's umgegürtet,
Durchfloß mich eine Kraft wie Feuerwein.
Im Sturme trug des Traumes Geist mich dann,
Und hoch zu Roß durch Schlachten ging es hin,
Durch blanke Speere, Leichen, Wagentrümmer,
Durch Blut und Staub – die Römeradler sanken
Wie scheue Tauben vor dem Wetterschlag
Weit, weit 'in's Unermess'ne stob die Flucht,
Und fern im Untergang stieg eine Röthe
Von Flammen auf, und ward zum Feuermeer
Von Pol zu Pol, und in der Glut verging
Die Stadt des Gräuls und aller Heiden Trotz.

Und wieder dann in Purpur sah ich mich,
Das dunkle Scheitelhaar von Salböl triefend,
Auf goldnem Stuhle; Harfen hört' ich rauschen,
Und alle Gipfel überprangend stand
Jehovahs Tempel, denn des Erdrunds Fürsten
Knieten umher und huldigten dem Herrn,
Der sie durch meinen Arm gebeugt – und mir.

So träumt' ich oft, und dacht' an Josephs Traum
Wenn ich erwacht'. Und all mein Leben ward
Ein durstig Harren, dem das Gegenwärt'ge
Nur Morgendämmrung großer Zukunft schien,
Die Schriften der Propheten wühlt' ich durch
Bei tiefer Nacht, und sog aus dunklen Worten
Mir Wachsthum jener Ahnung, die mein Mund
Nicht kund zu geben wagte, mit Gebeten
Den Himmel stürmend um Bestätigung.
Doch Wochen, Monde, Jahre rollten hin,
Eintön'gen Schwungs, und Heute war wie Gestein,
Und nichts geschah.

Da plötzlich an mein Ohr
Erging ein dumpf Gerücht, das schüchtern erst,
Wie Windesodem durch den Pappelwald,
Durch's Volk dahinlief, doch im Weiterwandeln
Anwuchs und tausendstimmig Brausen ward.
Der Heiland, hieß es, der Erwartete,
Der Leu vom Stamme Juda sei gekommen,
Und sühnen werd' er seines Volkes Schmach.
Und wundervolle Mähren gingen um
Vom Stern, der über Bethlehem geleuchtet,
Da er geboren ward: ergraute Hirten
Entsannen sich, daß sie in jener Nacht
Auf dunkler Feldwacht Engelsgruß vernahmen,
Und daß sie dann mit fremden Königen
Vor einem Kind gekniet, von dessen Lächeln
Ihr trüber Sinn licht wie der Himmel ward.
Und wie die Greis' erzählten, glänzten ihnen
Die falt'gen Stirnen, gleich als stoße drum
Der einst geschauten Glorie Widerschein,
Und ihre Reden tönten wie Musik.

Das alles traf den Geist mir, wie ein Blitz
In's Wasser schlägt und seine Tiefen aufrührt,
Und was auf meines Wesens letztem Grund
Bedeckt von der Alltäglichkeit geruht,
Kam wild vermischt nach oben: brünst'ge Sehnsucht
Nach Heil für mich und für mein duldend Volk,
Ehrgeiz'ger Wunsch, getäuschten Stolzes Grimm,
Gedankenunrast, welche nur mit Qual
Den Zweifel trug und doch die Klarheit scheute;
Und halb voll Hoffnung, halb voll Furcht! er sei's,
Ging ich zum Jordan.

Wunderbare Stunde,
Die noch in der Erinnrung mein Gemüth
Durchbebt mit Schauern, und den Felsenkern
Der Männerseele mir in weibisch Heimweh
Dahin zu thauen droht – mir wär' es besser
Vielleicht, ich hätte nimmer dich gesehn,
Als daß du kamst und gingst und all mein Leben
Seitdem zum ungelösten Zwiespalt ward.

Auf einen König hatt' ich mich bereitet,
Auf einen Helden, der wie Saul das Volk
Weit überragt' um eines Hauptes Länge,
Auf einen Hohenpriester und Propheten,
Deß Wort, in stammend Feuer eingetaucht,
Die Seelen zündete zum heil'gen Krieg –
Und nun, wie anders war er! – Demuth ganz,
Holdsel'ge Sanftmuth – statt das Schwert zu zücken,
Die Arme breitend, gleich als wollt' er drin
Die Welt umfangen; all sein Feldgeschrei
Ein Wort von Hieb' und Frieden, sonder Zeichen
Der königlichen Hoffnung sein Gewand –
Und dennoch glänzt' auf seiner klaren Stirn
Göttlichen Ursprungs Stempel, dennoch lag
In seinem Aug' ein unergründlich Etwas,
Daß ich davor die Wimper niederschlug,
Als schaut' ich in die Sonn'.

Und als ich nun
Verwirrt, betroffen, mit mir selbst im Streit,
Mich stehlen wollte durch des Volks Gewühl,
Wie ein verletzter Hirsch das Dickicht suchend:
Da wandt' er plötzlich auf mich her sein Antlitz,
Und Halt gebietend mir mit einem Blick,
Von dem ich spürte, daß mein Innerstes
Ihm wie Krystall war, sprach er freundlich: Komm!
Ich weiß, wonach dich lüstet. Folge mir!

Ich folgt' ihm, und für Stunden ward mir's nun,
Ich sei verwandelt. In mein rastlos Stürmen
Kam eine Stille, die, wie süßer Schlaf
Des Kranken Fieber, mein erhitzt Gemüth
Besänftigte; mein Wandel und Gebet
Ward anders, denn zuvor; und Thränen weint' ich,
Wie ich als Kind sie weinte, sonder Zorn.
Und horcht' ich dann, gelagert bei den Andern
Dem Worte, das von seinen Lippen ging,
Da ward mir oft zu Sinn, als wandert' ich
In einem dunkeln unterird'schen Gang,
Und sähe fern am äußersten Gewölb
Den Strahl des Tages fließen, und mich faßte
Ein weich Verlangen nach dem Licht hinauf.

Doch Stunden waren's nur, und all ihr Glanz
Und Glück war Traum. Mein Geist, auf Augenblicke
In Bilder sanften Friedens eingelullt,
Fuhr auf aus müß'ger Schwachheit und verlangte
Nach Größerem. – An seiner Wunderkraft
Nicht könnt' ich zweifeln, doch was frommte sie,
Wenn er sie rosten ließ, wie in der Scheide
Die Klinge rostet? Thaten wollt' ich sehn,
Zerbrochen Zions Joch, gerächt die Qual,
Die wir erduldet, wieder hergestellt
Der auserwählten Stämme Königreich,
Ihn selbst gekrönt, und ihm zur Seite mich.
Er aber zog durch's Land, und predigte,
Und heilte Kranke, statt mit Kriegsgeschwadern,
Mit Fischern, Zöllnern, Sündern sich umgebend;
Vergab verbuhlten Dirnen, schwatzt' am Brunnen
Mit fremden Weibern, ja und hieß dem Kaiser
Den Zins uns geben, der des Kaisers sei,
Indeß sein trotz'ger Lictor täglich doch
Für Juda's Rücken frische Ruthen band, –
Und als ich endlich, in der düstern Brust
Den ungeduld'gen Groll nicht länger zügelnd,
Auf eines Berges Gipfel zu ihm trat,
Und an sein Amt ihn mahnt' und ihm das Land
Verheißend wies, das seines Fürsten harrte,
Wie's vor uns lag mit seinen Seen und Städten
Und Cedernhöhn in Abendglut getaucht,
Da fuhr's aus seinem Aug' in meine Seele
Wie zornig Wetterleuchten, und sein Ruf
Ging dräuend in mein Ohr: Hinweg, Versucher!
Kommst du noch einmal? Hebe dich hinweg!

Seit jenem Tag steht etwas zwischen uns.
Wie eine Mauer. Fremd ist mir sein Thun
Und unbegreiflich, all sein Will' und Weg.
Wohl pocht bisweilen seine Rede noch,
Sein Blick an's Herz mir, daß die Angeln schüttern
Wie vormals, wenn er heischte: Laß mich ein! –
Doch machtlos sprengt er nicht die Riegel mehr.
Und wenn mein Fuß ihm folgt, und wenn mein Leib
Ihm noch gehorsamt, ist's Gewohnheit nur:
Denn kaum, daß ich, was er gebot, vollführt,
So schnellt mein Geist, wie ein gekrümmter Bogen,
In seinen Stolz zurück, und Eines nur
Empfind' ich noch, daß wir geschieden sind.

Nun hör' ich wundersame Stimmen oft,
Die aus dem Boden gehn, im Winde schwimmen,
Im Abendnebel flüstern an mein Ohr.
Und wie ich ihnen lausche, wächst in mir,
Gleich Winterzacken unterm Tropfenfall,
Ein tödtliches Gefühl empor, wie Haß;
Und ein Gedanke, den ich, seit er einmal
Sprang aus der Dämmrung und Gestalt gewann,
Nicht mehr in's Nichts zurückzubannen weiß,
Heißt durch ein unerhörtes Wagniß mich
Das angefangne Werk nach meinem Sinn
In's Gleis zu rücken, oder – fügt sich's nicht –
Es zu zerbrechen, und auf seinen Trümmern
Erhobnen Haupts den eignen Weg zu gehn.
Woher dies Trachten stammt, wohin's mich führt,
Kaum mag ich's fragen. Ist's ein ewig Schicksal,
Das mich dahinreißt? Ist's ein Theil des Fluchs,
Den Adam fallend seinem Stamm vererbt?
Ist es der Sinn, dadurch der Engel reinster
Von seiner Stirn das Diadem verlor,
Und Satan ward? – Ich weiß es nicht zu nennen,
Noch auch zu bänd'gen. Geh's denn seinen Gang!

Emanuel Geibel




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Gedichte: Tragik

18.12.2012 um 20:57

Geisterzug

Auf Salems Zinnen herrlich weht
Des Kreuzes Siegeszeichen,
In Moslemblut der Ritter geht,
Die Gassen sind voll Leichen.

Hart war der Kampf, der Sieg ist schön,
Nun jubelt, Christenritter!
Dann laßt zu Christi Grab uns gehn
Nach langem Schlachtgewitter!

Ab legten sie der Panzer Vier,
Die Ritter und die Fürsten.
"Nicht essen und nicht trinken wir,
Nach Seelentrank wir dürsten!"

Und wie sie ziehn im Bußgewand,
Mit zieht es geisterleise;
Wer fiel im Streit ums heil'ge Land.
Zieht mit auf heil'ger Reise.

Wie Engelscharen ziehn sie leis
Mit Palmen in den Händen,
Die Ritter jung, die Ritter greis,
Bußgürtel um die Lenden.

Es ließ sie nicht im Leichentuch,
Das Grab kann sie nicht halten,
Zum Grab des Heils zieht Sehnsuchtszug;
Die Hände dort zu falten.

Und wie ein Hauch dann schwanden sie,
Fort sind sie geisterleise,
Vom heil'gen Grab wohl fanden sie
Zum Himmelreich die Reise.

Franz Alfred Muth




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 18:17

Beharrlichkeit

Blindlings hinstürmende Wut,
Du, deren Wesen Verheeren,
Du, die durch Jammer und Blut
Ihre Bahnen sich bricht –
Nein, an deinen Altären
Opfre ich nicht!
Stillsichere Seelenkraft,
Die sich im Dulden strafft,
Die allen Schicksalsschlägen
Ausdauernd, heldenhaft,
Trotz setzt entgegen –
Preis dir und Ehren!
Wie auch die Neiderwut zetert und kreischt,
Weißt du den Wert dieses Lebens zu schätzen,
Doch auch gelassen ihn einzusetzen,
Wo es die Tugend erheischt.

Ach, der Stiefmutter Natur
Ist's eine Kurzweil nur,
Ringt auf der Wunderbühne des Lebens,
Wo wir Sterblichen spielen müssen,
Mit den Leiden und Bitternissen
Ein Mensch vergebens!
Nichts kann des Fluchs uns entbürden,
Nicht die Geburt, nicht Verdienste noch Würden;
Wie's uns auch geh,
Stets überwiegt doch das Weh:
Galilei in Kettennot,
Medici ißt der Verbannung Brot
Und unter Henkers Händen
Mußte ein Stuart enden!

Seinem entschwundenen Glücke
Weint ein Beraubter nach;
Dort unter Neidertücke
Duldet ein argloses Herze Schmach;
Oder dein blühender Leib
Wird dir mit Siechtum und Plagen
Grimmig geschlagen;
Oder es stirbt dir dein Weib,
Mutter und Bruder dein,
Und dein Getreuster scheidet von hinnen
Läßt dich verwaist und allein –
Wie da die Tränen dir rinnen!
Also auf sturmtoller Flut
Treibt manch Schifflein daher;
Aber der wilde Orkan,
Der Tyrann auf dem Meer,
Bricht doch mit all seiner Wut
Nimmer des Seemanns Mut.
Jetzo wolkenhinan
Trägt ihn die türmende Welle,
Jetzt wie zum Abgrund der Hölle
Stürzt der gebrechliche Kahn.
Wo ist hier Rettung noch?
Tapfrer, verzweifle – und doch!
Wüte, was wüten mag,
Fest hält das Herz seinen Schlag;
Tausendmal trotzt ich dir, Tod, eh' ich verzag'!
Tage der Unruh! Wohin
Käm' es mit mir, dem Geplagten,
Wenn mein Schild, meine Wehr
Wider der Sorgen Heer,
Meine Getreusten, versagten:
Fest mir im Herzen drin
Du mein tragender, trotzender Sinn!
Wie auch das Schicksal mich treibt,
Ob über kurz oder lang
Fall mir und Untergang
Sicher verbleibt –
Sei's drum, ich werde
Zittern vor keiner Fährde!
Mag auch der Pöbel verzagen,
Greinen und klagen,
Erst wenn die Hoffnung zerrann,
Bewährt sich der Mann.

Seht die beflügelte Zeit!
Eben noch rauscht ihr Gefieder –
Schon ist sie weit,
Weit, und kehrt niemals wieder.
Doch ihre rasende Eile
Ist uns zum Heile:
Wie sie Beschererin,
Ist sie Zerstörerin;
Was sie an Übeln gebracht.
Nimmt sie auch, eh' du's gedacht,
Wieder dahin.
Lohnt da Klage und Gram
Über ein Mißgeschick,
Das mit dem Augenblick
Geht, wie es kam?

Niedriger Seelen Art,
Sich im Behagen des Glückes zu sonnen!
Wohlfeile Lust! Sie ward
Einzig durch Zufalls Gnade gewonnen.
Niemals im Glücke tut
Hoher Sinn sich hervor; Ist uns das Leben gut,
Ragen wir nicht aus dem Schwarm empor.
Doch wider Unheil und Schrecken
Stolzer sich heben, sich recken,
Wahrlich, das heiß' ich: mit Ehren
Mannheit bewähren.

Nichts mag das Schicksal, das blinde,
Linder gestatten;
Wer, der den Obergewalten
Je widerstünde!
In den Wirbeln der reißenden Flut
Sinkt auch der rüstigste Schwimmer;
Hätt' er des Herakles Glieder,
Ringt er doch nimmer,
Siegreich dawider.
Eines nur gibt es, was not hier tut:
Aushalten, Dulden, Beharren!
Mag dich das Schicksal auch grausam narren,
Trag' es, wenn sich's nicht ändern läßt;
Nur bleib' getreu, bleib' fest!

Friedrich der Große




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 18:18

Spanische Atriden

Am Hubertustag des Jahres
Dreizehnhundert drei und achtzig
Gab der König uns ein Gastmahl
Zu Segovia im Schlosse.

Hofgastmähler sind dieselben
Überall, es gähnt dieselbe
Souveräne Langeweile
An der Tafel aller Fürsten.

Prunkgeschirr von Gold und Silber,
Leckerbissen aller Zonen,
Und derselbe Bleigeschmack,
Mahnend an Lokustes Küche.

Auch derselbe seidne Pöbel,
Buntgeputzt und vornehm nickend,
Wie ein Beet von Tulipanen;
Nur die Saucen sind verschieden.

Und das ist ein Wispern, Sumsen,
Das wie Mohn den Sinn einschläfert,
Bis Trompetenstöße wecken
Aus der kauenden Betäubnis.

Neben mir, zum Glücke, saß
Don Diego Albuquerque,
Dem die Rede unterhaltsam
Von den klugen Lippen floß.

Ganz vorzüglich gut erzählte
Er die blutgen Hofgeschichten
Aus den Tagen des Don Pedro,
Den man »König Grausam« nannte.

Als ich frug, warum Don Pedro
Seinen Bruder Don Fredrego
Insgeheim enthaupten ließ,
Sprach mein Tischgenosse seufzend:

Sennor! glaubt nicht was sie klimpern
Auf den schlottrigen Gitarren,
Bänkelsänger, Maultiertreiber,
In Posaden, Kneipen, Schenken.

Glaubet nimmer, was sie faseln
Von der Liebe Don Fredregos
Und Don Pedros schöner Gattin,
Donna Blanka von Bourbon.

Nicht der Eifersucht des Gatten,
Nur der Mißgunst eines Neidharts
Fiel als Opfer Don Fredrego,
Calatravas Ordensmeister.

Das Verbrechen, das Don Pedro
Nicht verzieh, das war sein Ruhm,
Jener Ruhm, den Donna Fama
Mit Entzücken ausposaunte.

Auch verzieh ihm nicht Don Pedro
Seiner Seele Hochgefühle
Und die Wohlgestalt des Leibes,
Die ein Abbild solcher Seele.

Blühend blieb mir im Gedächtnis
Diese schlanke Heldenblume;
Nie vergeß ich dieses schöne
Träumerische Jünglingsantlitz.

Das war eben jene Sorte,
Die geliebt wird von den Feen,
Und ein märchenhaft Geheimnis
Sprach aus allen diesen Zügen.

Blaue Augen, deren Schmelz
Blendend wie ein Edelstein, -
Aber auch der stieren Härte
Eines Edelsteins teilhaftig.

Seine Haare waren schwarz,
Bläulichschwarz, von seltnem Glanze,
Und in üppig schönen Locken
Auf die Schulter niederfallend.

In der schönen Stadt Coimbra,
Die er abgewann den Mohren,
Sah ich ihn zum letzten Male
Lebend - unglückselger Prinz!

Eben kam er vom Alkanzor,
Durch die engen Straßen reitend;
Manche junge Mohrin lauschte
Hinterm Gitter ihres Fensters.

Seines Hauptes Helmbusch wehte
Frei galant, jedoch des Mantels
Strenges Calatrava-Kreuz
Scheuchte jeden Buhlgedanken.

Ihm zur Seite, freudewedelnd,
Sprang sein Liebling, Allan hieß er,
Eine Bestie stolzer Rasse,
Deren Heimat die Sierra.

Trotz der ungeheuern Größe
War er wie ein Reh gelenkig,
Nobel war des Kopfes Bildung,
Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich.

Schneeweiß und so weich wie Seide
Flockten lang herab die Haare;
Mit Rubinen inkrustieret
War das breite goldne Halsband.

Dieses Halsband, sagt man, barg
Einen Talisman der Treue;
Niemals wich er von der Seite
Seines Herrn, der treue Hund.

O der schauerlichen Treue!
Mir erbebet das Gemüte,
Denk ich dran, wie sie sich hier
Offenbart vor unsern Augen.

O des schreckenvollen Tages!
Hier in diesem Saale war es,
Und wie heute saß ich hier
An der königlichen Tafel.

An dem obern Tafelende,
Dort, wo heute Don Henrico
Fröhlich bechert mit der Blume
Kastilianscher Ritterschaft -

Jenes Tags saß dort Don Pedro
Finster stumm, und neben ihm,
Strahlend stolz wie eine Göttin,
Saß Maria de Padilla.

Hier am untern End der Tafel,
Wo wir heut die Dame sehen,
Deren große Linnenkrause
Wie ein weißer Teller aussieht -

Während ihr vergilbt Gesichtchen
Mit dem säuerlichen Lächeln
Der Zitrone gleichet, welche
Auf besagtem Teller ruht:

Hier am untern End der Tafel
War ein leerer Platz geblieben;
Eines Gasts von hohem Range
Schien der goldne Stuhl zu harren.

Don Fredrego war der Gast,
Dem der goldne Stuhl bestimmt war -
Doch er kam nicht -ach, wir wissen
Jetzt den Grund der Zögerung.

Ach, zur selben Stunde wurde
Sie vollbracht, die dunkle Untat,
Und der arglos junge Held
Wurde von Don Pedros Schergen

Hinterlistig überfallen
Und gebunden fortgeschleppt
In ein ödes Schloßgewölbe,
Nur von Fackelschein beleuchtet.

Dorten standen Henkersknechte,
Dorten stand der rote Meister,
Der, gestützt auf seinem Richtbeil,
Mit schwermütger Miene sprach:

Jetzt, Großmeister von San Jago,
Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten,
Eine Viertelstunde sei
Euch bewilligt zum Gebete.

Don Fredrego kniete nieder,
Betete mit frommer Ruhe,
Sprach sodann: ich hab vollendet,
Und empfing den Todesstreich.

In demselben Augenblicke,
Als der Kopf zu Boden rollte,
Sprang drauf zu der treue Allan,
Welcher unbemerkt gefolgt war.

Er erfaßte, mit den Zähnen,
Bei dem Lockenhaar das Haupt,
Und mit dieser teuern Beute
Schoß er zauberschnell von dannen.

Jammer und Geschrei erscholl
Überall auf seinem Wege,
Durch die Gänge und Gemächer,
Treppen auf und Treppen ab.

Seit dem Gastmahl des Belsazar
Gab es keine Tischgesellschaft,
Welche so verstöret aussah
Wie die unsre in dem Saale,

Als das Ungetüm hereinsprang
Mit dem Haupte Don Fredregos,
Das er mit den Zähnen schleppte
An den träufend blutgen Haaren.

Auf den leer gebliebnen Stuhl,
Welcher seinem Herrn bestimmt war,
Sprang der Hund und, wie ein Kläger,
Hielt er uns das Haupt entgegen.

Ach, es war das wohlbekannte
Heldenantlitz, aber blässer,
Aber ernster, durch den Tod,
Und umringelt gar entsetzlich

Von der Fülle schwarzer Locken,
Die sich bäumten wie der wilde
Schlangenkopfputz der Meduse,
Auch wie dieser schreckversteinernd.

Ja, wir waren wie versteinert,
Sahn uns an mit starrer Miene,
Und gelähmt war jede Zunge
Von der Angst und Etikette.

Nur Maria de Padilla
Brach das allgemeine Schweigen;
Händeringend, laut aufschluchzend,
Jammerte sie ahndungsvoll:

»Heißen wird es jetzt, ich hätte
Angestiftet solche Mordtat,
Und der Groll trifft meine Kinder,
Meine schuldlos armen Kinder!«

Don Diego unterbrach hier
Seine Rede, denn wir sahen,
Daß die Tafel aufgehoben
Und der Hof den Saal verlassen.

Höfisch fein von Sitten, gab
Mir der Ritter das Geleite,
Und wir wandelten selbander
Durch das alte Gotenschloß.

Indem Kreuzgang, welcher leitet
Nach des Königs Hundeställen,
Die durch Knurren und Gekläffe
Schon von fernher sich verkündgen,

Dorten sah ich, in der Wand
Eingemauert und nach außen
Fest mit Eisenwerk vergattert,
Eine Zelle wie ein Käfig.

Menschliche Gestalten zwo
Saßen drin, zwei junge Knaben;
Angefesselt bei den Beinen,
Hockten sie auf fauler Streu.

Kaum zwölfjährig schien der Eine,
Wenig älter war der Andre;
Die Gesichter schön und edel,
Aber fahl und welk von Siechtum.

Waren ganz zerlumpt, fast nackend,
Und die magern Leibchen trugen
Wunde Spuren der Mißhandlung;
Beide schüttelte das Fieber.

Aus der Tiefe ihres Elends
Schauten sie zu mir empor,
Wie mit weißen Geisteraugen,
Daß ich schier darob erschrocken.

Wer sind diese Jammerbilder?
Rief ich aus, indem ich hastig
Don Diegos Hand ergriff,
Die gezittert, wie ich fühlte.

Don Diego schien verlegen,
Sah sich um, ob Niemand lausche,
Seufzte tief und sprach am Ende,
Heitern Weltmannston erkünstelnd:

Dieses sind zwei Königskinder,
Früh verwaiset, König Pedro
Hieß der Vater, und die Mutter
War Maria de Padilla.

Nach der großen Schlacht bei Narvas,
Wo Henrico Transtamare
Seinen Bruder, König Pedro,
Von der großen Last der Krone

Und zugleich von jener größern
Last, die Leben heißt, befreite:
Da traf auch die Bruderskinder
Don Henricos Siegergroßmut.

Hat sich ihrer angenommen,
Wie es einem Oheim ziemet,
Und im eignen Schlosse gab er
Ihnen freie Kost und Wohnung.

Enge freilich ist das Stübchen,
Das er ihnen angewiesen,
Doch im Sommer ist es kühlig,
Und nicht gar zu kalt im Winter.

Ihre Speis ist Roggenbrot,
Das so schmackhaft ist, als hätt es
Göttin Ceres selbst gebacken
Für ihr liebes Proserpinchen.

Manchmal schickt er ihnen auch
Eine Kumpe mit Garbanzos,
Und die Jungen merken dann,
Daß es Sonntag ist in Spanien.

Doch nicht immer ist es Sonntag,
Und nicht immer gibts Garbanzos,
Und der Oberkoppelmeister
Regaliert sie mit der Peitsche.

Denn der Oberkoppelmeister,
Der die Ställe mit der Meute
Sowie auch den Neffenkäfig
Unter seiner Aufsicht hat,

Ist der unglückselge Gatte
Jener sauren Zitronella
Mit der weißen Tellerkrause,
Die wir heut bei Tisch bewundert,

Und sie keift so frech, daß oft
Ihr Gemahl zur Peitsche greift -
Und hierher eilt und die Hunde
Und die armen Knaben züchtigt.

Doch der König hat mißbilligt
Solch Verfahren und befahl,
Daß man künftig seine Neffen
Nicht behandle wie die Hunde.

Keiner fremden Mietlingsfaust
Wird er ferner anvertrauen
Ihre Zucht, die er hinfüro
Eigenhändig leiten will.

Don Diego stockte plötzlich,
Denn der Seneschall des Schlosses
Kam zu uns und frug uns
Höflich: ob wir wohlgespeist? - -

Heinrich Heine




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 18:20

Der arme Heinrich.

Zueignung an die Brüder Grimm.
Ihr, die den Garten mir erschlossen,
Den Hort der Sagen mir enthüllt,
Mein trunk'nes Ohr mit Zauberklängen
Aus jener Märchenwelt erfüllt;

Ich schuld' es euch, daß, wie im Traume
Berührt, mein Saitenspiel erklang,
Und sich dem übervollen Busen
In Schmerz und Lust das Lied entrang.

Da wollt' ich euch zum Kranze winden
Die schönsten Blumen, die ich fand,
Doch abgelöst von ihrer Wurzel
Verdorrten sie in meiner Hand.

Und immer sprach zu meinem Herzen
Ich zögernd: also soll's nicht sein;
Unwürdig wirst den wackern Meistern
So nicht'ge Gabe du nicht weih'n.

Und immer hofft' ich: morgen, morgen! –
Ich ward indessen schwach und alt:
Nehmt heute denn des Greisen Gabe,
Bevor sein letztes Lied verhallt.


* * *


Wessen ist die Burg, die dort verödet
Mitten in dem schönen Schwaben trauert?
Gras und Farrenkraut bewächst die Stiegen
Und die Eule nistet in den Türmen.

Guter Ritter Heinrich von der Aue,
Blume du der Jugend und der Schöne,
Klarer Spiegel aller Rittertugend,
Schwert der Kraft und Rosenhag der Milde,
Mund der Wahrheit, Fels der echten Treue,
Der Bedrängten Schirm und Hort, der Freunde
Ehrenschild und Banner, heller Stern du,
O wie bist du, heller Stern, gefallen!

Seine Geißel hat der Herr geschwungen
Über den Weltseligen, ergriffen
Hat ihn schmählich Leid, ihn hat der Aussatz
Heimgesucht, und ekelnd abgewendet
Haben schnell sich, die an ihm gehangen.

Seht das Vorwerk dort am Waldesrande;
Weltverlassen hat der arme Heinrich
Dort beim Meier ein Asyl gefunden.
Und der Alte dienet ihm in Treuen,
Und die greise Mutter pfleget seiner,
Und das Töchterlein, das er im Scherz oft
Seine kleine Frau nennt, weiß gefällig,
Spielend, kosend, ihm des bittern Grames
Wolken von der Stirne zu verscheuchen.

Also war das dritte Jahr dem Dulder
Schon verstrichen, und er saß in Unmut
Düster brütend, als der gute Meier
Ihm zuredend sprach die flücht'gen Worte:

Herr, ihr müsset dessen nicht verzagen;
Giebt's zu Montpellier und zu Salerno
Ja der kunsterfahr'nen weisen Meister
Viele noch, da sollt ihr Hilfe suchen.

Drauf der arme Heinrich bitter lächelnd:
Bin zu Montpellier und zu Salerno
Hilfe suchend früher wohl gewesen;
Von den weisen Meistern nicht der eine,
Nicht der andre mochte Trost mir geben,
Schlechten Trost nur Einer zu Salerno,
Der mich lehrte, wie ich zwar zu heilen,
Aber ungeheilt doch müsse bleiben.

Drauf der Meier: Herr, ihr sprecht in Rätseln.
Und der Kranke: Wohl, das Rätsel lös' ich:
Schafft mir, sprach der Meister, eine Jungfrau,
Die aus freiem Mut für euch zu sterben
Sich entschließt, und aus der Brust das Herz sich
Schneiden läßt, so will ich wohl euch heilen.

Es verstummten Beide, Stille ward es.
Lauschend saß die Maid, wie sie gewohnt war,
Unbemerket ihrem Herrn zu Füßen,
Und ein leises Wimmern ward vernommen.

Als darauf zu Nacht die beiden Alten
Sich gelegt, das Kind zu ihren Füßen,
Konnte sie vor Herzeleid nicht schlafen.
Ihres Herrn gedenkend, troff der Regen
Ihrer Augen auf der Eltern Füße,
Die verstöret aus dem Schlaf erwachten.

Um ihr Weh befragte sie der Vater
Jetzt mit sanften, jetzt mit strengen Worten,
Bis sie's länger nicht verhehlen konnte:
Denk' ich uns'res güt'gen Herrn und seines
Bittern Elends, muß ich immer weinen,
Ach, es giebt den Bessern nicht auf Erden!
Und der Vater und die Mutter sagten:
Kind, das sprichst du wahr, doch kann dem Guten
Unser Harm nicht frommen, über ihm ist
Gottes Urteil, drum, laß ab zu klagen.

So geschweigten sie das Kind, doch schlaflos
Blieb sie über Nacht und stumm in Trauer
Tags darauf, bis sie zur Ruh' sich legten.
Aber auf gewohnter Lagerstätte
Fand das gute Mädchen keine Ruhe;
Ein Gedanke war in ihrem Herzen,
Wuchs in ihrem Herzen übermächtig;
Erst nachdem mit Gott sie fest beschlossen,
Herz und Herzblut ihrem Herrn zu opfern,
Ward sie wieder froh und leichten Mutes.
Aber bald zur Angst wuchs eine Sorge:
Ob Herr Heinrich, ob die lieben Eltern
Ihren Willen ihr gewähren möchten.
Wieder, deß verzagend, troff der Regen
Ihrer Augen auf der Alten Füße,
Die verstöret aus dem Schlaf erwachten.

Auf sich richtend schalt der liebe Vater
Unverständig, kindisch ihre Klage,
Da nur Gott im Himmel könne helfen.
Und doch, sprach die sanfte Maid erwidernd,
Und doch hat mein Herr gesagt, ihm könne
Wohl geholfen werden. Tauglich bin ich
Ihm zur Arzenei; ich will euch bitten,
Wehrt mir nicht, daß ich mit Gott mein Herzblut
Freudig für den Guten möge geben.

Ob der Red' entsetzten sich die Alten,
Und betrübten Mutes sprach der Vater:
Kind, du redest, wie die Kinder reden,
Hast noch nicht den herben Tod geschauet,
Überschwängliches versprichst du thöricht,
Laß den Leichtsinn, laß die Träume fahren
Und verstör' uns müßig nicht die Nächte.

Und es schwieg das Mägdlein, aber schlaflos
Blieb sie über Nacht und stumm in Trauer
Tags darauf, bis sie zur Ruh' sich legten.
Wieder troff der Regen ihrer Augen
Auf der Alten Füße, sie erweckend.

Aufrecht sitzend sprach zu der Bedrängten
So die greise Mutter selbst in Thränen:
Sinnst Unseliges du uns zum Jammer?
Kind du meiner Schmerzen, die du solltest
Unsers Alters Stab sein, und uns ehren,
Willst dein Heil verwirken, willst das Leben
Uns verleiden und das Herz uns brechen?

Dem entgegnete die fromme Tochter:
Lege Gott mir Worte auf die Lippen,
Die das Herz der teuren Eltern treffen.
Nicht mein Heil verwirken, nicht zum Jammer
Will ich euch, ihr Vielgeliebten, sterben;
Nicht auch red' ich kindisch, angeschauet
Hab' ich ernst den herben Tod, wie Einer
Nur vermag, dem noch das Leben lieb ist.
Sterben muß doch auch, wer alt geworden;
Aber schwer in Arbeit alt geworden
Stirbt in Sünde mancher hin, ihm wäre
Besser, wär' er nie zur Welt geboren.
Mir aus Gottes Hulden wird's zu Teile,
Um der Seele Heil in jungen Jahren
Meinen Leib zu geben; solches gönnt mir,
Denn so muß es sein. Die Leute sagen,
Daß ich schön bin: würd' ich älter, möchte
Leicht der Weltlust Süße mich verstricken.
Wollt ihr einem Manne mich vermählen:
Lieb' ich ihn, ist's eine Not, ich habe
Meinen armen Herrn doch stets vor Augen;
Wird er mir verhaßt, so ist's der Tod gar.
Mein begehrt ein Freier, dem ich gerne
Folgen will, dem mag ich wohl vertrauen.
Setzt mich in ein Glück, das nicht vergehet;
Lasset Gott mich preisen, der so Wertes
Will durch mich einfält'ges Kind vollenden.
Laßt für ew'gen Lohn um kurzes Leiden
Mich vergüten unserm Herrn das Gute,
Das er unablässig uns gespendet.
Seid der That teilhaftig, und vergelt' euch
Gott, was nimmer ihr versagen dürfet.
Wieder heben muß der Baum des Ruhmes
Zu dem Lichte seine volle Krone,
Aber ihr im Schatten seiner Milde
Werdet sein euch freuen und der Tochter.

Schneidend drangen in das Herz der Alten
Diese Worte, denn das Mädchen hatte,
Keinem Kinde gleich, mit Macht gesprochen.
Wagten auch nicht länger, ihr zu wehren.
Jammernd schwiegen sie und kämpften lange
Mit dem Liebesschmerz im wunden Herzen,
Bis sie sprachen: Möge denn geschehen,
Was dich so der Geist erbeten lehrte.

Freute jetzt dem jungen Tag entgegen
Sich die Jungfrau, aber kaum erhellte
Sich der Osten, trat sie leisen Schrittes
An das Bett des Siechen, kniete nieder,
Seinen Schlaf bewachend, bis die Sonne
In die Kammer schien und ihn erweckte.

Und der erste Blick des armen Heinrich
Fiel ins Aug' ihr, das verkläret strahlte
Ihres reinen Herzens sanften Frieden.
Und er fragte: Liebe Frau, was bringt dich
Heute zu mir her so früh am Tage?

Flehend hob gefaltet ihre Hände
Sie zu ihm empor und sprach in Demut:
Hab' an meinen Herrn wohl eine Bitte;
Zürne mir, mein Herr, nicht; darf ich hoffen,
Daß ich nicht vergebens werde bitten?

Wohlgefällig ruht' auf ihr sein Auge:
Was ich darf vor Gott und meiner Ehre,
Das getrau' ich mir, dir zu verheißen.

Sie darauf: Mein lieber Herr, ich dank' euch,
Sag' euch auch, was ihr mir habt gewähret.
Jammernd sahen wir die Tag und Nächte
Eurem Leide zu, dem soll geholfen
Wohl noch werden; seht, ich bin die Jungfrau,
Die aus freiem Mut sich fest entschlossen
Aus der Brust das Herz wird schneiden lassen.
Auf denn, nach Salerno, laßt den Meister
Seine Kunst an eurer Magd beweisen.

Lange Zeit sah zweifelnd, fast erschrocken,
Thränen in den Augen, er die Maid an;
Sprach besonnen dann, sie zu versuchen:
Kind, du seltsame, dein fromm Gemüte,
Das erscheinet klar in dieser Stunde;
Willst für mich du sterben, Kind, bedenke,
Deiner Eltern bist du, mußt sie fragen.
Aber anders kam es, als er meinte.
Eingerufen traten ein die Eltern,
Sprachen beide schluchzend: Nimm sie, nimm sie!
Haben ihr gewehrt drei lange Nächte,
Ihr ist nicht zu wehren; aus dem Mädchen
Hat zu uns ein höh'rer Geist gesprochen.

Als der arme Heinrich jetzt erkannte,
Daß einmütig doch das Ungeheure
Alle wollten und von ihm begehrten,
Stieg in ihm aufs Neue Lebenslust auf,
Sah er schon im Geiste sich genesen,
Andres nicht gedacht' er, und mit Grausen
Sprach er leis und langsam: Also sei es.
Großes Leid erhob sich, nur die Jungfrau
Schaute selig lächelnd in die Runde.

Nach Salerno! nach Salerno! Prächtig
Schmückte Heinrich zu der Fahrt das Opfer;
Ließ ihr Samt und Hermelin und Zobel,
Brautgeschmeid' und gold'ne Spangen reichen;
Und des weltlich eitlen Tandes freute
Selber sich die Maid, wie Himmelsbräute,
Die entsagend zum Altare treten.

Nach Salerno! Wohl nach schwerem Abschied
Zogen nach Salerno jetzt die Beiden,
Freud'gen Herzens aber nur die Jungfrau.

Angekommen, gleich zum weisen Meister
Führt' er sie. Verwundert, sie zu prüfen,
Nahm der sie bei Seite, starrte lange
Zweifelnd scharf sie an, und sprach mit Nachdruck:
Sag', Unselige, dein Herr hat solches
Dir geboten, nicht dein Wille war es.
War und ist mein Wille, sprach sie ruhig.
Er dagegen: Tritt zurück! noch kannst du.
Üpp'ge Lebenslust ziemt deinen Jahren;
Hast die Angst des Todes nicht verstanden,
Weißt nicht, welche Marter dir bevorsteht;
Wirst dich schämen, schon mir zu enthüllen
Deinen zarten Busen. Siehe! binden
Werd' ich dich mit Stricken, werde wühlen
Mit dem scharfen Eisen nach dem Herzen
In der Brust dir und heraus es schneiden.
Wankt dein Wille, von dem Schmerz erschüttert,
Und bereuest du die That; zu spät ist's.
Nichts mehr wird sie deinem Herren frommen,
Und dein junges Leben ist verloren.
Tritt zurück. ich will mich dein erbarmen.

Ihm entgegnete die Jungfrau lächelnd:
Lieber Herr, ihr habet mir die Wahrheit
Dessen wohl gesagt, was mir bevorsteht,
Habet Dank; das Eine nur befürcht' ich:
Seht euch vor, es wird die Hand euch zittern
Und den Preis des Werkes noch gefährden.
Zaghaft seid ihr; eure Rede ziemet
Einem Weibe sich, nicht einem Manne;
Faßt ein Herz, getrauet euch zu schneiden,
Ich, ein Weib, getraue mich zu dulden.

Solches hörend stand der greise Meister
Vor der zarten Jungfrau, ihr ins Antlitz,
In das fromme, ruhig heitre schauend;
Er erbleichte vor dem Mut des Kindes.
Lange stand er also, endlich wandt' er
Langsam sich der Thüre zu, dem Siechen,
Was er jetzt erkundet, zu berichten.

Aber hastig trat ihm der entgegen,
Ihm zurufend: Meister, lieber Meister,
Bringst mir Leben, Leben und Genesung?
Sprich es aus, erfreue meine Seele!
O, der Sieche nur ermißt im Jammer
Ganz den Preis des vollen, frischen Lebens.

Ihm erwiderte gefaßt der Meister:
Tüchtig hat fürwahr dem blut'gen Dienste,
Den zu deiner Heilung du ihr ansinnst,
Wundersam! sich diese Maid bewähret.
Dir nun ziemt's gebietend zu entscheiden.

Aber mit verhülltem Angesichte
Ab sich kehrend winkte Heinrich: Schneide.
Und der Meister wandte sich, zu gehen;
Von der Schwelle schaut er noch zurücke,
Aber nicht zurücke rief ihn jener.

Zu der Maid, die hoffend ungeduldig
Seiner harrte und des bittern Todes,
Kam er, winkte, und sie folgte freudig.
Durch den Kreuzgang in ein heimlich Zimmer
Führt' er sie hinein und schloß die Thür ab.

Nicht geheuer gleißte von den Wänden
Rings befremdlich wundersam Geräte;
Rotbestrichen stand ein Tisch inmitten,
Kettenwerk darauf und blanke Messer.

Und der Meister hieß sie sich entkleiden;
Also that sie, willig, sonder Scheue;
Nicht die Spangen einzeln erst zu lösen,
Riß sie hastig in der Naht die Kleider,
Schneller nur dem scharfen Todesschnitte
Ihren reinen Busen zu entblößen.
Auf des Meisters Wink bestieg den Tisch sie,
Legte hin sich, ließ die zarten Glieder
Fest mit Riemen und in Eisen schließen.

Als der greise Meister jetzt des Mädchens
Jungen Leib ersah, deß nicht ein schön'rer
Mocht' auf Erden je gefunden werden,
Jammert's ihn im Herzen zum Verzagen,
Daß so schön sie sei und müsse sterben.

Aber er ergriff das krumme Messer,
Prüfte dessen Schärfe, fand mit nichten
Sie so schneidig, als er wohl begehrte.
Und er nahm den Schleifstein, strich bedächtig
Hin und her darauf die krumme Klinge,
Oft mit leisem Finger sie versuchend.
Sanfter mocht' er gern den Tod ihr anthun.

Aber draußen wand indeß in Zweifel
Sich der arme Heinrich, und des Ausgangs
Harrend sprach er so zu seinem Herzen:
Herz, mein Herz, sei hart in dieser Stunde,
Hast nicht selbst die grause That verschuldet;
Hat das sanfte Kind sich doch ihr Schicksal
Selbst ersonnen, selbst ja will sie sterben!
Wende dich dem Leben zu, der Freude,
Laß die Toten ruh'n! der Tod der Unschuld,
Solcher Unschuld Tod ist zu beneiden!
Aber du, auf deinem Sterbepfühle
Weh' mir! Still! – ich will ja, will ja leben,
Schwelgend, taumelnd in das Leben tauchen,
Und vergessen dieser Schreckensstunde!
Beten will ich, bis die That geschehen,
Beten, daß zu Stein mein Herz erhärte.

Und die Hände ringend warf und weinend
Sich vor Gott der Arme; seine Worte
Quollen schier verkehrt aus seinem tiefern
Bessern Herzen, und er schrie zu Gott auf:
Herr, barmherz'ger Gott, gieb Kraft mir Sünder,
Kraft zu dulden, was du selbst verhängt hast,
Laß in Demut mich mein Siechtum tragen,
Aber nicht, in deinem Zorn, der Unschuld
Schreiend Blut auf meine Seele laden.

Und vom Estrich sprang er auf verwandelt,
Lief den Gang hinab zu jener Kammer,
Rief und schrie und rüttelt' an der Thüre:

Meister, höre, Meister. – Der von innen
Gab die karge Antwort: Wartet, wartet!
Laß mich ein! schrie Heinrich; der dagegen:
Herr, geduldet euch, bald ist's geschehen.
Heinrich schrie: Halt ein! das Kind soll leben!

Stein und Messer ließ der Alte fallen,
Schloß die Thür auf; Heinrich's Blicke suchten,
Trafen schnell die Jungfrau; als so schmählich
Er die wonnigliche sah gebunden,
Weint' er laut und sprach: Laß gleich sie frei sein!
Gottes Urteil mag an mir geschehen.
Aber nicht soll diese für mich büßen.
Und die Beiden lösten schnell das Mädchen.

Sie nur brach in Klagen aus, sie konnte,
Daß sie leben sollte, nicht verwinden.
Wie doch hab' ich's, klagte sie, verschuldet,
Daß ich meinen Herrn nicht zu erlösen,
Daß ich nicht der reichen Himmelskrone
Mehr gewürdigt werden soll? Was that ich?
Euch gebricht der Mut, deß soll ich leiden!
Wie doch hat die Welt mich hintergangen,
Die euch unverzagt vor Allen rühmte!

Zog in tiefer Demut gottergeben
Jetzt der arme Heinrich nach der Heimat.
Wo ihm Hohn bevorstand; mit dem Siechen
Abgehärmt, verweint, das gute Mädchen.

Aber der die Nieren prüft und Herzen,
Der nach seiner Lieb' und Macht die Beiden
Schwer versuchte, schied von ihrem Elend
Die bewährten. Sieh'! der böse Aussatz
Wich zur Stunde von dem armen Heinrich,
Und der gute Ritter von der Aue
Kehrt' in Ehren in die liebe Heimat,
Schön und kräftig, wie er je gewesen.

Vor ihm her erscholl durch Schwabens
Gauen Schnell der Freudenruf: er kehret wieder,
Kehret rein von seiner Schmach, der Gute!
Und es eilten Vettern rings und Freunde,
Eilten seine Mannen ihm entgegen,
Daß sie Lieb' und Ehrfurcht ihm erwiesen.
Ei, mit welchen Wonnethränen herzten
Da die Alten ihre fromme Tochter!

Aber auf der Burg – welch Festgewühle!
Faßt die Halle kaum die Herrn und Frauen,
Ritter Heinrich teilt den Schwarm, die Jungfrau
Führt er in den Kreis und spricht die Worte:

Hört mich an, ihr lieben Herrn und Sippen;
Einzig dieser guten Jungfrau schuld' ich
Ehr' und Leben; frei und ledig ist sie,
Wie ich selbst; mir rät das Herz, zum Weibe
Sie zu nehmen; also wird's geschehen,
Wenn es Gott und euch gefällt; wenn anders,
Will, fürwahr! ich unverehlicht sterben.
Doch euch insgesamt, bei Gottes Hulden,
Will ich bitten, daß es euch gefalle.

Und es sprachen alle: so geziemt sich's;
Und der Abt trat segnend zu den Beiden,
Die in Andacht auf die Kniee sanken.

Adelbert von Chamisso




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 22:42

Der alte Schmerz, das ewge Leid

O Traurigkeit, du sterblich nie,
Recht bittre du, nichts werthe,
Nicht süße sanfte Melancholie,
Bist unser Lebensgefährte.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Ein Freudentag, ein Rausch des Glücks
Im Freundeskreise vorüber!
Lust eines dauernden – Augenblicks:
Dann um so stiller und trüber.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Geruht an göttlicher Liebe Brust,
Maistunde jauchzender Wonne,
Genossen der Treue Reiz und Lust –
Zum Abend neiget die Sonne.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Geerntet, was einst mit Muth gesät,
Der Arbeit lohnende Früchte –
Empfindung rein! doch, o so spät,
Und nur, damit sie flüchte.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Genesung, holdes rührendes Glück,
Nach schweren kranken Tagen,
Du führest den Nüchternen – zurück
Zu eiteln Sorgen und Plagen.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Religion, du Hochgefühl von dem
Was wahr, gut, ewig und schön ist,
Wohl labest du oft, fern von System,
Die Seele, der Leidges geschehn ist –
Ach Alles – vergeht;
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Hoffnung, beseligend Vorgefühl
Des Ruhms und Ruhm am Ende;
Was fehlt dir sodann, hast Neider ja viel –
Verläumder kommen behende.
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

O Lethe-Quell, o Vergessenheit,
Des Himmels Kind und der Erde,
Den alten Schmerz, das ewige Leid
Entführe mit sanfter Geberde!
Ach Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Du, Schlaf, o heilige Medizin;
Trost, Freund, behüt uns immer!
Wenn trauter Schlaf im Leid erschien,
Liegt weich auf allem Getrümmer.
Ach – Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Ward euch vergönnet nie frisches Blut,
Vor Schuld euch frei zu bewahren:
Verehret den Schlaf, das göttliche Gut!
Laßt Wunsch und Hoffnung fahren!
Ach – Alles vergeht!
Was aber besteht?
Allzeit?
Der alte Schmerz, das ewge Leid.

Ludwig Eichrodt




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 22:45

Die Schmiede

Wenn jetzt die Schmieder zusammen geloffen
Und angefangen, das Eisen zu klopfen,
Kein solcher Gesang kommt auf die Bahn
Wie diese Bursche heben an.
Mit Streichen im Dutzend einander sie trutzen,
Keiner der lezte will sein.
Sie schlagen eins Schlagens und thuen den zwagen,
Der leiser schlägt darein.
Mannichfaltig, gestaltig, gewaltig
Die Hämmer hoch fliegen, das Eisen zu biegen,
Die Zangen erlangen und fangen die Stangen,
Und werfens in die Kohlen, daß klinget, wiederspringet,
In Mitten der Hitzen, daß glitzet widerspritzet, -
Und also das Eisen tauglich wird.

Weil nun die Hämmer auf dem Ambos rum springen,
Die Blasbälge dort in dem Ofen auch singen,
Und bläßt der Knecht, so lang er kann,
Bis daß die Kohlen recht angahn.
Inzwischen erfrischen sich wieder die Schmieder,
Da hebet das Schnaufen erst an.
Sie reissen das Eisen vom Heißen und schmeißen
Es auf den Ambos hinan,
Und laufen im Haufen mit Schnaufen,
Und schmieden eines Schmiedens zusammen, mit Nahmen
Vulkanus, Pyramus, Jost Cleußle, Thomas Fäußle,
Dies wellen die Gesellen nit lassen, dermaßen
Bis alles erbidmet in Mitten der Schmieden, -
Auch leztlich das Eisen sich ergiebt.

Nachdem nun das Eisen genugsam gelitten,
Kömmt Wagner Franz vor die Schmiede geritten,
Er bringt mit sich der Räder drey:
»Die müssen flugs beschlagen sein!
Giebt wieder ein Rummel, Gemummel und Tummel,
Doch mit Bescheidenheit,
Denn reine und kleine, gar feine, subteile
Sind Hämmerlein da bereit,
Die fassen sie, spassen und lassen dermaßen
Die Hämmerlein tanzen dem Franzen das ganze
Rad über und über, als gält es viel Stüber,
Und währet das Springen, das Klingen und Singen
Bis daß sie dem Wägner, beschlagen die Räder -
Laß dies ein lustiges Handwerk sein.

Bald wieder die Schmieder zum Ambos hin stunden,
Es waren drei rüstige kohlschwarze Kunden,
Ein Kontrapunkt sie fingen an,
Kein Kantor es wohl besser kann.
Wohl Hammer um Hammer fiel wieder hernieder,
Gab ihnen den Takt darzu,
Sie schwangen mit Zangen und wandten die Stangen,
Es ist doch nimmer genug.
Besser auffen Misthaufen ihr Schnaufer, ihr Sauffer!
Die Hämmer thut schwingen, die Klingen muß springen,
Thut wacker drauf klopfen, ihr Blocken, ihr Tropfen,
Noch höher thut zücken, den Rücken fein bücken,
Jezt gehts schon viel räscher, hui Fresser wie Drescher, -
Laßt nach, die Stange ist wohl gemacht.

Der Meister nun brachte drei andere Stumpen. -
Wohlan! nun zucket ihr Hudler und Lumpen!
Da habt ihr gar geringe Wahr,
Schlagt drauf der lezte bei 'nem Haar!
Drei Knappen wie Rappen im Schlagen diltappen,
Sie schlugen von oben herein.
Thut die Lenden schnell wenden, seit behend mit den Händen,
Potz Dampf es muß nur so sein.
Thut besser zu halten, sonst wird es erkalten,
Hui Strobel, mein Zobel rück besser zum Hobel,
Hui Schlegel, schieb Kegel, spann d'Segel, netz 'n Flegel,
Rück besser zum Ambos, Melampus, Schlampampus,
Merkt auf ihr Sautrigel, ihr holzrichte Prügel! -
Ab, ab, hui Buben, alsgemach, schlagt ab!
Nun brachte der Meister voll Bier eine Bütschen,
Sieh, wie die Bachanten darüber her wütschen,
Und wie es zugieng bei dem Trunk.
Der ein zum andern sprach: Du Funk!
Es gilt Flegel, gsegns Gott Schlegel, Prost Luder, hui Bruder,
Drücks aus, laß nichts darin,
Na Schlämpel, Hausträmpel, gieb rummer die Blämpel,
Es gilt jezt eins im Ring.
Giebs weiter, Hochzeiter, Freibeuter, Bernhäuter,
Was machst lang ein Gerümpel, du Simpel, du Gimpel,
Thu die Gurgel aufspannen, wie ein Wannen, Mußpfannen,
Fein ritterlich trinken, laß die Lanzen nit sinken,
Die Augen zu drucken, mit vollem Hals schlucken,
Laß mir dies hurtige Bantscher sein!

Sie trankens wohl leer aus, wohl rein auf den Nagel,
Da brachte der Meister ein anderen Hagel;
Hui Buben stellt euch wieder ein,
Packt hurtig an es, es muß nur sein,
Potz Velti zum schmeißen, wie oft muß ichs heißen,
Wie lang muß ich da stehn,
Schlagt alle zusammen, 's wird keiner erlahmen,
Jezt wirds erst recht angehn.
Halt tapfer zu Driessel, Schwarzfüßel, Saurießel,
Sonst soll euch Diebskragen der Hammerstiel zwagen,
Daß euch möcht die Laugen übertreiben die Augen,
Schmeißt, daß es erklinget, vom Ambos aufspringet,
Daß die Funken vor Hitzen mit Glitzen aufspritzen,
Her auf die Seiten, rum besser, wend her.

In dem es nun völlig erklingt in der Schmiede
Kömmt eilend ein Gast durch die Strasse geritten,
Ein Rittersmann bekleidet stolz,
Viel schneller als ein Federbolz!
Er rennet und sprenget, er hottet, fort trottet,
Gar geschwind als wie der Wind:
Holla, Hosta, alla Posta, del questa, la kosa,
Sa sa sa, Trarara.
Faule Häuter, schrie der Reiter, wo seid ihr, muß weiter,
Mit Spornen drein stechend, dem Klepper zusprechend,
Weil die Rippen nit krachen, läßt sich nicht irr machen.
Der Schmiede zukesselt, den Schecken anfesselt,
Wie wohl er sich sperret, die Augen verzerret. -
Zulezt der Gaul das Maul doch henkt.

Drauf tritt er heran vor die Schmiede Höllen:
Kommt rausser, ihr Mausser, ihr rostige Gesellen,
Und schaut doch meinem Klepper zu,
Er trabet wie des Müllers Kuh,
Flugs Nägel, Schwartvögel, Zang, Zwikl und Schlegel.
Helft schnelle meim hinkenden Gaul,
Es soll euch nicht reuen, will schicken zum Bräuer
Um Bier, seid nur nicht faul!
Die drei Noren, wie Mohren, schwarz hinten und vornen
Solch Rede erfrischet, ein jeder 's Maul wüschet,
Waren lauter Courage, Pourage, Bomperfage.
Wohl hinten sie guckten, den Rukken tief buckten,
Und schauten dem Schimmel, zu innerst in Himmel; -
Wohl hinten mein Schimmel heb auf.

Der Schimmel thut munter den Hinterfuß heben,
Dem Strobel Baslesmanes vor die Goschen zu geben,
Daß er wohl dreimal tumlet rum,
Und zog ein Maul so ziemlich krum,
Den Schimmel anschielet und grillet und billet,
Als thät ihm sein Mäulchen sehr weh.
Sie lachten, daß sie krachten, viel Possen erst machten,
O he mein Blessel jezt steh!
Sa, Sa, Sa mein Schimmel mach nicht viel Getümmel,
Mußt hinten fein eben dem Strobel aufheben,
Hui Strobel, du Fresser, greif zu dem Hufmesser,
Nimm Nägel und Zangen du rußige Stangen,
Greif zu dem Hufeisen, es wird dich nicht beißen; -
Steh still mein hinkender Blessel steh!

Mein Strobel tritt wieder wohl hinter die Gurren,
Die hebet wohl an mit dem Magen zu murren,
Dem Strobel zu Ehren ein Musik bracht,
Des wird von andern er verlacht.
Was gaffts lang ihr Lümmel, disputirt mit dem Schimmel,
Helft heben den schäbichten Gaul,
Keine bratene Tauben, könnt keklich mirs glauben
Euch fliegen wird hier in das Maul!
Knollfinken, potz Himmel, halt besser den Schimmel,
Um die Bütsche voll Hopfen thut klopfen ihr Tropfen!
Um die Wekken darneben, die der Ritter wird geben,
Thut nieten und feilen, thut waker drauf eilen,
Das Eisen auftragen, das Roß wohl beschlagen; -
's ist recht mein Schimmel! sezt nieder, steh!

Drauf kam ein gut Bauer vor die Schmiede geritten
Und thät des Schmieds Jörgen herzinniglich bitten:
O Molle hübsche Stiefelein
Mach meinem Rolle an die vier Bein,
Von Stahel und Eisen mit Riemen zum greifen
Auf die allergeschmeidigste Sitt,
Mit Rahmen gedoppelt, daß er nicht stollhoppelt,
Auch um den mindesten Tritt,
Allamodisch, Heroisch, Sklavonisch, Saphoiisch,
Mit braunen Galaunen, mit Knöpfen wie Pflaumen
Von hänfener Seiden, kohlschwarz wie ein Kreiden,
Kortesische Stötzlein, Malthesische Pantöfflein.
Hasengärnisch geschnüret, Palermisch stafieret,
Noch Geld, noch Kunst laß dauern dich!

Schmied Jodel sprach zu ihm: Mein Tolle, mein Knolle,
Vier Stiefelein will ich nun machen deim Rolle.
O Tilli Matelle miß ihm Hosen an,
Und Ueberschläglein daran
Von stürtzenem Lündisch, das ziert ihn ausbündisch,
Troz einem Edelmann
Mit Knöpfen und Borten, mailändischer Sorten,
So schön mans finden kann.
Das Wammes von Falten zu Falten gespalten
Um die Lenden geputzet, aufgemutzet, gestutzet.
Mit strohernen Rinken zur Rechten und Linken
Von Oben und Unten recht zimpferlich gebunden,
Zippergekische Tätzlein, vier Blätzlein vors Lätzlein;
Das laß mir einen tollen Rolle sein.

Fritz Knolle sprach da wohl mit Lachen zur Sachen:
Mein Schmid fang nur tapfer an Hosen zu machen,
Ein bomesinenes Mäntelein,
Miß gleich zum Wammes obendrein,
Mach Wammes und Hosen nach Art der Franzosen,
Einen türkischen Bund auch darzu,
Mach Feder und Boschen sollt es mich gleich kosten
Meine allerurälteste Kuh,
Mach Maschen, Kamaschen, zwo Flaschen, drei Taschen,
Papierene Krägen für Wind und für Regen,
Acht krumme Dusecken nach Art der Poläken,
Visigungische Spörlein, an die Oehrlein zwei Perlein,
Zwen Spanner und Büxen von Brixen und Grixen; -
O Rolle, wie könntest du toller sein!

Schmidt Jodel sprach da zum Bauren mit Lauren:
O Bauer kein Arbeit soll warlich mich dauern,
Mein Kunst passiert, wird sie geschmiert,
Den Riemen zieh, den Sackel aufschnürt,
Neunzehen Duplonen für die Hosen must du lohnen,
Dem Schmiedeknecht eine Zechin,
Für Stiefel und Sporn acht Scheffel gut Korn,
Der Magd eine Juppe zu Gewinn,
Für Boschen ein Groschen, gute Sorten für Borten,
Für Knöpf und für Stöklein vier schweinerne Böcklein,
Für Mantel und Wammes, ein Wilds und ein Zahmes,
Kamaschen und Klappen, neun Dicken drei Rappen,
Zipfel, Aermlein und Tatzen, fünf Piaster neun Batzen;
Kein Pfenning ich minder nehmen kan.

Da möcht dem Fritz Knolle vor Freuden und Lachen
Schier gar nächst das zarte Herzbändelein krachen,
Und sprach: Ein guten Muth dir hab!
Ich zieh' kein halben Heller ab,
Nimm' deine Duplonen, doch must' dich nicht schonen
Staffier nur meinen Rolle aus,
Mit Stiefel und Kappen versieh mir den Rappen,
Ich geh auch nicht zuvor nach Haus,
Mit Hutzlen und Bohnen, will ich dich belohnen,
Mit Haber und Weitzen, zwölf Klafter zum Heitzen,
Fünf Wagen voll Kohlen, kannst auch bei mir holen,
Teichmispeln und Biren will ich dir zuführen,
Mit Käse und Ankhen gar höflich abdanken,
Dem Buben ein Saufell werden soll.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

19.12.2012 um 22:46

Ra

Oh Sonne, Dein Wesen ist ewiges Siegen!
Dein Wollen ist Licht, Deine mystischen Flügel
Erstrahlende Wärme, Dein Siegen ist Fliegen
Und hoch überblickst Du die Thäler und Hügel.

Dein Anblick ist herrlich, erscheinende Scheibe,
Und schön was Du ansiehst, oh Gottheit der Milde:
Du weist auf den Reichthum im menschlichen Leibe
Und schaffst den Gedanken zum stilstrengen Bilde.

Fast athemlos starr ich Dich an, gutes Feuer,
Ich bete und strebe zu Dir wie die Saaten:
Doch weilte kein Geist je beständiger und treuer
Bei Ra, seiner Gottheit, als ich Dein Chuenaten.

Erwachen die Strahlen des Tages, am Morgen,
So lachen wir alle Dir kindlich entgegen
Und können vom Sonnengold sorglos erborgen,
Was dann zu gebrauchen, wir frei überlegen.

Doch kann die Sahara Dick Abends verscharren,
So muß sich die Erde im Dunkel vergraben.
Sie gleicht dann den Todten, die tagfern erstarren
Und wahllos mit Gaben von andern sich laben.

Was da ist, ist da, weil es nachahmt und trachtet
Wie Du, heiliger RaBall, im Glanz zu erscheinen,
Vom Tage gebändigt, geschwängert, betrachtet
Das Erdkind sein allgemein eigenstes Meinen.

Wir wollen uns formen, wie Du es beorderst,
Und wünschen den Lichtpriestern schlechtwegs zu gleichen,
Wir hoffen und streben zu sein, was Du forderst,
Und loben Dich, wo wir Dein Wollen erreichen.

Es hüpft unser Herz, wenn wir folgsam Geheiße
Der Urgluth in uns, Dir zum Danke, erfüllen:
Da singt unsere Seele, als blende und gleiße
Ein RaTag in Tiefen, die stumm sich verhüllen.

Dir zwitschern frühmorgens die Vögel entgegen,
Die Fische entschlüpfen den Tiefen des Niles,
Die Schiffe beginnen sich munter zu regen,
Mich selbst fühlt ein Ich tiefverinnigsten Spieles.

Du, mannbarer Ra, hast das All erst erschaffen,
Das höchste der Werke mit Lust zu empfinden,
Doch laßt Du die Schlünde vom Werdesturz klaffen,
Um ewig das Größte, besiegt, zu verwinden.

Du blickst in die Tiefe erschreckender Meere,
Die fürchten, daß Sturmwuth die Weltfluth erschöpfe:
Es ist, als obs Weib sich, gebährend, verzehre:
Du tödtest die Schöpfung durch ihre Geschöpfe!

Doch Du dauerst fort. Von Räthseln durchschauert,
Erwartet das Erdweib das Sonnfruchterwachen.
Es horcht, ob das Leben, das tief im Leib kauert,
Durch Hüpfen es anstachelt, sonnauf zu lachen.

Ra, Allmacht Ägptens, Du Weltfelsenthürmer,
Du Herrgott der Hyksos, Du Urgrund der Meere,
Du Königserschöpfer und Schützer der Würmer,
Du Ungeduld aller, Du ewige Lehre,

Dich rufe ich an, als Dein Diener Chuenaten!
Ich will aller Welt Deine Macht offenbaren,
Drum gieb mir die Kraft zu rarühmlichen Thaten,
Dann ziehn wir gar bald zum Altar mit Fanfaren.

Du, Ra, gabst der Menschheit das Recht auf Gebieter,
Drum darf sie auch fordern, daß ich sie bezwinge:
Oh, sieh Deinen Diener Chuenaten, hier kniet er,
Hier fleht er, oh laß, daß das RaWerk gelinge!

Das Weib hat das Recht einem Mann zu behagen,
Die Dirne, als Kind, daß ein Knabe sie schände,
Es haben die Beine das Recht, uns zu tragen,
Die Palmen und Staaten aus plündernde Hände,

Die Lüfte der Wüste, aufs Meer sich zu stürzen,
Die Nebel, daß hitzige Winde sie hetzen,
Die Düfte der Blüthen, die Lüfte zu würzen,
Der Neid den Besitz seines Nächsten zu schätzen,

Verstorbene auf Ruhe und Murmelgebete,
Die Urgluth, durch Brunstwucht, die Lücken zu füllen,
Auf Angst und auf Kampf, die Allarmtrompete,
Die Luft und das Leid auf der Hungernden Brüllen,

Die Dummen, daß Gauner sie oftmals belehren,
Der Krieg auf die Städte, die prassen und rasten,
Das Feuer auf Zyklen, aufs Stetswiederkehren
Des Tags, das vermag, allen Glast zu entlasten.

Du, Ra, hast ein Recht auf die Werbegebete,
Da Du uns erleuchtest, was leuchtet, zu nehmen;
Du schufst uns, daß jeder Dein Wollen vertrete,
Drum preist Dich, wer aufhört, vor Dir sich zu schämen.

Du bist ja der Reichthum der alles verschwendet!
Wer einseitig handelt, mag gut sich verhalten
Und wäre gar thöricht und maaßlos verblendet,
Versuchte er selbst, sein Gesetz zu gestalten.

Doch Ra, ich, der König, verkünde Dein Wollen,
Da Du, Ra, mein Vater, ob unserer ergrimmtest:
Mein Wort gleicht des Lothos sonngoldenem Pollen,
Der alles befruchtet, was Du ihm bestimmtest.

Ein Urtrieb der Menschheit, gehorsam zu dienen,
Verschafft uns die Lust, uns nach Numen zu sehnen;
Was feig sonst, in mir ists heroisch erschienen,
Auch ich mag die Nacht meiner Gottheit entlehnen!

Ich bin wie des Niles belebende Fluthen,
In denen die Menschen sich spiegelnd erkennen,
Du selbst schufst die Fluthen und Ursprungsbrunstgluthen,
Damit Deine Räthsel in mir erst erbrennen.

Du siehst und erkennst Dich in Meeren und Seelen
Und suchst sie Dir ewig, aus Liebe, zu nähern,
Drum willst Du Gebete und Nilnebel schweelen,
Erfreust Dich, zur Fluthzeit, an Lichtheilerflehern!

Das alles, oh Ra, will ich folgsam erringen,
Ich will Nilfluthspeicher mit Spiegeln erschaffen,
Das Wasser, das abfällt, verriegeln, bezwingen,
Der RaWallfahrt alle Altare erraffen.

Theodor Däubler




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Gedichte: Tragik

20.12.2012 um 13:25
Das Heu liegt tot am Wege

Das Heu liegt tot am Wege,
Wir gingen ohne zu sehen,
Und Amselsang im Gehege,
Wir hörten es kaum im Gehen.

Wir waren still wie Erde,
Wie zwei die man begraben;
Unsere Seelen mit dunkler Gebärde
Durchzogen den Himmel wie Raben.


- Max Dauthendey -

***


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20.12.2012 um 14:13

Der Liebe Verlust

Zeigt die trübe dunkle Seite
Dir auch oft das Leben,
Ist's vom Bild doch nur der Schatten,
Um das Licht zu heben.

I.

Auf schwarzbehangenem Gerüst der Trauer
Lag sie, die ich geliebt, im Lilienkleid.
Rings um das Bildnis des Erlösers glomm
Trübflackernd Kerzenlicht und schimmerte
Mit müdem Strahl durchs düstere Gemach.
Dort im Gefäß, gefüllt mit Weihbronn, lag
Des Rosmarines deutungsvoller Zweig.
Sie aber schlief, so ruhig, blaß und schön,
Die Händ' am Busen übers Kreuz gefaltet,
Ein duft'ger Kranz umschlang der Jungfrau Haupt.
Stumm war ihr Mund, doch ahnt' ich, was er sprach,
Und spiegelt meinen Liebesblick auch nimmer
Ihr Auge wieder, sieht's doch Erdenleid
Nicht mehr und wird vom Weinen nimmer rot.

Allein kniet' ich an ihrem Todesbett,
Dumpf summt' des Turmes Glocke: Mitternacht!
Und was der Schmerz verboten erst, erzwang
Er nun gebietend, und besiegt von ihm
Sank ich in Schlummer und in solchen Traum:

Durch rosiges Gewölk sah ich sie lächelnd
Hinschweben und des Lichtes Wohnung grüßen.
Es strömt, in Wellenlocken, fließend Gold
Als Haar ihr von der heitren Stirn; doch nicht
Gewöhnlich Haar und nicht gewöhnlich Gold!
Nicht schmückt mit höherm Reiz sie jetzt der Himmel,
Denn allen Schmuck gab er ihr schon auf Erden;
Und wie durchs Leben einst, so wandelt sie
Nun durch des ew'gen Frühlings Haine hin.
Doch an der Brust blinkt ihr ein Perlenkranz,
Ich kenn' ihn wohl! der Liebe Tränen sind's,
Die wir zusammen einst geweint. Und sieh:
Nun preßt sie warm ans Herz das edle Kleinod
Und legt's dann nieder still vor Gottes Thron.

Der Traum wich. Träger harren schon der Bahre,
Durchs Fenster hoch flammt Morgenrot herein;
Und ich verstand und weinte nimmermehr.
Der Leiche naht' ich leise und besprengte
Sie dann, still segnend, mit dem heil'gen Bronn.

II.

Tot ist und zweifach eingesargt mein Liebchen:
Dort in der Erdgruft unter kaltem Stein,
Und hier in meines Herzens wärmstem Stübchen:
Welch Grab von beiden ihr mag lieber sein?

Gesanglos ließ man sie zu Grabe bringen,
Doch mir im Herzen scholl der Leichensang;
Da ging es an ein Pochen und ein Klingen,
Daß bei dem Lied mir fast der Kopf zersprang.

Der Grabstein bricht einst auf wie Knospenhülle,
Draus taucht die junge Ros' ans Morgenlicht,
Doch mir im Herzen ruht sie tief und stille,
Dies Grabessiegel sprengt sie ewig nicht.

Auch ist ihr drin ein Monument errichtet,
Wie sich's ob keiner Königsleich' erhebt,
Denn Pyramiden, himmelhoch geschichtet,
Und Tempel stürzen, doch mein Herz, das - lebt! -

III.

Des Hügels Gras, jetzt frisch und grün,
Erstirbt von Winters Hauch,
Stehn bleibt das Kreuz nur, fest und kühn,
Nach treuen Wächters Brauch.

Dem Gras gleicht meines Lebens Bahn,
Mein Schmerz dem Kreuz von Stein;
Und ewig treu dich zu umfahn,
Möcht' ich dein Sarg wohl sein.

IV.

Die Stätte, wo du jetzo schläfst
Und ruhst von ird'scher Qual,
Als du noch auf der Erde gingst,
War sie gar wüst und kahl.

Doch sieh, welch süßes Blumenheer
Jetzt dort in Fülle sprießt!
O lebtest du nur wieder auf,
Wenn's dort, wie vor, so wüst!!

V.

(Tageszeiten)

Wann ich immer kommen mag,
So bei Nacht und so bei Tag,
Stets auf ihrem Leichenstein
Glänzet Tau, wie Silber rein.

Zieht der Morgen erdenab,
Wallt er auch zu ihrem Grab,
Schüttet auf des Grabes Rain
Opfernd Perl' und Edelstein.

Zieht vorbei an ihrer Gruft
Abend mit Gesang und Duft,
Sprengt er sanften Regen hin,
Daß die Blumen fürder blühn.

Wenn in Kummer und Gebet
Nacht am frischen Hügel steht,
Ringt sich eine Träne los
Ihrem Auge hell und groß.

Mehr als Morgen, Abend, Nacht,
Hat des Taus Mittag gebracht;
Doch am Grab im Sonnenschein
Steh' nur ich, nur ich allein.

VI:

(Kränze)

Mancher Brautkranz sproßt' und blühte
Aus des Kirchhofs Mutterschoß:
Drum im Haar der Braut noch lispelt
Er vom Grab, dem er entsproß.

Mancher Totenkranz entkeimte
Luftig blühn'der Gartenflur:
Drum am Haupt der Leiche säuselt
Er von Lenz und Garten nur.

VII.

(Widerspruch)

Als an ihrem Mund ich hangend
Sog noch ihren Odem ein,
Träumt' ich viel von Tod und Trennung
Und von Sarg und Leichenstein.

Nun ich steh' an ihrem Grabe,
Träum' ich nur von Liebesgruß,
Und wie ihre Wangen glühten,
Und von ihrem ersten Kuß.

VIII.

(Die Grabrose)

Du Grabesrose wurzelst wohl
In ihres Herzens Schoß,
Und ihres ew'gen Schlafes Hauch
Zog deine Keime groß.

Du saugest Glut und Lebenskraft
Aus ihres Herzens Blut,
Sie gab ja Freude stets und Lust
Und gibt's noch, wenn sie ruht.

Dein Lächeln und dein Duften stahlst
Und schlürftest du aus ihr,
Den roten Kelch, den formtest du
Aus ihren Wangen dir;

Die Purpurblätter sogest du
Aus ihrem süßen Mund,
Drum sind sie auch so rot und lind,
So duftig und so rund.

Sie gab dir Blätter, Farb' und Duft,
Gab Glut und Leben dir,
Woher doch nahmst die Dornen du?
Die kommen nicht von ihr! -

Willkommen denn und bleibe mein!
Wenn Haß und Nacht mir droht,
Erinnre mich dein Flammenkelch
An Lieb' und Morgenrot.

IX.

(Im Winter)

Der Winter steigt, ein Riesenschwan, hernieder,
Die weite Welt bedeckt sein Schneegefieder.
Er singt kein Lied, so sterbensmatt er liegt
Und brütend auf die tote Saat sich schmiegt;
Der junge Lenz doch schläft in seinem Schoß,
Und saugt an seiner kalten Brust sich groß,
Und blüht wohl einst in tausend Blumen auf
Und jubelt einst in tausend Liedern auf.

So steigt, ein bleicher Schwan, der Tod hernieder.
Senkt auf die Saat der Gräber sein Gefieder
Und breitet weithin über stilles Land,
Selbst still und stumm, das starre Eisgewand;
Manch frischen Hügel, manch verweht Gebein,
Wohl teure Saaten, hüllt sein Busen ein; -
Wir aber stehn dabei und harren still,
Ob nicht der Frühling bald erblühen will? - -

X.

Mit dir zu jubeln, taugen wohl die Menschen,
Doch nicht zu weinen. Flammt dir Schmerz im Busen,
O suche dir bei Menschen nicht den Trost!
Der eine gibt dir Liebesschwänke preis;
Wenn eben du die Braut zu Grabe trugst;
Starb all dein Glück, Freund oder Vater, - frägt
Ein andrer gar: Schatz, Sie befinden sich - ?

XI.

So träufle denn, Natur, du mir ins Herz
Des Trostes Balsam! - Doch, fleh' ich umsonst?
Und bleibst unwandelbar du, wenn sich auch
Mein innerst Selbst verwandelt mir entrückt?
Noch glänzet deiner Sonne Strahlenantlitz
Und lächelt, wie zur Lust einst, jetzt zum Schmerz;
Ihr öffnen sich, wie sonst, der Blumen Kelche,
Ihr Bildnis trägt noch stets der Strom am Herzen,
Und lautbegrüßt vom Hain und seinen Sängern,
Erwacht sie stets und schlummert stets hinüber. -
Schön ist dein Antlitz, o Natur, doch kalt,
Kalt, wie die schönen Menschenangesichter,
Und Mitleid spiegelte sich nie darauf.
Denn deine Träne selbst, den Tau, den du
Auf einsam stille Gräber weinst, den träufelst
Zugleich herab du auf des Glücks Paläste.

XII.

Sieh! nun auf ihren Leichenstein setzt flatternd
Ein weißes Täubchen sich. Der Liebe Grüße
Bringt's wohl von fernher ferner Liebe zu;
Jetzt wühlt es mit dem Schnabel sanft im Fittig,
Dann flattert's auf und fliegt ans frohe Ziel.
Dank dir, o Liebesbotin! - Ich verstand;
Du teurer Grabeshügel, sei auch mir
Ein Ruhsitz auf ermüdend rauher Bahn,
Und fort dann rüstig auf betönten Schwingen,
Ans Ziel fort, wo die Liebe meiner harrt! -

Anastasius Grün




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Gedichte: Tragik

20.12.2012 um 14:18

Die Landplagen
Erstes Buch. Der Krieg


Junge traurige Muse! besinge die schreklichen Plagen,
Die unerbittlich der Todesengel aus Schaalen des Zornes
Ueber die Länder ausschüttet, wenn frech gehäufete Schulden
Wider ein ganzes Volk vom Richter Gerechtigkeit heischen.

Wechselnde Scenen voll Grauen, stellt euch den furchtsamen Sinnen
In eurer ganzen Abscheulichkeit dar. Entkleidete Felder!
Rauchende Mauren und Thürme! Boßhaftig schleichende Lüfte!
Menschliche Schatten, nicht Menschen mehr, mit todblassen Gesichtern,

Mit bluttränenden Augen! Auf winselnde Kinder und Frauen!
Streitende, gegen einander erhizzete Vesten des Weltbaus,
Erd' und Feuer und Dampf und Wasserfluthen und Stürme!
Gebt mir den furchtbaren Stoff zu meinem ernsten Gesange.

Und ihr, denen ich singe, mein Preis ist, fühlet und weinet!
Weinet edle Menschlichkeit auf meine klagenden Saiten,
Weinet Tränen des Danks zu dem, der göttlich erbarmend
Noch die Gewitter der Rache, (sie brausten, wüteten, eilten
Ueber euch gräßlich hinauf) von euren Häuptern zurük hielt.

Du zuerst, der Landplagen Vater, mit Donner und Feuer
Ueber die Erde stürmend, durch Menschenopfer und Blut nicht,
Nicht durch Verödung und Wimmern der ganzen Natur zu versöhnen,
Krieg! oder nenn' ich dich lieber den ehrlich gemacheten Todschlag?
Pflanze mir Schwerdter vors Auge, färbe mit Blut meine Laute,
Daß meiner Brust voll Schrekken kein zärtlicher Seufzer entfliehe,
Oder ein sanfter Ton von meinen Saiten nicht irre.
Was für ein dumpfes Prasseln erwacht aus jener Entfernung,
Welches von schwazzenden Bergen der Widerhall dumpfer zurük tönt?
Ach ihr seid es, Bothen des Kriegs, Herolde des Todes,
Ihr lautkrachenden Trommeln, von Mordgesängen begleitet.
O wie flieget das Herz des erblassend-lauschenden Landmanns!
Schnell entfällt den starren Händen die Sichel: er eilet
Mit oft sinkenden Knien zum Dorf und verkündigt den Nachbarn:
"Fliehet! der Feind ist da." Sie hörens, erblassen und rennen
Männer und Weiber unsinnig mit fliegendem Haar durcheinander:
"Ach, was sollen wir thun?" und keiner rathet dem andern:
"Wohin sollen wir fliehn?" und keiner flieht vor Bestürzung.

Zögert nur! Seht ihr, wie nicht vom Himmel genährete Blizze
Jene Nebel zertrennen und hört ihr den Donner der Stükke? -
Seht ihr den Berg mit Wolken weissagenden Staubes bedekket?
Jezo senkt sich der Staub ins Thal. Helleuchtende Waffen
Dekken wie Aeren die Hügel. Mit stampfenden Fußtritten eilet
An ihrer Neige der Krieger hinab. So stürzen die Ströme
Im Schneeschmelzenden Lenz von steilen Felsen und machen
Ruhige Fluren zum wilden See. Schon seufzet der Akker
Unter gewafneten Schnittern, oder die nährenden Halmen
Werden von frechen Füssen im schlechten Sande begraben.

Plözlich erhebt sich ein banges Geschrei. Vor brennenden Hütten
Heulet der nakte Landmann. Mit Händeringen und Seufzen
Sieht, in Lumpen gehüllt, die trostlose Gattin der Glut zu,
An der scheue Kinder sich hängen. Im dunkeln verlaßnen
Furchtbaren Walde opfert ein blödes unschuldiges Mädchen
Winselnd der Brunst des Verführers die zu ohnmächtige Tugend.
O wie wird der Vater mit Tränenbetröpfelten Schritten
Seines Alters Trost verzweifelnd suchen und finden
In eines Wüterichs Arm. Mit seinem erschrokkenen Enkel
Eilet der schwache Greis hinweg; in den Runzeln der Wange
Schleichen bekümmerte Tränen: Da, ach! eine schnelle Faust reißt
Aus den Armen des Vaters den weinend sich sträubenden Knaben,
Ewig zum Sclaven: o hätte sie ihn dem Leben entrissen!

Jezo rükt die lebendige Mauer der Krieger zur sichern
Nahgelegenen Stadt, und schikket sich, sie zu belagern.
Alles wird Furcht in der Stadt: die hohen offenen Thore
Werden krachend verschlossen und Trommeln rasen wie Donner.
"GOTT! wie wird es uns gehen?" rufen die bleichen Bewohner,
Die wie gescheuchte Schaafe in dummer Verwirrung umher fliehn.
Bald verirrt ihr kläglicher Blik auf die Weiber, die Kinder:
Zitternd ergreifen sie sie und stürzen nieder mit ihnen
In die dumpfigsten Höhlen, wo ewige Dämmerung schleichet.
So ergreift mit ängstiger Hand den Beutel, in dem sein
Herz ruht, wenn über ihm sein Dach in Funken davon fliegt,
Der halb todte Wuchrer. Schon hört man das trozzige Schmettern
Auffodernder Trompeten. Mit nicht zu erschütterndem Muthe
Spottet der Vestung Beschüzzer der tönenden Drohung. Der Bürger
Hörts, wankt mit gezwungenem Schritte zur Wohnung und hänget
Schaudernd die rostigen Waffen um sich. Beklemmet umhals't er
Dann die ohnmächtige Gattin und die erbleichende Tochter,
Kann nicht sprechen und weint. Dort rüstet den Jüngling die Braut aus:
Mit unzähligen Küssen heften die schönen und blassen
Lippen sich auf sein brennend Gesicht, voll wallender Tränen.
Schluchzend tröstet der Trostlose sie: "Verzag nicht, Geliebte!
GOTT wird mich schüzzen: verzag nicht!" aber sein ängstliches Trösten
Rizzet die tödtliche Wund' in ihrem Busen nur tiefer.
Plözlich entreißt er sich ihren an ihm klebenden Armen:
Stumm und lebloß, als wär' ihr Herz dem Busen entrissen,
Steht sie, ihr Chrystallenes Aug auf ihn gekehrt und
Da er nun unsichtbar wird, und da sie statt seiner sein Bildniß
Nur noch zu sehen glaubt, und da er ihr Ach voll Verzweiflung
Nicht mehr hören kann, sinkt sie, athemloß, ohne Sinnen
In verbergende Kissen und schluchst, bis auf die siegreichen
Augenlieder voll Tränen der Schlummer mitleidig hinabsinkt.

Und nun sind schon die Wälle mit Vätern und Gatten und Söhnen,
Die für Mütter und Weiber und Kinder kämpfen, besetzet.
Brennende Kugeln stürzen aus zornig brüllender Stükke
Ehernem Rachen umsonst auf die langsam sich nähernden Feinde;
Alle Gassen sind öd' und nur aus hohlen Gewölben
Tönet die wechselnde Stimme der Angst, das dumpfe Gemurmel,
Und das Aechzen der Kranken und der Säuglinge Schreien.
Plözlich fliegen in zischenden Bogen funkelnde Bomben
Ueber die Stadt dahin, in izt noch stehende Thürme -
Jezt gesunken; würgen in bangen Versammlungen oder
Tödten ein munteres Kind, um welches erschrokkne Geschwister
Zitternd betrachtend stehn. Auf hartem Strohbette wälzt sich
Ein Todkranker und weint, so oft er den schütternden Knall hört.
Jezt entbrennet ein Haus. Vergeblich schlupfen mit schnellen
Schritten die hurtigen Greise aus ihren Gewölben zum Löschen:
Der wahrnehmende Feind schießt in das lodernde Feuer,
Dort herum sinken die Retter von springenden Bomben zerschmettert,
Und die Flamme wird Glut. Die zagende blasse Besazzung
Kömmt in Verwirrung, beängstigt vom Heulen der Weiber und Kinder,
Die mit zerstreueten Haaren die rauchenden Gassen durchirren
Und vom Brande gejagt auf Wäll' und Thürme sich retten.
Schnell bedient der Belagerer sich des erhascheten Vortheils,
Stürmt mit wildem Geschrei, besteigt die Mauren und öfnet
Die gesperreten Thore durch die er blutdürstig hereinzieht.

Wie die Wolke, die lang an der Stirne des blauen Olympus
Schwarz und schwefelgelb droht, von uneinigen Winden gehindert:
Endlich plazzet sie loß, verschüttet Donner und Feuer
Und den peitschenden Hagel in hülflose Haufen der Aeren,
Die er, nicht achtend des stetigen Bükkens grausam zerknikket:
Also würget der Feind in wehrlose Schaaren der Bürger,
Die mit gebogenem Knie nicht können die Wohlthat erflehen,
Länger das Licht des Tages, das Würmern gegönnt wird, zu trinken.
Blut besprenget das Pflaster: verworrene kreischende Stimmen
Tödtender und Getödteter steigen zum zürnenden Himmel.
Von dem Schrekken ergriffen gebehren schwangere Frauen:
Unbändig stürzen die Krieger in ihre Kammern und reissen
Den bekümmerten Ehemann hinweg von der Seite der Liebsten
Und vor ihren Augen ermorden sie ihn. Ach! vergeblich
Strebt der Gebehrerin matte Hand, zum Himmel zu ringen,
Ihr Mund stammelt und stöhnt vergeblich: sie sieht ihn durchstochen
Und eine tiefe Ohnmacht verlöscht ihr glimmendes Leben.
Bräute bitten und schluchzen für die bedrohten Geliebten:
Mörder sind taub dem Girren der Liebe. Geschändete Jungfrauen
Opfern dem schröklichen Stahl ihr schönes Leben, nachdem sie
Viehischen Lüsten die Tugend geopfert. Es rauchet des Säuglings
Eingedrükketer Schedel; in seinen goldgelben Lokken
Klebt Gehirn. Wie zersprang das Herz der verzweifelnden Mutter,
Als ein Wütrich ihr sie umhalsendes furchtsames Kind mit
Plumper Faust ihr entriß! Sie fiel vor ihm nieder; die Rechte
Grif ins gezükkete Schwerdt, die Linke versuchte den Märt'rer
Zu entreissen: sie jammerte, bat, beschwur ihn, versprach ihm
In der sie ängstenden Todesangst Geld, ihr Haus - ihre Tugend.
Aber er lacht' ihrer Wuth: so lachen nächtliche Blitze,
So lachen Flammen der Hölle durchs sie umwölbende Dunkel.
Zischend stieß er den Stahl durch den unschuldigsten Busen,
Da fiel das zarte Kind mit Zappeln zur Erde; die Wange
Ward mit zunehmender Blässe und purpurnem Blute gefärbet.
"Mutter! Mutter!" erscholl noch von den bebenden Lippen,
Als ihm das Leben entwich: es strekkte die Hände, die Füsse
Von sich und blieb, ohne Rettung tod, zu den Füssen der Mutter.
Ganz bleich, mit verwildertem Auge, zerrungenen Händen,
Die sich ausgeraufte Lokken fülleten, flog sie
Wie eine kindberaubte Löwin, auf den Barbaren,
Raubt ihm das Schwerdt und tödtete ihn und sich mit dem Schwerdte.

Wie aus dem Toderfüllten Eden die Satane zogen,
So, auf Verwüstung stolz, ziehn aus ausspeyenden Tohren
Ueber mit Schutt und Leichen gefüllte Gräben die Barbarn.
Schwarz von Rauch, voll wartender Blizze, schauet der Himmel
Auf die Verruchten hinab und winkt dem feindlichen Heere
Wider sie anzuziehn und Henker den Henkern zu werden.
Schnell pflanzt auf dem weiten, zertretenen, stäubenden Akker
Sich ein blizzender Zaun von Schwerdtern, es toben die Trommeln
Und die Fahnen flattern bedeutend, wie Abbadons Flügel,
Ueber die Haufen dahin, die stumm zum Tode sich ordnen.
Brust gegen Brust gekehrt stehn die geweiheten Mörder,
Frech, gedankenloß, doch heimlich voll Sorgens und traurig.
Wie ein Wandrer erschrikt, wenn er unvermuthet den Rachen
Des zerreissenden Löwen vor ihm aufgesperrt siehet
Und nicht fliehen mehr kann: so beben sie, da die Geschüzze
Gegen sie angeführt, mit offenem Schlund' ihnen drohen.
Jezt ertönt die Trompete: sie sendet Schrekken auf Schrekken
In die Gebeine des Kriegers hinab. Jezt rufet die Stimme
Der Hauptleute zum Streit. Man strekt die blanken Gewehre -
Bliz auf Bliz und Knall auf Knall verwunden und tödten.
Menschen sinken wie Mükken, wie ein gewaltiger Schlag stürzt,
Taumeln betäubt darnieder, betäubt, bis eisernes Krachen
Sich eröfnender Thore der Ewigkeit sie aus dem Traum wekt.
Mit verdreheten Augen entstürzt der verwundete Frevler
Dem unter ihm wegstreichenden Roß. In umspannender dunkler
Todesangst suchet die starrende Hand die andre, sie noch zum
Richter zu falten: umsonst! zu kurz ist die Zeit seiner Busse,
Da er die längere frech, mit leichtsinniger Boßheit versäumet.
Ihr, die eure Pflicht aufruft, den winkenden Fahnen
In tausendfache Gefahren zu folgen, erbebt vor dem Tode,
Eh er noch auf der drohenden Spizze des feindlichen Schwerdtes
Vor eurem Busen steht: schaut ihm ins furchtbare Antliz,
Werdet vertraut mit ihm, gewöhnt euch zu seinen Schrekken,
Eh sein abscheulich Geripp euch unvermuthet umhalset.

Zagen und Schauder verbreitendes Bild! Aufdampfende Ströme
Menschenbluts rinnen auf dem untern ehernen Fußtritt des Heeres
Donnernden Akker, der izt zum harten Wege getreten,
Sie nicht bergen mehr kann. Entstellete Leichen, Waffen,
Kleider, unkenntliche Fahnen, Aeser geschlachteter Rosse,
Liegen unter den Füssen der Streiter zerstampft und verwirret.
Rauch und Staub verdunkelt die Gegend. Kugeln und Flammen
Fahren schröklich umher: das Schwerdt wird wüthend geschwungen
Durch die seufzende Luft, und Blut trieft herab von der Schneide.
Knallen, Schreyen, Wiehern und Winseln ertönen vermischet
Und die kläglichen Stimmen Verwundter und Sterbender werden
Fürchterlich unterbrochen von jauchzenden Siegesposaunen.
So viele Völker hier kämpften, so viele Zungen und Sprachen
Flehn von verschiedenen Gottheiten oder von Märtrern Erbarmen.
Hier eröfnet den Mund ein weicherzogner Jüngling;
Aber der Schall seiner Stimme verschwindt im wirbelnden Lärmen.
Dort strekt flehend ein Gatte die Hand aus, der sich der Gattin
Und der unmündigen Kinder erinnert und gern dem Getümmel
Noch entränne, noch lebte: aber die schnaubenden Rosse
Stürmen über ihm weg und erstikken den Funken des Lebens.
Damon, ein Vater und Held, der an der Seite des ersten
Des geliebtesten Sohnes voll Staub und Blut lag, erblikt' ihn:
Als er ihn sah, da schob er sich näher zu ihm, umarmt' ihn:
"O dich segn' ich, Geliebter! daß deine ehrende Wunde
Blut fürs Vaterland strömt! Sei getrost! die Kämpfe des Todes
Endet unsterblicher Lohn: laß uns mit Freuden sie kämpfen!
Freue dich, Sohn, und stirb!" Der sprachlose Jüngling
Zärtlicher, furchtsamer von Empfindung, hörte den Helden
Nicht. Sein trübes Auge tröpfelt' unzälige Tränen
In das Blut seiner Wunde und sein Herz brach seufzend.

Indeß end't sich die Schlacht. Ein Theil der Siegenden eilet
Denen Entfliehenden nach, von welchen ein plözlicher Regen
Abgeworfener Kleider und Waffen den Boden bedekket.
Fliegend wiehern die Rosse. Wolken von Staub verhüllen
Laufende Fußgänger ihren Verfolgern. Feigere Sieger
Plündern die Leichen in ihrem Blut. Abscheulicher Anblik!
Menschlicher sind die, die mütterlich Erdreich den Todten eröfnen
Und unter schönen Blumen Helden zu ruhen vergönnen,
Die der Großsprecher Glük durch stumme Wunden erkauften.

Flekken der Menschheit, vom wildsten der höllischen Geister ersonnen,
Krig, Zerstörer der Freuden, Verderber friedseliger Staaten!
So erschreklich du bist, sind schreklicher oft deine Folgen,
Die Jahrhunderte durch dein Andenken wieder erneuern.
Schallet nach langem Kriegesgeschrei die tröstliche Stimme
Der Posaune des Friedens an fröhlich nachhallenden Ufern:
Ach dann nahet der Landmann mit stillen unschuldigen Tränen,
Sucht sein verlassenes Dorf und findet glimmende Asche,
Sucht sein wallendes Feld, die Auen voll hüpfender Schaafe
Und die Berge voll Reben: und findt unkenntliche Wüsten.
So fand Noah die vormals lächelnde Erde verschlemmet
Als er aus dem schwimmenden Sarge neugierig heraustrat.
Tiefer gebeugt betrachtet die ihm izt drohenden Mauren
Seiner einst zierlichen Wohnung der Bürger. So stumm und erschrokken
Sah der mäonische Held die vorigen Freunde, mit jeder
Tugend des Lebens geschmükt, auf Circens bezauberter Insel
Ihn als zottigte Bären mit wildem Schnauben bedräuen.
Ganze Geschlechter ziehn hülfloß umher. Dort kriechet ein Alter
An dem dürren Stekken: ihm folgen mit langsamen Schritten
Seine entstellten Kinder nebst ihrer wehmütigen Mutter:
Alle in Lumpen, alle vom Gipfel des Glüks und des Reichthums
Zu der tiefsten Tiefe der Dürftigkeit niedergesunken.
Stolz geht der niedrige Reiche der sie geplündert, vorüber,
Hört, umwikkelt mit Tressen, bekannt mit Seufzern und Flüchen,
Nicht das stete Gewinsel der nakten hungrigen Knaben,
Noch das Stöhnen des Greises, der sie zu trösten versuchet.
Schändliche Sieger! die wehrlose friedengewöhnte Geschlechte
In ihren Häusern bestürmen und aus den Wällen voll Reben
Mit bepanzerten Händen verscheuchen: die köstliche Weine
Nicht aus Helmen entwaffneter Helden, aus gottlosem Raube
Und dem Heiligthum sonst geweihten Gefässen verschlukken.
Ists Verdienst ein Räuber zu sein, ists Lorbeeren würdig?
Oder lispelt sie nicht in eurem Busen, die Stimme
Die allmächtige Stimme der Menschlichkeit und des Erbarmens?
Oder erschrekket euch nie der fluchende Seufzer des Bettlers,
Einst ein glüklicher Bürger? Weigert die Hand sich nicht, bebt nicht,
Zu berühren ein Gut das fremdes Mühen verdiente?
Eure Kinder und Weiber, (ich sehe die rächende Zukunft)
Irren verlassen umher von einem Wuchrer gedrükket:
Tränen bahnen sich Wege auf ihre trostlose Wangen
Und ihr Busen gewöhnt sich zu bittern und heimlichen Seufzern.

Gräßlicher sind der Muse die Tygerseelen, die Morden
Und Unschuldiger rinnendes Blut zum Labsale wählen,
Lachen zu Flammen der Dörfer und jauchzen ins Schreien der Märtrer.
Einst wenn der sein Opfer aufspahrende Tod euch hinwirft,
Sollen tränende Augen, tränlose Augen, weit offen,
Um euer Lager blinken, ein stetes Winseln und Heulen
In eure Ohren schallen und aller der Elenden Flüche
Wie ein hoher Berg auf eurem ringenden Busen,
Der unter fruchtloser Müh sie von sich zu welzen, hinstirbt,
Ruhen. Höret und bebt: Es ist für Teufel ein Gott da.

Alles ist jezt öd' und Handlung, Gewerbe und Handwerk
Unterbrochen. Einsam zerstreuet seufzen die Menschen
Nach den besseren Zeiten, doch seufzen sie lange vergeblich.
Selten tritt nicht der magere Hunger, gefräßige Seuchen
Und weiterndtende Pest in die Fußtapfen des Krieges.
Oft erobern Tyrannen die schon verheereten Länder
Und ihre Herrschaft ist ewiger Krieg: sie pressen beraubten
Und erst schwach emporstrebenden Bürgern armselige Güter,
Schiffbrüchigen den Schiffbruch ab und nennen sich Väter.
Oft müssen die Ueberwundnen den scheuen Nakken hinbeugen
Dem unerträglichen Joch der Gefangenschaft. Grausame Ketten
Klingen an ihren unschuldigen Händen; umschränkende Blökke
Muß ihr müder Fuß, als wären sie Räuber, fortschleppen.

Noch einen Blik, empfindliche Muse! vergönne mir, die du
Schon der Tränen satt bist, die in dein Saytenspiel fallen.
Laß uns're Augen mit den gebrochenen Strahlen des Tages
Dämmernde Höhlen, die Gräber lebendig modernder Sklaven
Durchirren, laß uns die dunkeln Tränen auf ihren blassen
Gelben Wangen zählen (so krümmt zwischen Ufern von Schwefel
Sich der schwarze Styx); laß uns des Tunischen Räubers,
Oder des grausamen Türken, des Vieherniedrigten Tartarn
Wilde Aekker durchwandern, wo lärmende Ketten harmonisch
Tiefe Seufzer gleich Rindern pflügender Christen begleiten.

Dort im furchtbaren schwarzen Hayn, vom Strahle der Sonne
Selten nur angelacht (wie tröstet diß Lächeln die Seele!),
Arbeitet Silvius einsam. Er war ein blühender Jüngling,
Als er die trostlose Braut, mit nicht zu stillenden Tränen
Ahndungsvoll verließ, für seine Brüder zu kämpfen.
Aber wie hat der Gram izt in seine Wangen voll Rosen
Tiefe Furchen gezogen! Wie fliessen vom Kinn, den die Schöne
Oft mit sanfter Hand gestreichelt, die eißgrauen Haare!
Ach! und hätt' er kein Herz, das nur für Liebe geschaffen,
Nur für sanfte Triebe gestimmet wäre, wie glüklich
Wär' er! Aber bey jedem Stoß der klingenden Schaufel
In den felsharten Boden, hart wie seine Bewohner,
Fällt eine Träne mit nieder. "O Gott!" ruft er oft und hält die
Braunen Arme lange verzagend zum Himmel gebreitet.
Auch der scheinet ihm unbarmherzig: dann wirft er sich nieder,
Stekket sein Haupt in den Staub, bedekket mit Tränen die Gräsgen,
Betet und ächzet und schreyt. Verborgen lauschende Barbarn
Eilen herzu und färben mit Blut die betenden Arme.
Keine Wiesen reizen sein Aug': er ist wie ein Todter:
Stumm schleicht er aufs Feld, stumm eilet er weg zu der Höhle,
Die ihn schreklich erwartet; doch segnet er sie, denn das Dunkel
Das nie Phöbus noch Luna besucht, verbirgt seine Tränen
Und die bemooßten Gewölbe hallen des nächtlichen Flehens
Flüstern tröstlich zurük, gleich einer Antwort der Gottheit.
Selten verschließt ein kurzer verräthrischer Schlaf ihm die Augen,
Müde zu weinen: dann schaun die furchtbarthürmenden Mauren
Wie mitleidig nieder auf ihn, so siehet ein Kirchthurm
Auf die umher begrabnen herab. Und wenn kaum der erwachte
Morgen noch auf den Hügeln umherglänzt und Thäler durchschleichet,
So entschliesset sein Blik sich dem traurigen Lichte schon wieder,
Irrt verwildert umher, erkennt das alte Behältniß
Und der erneuerte Tag erneuert das Maaß seines Kummers.
Unterdeß gehen der Braut die Jahregedünkten Tage,
Jeder von Tränen durchweint vorüber. Im ängstenden Traume
Sieht sie oft den Geliebten von Ungeheuern umgeben,
Oder umarmt ihn in düstern Höhlen, an welchen das Heulen
Wüthender Wasserfälle herauftönt. - Bis an dem Himmel
Der sie erhört, ein glücklicher Tag zur Erde hinab lacht,
Da den geliebten Sclaven sein Freund sein Damon erlöset.
Athemloß rennt er zu ihm: der staunet ihn an und spricht nicht.
Ihre zitternden Arme umschlingen sich, ehe die Brust kann
Worte herausarbeiten, umschlingen sich, gleich als wären
Beyde ein Körper. Wie rollen die freudigen redenden Tränen
Des Unglüklichen Wangen hinab, wie drükt er den Liebling
Ans laut schluchzende Herz! So hoch empfindet kein Seraph.
"Folge mir, spricht der, du bist befreyt." So rühret kein Donner,
Schrekket kein plözlicher Bliz, wie dieses Wort die versunkne
Muthlose Seele aufschüttelt. Noch ist sie nur ganz Staunen,
Und verzweiflungsvolle Hofnung: doch bald wird die volle
Freude des Herzens Wunden heilen, die tiefgegrabnen
Runzeln des Antlizzes eben machen und Blüthe drauf pflanzen.
Und nun folgt er mit ungewissen Tritten, die magre
Hand in die Hand des Freundes geheftet, die Stirne, aus der die
Ganze Seele leuchtet, auf seine Achsel gelehnt, dem
Edlen Retter und weint und kann ihm nicht danken: "Damon!"
Lispelt er manchmal (die Stimm ist ersäuft in Tränen), und drükt ihn
Fester an seine Brust und lezt ihm die Wange mit Küssen.
Unsichtbar stehn ihre Schuzgeister, lächeln sich ihre Entzükkung
Und umarmen sich zärtlicher bei dem Anblik der Freundschaft
Ihrer Beschüzten. - Und jezt versuche die Muse Wonne,
Die nur fühlen sich läßt, zu schildern. Er eilet, er flieget
Zu seinem andern Leben. Sie sizt, die welken Arme
Unter das Haupt gestüzt: ihre bleichen reizenden Wangen
Schmükken küssenswürdige Tränen, wie Thautropfen Liljen.
Also in Gram versunken sizt sie: sieh! da eröfnet
Schnell sich die Thüre des Zimmers. Ein Mann, (noch rauh sind die Züge
Des einst männlich schönen Gesichts in dem seinen verstekket)
In ungewöhnlicher Kleidung, mit wild herabfallendem Barte
Und entzündeten Augen umarmt lautweinend die Schöne.
Gleich als hätt' ein mitternächtlicher Schatten mit kaltem
Schröklichen Arm sie umschlungen, bleibt sie, vom Gefühle verlassen.
Doch bald öfnen ihr seine unzähligen Küsse das blaue
Himmlische Aug', es strömt von Zeugen ihrer Empfindung
Eh sie noch deutlich empfindet. Er spricht ihren Namen mit Stammeln
Tausendmal aus, drükt ihre kraftlose Hand an die Lippen,
Wäscht sie in seinen Tränen. "Geliebteste, theuerste, beste,
Theuerste Doris!" Sie zittert, betrachtet ihn, und erkennt ihn:
"Silvius! - Bist du es, Silvius? Bist du es, theurer Geliebter?
Ist es ein täuschender Traum, der dich mir schenket? Wie oder
Seh ich vielleicht im Todesthale dich wieder? - Du bist es,
Ja, du bist es!" - Jauchzen erfüllt die Gegend und Freude
Ist der Liebenden Seele, die sie belebet und fortreißt,
Daß sie Handlungen üben, der Einfalt und Kindheit sich nähern,
Die der gelehrte Vater am staubichten Pulte belachet.

Dann wenn die rauschende Freude vorbeygerauschet ist, kann sie
An dem werthen Geliebten nicht satt sich sehen, dann kann er
An der theuren Geliebten nicht satt sich küssen: dann trennt sie
Nimmer sich von ihm. Er muß tief in dem einsamen Hayne,
Der ihm wieder Ruhe zulispelt, am gleitenden Bache,
Des unabläßiges Murmeln ihm nicht mehr Schwermuth erwekket,
Seine Geschicht' ihr erzählen. Sie troknet dann zärtlich die Tränen
Die die Erzehlung begleiten, und muß auch ihm ihren Kummer,
Ihre Geschicht' erzehlen, dann küßt er die reizenden Tränen
Von ihren Wangen weg, die ihre Erzehlung begleiten.

Gedicht von
Jakob Michael Reinhold Lenz




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Gedichte: Tragik

20.12.2012 um 16:12

Eine Seeräubergeschichte.
Erzählung eines alten Steuermanns.

Wir hatten Öl geladen und Korinthen
Und segelten vergnügt mit unsrer Fracht
Von Malta auf Gibraltar, Jochen Schütt,
Der lüb'sche Kapitän, mit fünf Matrosen,
Und ich, Hans Kiekebusch, als Steuermann.
Der Wind blies lustig und wir waren schon
Sardinien vorbei, als hinter uns
Nordosther ein verdächtig Segel aufkam,
Das wie mit Siebenmeilenstiefeln lief.
Bedenklich guckte Jochen Schütt durchs Glas
Und schüttelte den Kopf und guckte wieder,
Und immer länger ward sein schlau Gesicht.
Verdammte Suppe! brach er endlich los,
Der Haifisch soll mich schlucken, wenn das nicht
Tuneser sind, Spitzbuben, die's auf uns
Und unsern schmucken Schoner abgesehn!
Bei Gott, jetzt heißt es: Alles Weißzeug los
Und stramm gesegelt!
Leider war's zu spät.
Ein Viertelstündchen noch, da wußten wir,
Daß Flucht unmöglich. Gleich darauf auch ließ
Das Kaperschiff die rote Flagge schon
Vom Topmast fliegen, und ein Schuß befahl
Uns beizulegen. An Verteidigung
War nicht zu denken; sieben waren wir,
Die höchstens Sonntags mal im Lauer Holz
Mit Schrot geknallt, und drüben an die vierzig,
Verwegnes Raubvolk insgesamt, auf Mord
Und Totschlag eingeübt, wie wir aufs Kegeln.
Mit einer einz'gen Salve hätten sie
Uns weggefegt; drum hieß uns Jochen Schütt
Geruhig bleiben und ihn machen lassen.
Ein Stückchen, meint' er, hab' er ausgedacht,
Das uns vielleicht noch aus der Tinte hülfe.
Zwar spiel' er auf Va banque damit, indes
Am Ende sei'n wir Christenmenschen doch,
Und Gott im Himmel könn' ein Einsehn haben.
So brümmelnd stieg er zur Kajüt' hinab
Und nahm die andern mit; nur mir befahl er
Auf Deck zu bleiben und dem leidigen
Besuch, als käm' er auf ein Frühstück bloß,
Mit Höflichkeit zu ihm den Weg zu weisen.

Mir schlug das Herz bis an den Hals, als nun
Mit jeglicher Minute der Korsar
Uns näher rückte. Bald erkannt' ich schon
Die Fuchsgesichter mit den Rattenzöpfen,
Das Negervolk, das in den Tauen hing.
Jetzt sah ich, wie solch rotbekappter Schuft
Den Enterhaken hob, jetzt machten's ihm
Zehn andre nach und jetzt – ein einz'ger Schlag,
Ein ungeheurer Ruck, und Bord an Bord
Mit dem Tuneser lagen wir.
Ein Mohr,
Die breite Kling' im Maule, sprang zuerst
Auf unser Schiff, dann kam der Hauptmann selbst,
Einäugig, stachelbärtig wie ein Kater,
Am grünen Bund den Halbmond von Rubin,
Und dann die andern, meist ein quittengelb
Zerlumpt Gesindel, doch mit langem Rohr,
Mit Beil und Messer Mann für Mann versehn.
Mir lief's den Rücken kalt wie Eis hinab.
Doch macht' ich nach des Kapitäns Geheiß
Den schönsten Bückling und, verbindlich dann
Den Weg anzeigend, fuhr ich wie ein Kellner
In Sprüngen die Kajütentrepp' hinab.
Auch poltert' es alsbald mit schwerem Tritt
Mir nach und, ein Pistol in jeder Hand,
Trat Meister Einaug' in die Tür, doch blieb er,
Als er sich umsah, wie ein Zaunpfahl stehn.
Denn vor ihm saß, den Hut auf einem Ohr,
Aus kurzer Pfeife Dampf und Funken paffend,
Auf offner Pulvertonne Jochen Schutt,
Und ringsumher lag wie ein Zauberkreis
Ein breiter Streif von Pulver aufgestreut.
Wir standen hinter ihm und mucksten nicht;
Er aber, ruhig sitzen bleibend, tat,
Als wüßt' er gar von keinem Harm, und sah
Den Türken an und sagte: Guten Tag!
Was steht zu Diensten, wenn ich bitten darf?
Und als nun der sich wie ein Puterhahn
Aufplustert und in seinem Kauderwelsch
Zu kollern anfängt und, wie das nicht fleckt,
Die Zähne weist und mit Gebärden droht,
Sagt Jochen Schütt: Ja, Türk'sch versteh' ich nicht,
Mein lieber Herr; doch parlez-vous français?
Und dazu pafft er toller stets und macht
Den Meerschaumkopf wie einen Schornstein sprühn,
Daß mir, bei Gott, schon deucht, wir fliegen auf.
Das schien denn unserm Rinaldini auch
Ein schlechter Spaß; er wurde grün vor Wut,
Und plötzlich macht' er kehrt und schoß hinaus.

Nun ging ein heftig Schnattern droben an,
Und dann ein Poltern, Schieben, Ziehn und Winden,
Als kehrten sie vom Schiffsraum bis aufs Deck
Das unterste zu oberst, während wir
In tausend Ängsten wie die Hühner uns
Um unsern Kapitän zusammendrückten,
Der keine Silbe sprach und langsam nur
Fortqualmte. Zwar die Ladung, wußten wir,
War gut versichert, doch wir fürchteten,
Die Heiden würden, wenn sie's ausgeraubt,
Das Schiff aus purer Bosheit sinken machen,
Und dann, ihr lüb'schen Türme, gute Nacht!
So ging ein langes, banges Stündlein hin.

Da plötzlich hörten wir durch all den Lärm
Die Bootsmannspfeife kreischen, ein entsetzlich
Gedräng' entstand an Bord, wie Flucht beinah,
Und kurz darauf geschah ein Stoß und Rauschen,
Als riss' ein Donnerwetter Schiff von Schiff;
Und dann mit eins war's still. Wir warteten
Ein Weilchen noch und horchten, doch es pfiff
Auch nicht die Maus im Loch; kein Zweifel mehr,
Sie waren fort. –
Was nu? sprach Jochen Schütt,
Die Luft an Bord scheint wieder klar zu sein,
Ich denk', wir sehn uns mal den Schaden an;
Und stieg hinauf aufs Deck, und wir ihm nach.

Da sah's denn greulich aus. Im großen Stall
Der Arche Noah war nicht solch ein Wust,
Als aller Welt Getier das Schiff geräumt.
Packstroh und Scherben rings, Korinthenfässer,
Ölpiepen, Werkzeug, Zwiebeln, Kochgerät,
Im tollsten Wirrwarr alles durcheinander,
Als wär' in allerbester Arbeit just
Das große Plünderfest gestört. Und so
Verhielt sich's auch. Denn von Nordosten kam,
Indes der Türk, wie ein gejagter Habicht,
Nach Süden fortschoß, eine englische
Fregatt' heran mit vollem Wind und ließ
Die blaubekreuzte Flagge lustig wehn.
Das gab ein Jubeln, ein Umarmen jetzt!
Der Schiffsjung' fiel auf seine Knie, der Koch,
Der letzt in Portsmouth überwintert, schwang
Die Zipfelmütz' und sang God save the king!
Doch Jochen Schütt nahm eine Zwiebel auf
Und roch daran und niest'; ich merkt' es wohl,
Wir sollten ihn nicht weinen sehn. Dann zog er
Den Hut und sprach: Nun danket alle Gott!
Heut' tut mir's leid, daß ich nicht singen kann,
Weil ich beim alten Haase Schulen lief.
Den Engelsmann schickt uns der Himmel selbst.
Auch keinen roten Sechsling gab ich mehr
Für unser Leben, blieb er aus. Nun lief's
Noch gnädig ab. –
Ein wahrer Segen auch,
Sagt' ich, Kap'tän, daß Euch das Pulver einfiel,
Sonst kam uns selbst der Engelsmann zu spät.
Ja, Pulver! lacht' er, und die Schlauheit blitzt'
Ihm aus den Augen, Pulver! Hat sich was!
Wir haben keine zwanzig Schuß an Bord.
Das schwarze Zeug, wovor der Heidenkerl
Die Angst gekriegt, war – Rübsaat aus Schwerin,
Und mein Kanarienvogel frißt davon.
Ein richt'ger Mann muß sich zu helfen wissen,
So hilft ihm Gott wohl auch. – Und nun seht nach,
Ob uns das Volk auch überm Rum gewesen.
Ich denk', ein Schluck soll gut tun auf den Schreck.

Emanuel Geibel




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Gedichte: Tragik

20.12.2012 um 18:39

Brigitte B.

Ein junges Mädchen kam nach Baden,
Brigitte B. war sie genannt,
Fand Stellung dort in einem Laden,
Wo sie gut angeschrieben stand.

Die Dame, schon ein wenig älter,
War dem Geschäfte zugetan,
Der Herr ein höherer Angestellter
Der königlichen Eisenbahn.

Die Dame sagt nun eines Tages,
Wie man zu Nacht gegessen hat:
Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es
Zu der Baronin vor der Stadt.

Auf diesem Wege traf Brigitte
Jedoch ein Individium,
Das hat an sie nur eine Bitte,
Wenn nicht, dann bringe er sich um.

Brigitte, völlig unerfahren,
Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.
Drauf ging er fort mit ihren Waren
Und ließ sie in der Lage drin.

Sie konnt es anfangs gar nicht fassen,
Dann lief sie heulend und gestand,
Daß sie sich hat verführen lassen,
Was die Madam begreiflich fand.

Daß aber dabei die Tournüre
Für die Baronin vor der Stadt
Gestohlen worden sei, das schnüre
Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.

Brigitte warf sich vor ihr nieder,
Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;
Den Abend aber schlief sie wieder
Bei ihrem Individium.

Und als die Herrschaft dann um Pfingsten
Ausflog mit dem Gesangverein,
Lud sie ihn ohne die geringsten
Bedenken abends zu sich ein.

Sofort ließ er sich alles zeigen,
Den Schreibtisch und den Kassenschrank,
Macht die Papiere sich zu eigen
Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

Brigitte, als sie nun gesehen,
Was ihr Geliebter angericht',
Entwich auf unhörbaren Zehen
Dem Ehepaar aus dem Gesicht.

Vorgestern hat man sie gefangen,
Es läßt sich nicht erzählen, wo;
Dem Jüngling, der die Tat begangen,
Dem ging es gestern ebenso.

Frank Wedekind




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Gedichte: Tragik

20.12.2012 um 18:41

Ist denn dein Hertze gar erfroren?

Ist denn dein Hertze gar erfroren?
Bist du aus Schnee und Eiß geboren?
Hörst du mein Seuffzen nicht
Und was mein Unmuth spricht?
Soll ich dich Göttin nennen?
So nimm des Himmels Wehmuth an,
Der leichtlich sich erbarmen kan
Und uns nicht ewig läst in Hoffnungs-Flammen brennen.

Des Blutes Regung zu vermeiden
Und gantz von Fleisch und Blut zu scheiden,
Ist nirgends ein Gebot
Es heissets auch nicht Gott;
Sich selber zu verlassen
Ist eine Flucht, so sträfflich ist,
Und wer ihm solche Bahn erkiest,
Den muß die Menschlichkeit als einen Unmensch hassen.

Du kanst ja deiner nicht geniessen,
Kein Mund weiß selber sich zu küssen.
Der Schnee auf deiner Brust
Bringt dir geringe Lust.
Die fleischichten Granaten
Seynd nicht allein vor dich erdacht
Kein Mensch ist vor sich selbst gemacht;
Es weiß der klügste Geist ihm hier nicht recht zu rathen.

Die Rose suchet ihr Verderben,
Die auff dem Stocke wünscht zu sterben
Und nur ihr gantz allein
Meynt angetraut zu seyn.
Wilst du dich selbst begraben?
Wer sich in sich umsonst verzehrt,
Ist warlich seiner selbst nicht werth
Und muß der Thorheit Schild an seiner Grabstatt haben.

Bezwinge weißlich dein Gemüthe
Und folge zeitlich dem Geblüte,
Darein im Paradieß
Gott selber Funcken bließ;
Wer kan ihm widerstreben?
Schau ich dein helles Antlitz an,
So fühl ich, was der Himmel kan
Und wünsch auf deiner Brust verparadiest zu leben.

Christian Hofmann von Hoffmannswaldau




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