An meinen Dämon
Nicht nur die Helden auf des Lebens Höh’n,
Die das Gespann der Weltgeschichte lenken:
Ein jeder Mensch hat seinen eignen Dämon,
Und wenn für ihn die Schicksalsstunde schlägt,
Erscheint er im Bereich des engen Lebens,
Gespenstig, wie dem Brutus zu Philippi.
Ich war ein Jüngling, noch vom Kranz der Hoffnung
Das Haupt umrauscht, das Herz von Wünschen trunken,
Da zog ich aus und edle Freunde mit,
Den höchsten Berg der Heimat zu erklimmen.
Dort, wo das Hochland aufsteigt, wo sich kühn
Zum Sturm des Himmels Alpe über Alpe
Auftürmt, dort steht er, den Genossen herrschend,
Und schön, wie vor der Zinne des Versuchers,
Liegt weites Land zu seinem Fuß gebreitet.
Von einer Wiese blumenreichem Saume,
Aus einem Haus an Quellenrand gelegen,
Begann der Zug am klarsten Sommertage.
Auf jeder Kuppe, die wir froh erstiegen,
Umfloss uns rein’re Luft, der Gruß der Berge,
Und unter uns ward rasch das Bild gewechselt.
So ging’s erst durch Gehölz, dann über Matten,
Bis bei der letzten Alpenhütte uns
Das Abendläuten aus dem Tal begrüßte:
Die Gipfel über uns im Abendrot,
Und purpurn lag die Dämm’rung in den Tiefen.
Hier halt es kurze Ruh‘, die frühste Stunde
Sie sollte schon zu neuem Wandern wecken.
Weich war das junge heu und duftete –
Der Mensch nur haucht den Atem der Verwesung –
Und durch das Dach, das über uns zerriss,
Das altergraue, schauten klar die Sterne.
Ich weiß es noch, das Sternbild des Orions
Stand leuchtend über mir in goldner Pracht;
Ich starrte drei – längst schliefen die Gefährten –
Und dachte ernst unsterbliche Gedanken.
Doch nein, nicht Alle in dem Kreise schliefen,
Der edle Jüngling, der mein Bruder war,
Der einzige, den das Geschick mir gab,
Er wachte so wie ich, uns leisen Lauts
Floss das Gespräch beim Funkeln des Orions,
Der hohen Fackel würdig, die uns glühte,
Bis die Gedanken endlich in die Schatten
Des Traums zerflossen, und auch wir entschliefen.
Zur rechten Stunde weckten uns die Hirten,
Die Sterne glänzten noch, nur milder, matter,
Und wie ein Zauberschleier sank es nieder,
Des‘ Saum vor uns an Gras und Blättern hing.
Uns schien der Anblick prächtig, doch die Führer
Ergriff ein böses Ahnen und sie meinten,
Wenn bald den Dampf die Morgenluft nicht trinkt,
Wird er zum Nebel, der die Aussicht deckt,
Und fruchtlos bleibt das Wandern nach dem Berge.
Zu jung war unser Herz, die Dämmerstunde
Zu reizend schön, um am Erfolg zu zweifeln.
Wir schritten unverzagt der Höhe zu:
Noch keine Hoffnung unsres Lebens log,
Wie sollte heut‘ das erste Mal sie trügen?
In breiter Windung lag der Alpenkamm,
Und Blumen, kostbar wie des Ostens Perlen,
Nur zarter, leuchteten im Grau’n des Morgens,
Wir freuten uns der reizend seltnen Beute,
Harmlose Taucher in das Meer der Lüfte.
Doch immer schwerer sank’s von den Geländen,
Und aus den Klüften stieg es trüb empor,
Brautschleier war’s nicht mehr, - ein Leichentuch,
Den schönsten Tag des Sommers drein zu hüllen.
Entschieden war’s: verschlossen blieb die Schau
Von hohen Firne in der Täler Schoß.
Erst schritten die Gefährten lässiger,
Vom Nebel feucht, im Frost des Alpenwinds,
Drauf im Gehäng‘ zerstreute sich die Schaar,
Und trüben Muts, denn fern noch lag das Ziel,
Ward die mühsel’ge Wand’rung aufgegeben.
Ich hörte grollend ihren Spruch, und schnell
Stand der Entschluss: ich will den Berg erklimmen;
Dann trat ich abseits, als sie heimwärts kehrten.
Was ich begonnen, wollte ich vollführen,
Ob auch das Schicksal den Erfolg versagte.
Im Sturme schritt ich vorwärts, unter mir
Verschwanden bald im Nebel die Gefährten,
Und einsam stand ich hoch am Alpenrand;
Steil aufwärts ging mein Weg, - doch war’s kein Weg:
Fortklettern galt es im Geröll, und über
Felsblöcke aus Granit Pfad finden, wo
Der Abgrund tückisch hinter’m Nebel gähnte.
Ein Bergsee lag dort einsam im Gestein,
Das Auge auf der Stirne des Zyklopen.
Lang ging’s so fort, endlich war’s überwunden,
Ich stand auf einer Klippe, wo kein Fuß,
Der Flug des Vogels nur noch aufwärts trägt,
Und mit dem Sturme rang ich, der mich griff
Und mich hinabzuschleudern, über mir
Erscholl des Adlers Schrei: im Sonnenschein
Mocht‘ er sich wiegen glücklich über’m Nebel,
Der mich umgab und auf dem Ross des Windes
Vorüberfuhr; nichts sah ich als nur Nebel.
Da plötzlich schwoll’s vor mir im Nebel auf,
Zum Kern schien sich’s zu ballen, Form zu haschen,
Und wie Hohnlachen klang’s: das war mein Dämon,
Nicht wusst’ ich‘ damals; doch es war mein Dämon!
Ein Gleichnis wies er spottend meines Lebens,
Und rollte künft’ger Tage Bild mir auf:
Erringen sollt‘ ich meines Willens Ziele,
Mein ward zuletzt, wonach die Sehnsucht griff,
Die Freude des Gelingens nahm er nur,
Nur der Genuss blieb aus, der Frucht war Asche.
Mitleidig fern stand damals die Erkenntnis.
Ich liebte eben mit dem vollen Feuer
Der Jugend – unaustilgbar, allverzehrend,
Der Erde Schlacken flossen zischend ab,
Und reines Gold gerann in meinem Herzen,
Genug ein Leben reich damit zu schmücken.
Auf goldnem Grund erschien die Königin
Der Minne, aus dem Kelche meines Herzens
Wuchs sie empor, verklärt halb zur Madonna,
Halb wie das holde Wunder süßer Märchen;
Gewinnen wollt‘ ich sie, mein sollt‘ sie werden
Und stürmte gegen mich die Welt zum Kampf.
Nicht lange blieb es Lenz; es schaukelte
Die rasche Welle mich auf blauem Rücken,
Und trieb mich leise, leise vom Gestade.
Drauf stieg ein Schatten, duftig erst und ferne, -
Die Wolken trübten sich, bald kam der Sturm,
Und Meer und Himmel schlugen wild zusammen
In grauem Gischt, und hinter mir versank
Das grüne Eiland meiner schönen Liebe.
Doch Eines schwor ich noch im wüsten Kampf:
Wie weit mich auch die Stürme jagen mochten
Von Pol zu Pol, hier wollt‘ ich wieder landen,
Und gält‘ es eine Irrfahrt wie Odysseus‘.
Als sich der Himmel endlich klärte, sah
Ich nichts mehr von dem Land der Minne, fremde
Gestade tauchten auf und sanken unter;
Vielwandernd grüßt‘ ich unbekannte Menschen,
Doch der Magnet des Herzens wies zur Heimat.
Im schönen Wälschland war’s, verklungen kaum
War mir der Mandoline Laut, noch sah ich
In buntem Tanz sich seine Füße schwingen,
Heim ging ich durch die süße Zaubernacht
Und Kühlung sucht‘ ich bei dem Frost der Sterne.
Es funkelte am Himmel der Orion,
So schön wie damals in dem Alpenhause
Zog über mir der ganze Sternenreigen.
Mich überkam ein seltsam hoher Ernst,
Und ewige Gedanken quollen mir,
Es klang um mich wie Harmonie der Sphären.
Lang floh der Schlummer noch mein Auge, durch
Das offne Fenster sah ich den Orion;
Da plötzlich schlug es dreimal an die Wand
Gewaltig, wie wenn Angst um Einlass bäte,
Fast schien’s mit Geisterhänden, doch so klar,
Dass keine Täuschung galt. Ich horchte auf,
Absetzend hielt es zwischen jedem Schlage:
Zu jeder Stunde starb mein holder Bruder
Fern in der Heimat, und im Traum des Todes
Kam’s wie Pfingstzungen feurig über ihn;
Was je ihn Herrlichstes in allen Sprachen
Begeistert, sprach er einmal noch im Sterben,
Und fuhr von hinnen dann wie in Verzückung.
Ein Jahr darauf trat ich zum Traualtar.
In der Kapelle eines Edelhofs
Stand neben mir die Königin der Minne;
Ich hatte sie errungen, trotz dem Schicksal,
Und dennoch lag’s wie Ernst in unsern Zügen.
Des Kirchleins Pforte war mit Laub geschmückt,
Und golden rann der Wein im Hochzeitkelche –
Des Segens Sinnbild ist die volle Traube -;
Doch schäumte drin nicht mehr der Duft der Jugend,
Und in den Kränzen gab’s manch welkes Blatt.
Eh nach dem Fest der zwölfte Tag entschwunden,
Lag meine Mutter tot in meinen Armen –
Das war die Hochzeitgabe des Geschicks.
Als ich darauf den Vater aus begrub,
Da war mein Elternhaus ein Kirchhofwinkel,
Der letzte Spross‘ bin ich zurückgeblieben
Zum Totengräberdienst. Noch seh‘ ich ihn
Wie er im Tode lag, das Haupt am Arm,
Sanft wie an grünem Raine eingeschlafen.
Groß war die Zeit, die damals schritt auf Erden,
Zerschmettert brach die Schranke der Geschichte,
Und aus der Gruft vermoderter Geschlechter
Schien sich das Schönste, Höchste loszuringen,
Als gält‘ es einmal noch die junge Menschheit
Im Siegerzug aufs Kapitol zu führen.
Gar Viele hat des Frühlings Duft berauscht,
Der Traum, zu schön um ihn nicht mitzuträumen;
Der Giebelpunkt des Lebens schien erreicht.
Groß war die Zeit, jedoch die Menschen klein;
Und wie beim Turm zu Babel kam Verwirrung,
Fremdzungig, missverstanden klang das Wort,
Drum musste bald das Schwert auch blutig klingen,
Hie Welf! Hie Waiblingen! erscholl der Ruf
Im Bruderkrieg, der drauf das Märchen löste.
Zur Phrase ward die heil’ge Losung, Wort
Und Treue stand in vollen Ballen feil.
Der Frieden kam, doch blieb sein Segen aus,
Und Jeder griff nach seiner Selbstsucht Lohn;
Wer gestern noch der Freiheit Fahne trug,
Befriedigt wiegt er sich im Stuhl der Macht:
Dort war sein Ziel, nicht der Altar der Göttin.
Noch einmal ist der Weg zum Berg zu wandeln;
Im Nebel steht, wer treu nach oben steigt,
Und wie Hohnlachen klingt es aus dem Nebel.
Du hast gesiegt, ich weiß es wohl, mein Dämon
Am Sterbebett magst du mich wieder äffen
Als Nebelfleck, wie auf dem Berg der Jugend.
Verloren ist die Wette um das Leben,
Doch juble nicht, die Hand voll Totenbeine
Werf‘ ich hohnlachend dir ins Angesicht.
Leb‘ wohl, auf Wiedersehen Philippi!
Adolf Ritter von Tschabuschnigg