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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

29.11.2012 um 18:55

Einsamkeit

Was ist wahre Einsamkeit?
Sind wir einsam, wenn das Leben
Rings von Stille ist umgeben?
Wenn die rege Fantasie
Uns in schaffender Magie
Neu beseelt mit süssem Streben
Bilder der Vergangenheit? -
Ist das wahre Einsamkeit?

Oder wenn in stillen Gründen,
In des Waldes heil'ger Nacht,
Sonnenglanz in reiner Pracht
Durch die leis' bewegten Wipfel,
Durch die glanzumsäumten Gipfel
Nur verstohlen blickend, lacht,
Und in den verworrnen Zweigen
Selbst die kleinen Sänger schweigen?

Oder wenn in dunklen Mauern,
In des Kerkers engen Raum,
Der Gefangene sich kaum
Darf in seinen Ketten regen,
Wenn sein Herz mit raschen Schlägen
Nährt der Hoffnung Göttertraum,
Und getheilt in Freud' und Trauern,
Ahndungen ihn tief durchschauern? -

Nein, nur das ist Einsamkeit,
Wenn sich Wesen um uns drangen,
Denen nicht in zarten Klängen
Sich vernehmbar macht das Herz,
Oft voll Wonne, oft voll Schmerz -
Die uns das Gemüth verengen
Durch der Langeweile Leid - -
Das ist wahre Einsamkeit!

Charlotte von Ahlefeld




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Gedichte: Tragik

29.11.2012 um 19:15

Vampir

Weil meine Stimme klar und mild,
Dir in die Seele klingt,
Und als Gedanke, Lied und Bild
Mein Geist in deinen dringt;

Weil süß erschreckend oft mein Blick
Dich trifft mit raschem Schein —
Dünkt dir's ein seliges Geschick,
In Liebe mein zu sein?

Es ist, o Weib, dein Sinn bethört —
Mein Wort sonst mild und weich,
Trifft grausam, hat dich und zerstört
Dir deines Friedens Reich.

Wirf fort, was die Vergangenheit
Dir in die Seele schrieb,
Wirf fort von dir die Jugendzeit,
Bist du dir selber lieb.

Wirf die Gedankenblume ab,
Die um das Haupt dir glüht,
Auf dunklem ungeweihtem Grab
Ist trauernd sie erblüht.

Du hast der Liebe Himmelslicht
In dir zum Brand gefacht,
Verzehren kannst du, lieben nicht,
Du folgst dämon'scher Macht.

Doch nein, du starbst, an Seelenschmerz,
Du starbst schon lange hier;
Und legst dich kalt mir an das Herz,
Lass ab - lass ab, Vampir!

Ludwig August Frankl-Hochwart




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Gedichte: Tragik

29.11.2012 um 19:23

Die Nachtwandler

Konrad, der Degenfelder hat
Sein edles Fräulein in die Stadt
Zur Hochzeit mitgenommen,
In ein Gespräch gar mancherlei
Sind da die Frauen kommen.

Jakob von Gültlings Frau zeigt an:
»Viel Tugend hat mein Edelmann,
Viel Tugend thut er üben,
Er ist besonnen, hat Vernunft,
Er thut mich herzlich lieben.

Doch leget er sich trunken nieder,
Er oft gar schnell erwachet wieder,
Ein'n Streich hat er empfangen
Vor Mastrich in dem Niederland,
Der thut ihm noch anhangen.

Dann springt er von dem Bett herab,
Daß ich mich oft verwundert hab,
Wehrt sich um Leib und Leben,
Doch thut er sich auf freundlich Wort
Ganz stille niederlegen.«

Des Degenfelders Frau zeigt an:
»Die Tugend liebt mein Edelmann,
Doch thut er dies oft üben,
Im Schlafe geht er manche Nacht,
Thut mich damit betrüben.«

Indem sie dies Gespräch vollendt,
Ging schier die Hochzeit auch zu End,
Da ging es an ein Scheiden,
Allein die beiden edlen Fraun
Lebten da länger in Freuden.

Junker Jakob ward lustig gemacht,
Daß er ist blieben über Nacht,
Doch gar mit grossen Bitten,
Viel lieber wär er mit Gesind
Zur Wohnung gleich geritten.

Mit Trinken sezt man stark an ihn,
Der Junker dacht in seinem Sinn:
»Ich muß mich wohl vorsehen,
Daß ich die Sach nicht mach zu grob,
Will mich bey Zeit ausdrehen.«

Sie lebten all in Freuden groß,
Den Degenfeld die Frau umschloß,
Und küßte ihn vor allen;
Sobald die andern solches sahn,
Hats ihnen wohlgefallen.

Junker Jakob saß an dem Tisch,
Den Degenfeld an der Hand erwischt,
Aus Lieb thät er sie drücken,
Sprach ihm daneben freundlich zu,
Thät sich an ihn auch schmücken

Ein Umtrunk bald herummer ging,
Junker Jakob wieder anfing,
Hat ganz freundlich gebeten;
»Den bring ich euch zur guten Nacht.«
Vom Tisch ist er getreten.

Als bald er sich zur Ruh begab,
Sein Knecht zog ihm die Kleider ab;
In einer Kammer kleine
Befahl er sich dem lieben Gott,
Legt sich ins Bett alleine.

Zu plaudern noch Herr Konrad kam,
Doch als er Gültlings Schlaf vernahm,
Wollt er ihn nicht erwecken,
Und als er noch ein Bett ersah,
Thät er hinein sich strecken.

Da es nun war um Mitternacht,
Der Teufel hat sein Spiel gemacht,
In dieser Kammer kleine,
Da die zween Junker gelegen sind,
Der Mond schien hell und reine.

Konrad von Degenfeld aufsteht,
Und in dem Schlaf nachtwandeln geht,
Wie er sonst oft thut pflegen,
Das Deckbett schlug er um sich rum,
Darunter er gelegen.

Jakob erwacht und blicket hin,
Konrad geht still im Schlaf auf ihn,
Als wollt er ihn verfolgen,
Da springt er auf vor dem Gespenst
Und sucht nach seinem Dolche.

Er tappt umher, und auf der Erd
Greift er des Degenfelders Schwerdt,
Thuts gegen ihn erheben.
»Nun steh und sage, wer du bist,
Sonst geh ich dir ans Leben.«

Als Konrad noch kein Antwort gab,
Entsetzt sich Gültling sehr darob,
Wehrt sich um Leib und Leben,
Vermeint es wär ein Teufelsspuck,
Thät viele Stich ihm geben.

Tödtlich verwundet sinkt zur Erd
Der edle Degenfelder werth,
Indem da thut erwachen
Der Schultheis und das Hausgesind,
Niemand wußt von den Sachen.

Ein Lichtlein schlägt er an geschwind,
Der Kammer eilt er zu geschwind,
Junker Jakob thät anfangen;
»Was ist das für ein Teufelsspuck
Der mich hat angegangen.«

Das Licht nimmt er in seine Händ,
Und es zur Erde niederwendt,
Als er den Mord gesehen,
Da schrie er Jammer immerfort:
»Ach Gott, wie ist mir geschehen!«

Erst wollte er's ganz glauben nicht,
Dem Konrad küßt er das Gesicht,
Der Schultheis schrie mit Bangen:
»Herr Jakob gieb dich mir geschwind.«
Herr Jakob ward gefangen.

Bis Morgens früh ein Stund vor Tag,
Dem Ritter man das Urtheil sprach,
Da ward das Thor geschlossen,
Die Fuhrleut, fremde Wandersleut
Hat man hinaus gelassen.

Darnach sie wurden zugesperrt,
Viel Bürger mußten wohlbewehrt
Zum Markte eilend kommen,
Die ganze Stadt des Wunder nahm,
Wie sie das hat vernommen.

Ein schwarzes Tuch ward da bereit,
Und mitten auf den Markt gespreit,
Auch eine Bahr daneben,
Herr Jakob nahm seinen Mantel ab,
Thät ihn seinem Jungen geben,

Ein seidnes Tuch war da zur Hand,
Die Augen er sich selbst verband,
Und thät aufs Tuch hinschreiten,
Darauf kniet er mit Heldenmuth,
Stellt beyde Händ in die Seiten.

Indem der Meister sein Werk verricht,
Trit ihm der Teufel unters Gesicht,
Das sag ich unverholen,
Wie gern hätt er ihm Leib und Seel
In dieser Stunde gestohlen.

Er aber beständig blieben ist
In dem Vertraun auf Jesum Christ,
Ist ritterlich gestorben,
Die ewge Freud und Seligkeit
Hat er damit erworben.

In die Bahr hat man ihn gelegt,
Mit einem schwarzen Tuch bedeckt,
Die ganze Gemeind thät klagen,
Er ward von ehrlichen Leuten da
Ganz traurig weggetragen.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

29.11.2012 um 21:20
...wurde evtl. schon gepostet.... schön & tragisch...


Vereinsamt

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, -
Wohl dem, der jetzt noch - Heimat hat!

Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?

Die Welt - ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.

Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.

Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! -
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schein, -

Weh dem, der keine Heimat hat!

F. Nietzsche


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Gedichte: Tragik

30.11.2012 um 07:22
@redfern
nein, wurde es noch nicht. Dankeschön dafür, das kannte ich noch nicht. :)


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Gedichte: Tragik

30.11.2012 um 21:04

Heinrich des Dritten Ende

Legt mir Schwert und Schild zur Seite,
Meine gute blanke Wehr,
Die ich trug in manchem Streite
Für des deutschen Reiches Ehr'!
Nimmer sollen sie erklingen,
Denn die Kraft, die sie kann schwingen,
Will im Todeshauch vergeh'n:
Laßt das Weinen, laßt das Klagen —
Droben, wo die Wolken jagen,
Werden wir uns wiederseh'n!

Nicht der Tod ist's, d'rum ich klage,
Und sein bitt'res Elend nicht;
Denn ich stand an manchem Tage
Unter seiner Sense dicht;
Doch zu früh kommt wir das Sterben,
Nur ein Kind soll mich beerben,
Das kein Streitroß tummeln kann —
Wer wird nun die Zänme halten,
Die zerfahrenen Gewalten,
Dieses wilde Reichsgespann?

Kaiser Karl hat mir die Pfade
Vorgezeigt voll Herrlichkeit;
Heldenmüthig und gerade
Ging ich durch die wild'ste Zeit;
Gegen Fürsten, gegen Pfaffen
Trug ich treu dieselben Waffen,
Treu denselben deutschen Geist;
Darum, großer Gott, verdamme
Den, deß Gift in wilder Flamme
Herz und Adern mir zerreißt!

Dreimal schwer auf Ungarns Gränzen
Uns'rer Schwerter Zornmuth lag,
Uns're Speere sah man glänzen
Siegreich durch das stolze Prag;
In Apulien und Lothringen
Rauschten uns'rer Banner Schwingen
Bis an's ferne, blaue Meer;
Päpste haben wir geschaffen,
Vor uns ging der Blitz der Waffen,
Hinter uns der Friede her.

Aber alles ist zu Ende —
Fluch dem rasenden Geschick!
Müde sind des Kaisers Hände
Und umflort sein stolzer Blick;
Neu erstehen Schuld und Lüge,
Auf des Kaisers letzte Züge
Harren Fürst und Pfaff' im Land;
Auf mein Riesenscepter lauert
Während ihr noch klagt und trauert,
Schon der schlaue Hildebrand!

Vierter Heinrich, armer Knabe,
Den ich schutzlos laß' zurück:
In des Vaters Heldengrabe
Schlummert auch dein eigen Glück!
Sprecht mir nicht vom Himmel droben,
Wo kein Schwert mehr wird erhoben,
Wo kein Banner weht im Streit!
All mein Himmel war auf Erden —
Meines Volkes Heil zu werden,
Das war meine Seligkeit!

Hebt mein Haupt und laßt mich schauen,
Wie die Wälder draußen steh'n —
In des deutschen Reiches Gauen
Will ein Tag zu Rüste geh'n!
Laßt die alten Banner fliegen,
Auf zum Streiten, auf zum Siegen,
Bayern, Schwaben auf im Land!
Hie Burgunder, Sachsen, Franken —
Vorwärts — Roß und Reiter schwanken -
Teufel, Tod und Hildebrand!

Max Haushofer




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Gedichte: Tragik

30.11.2012 um 21:05

Ich bin der wahre Tod

Ich bin der wahre Tod
der mich zum andern End
schweigend geleitet,
der aus mir Finsterlicht
wie es die Erde bleicht
wie es die Vögel schreckt
wie es die Seelen scheucht
schaurig bereitet.

Mich ächten Stunden;
ich störe das Licht
und Kinder wenden ihr Angesicht
wie vor schrecklichen Funden.

Was ich noch lebe
ist nur Firlefanz;
wenn ich noch bebe
ist’s nur ein Totentanz.

Wer bin ich, da ich
ein Heiliges zerbrach?
Was bin ich, da ich
ein Süßes erstach?

In Schweigen ertrinken
droben die Sterne.
Im Gleichen versinken
Nähe und Ferne,
Unten und Oben.

Ich habe gelebt –

Stillerer Bruder,
dich will ich loben
der mich begräbt.

Rudolf G. Binding




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Gedichte: Tragik

01.12.2012 um 21:27

Tragödie

Ein Graf von frommem edlem Muth,
An Sitten hochgeehrt und gut,
Ging täglich in die Kirch zur Zeit,
Von seiner Burg nicht sonder weit.
Und einmal trug es sich da zu,
Daß er sich niedersetzt in Ruh,
Entschläft er betend vorm Altar
Der Sankt Kathrina heilig war.
Ein Jungfrau sah er vor sich stehn,
Mit einer Krone blinkend schön.
Wie Spinngeweb voll Himmelsthau
Wenn Morgenlicht auf Rosen schaut,
Von Demant schien es eine Laube,
Voll Strahlen schien hindurch der Glaube.
An ihrer Seite konnt er schauen
Zwey schöne stehende Jungfrauen,
Doch wie viel schöner die Gekrönte
Aus tausend bunten Vögeln tönte.
Der Jüngling fürcht sich vor dem Wunder,
Er neigt sich, schlägt die Augen unter.
Sie sprach: »Da du doch edel bist,
Wie zeigst du dich unadelich,
Wir kommen darum, wie wir sollen,
Daß wir dich jezt ansehen wollen;
So deckst du deine Augen zu,
In dieser deiner müden Ruh,
Willt du dir ein Gemahl gern freyen,
Hier unter uns erwähl von dreyen!«
Da er nun diese Wort gehört,
Aus seinem Schlaf geschwind auffährt,
Erwacht mit himmlischer Lieb durchgossen,
Seine Augen rannen von ihm erschlossen;
Ein Jungfrau sprach zu ihm da gnädig:
»Nimm die, so jezt mit dir geredet,
Dann wie sie schöner ist als wir
Kann ich jezund versprechen dir,
Also ist sie vor Gott auch höher,
Und deiner Bitt Gewährung näher,
Ihr Name ist dir wohlbekannt,
Sankt Katharina ist genannt.«
Darauf der Jüngling sie thät grüssen,
Und fiel der Jungfrau still zu Füssen,
Hub an zu weinen inniglich,
Und bat die Heilige demüthlich,
Sie wolle seiner sich des Armen
Allzeiten über ihn erbarmen.
Sie setzt' ihm auf ein Rosenkranz,
Der gab von sich ein Sonnenglanz,
Und sprach: »Nimm diesen Kranz der Liebe
Von mir, die du sollst stetig üben!«
Verschwand also vor seinen Augen,
Mit ihren zweyen Beyjungfrauen.
Da nun der Graf jezund erwacht,
Hat er des Rosenkranz gedacht,
Auf seinem Haupt thät er den finden,
Thät ihn mit Wohlgeruch umwinden.
Nachdem es aber sich begab,
Daß man dem Grafen sehr oblag,
Und wider Willen muß er freyen,
Das ihm doch übel thät gereuen!
Ihm ward in seinem jungen Leben
Ein schöne edle Jungfrau gegeben,
Ließ doch von der Gewohnheit nicht
All Tag er Katharinen bitt,
Daß sie ihn darum nicht woll hassen,
In seinen Nöthen nicht verlassen.
Da nun sein Hausfrau schwanger ging,
Sie einen Argwohn auch empfing,
Wenn er ging nach Kathrinen Kirche
Thät sie in ihrem Herzen fürchten,
Er möcht vielleicht in diesen Tagen
Ein lieber dann sie selber haben.
Einsmals bestellt sie eine Magd,
Zu der sie diese Worte sagt:
»Wo geht mein Herr all Morgen hin?«
Die Magd sagt ihr aus bösem Sinn:
»Ich weiß wohl, wo er hingegangen,
Hat nach des Pfaffen Schwester Verlangen.«
Die Frau ward ob dem Wort betrübt,
Weil sie den Grafen allein nur liebt,
Da nun der Graf zurücke kam,
Der Frauen Traurigkeit vernahm,
Fragt er, warum sie traurig wär,
Sie sagt, sie hörte böse Mähr,
Wie er ging täglich umher buhlen,
Zu des Pfarrers Schwester in die Schulen.
Er sagt: »Du hast nicht recht gehört,
Oder bist sonst worden bethört,
Die ich lieb hab in meiner Pflicht,
Die ist des Pfarrers Schwester nicht,
Es ist ein andere der Frist,
Die tausendmal viel schöner ist.«
Stand also auf von seinem Bett,
Als wenn er noch zu buhlen hätt,
Ging doch nur wieder von ihr hin,
Wie vor auch zu Sankt Katharin.
Ob dieser Antwort das Gemüth
Der Gräfin war so tief betrübt,
Sie sprang im Zorn vom Bett herab
Und stach sich selbst die Kehle ab.
Der Graf von dem Gebet heimkam,
Die Trauerbotschaft nun vernahm,
Sah sein Gemahl des Tods verschieden
Und dort im Blut umwälzet liegen,
Erschrack er sehr, sein Herz ward kühl,
Daß er in ein Ohnmacht hinfiel.
Da er nun wieder zu sich kam
Hub bitterlich zu weinen an,
Klopft an sein Herz, rauft aus sein Haar,
Und sprach zu sich in der Gefahr:
»O heilge, heilge Katharin,
Sieh an, in welcher Noth ich bin,
Ach ich hab meine Treu verloren,
Und bin meineidig an dir worden.«
Mit diesen Worten lief er hin
Zur Kirche der Sankt Katharin,
Mit Seufzen er sein Bitt verbracht,
Bis um ihn her war dunkle Nacht,
Und traurig prächtig Stern bey Stern,
Durchs Kirchenfenster sah von fern.
Mit ihren Jungfrauen da erschien,
Die heilge Jungfrau Katharin,
Dem Grafen, der vor dem Altar,
Da lag und halb entschlafen war.
Ging zu ihm hin, wischt seine Augen
Mit ihren beyden Beyjungfrauen.
Sie sprach zu ihm: »Hast unrecht gethan,
Daß du mich so verlassen Mann,
Auf dich genommen andre Last,
Dein Treu an mir gebrochen hast,
Doch hast du mich ziemlicher massen
Geliebt und mich nicht gar verlassen.
Steh auf und geh mit Freuden heim,
Dir soll diesmal geholfen seyn.
Dein Hausfrau ist lebendig worden,
Hat eine Tochter dir geboren.
Die wird dir lange Zeit nachleben,
Der sollst du meinen Namen geben,
In ihrem Gebet wird sie sich üben,
Daß Gott der Herr sie sehr wird lieben,
Also, daß sie in einem Jahr
Den Großvater aus grosser Gefahr
Des Fegefeuers erlösen wird,
Der immer noch im Feuer irrt.«
Sie neigt sich ihm, wischt seine Augen,
Die Thränen ihr Händ einsaugen.
Doch wie der Bircken weisse Rinde,
So wächst ein Handschuh davon geschwinde
Auf ihren Händen weiß wie Schnee,
Den streift sie ab, als sie zur Höh,
Der fällt und weckt ihn am Altar.
Da er vor Kummer schlafen war,
Er findet einen Handschuh weiß,
Wie niemand ihn zu weben weiß.
Ein Bote kam: Herr kommt herüber,
Denn euer Gemahl, die lebet wieder,
Und hat in diese Welt geboren
Ein schöne Tochter auserkohren.
Ob dieser fröhlichen Botschaft
Erhielt der Graf zurück die Kraft,
Stand auf und dankte Katharin,
Den Handschuh steckt zum Helme kühn,
Zog wiederum zu seiner Frauen,
Die er mit Freuden an thut schauen,
Und küßt das Kind, umfängt das Weib,
Drückt sie zu sich an seinen Leib,
Fing an zu weinen gleich dem Kind,
Bat um Verzeihung seiner Sünd,
Die Gräfin sprach: »Wir sollen loben
Sankt Katharin im Himmel droben,
Denn da ich mich vor Leid getödtet,
Und lag in allen meinen Nöthen,
Zu mir schon kamen höllsche Knaben,
Mein Seel sie wollten genommen haben,
Da hat die heilge Katharin
Für mich gebeten; Gott verziehn,
Daß er den Leib der Seel noch liesse,
Daß sie in ihm noch könnte büssen.« -
Die Gräfin ließ ein Kloster bauen,
Die Tochter im Gebet zu schauen,
Der Graf zog ins gelobte Land
Vom Handschuh grosse Kraft empfand,
Den Rosenkranz, den Handschuh weiß
Ins Kloster gab nach seiner Reis.

Achim von Arnim




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Gedichte: Tragik

01.12.2012 um 21:38

Der Todesengel

Einsam über stillen Hügeln
Stand ein Cherub, sturmumbrüllt,
Hatte mit den Riesenflügeln
Bebend, schauernd sich verhüllt;
Blickte nach den sel'gen Brüdern,
Die der Himmel Glanz umschloß,
Und des Engels Zähre floß;
Seufzend lauscht er fernen Liedern.

Und der Todesengel kniete
Unter Schauern vor dem Herrn,
Eine bleiche Lilienblüthe,
Ein umflorter Wandelstern.
"Vater, deine Neugeschaffnen
Hangen fest dem Leben an,
Werden sich mit stolzem Wahn
Gegen dich und mich bewaffnen!"

"Fliege rastlos durch die Länder,
Auf dem Roß Allgegenwart!
Löse festgeknüpfte Bänder,
Bleibe mild, doch scheine hart!

Aber menschliches Empfinden
Sei auf Erden dir versagt;
Wann dein Haupt an Sterne ragt,
Magst du göttlich dich verkünden!"

Und zum Engel in der Oede,
Der noch mild und machtlos war,
Trat beim Schein der Abendröthe
Der Erbarmer unsichtbar.
Und er sprach: "Zu meinem Boten
Sollst du nun erkoren sein!
Die Lebendigen — sind dein,
Aber mein sind alle Todten."

"Und sie werden mich verfluchen,
Der in ihre Freuden greift,
Weinend noch die Blüthen suchen,
Die vom Baum ich abgestreift;
Mich Tyrann und Räuber schelten
Doch die Vaterstimme spricht:
"Allmachtbote, murre nicht!
Meine Liebe — wird vergelten."

"Wird vergelten allen denen,
Die gelitten sonder Schuld,
Und der Dulder Kummerthränen
Trocknet meine Vaterhuld.

Aber dich nicht soll es kümmern,
Dich nicht rühre Pein und Flehn,
Und vor deines Odems Wehn
Sinke Pracht und Glück zu Trümmern!" —

Und vorüber in Gewittern
Ging der Herr dem Erdenball;
Und es flog ein banges Zittern
Ahnung schauernd durch das All.
Mit dem Schwert, das feurig lohte,
Mit der Krone, dornumwebt,
Ist der Erde zugeschwebt
Unsichtbar der Allmachtbote.

Ernst des Herrn Gebot vollführend
Wandelt er von Ort zu Ort;
Jammre Klage noch so rührend,
Die Erkornen führt er fort.
Seufzer weiß er zu beflügeln,
Alles bebt, wenn er erscheint,
Und getrennte Liebe weint
Einsam über stillen Hügeln.

Ludwig Bechstein




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Gedichte: Tragik

02.12.2012 um 11:59

Vergänglichkeit

Vergänglichkeit - I


Des Lebens Karawande zieht mit Macht
Dahin, und jeder Tag, den du verbracht
Ohne Genuß, ist ewiger Verlust.
Schenk ein, Saki! Es schwindet schon die Nacht

Vergänglichkeit - II


Weißt du, warum bei jedes Frührots Schein
Der Hahn dich schreckt durch sein eindringlich Schrein?
Weil wieder eine Nacht vom Leben schwand,
Und du schläfst sorglos in den Tag hinein.


Vergänglichkeit - III


Unter des Mondes wechselvollem Licht
Das Schicksal uns kein Morgenrot verspricht.
Drum trink im Scheind des Monds, denn mancher Mond
Blickt auf die Erde einst und sieht uns nicht!


Vergänglichkeit - IV


Geschlechter sind erglüht wie helle Funken,
Haben gelebt, geliebt, gehaßt, getrunken;
Sie leerten hier ein Glas und sind verlöscht,
Sind in den Staub der Ewigkeit versunken.


Vergänglichkeit - V


Die goldnen Lichter, die am blauen Weltrad gehn,
Haben sich viel gedreht und werden viel sich drehn.
Und wir, im ew´gen Kreislauf der Erscheinungen,
Kommen auf kurze Zeit, um wieder zu vergehn.


Vergänglichkeit - VI


Was hat die Weltrat nicht viel edles Blut vergossen!
Wie manche Blume welkt, die kaum der Erd´entsprossen!
Verlaß dich, Knabe, nicht auf deiner Jugend Glanz!
Wie manche Knospe fiel, ehe sie noch ward erschlossen!


Vergänglichkeit - VIII


Die Rose, die in meinem Garten stand,
Sprach: "Ich bin Joseph aus Ägyptenland."
"An welchem Zeichen", fragt ich, "kenn ich das?"
Sie sprach: "An meinem blutigen Gewand."

Vergänglichkeit - IX


Es hab ich denn von all des Lebens Plagen? - Nichts!
Von aller meiner Müh davongetragen? - Nichts!
Was nützt mir´s, daß ein Licht war, wenn ich verbannt?
Was nützt das Glas Djemschids, wenn doch zerschlagen? - Nichts!


Vergänglichkeit - X


All unser Leben und Streben - was taugt´s?
Und all unser Wirken und Weben - wer bracht´s?
Im großen Schicksalsofen verbrennt
So vieles Edle und Gute - wo raucht´s?


Vergänglichkeit - XI


Wenn längst wir nicht mehr sind, wird sich dies Weltrad drehn,
Wenn unsre Spuren längst im Sand der Zeit verwehn.
Einst waren wir noch nicht - und´s hat nichts ausgemacht;
Wenn einst wir nicht mehr sind - wird´s auch noch weitergehn.


Vergänglichkeit - XII


Was kann das Leben uns denn nun noch weiter frommen?
Was es uns etwa bringt, wird uns auch gleich genommen-
Wüßten die Ungebornen nur, wie wenig wir
Vom Leben ziehn - sie würden nicht erst kommen.


Vergänglichkeit - XIII


War einst ein Schloß, das bis zum Himmel ragte,
Vor dessen Mauern Königsstolz verzagte,
Auf dessen Trümmern klagt jetzt des Täubchens Ruf,
Der klingt, als ob´s nur wo, wo? wo, wo? fragte.


Vergänglichkeit - XIV


Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tus,
Vor ihm der Schädel König Keidawus,
Und klagte immerfort: "Afssus, afssus!
Wo bleibt der Glocken und er Pauken Gruß?"


Vergänglichkeit - XV


Der Töpfer in der Werktstatt stand
Und formte einen Krug gewandt,
Den Deckel aus eines Königs Kopf,
Den Henkel aus eines Bettlers Hand.


Vergänglichkeit - XVI


O Töpfer nimm dich etwas mehr in acht,
Behandle deinen Ton mit mehr Bedacht!
Du hast vielleicht den Finger Feriduns
Und Cyrus Hand mit auf dein Rad gebracht.


Vergänglichkeit - XVII


Einst schwebte dieser Krug, wie ich, in Liebesbangen,
In dunkler Locken Netz war er, wie ich, gefangen;
Und was am Hals des Krugs als Henkel du erblickst,
War eine Hand einst, die der Liebsten Hals umfangen.


Vergänglichkeit XVIII


Gestern zerschlug ich meinen Krug mit Wein
In meiner Trunkenheit an einem Stein.
Da sprach des Kruges Scherbe:"Wie bist du,
War ich, und wie ich bin, wurst du einst sein."


Vergänglichkeit - XIX


Was predigst du vom Fasten und vom Beten?
Statt zur Moschee laß uns ins Weinhaus treten,
Füll Krug und Becher, eh sie deinen Staub,
Khayyam, zu Krügen und zu Bechern kneten.


Vergänglichkeit - XX


O komm, Geliebte komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifels Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh man aus unserem Staube Krüge macht.


Vergänglichkeit XXI


Dort auf dem Wiesengrün, vom Bach umflossen,
Sind tausen prächt´ge Blumen aufgeschossen.
Tritt leise auf das Grün! Wer weiß, ob´s nicht
Aus einer Blumenwangigen Staub entsprossen!-


Vergänglichkeit - XXII


Wo aus der Erde Tulpen rot entsprossen,
Ist sicher eines Königs Blut geflossen.
Und wo ein Veilchen aus der Erde blickt,
Hat eins ein holdes Auge sich geschlossen.


Vergänglichkeit XXIII


Nimm an, dein Leben sei ganz nach Wunsch gewesen - was dann?
Und wenn das Lebensbuch nun ausgelesen - was dann?
Nimm an, du lebtest in Freuden hundert Jahr -
Nimm mein thalb an, es seien zweihundert gewesen - was dann?


Vergänglichkeit - XXIV


Und lebtest du dreihundert Jahr und drüber noch hinaus,
Aus dieser Karawanserei mußt du einst doch hinaus.
Ob du ein stolzer König warst oder bettelarm,
Das kommt an jenem letzten Tag aufs selbe doch hinaus.


Vergänglichkeit - XXV


Von allen, die den weiten Weg gemacht,
Hat keiner Nachricht noch zurückgebracht!
Laß nur nichts liegen in dieser Herberwelt!
Nie kehrt zurück, wer sich erst aufgemacht.


Vergänglichkeit - XXVI


Der Jugend Buch ist aus - und war doch kaum begonnen!
Kaum hat der Lenz geblüht, ist er auch schon veronnen.
Ich merkt´nicht, wie sie kam, noch wie sie flog davon,
Die holde Nachtigall, die Zeit der Jugendwonnen.


Vergänglichkeit - XXVII


O Zeltmacher, dein Leib gleicht einem Zelt,
Der Sultan Geist nur kurze Rast drin hält.
Und wenn der Sultan sich zum Aufbruch schickt,
Dann kommt der Tod und bricht es ab, das Zelt.

Omar Khayyam




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Gedichte: Tragik

02.12.2012 um 12:01

Geier der Verzweiflung krallen

Geier der Verzweiflung krallen
Plötzlich sich in Orpheus Herz,
Rücklings wird er überfallen,
Nie empfand er solchen Schmerz.

Taumelnd schließt er seine Augen,
Eine Ohnmacht schleicht heran,
Alles mag als Stütze taugen,
Wenn er nur noch greifen kann!

Bittre, ekelhafte Galle
Fühlt er nun vom Mund zum Darm
Und er glaubt auch, es durchwalle
Ihn schon plötzlich fieberwarm.

Doch er will sich nicht ergeben:
Brächte jemand einen Trunk,
Könnte er sich selbst erheben,
Schwer ist nur der Aufsprungsschwung!

Doch allein sich zu bewegen.
Geht für dieses mal nicht mehr:
Schlummer wird sich auf ihn legen
Und der Traum spukt schon umher.

In zerschlissenen Gewändern,
Sieht er manche Nachtgestalt
Mühsam durch den Nebel schlendern:
Und das lacht da, schnalzt und lallt.

Bis zum Knie in Dunst versunken,
Gehn die Meisten schrecklich schwer,
Orpheus denkt, sie sind betrunken,
Und nun schwanken sie noch mehr!

»Räusche wird es immer geben
Tollheit bleibt uns eingefleischt,
Nur ein Wahn ist unser Leben!«
Wird der Dichter angekreischt.

Dann gehts weiter: »Freches Scherzen
Giebt dem Dasein erst Gehalt,
Falten glätten, Gram entmerzen,
Gilt für jung und taugt für alt.

Klugheit führt Euch leicht zum Geize,
Denn wer nachdenkt, ist besorgt,
Darum sinnt nicht, hascht die Reize,
Die das Leben gerne borgt.

Euch den Leichtsinn zu erklären,
Fällt mir selbst im Rausche leicht,
Und durch meine flotten Lehren
Hab ich oft den Zweck erreicht.

Des Geschickes kühne Sätze
Bringen plötzlich Glück herbei:
Laß dem Geize sein Geschwätze
Und sein bleiches Einerlei.

Mit den Winden munter segeln,
Schärft und wahrt den klaren Blick,
Traue nie vernünftigen Regeln
Und verlaß Dich aufs Geschick.

Weise, ebenso wie Thoren,
Stehen fest in dieser Welt,
Wer noch taugt, geht nicht verloren,
Wie er es auch denkt und hält!

Wenig wird ein Mensch erklügeln,
Der aus Früchten Kerne schält.
Den Verstand etwas zu zügeln,
Ist noch eher was Euch fehlt.

Nein, bedenkt nicht Eure Wege
Und folgt lieber dem Gefühl,
Bleibt trotz aller Schicksalsschläge,
Gegen Rath und Warnung kühl!«

Durch ein Schauspiel voll Entsetzen
Wird nun Orpheus abgelenkt,
Mit bacchantischwilden Sätzen
Kommt ein Haufen angesprengt.

Wie im ersten Morgengrauen,
Kann er etwas schwanken sehn:
Männer mit betrunkenen Frauen
Scheinen sich um ihn zu drehn.

Hebt der Wind dieses Gesindel?
Tanzt da Dunst im Morgenlicht?
Oder faßt ihn selber Schwindel?
Orpheus weiß und sieht es nicht.

»Graust Dir noch vor unsern Räuschen?«
Wettert nun ein Weib ergrimmt:
»Künftig soll Dich nimmer täuschen
Was Dich freut und ethisch stimmt.

Sinke, bis ins Mark getroffen,
Frei von Illusionen, hin.
Höre endlich auf zu hoffen,
Krieg für echtes Elend Sinn!

Sieh, was meine Säufer sehen,
Und es trinkt hier Jedermann:
Wo sie durch das Dunkel spähen
Schleichen Ratten dumpf heran.

Menschen, die in sich zerfallen,
Sehn sich selber rings versprengt,
Mäuse, die der Nacht entwallen,
Halten sie schon eingeengt.

Allen Menschen, so wie Thieren,
Geht zum Schluß der Athem aus,
Doch was wir am Weg verlieren,
Rettet sich noch schnell als Maus.

Ratten seid Ihr, feig und kleinlich:
Alles was Ihr so verliert,
Ist Euch ekelhaft und peinlich,
Da Ihr Euch versteckt und ziert.

Eure Spuren wegzuwischen,
Seid Ihr allerdings bestrebt,
Und wenn Laster Euch entzischen,
Wird ihr Ausfallsloch verklebt.

Doch die Ratten und die Kröten
Springen fort aus Euch heraus,
Und wie wolltet Ihr sie töten?
Einst beerbt Euch Wurm und Maus!

Sprecht mir noch von Eurer Güte,
Seht den Dingen auf den Grund!
Laßt das süßliche Getüte,
Eine Maus springt aus dem Mund!

Wie, Ihr wollt das Schönste, Beste?
Glaube, daß Euch nichts gelingt,
Denn Euch bilden Lebensreste,
Die die Sonne überschminkt!

Wollt Ihr Kenntnisse erbetteln,
Wissen was Euch hier erhält?
Könnt Euch rascher nur verzetteln,
Denn was sucht und hascht, zerfällt!

Doch versteht Ihr oft, wie Spinnen
Hinter einem Hirngespinnst
Eurer Einsicht zu entrinnen,
Und nur das bringt Euch Gewinnst!

Nein, Ihr scheint mir nicht erschaffen,
Euch als Wichte anzusehn,
Trachtet Nöthiges zu erraffen,
Um noch etwas zu bestehn!

Die Natur war nicht eklektisch
Als sie Euch aus Resten schuf,
Und jetzt werdet Ihr noch hektisch,
Es gebührt Euch kein Beruf!

Orpheus, Du willst Schatten haschen,
Bist Du brünstig aufgeregt?
Mußtest früher lüstern naschen,
Nun ist alles weggefegt!

Fängt Dich Liebe an zu plagen,
Wirst Du Nachts im Bett gejuckt?
Hilft nur das: den Floh erschlagen
Und den Ärger ausgespuckt!«

Theodor Däubler




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Gedichte: Tragik

02.12.2012 um 14:12
Da Weihnachten vor der Türe steht, von Kurt Tucholsky (ich hoffe, dass wurde nicht schon gepostet, das wär peinlich)



Morgen, Kinder, wird's nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte euch das Leben.
Das genügt, wenn man's bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist's noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Straßen!
Dort gibt's Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen -
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt's an Holz!
Stille Nacht und heil'ge Nacht -
Weint, wenn's geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird's nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte recht so weit ...
Ach, du liebe Weihnachtszeit!


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Gedichte: Tragik

03.12.2012 um 16:01

Odins Raben
(Nach der Landnama-Saga.)

Was heben dort die Schwane die Schwingen silberweiß?
Es blähen Schiffe die Segel, und fliegen durch schwimmendes
Eis. Aus Norwegs schönen Gauen, aus der Heimath traut und lieb,
Die starken Nordlandshelden der kecke Harald trieb.

Da steuern sie durch Oeden der Meereswüste hin,
Die Frauen und Kinder klagend, die Männer mit starrem Sinn,
Von Hoffnung neuer Heimath das Heldenhcrz erfüllt;
Die Priester sitzen und schweigen, die Häupter tief verhüllt.

In Norweg ging die Sage: Im fernen Westen ruht
Ein grüner Göttergarten, umrauscht von Meeresfluth.
Den suchen die Nordlandshelden, entfliehend bitt'rer
Schmach, Und reiten auf Segelrossen der sinkenden Sonne nach.

Nach langer Fahrt in Nächten vom Mond uns Eis erhellt,
Nach Kämpfen mit den Mächten der finstern Wasserwelt,
Hebt sich die Felseninsel vor den Männern stark und kühn,
Geschmückt mit Eiseskronen, mit Wäldern und Wiesengrün.

Da grüßen sie mit Jubel das langgehoffte Land,
Da schwimmen die Meeresrosse lustbrausend an den Strand,
Es fliegen Flocken und Hagel herab vom hohen Nord,
Die kühnen Kämpfer springen an den eisumwallten Bord.

Die greifen Priester stehen mit ernstem Blick am Meer,
Und alle die hohen Recken erwartend um sie her.
Zum Opferaltar dann wälzten und wölbten sie Stein auf
Stein, Und gruben Runenzeichen voll tiefer Deutung ein.

Und Dämmerung schattet düster, und nieder sinkt die Nacht,
Da wird den guten Göttern das Opfer dargebracht;
Es rauschen die weißen Wogen, des Waldes Wipfeln beugt
Ein wunderbares Wehen, das von Götternähe zeugt.

Nun tönen Runenlieder von wunderbarem Klang,
Ist's Schall der Wellenbrandung? Ist's menschlicher Gesang?
So dumpf und hohl, so schaurig, mit so furchtbarem Schall!
Die Asen müssen's hören im seligen Wallhall.

Da zittert über Bergen, bedeckt mit ew'gem Schnee,
So tiefe Nacht umhüllet, ein Schimmer in die Höh'.
Der Schimmer wird zur Flamme, die Flamme wird zum Brand,
Ein Feuermeer erscheinet jetzt Himmel, Meer und Land.

Ha! das sind Asgards Strahlen, ha, das ist Odins Licht!
Seht ihr die Blutgewebe dort der Walkyren nicht?
Auf Feuerrossen reitet aus Asgards Thor die Schaar,
Am Himmel zischen die Schwerter laut der Einheriar.

Und aus dem Feuermeere, dort, was am hellsten glüht,
Wo von Lidskialfs Throne Odin herniedersieht,
Da schwingen sich zwei Raben, lebend'gen Strahlen gleich,
Und schießen blitzschnell nieder aus Asgards lichtem Reich.

Die schweben über'm Opfer. — Mit Staunen sieht die Schaar,
Wie sich durch seine Boten Odin macht offenbar,
Dann lassen sie sich nieder, wo sich ein Hügel hebt,
Und schlagen mit den Flügeln, und sind davon geschwebt.

Hinauf, wo Feuerfluthen und Farbenblitze sprüh'n,
Wo hoch des Himmels Wolken wie Morgenpurpur glüh'n,
Wo Thor, der Gott, gewettert, dort schwinden sie im Licht,
Die Helden sinken erschüttert hin auf ihr Angesicht.

Hier gründet Odin's Tempel!" ruft laut der Priester Mund:
„Auf dieses ihm geweihten hochheil'gen Hügels Rund!
Gegeben ist ein Zeichen, es gibt der Asen Hand
Uns Fremdlingen zu eigen dies Asgard gleiche Land!" —

Nun wohnen die Geschlechter der Helden lange Zeit
Auf Islands schöner Insel, erblühend in Herrlichkeit;
Die Königen entsprossen, sie haben sich dort vermehrt,
Dort werden die hohen Götter in Hainen still verehrt.

Und dreimal hundert Jahre versanken in's Zeitenmeer,
Nie wurden die Götteraltäre von Opferspenden leer.
Und dreimal hundert Jahre verrauschten wie Windesweh'n,
Da sollten die Götter fallen, und Asgard untergeh'n.

Es saß ein blinder Skalde, die Harfe in der Hand,
Auf meerumspülter Klippe, hoch über'm niedern Strand,
Die greisen Locken wallen, der Winde loses Spiel,
Aus den erlosch'nen Augen manch' heiße Thra'ne fiel.

Und durch die Saiten rauscht es, wie Geisterweisen leis,
Tief unten murmeln die Wellen, hoch oben sitzt der Greis;
Und seine Stimme stieget herab vom Felsenhang,
Und in der Harfe Klänge mischt er den ernsten Sang:

„Vorüber ach, vorüber
Ist nun die alte Pracht;
O wär' ich schon hinüber,
Wo Gläsirs Lenz mir lacht!

O müßt' ich nimmer schauen,
Was sich im Ost erhebt,
Drob ahnungsvolles Grauen
Mir durch die Seele bebt!

Die Götter werden weichen
Von ihrem Thron im Licht
Vor einem neuen Zeichen,
Und Asgard fällt und bricht.

Kein Lied wird mehr erklingen,
Verderben wird uns nah'n!
O schlänge, die es bringen,
Hinab der Ozean!"

So sang der blinde Skalde hoch oben über'm Strand,
Da sank die bleiche Sonne hinab am Himmelsrand,
Als sei sie wandelnsmüde, und woll' im Meere nun
Sich tief im Dunkel betten, und lange, lange ruh'n. —

Und fremde Schiffe kommen, mit Kriegern angefüllt
Ueber's dunkle Meer geschwommen, mit Finsterniß umhüllt.
Und fremde Schiffe landen, der wilde Thangbrand naht,
Und die Felsenufer zittern, wie sie sein Fuß betrat.

Und eine neue Lehre von dem dreieinen Gott
Verkündet er dem Volke, häuft Asgards Göttern Spott,
In Odins Tempel schleudert er einen Fackelbrand,
Er stürzt von seinem Hochsitz den Gott mit eig'ner Hand;

Die Feuersäulen schlagen zum Himmel hoch empor,
Die Wolken aber färbet ein blut'ges Meteor,
Es fahren zitternde Strahlen, wie Schwerter, in Blut
getaucht. Empor am Nordlandshimmel, der Hekla brüllt und raucht.

Es donnert in den Lüften, es donnert die wilde See,
Es donnert in den Tiefen, von Bergen donnert Schnee.
Durch Feuerwolken lodernd erblickt man Asgards Gluth,
Davon, ach, ist der Himmel, als überström' ihn Blut. —

Fahrt wohl, ihr alten Götter, kämpft euren letzten Streit,
Fenrir ist losgekettet, der wilde Garmur schreit.
Nicht mehr wird Freya lächeln, ihr Blick ein Sonnenstrahl,
Nicht mehr wird Braga singen bei'm seligen Göttermahl.

Was steigt dort aus der Lohe des Surturbrands herauf?
Was schwingt auf kühnen Flügeln zu Wolkenhöh'n sich auf?
Was fliegt herab zur Erde, die der Midgardwurm umschlingt,
Und die Meereswelle aufwühlt und mit dem Tode ringt? —

Ha! das sind Odins Raben, sie sehen den Tempelbrand,
Sie schweben hoch erhaben über'm gluthenhellen Land.
Sie stürzen aus Himmelshöhe sich tief in das Flammenmeer,
Und keiner sah den Tempel, die Raben keiner mehr. —

Fahr wohl, du Zaubergarten, der Skaldenlieder voll,
Wo klar, wie Mimers Bronnen, die heil'ge Sage quoll.
Fahr wohl, du Land der Dichtung, du sel'ger Götterhain,
Du blühst in Eddas Liedern, Unsterblichkeit ist dein!

Ob dich in kalter Ferne umzieht ein Eiseswall,
Ob noch vom Surturbrande erglüht der Heklusial,
Noch reden alte Runen in dunklen Zeichen laut,
Es wurde den stummen Steinen Geheimes viel vertraut.

Fahrt wohl, ihr greisen Skalden, und ewig, ewig wohl!
Eure Wundermähren klangen herab vom hohen Pol.
Eure Harfen sind verklungen, euer Tag hat sich geneigt
Mein Lied ist ausgesungen, auch meine Harfe schweigt.

Ludwig Bechstein




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Gedichte: Tragik

04.12.2012 um 16:22

Der Mord

Seit der Nacht ich entstieg, und dem höllischen Grund, und mein Fittich bedecket die
Erde,
Seit ich zehnte das Fleisch, seit ich stelle den Tod vor das ew'ge, allmächtige:
Werde!
Eine Welt dieser Welt mußt' Jahrtausende lang ihre blühenden Leben mir reichen —
Die Jahrtausende durch noch wird rauchen mein Herd —
ich will Blut, ich will Blut, ich will Leichen!

Wie mich mästet die Brut, die da Menschheit sich nennt, mit dem Safte des eigensten
Lebens -
Mir ihr Edelstes würgt, mir ihr Bestes sie hin in dem Taumel wahnwitzigen Strebens!
Jede Leidenschaft muß, selbst der bessere Drang, mir die Opfer, die zahllosen,
reichen;
Das Gesetz gar ist mein, das den Mord straft mit — Blut:
Ich will Blut, ich will Blut, ich will Leichen!

Und der Schleicher: der Neid — und der Stürmer: der Haß — und der uralte Wahnsinn:
die Liebe —
Und der blutrote Zorn, und die Eifersucht fahl — hei, wer zählt, die mir fronen, die
Triebe?
Um den Heller die irdischen Judasse geh'n einen Gott selbst bei Nacht Zu
beschleichen,
Und ein Brutus, er atmet an jeglichem Thron: Ich will Blut, ich will Blut, ich will
Leichen!

Hier tobt mordend der Wahn hin mit trunkenem Sang, dort der Blödsinn mit
Höllengelächter,
Der gekrönte Despot, der Pirat auf der See, und der Räuber am Weg sind mir
Schlächter.
Ich berausche den Mann, ich vertiere das Weib, daß die Engel der Menschheit
erbleichen;
Und Verzweiflung die stürz' ich ins eigene Fleisch: Ich will Blut, ich will Blut,
ich will Leichen!

Ich entvölk're die Luft, ich entvölk're das Meer, doch die Hochjagd, die treib' ich
am Lande:
Auf den Feldern der Schlacht, da beleuchten mein Mahl rings die Städte in loderndem
Brande.
Wie der Hagel das Korn, hei, so wettert das Schwert mir zu Boden die männlichen
Eichen;
Und mein Großlieferant, er trägt Zepter und Kron': Ich will Blut, ich will Blut, ich
will Leichen!

Und so schlag' ich und schlag'; und so trink' ich und trink' von dem Herzblut, dem
wärmsten, des Lebens
Die Jahrtausende durch, und das Erdengeschlecht, zu entrinnen mir sucht es vergebens

Bis der Größere kommt, der Beleber des Tods, auf der Stirne das lodernde Zeichen:
Sieh', sein Schatten schon wächst tief herein in die Zeit — Ich will Blut, ich will
Blut, ich will Leichen!

Still ist's beim toten Mann. Doch vor den Zelten
Regt Leben jetzt sich, Waffenklang und Rufe.
Die Rosse zerren an der Hufe Fesseln —
Ein furchtbar Wetter trieb im Flug herauf.
Und in den Tag brach tiefste Nacht herein.
Die Winde heulen unterm Himmel her,
Und Blitze hellen dem Orkan die Pfade,
Der dröhnend auf dem Donnerwagen fährt...
Horch, auch im Boden rollet dumpfer Ton;
Heiß schwillt er auf, wie brünst'ger Leu'n Gebrülle.
Nun um die Wette schreien Erd' und Himmel
Im grausen Zweisang Heller Donner auf ...
Ein prasselnd Krachen reißt die Luft entzwei:
"Des Firmaments Gewölbe stürzt auf uns!"
Schreit hier man, unter morsche Dächer flüchtend;
Dort stiegen bleiche Menschenhaufen vor,
Vorm Sturz der Häuser sich hinauszuretten
Dahin — dorthin — ins Feld, ins freie Feld!
Doch sieh', der Schoß der Erde schwillt und schwillt,
Als wollt' er eine Hölle ausgebären,

Und wildes Grausen wirft die Flücht'gen nieder ...
Ein Nu der Ruh' — dann neuer Todesschrecken:
Die Erde bebt um sie — im Rücken gellt
Der Todesschrei von Tausenden, die blieben,
Und die das eig'ne Haus im Fall erschlägt;
Und vor den Füßen — o Entsetzen! Tod!
Die Erde birst; ha, ist's der letzte Tag?
Giebt dieser alte, grau'ngediingte Ball
Die gift'ge Leichenkost von sich hinaus,
Womit ihn die Jahrtausende gestopft?
Die Flut der Schande, der Verbrechen Meer,
Die er getrunken seit dein Schöpfungstage?
Die er mit Friedensrasen übergrünen,
Mit Blumenschleiern überhüllen mußte,
Ob Scheußlichstes sich auch darunter barg?
... Der Donner brüllt ... geht er den Rufern vor.
Die diese Erde zum Gerichte laden?
Ist er der Schall schon ihrer Riesentuben,
Der wenige zu Paradiesesfreude,
Die meisten zu der Hölle Grausen ruft?
Ja, ja, die meisten! Keine Stirn glänzt hier
Verklärungswonne, wie der Himmelsruf
Dem fleckenlosen Waller dieser Erde
Hervor sie locken muß selbst unterm Schrecken,
Selbst dicht am Tod — der Himmelsruf ist's nicht:
Es ist ein Ungeheures der Natur,
Das zur Vernichtung, nicht zum Leben ruft,
Das nur Entsetzen, und nicht Hoffnung auch
Ausgießt auf jedes Haupt der wirren Menge ...
Wie ein in Nacht gehüllt Gebirge kommt es;

Aus allen Klüften dröhnend, senkt sich's nieder;
Gemachsam und doch übermächt'gen Drucks
Setzt es den Riesenfuß auf jede Brust!
Da färbt sich schwarz die kaum so frische Lippe,
Da färbt sich weiß das kaum so schwarze Haar;
Zu Greisen macht es lebenvolle Knaben,
Den starken Mann wirft es gebrochen hin,
Und rührt dem Weibe Riesenkräfte auf,
Das Liebste an die bange Brust zu heben,
Und es — wohin? — o Gott — wohin? zu retten.
... Weh', der Verwirrung! Jeder Halt entsinkt —
Hier über Kinder setzt ein Löwenpaar,
Die Wedel hoch, die dunkeln Mähnen sträubend,
Das aus des Schlosses festem Zwinger brach.
Dort stürzen Christ und Jude auf die Knie';
Es ringt der Maure himmelwärts die Hände
Und ruft des Koran Heil'genschar zu Hülf';
Umhalsend sich, liegt hier der Feind beim Feind.
... Es wirbelt Rauch ... nun lodert heller Brand,
Und schlägt den roten Mantel um die Trümmer
Von Schloß und Hütte ... Miknes ist nicht mehr!
Dem Maurenkaiser häuft der Herr der Welt
Ein schaurig Leichenmal an diesem Tage,
Getürmt vom schwarzen Brandschutt seiner Städte,
Wohl von der Wüste bis hinauf zum Meer,
Daß selbst das ferne Lissabon erzittert!

Ein Tag des Jammers, eine Nacht der Qual;
Und ein azurner Morgen schwebt herauf;
Das milde Sonnenauge thränenschwer,
Vergoldet er noch rauchende Ruinen,
Und spielt, wie tröstend, auf der Leichenmenge.
Und vor den Trümmern steh'n die bebenden,
Noch starr vor Schauder und vor wildem Schmerz
Um alles, was sie Teures hier verloren;
Doch mehr der Wonne und der Dankesfülle
Spricht, denn Verzweiflung, aus dem Blick der Scharen.
Hier: "Allah!" "Jahveh!" dort, und „Jesus!" stammelnd,
Sucht alles Dank zu bringen vor den Herrn;
Und kein: "Wozu, o Gott?" und kein: "Warum?"
In irgend einem Herzen, einem Munde.
"Es mußte kommen!" murmeln fatalistisch
Die Gläub'gen Mahomeds und sind gelassen. —
"Der Herr ist gut!" denkt jener Jude dort
Im weißen Bart, und ihn durchzuckt ein Blitz,
Wie er der blöden Menge selten kommt,
Wie er nur hin und wieder Stirnen streift,
Ein Blitz, der das "Warum?", die alte Frage,
Im jähen Flug dem off'nen Sinn beleuchtet.
"Der Herr ist gut!" denkt er, "drum schlug er ihn,
Den großen Henker dieses Jammerlandes,
Durch eines Heldenweibes starke Hand
Im grausen Wirrwarr einer Welterschütt'rung;
Der Herr ist gut, und kam in Wölk' und Feuer,
Ismails Städte in den Schutt zu rütteln,
Auf daß Ismails mild'rer Sohn zu bauen,

Zu schaffen finde nun auf Jahre lang,
Und zum Zerstören Stoff und Zeit ihm fehle." —
Der Christ, er denkt dem weisen Gott nicht nach,
In Demut stumm, preist er des Himmels Schickung,
Und hebt getröstet sich am Kreuz empor.

O, lächle nur, azurner Morgen, her!
Du Sonnenaug', ob selbst von Thränen schwer,
O, trink' die Thränen auch aus jedem Blick!
Anglüh' die Herzen, daß sie sich erkühnen!
Noch viel des Trostes heischet ihr Geschick,
Und Jahre werden's freundlich erst begrünen.

Heinrich Freimuth




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Gedichte: Tragik

04.12.2012 um 16:24

Frühlings-Melancholie

Grüne Blätter an dem Strauch,
Welche Freude, welche Lust!
Ach, ich wollt', mir wüchse auch,
Grüne Hoffnung in der Brust.

Blaue Berge in der Fern',
Blauer Himmel, ewig klar!
Ach, ich blickt' auch gar zu gern
In ein blaues Augenpaar.

Rother Sonnenuntergang,
Rothe Blüthe auf dem Baum!
Durch mein Herz, so todesbang,
Zieht kein morgenrother Traum.

2.

Was kannst du denn beleben,
Was wecken, Frühlingsluft?
Kannst mir ja doch nicht heben
Die Todten aus der Gruft;
Ein unbestimmtes Sehnen
Nur sendest du hinab.
Daß sie sich mühen, dehnen
Und mögten aus dem Grab.

Kannst mir ja doch nicht locken
Die Meerfrau aus dem Meer,
Du machst sie nur erschrocken,
Drum weinet sie so sehr.
Daß er ihr Herz erwärme,
Streckt im cryftall'nen Haus
Sehnsüchtig sie die Arme
Zum Erdenfrühling aus.

3.

Ich möchte so gerne was singen,
Weil's überall singet und klingt,
Ich möchte so gerne mich zwingen
Zum Jubel, der Allen gelingt,
Ich möchte so gerne bereden
Den Lenz in die Brust mir hinein,
Er zieht ja in's Herz einem Jeden,
Was that ihm denn meines allein?
Ich möchte so gerne vergessen
Was Alles mich quälet und drängt,
Und hab' ach! den Stachel statt dessen
Nur tiefer in's Herz mir gezwängt.
Was half's nun, daß ich ersehnte
Den Frühling mit bänglicher Hast,
Daß ich genesen mich wähnte,
Sobald nur voll Blüthen der Ast?
Was half's nun, daß ich in Mitten
Begrub mich der Waldeinsamkeit?
Mein Schatten ist nach mir geschritten,
Mein treuer Gefährte, mein Leid.
Da steh' ich nun, trüb und verdrossen,
Zwischen Gärten und blühenden Au'n,
Und weiß nicht, soll den Genossen
Ich meinen Kummer vertrau'n?
Die woll'n ja die Erde durchschweifen.
Wie die Wolke den himmlischen Raum,
Und würden mich doch nicht begreifen,
Versteh' ich doch selber mich kaum.
Nein, lieber die Augen zudrücken,
Nicht glauben, daß Frühling es sey,
In Trauer sich ganz zu ersticken
Recht mitten im blühenden Mai.

4.

Im Wald, im frühlingsgrünen Wald
Da schallen viel fröhliche Lieder;
Mein Gott! ist's wirklich denn schon so kalt?
Mir schauert's wie Frost durch die Glieder.

Auch weiß ich nicht, was ich singen will;
Doch wohl nicht vom Lerchengeschmetter?
Es ist ja überall todt und still,
Als rauschte der Herbst durch die Blätter.

Einst war's wohl eine lustige Zeit,
Da, selbst wenn der Sommer verglühte,
Selbst wenn der Winter die Welt verschneit,
Noch Frühling im Herzen mir blühte.

Und jeht? die Felder sind alle brach,
Die Störche zieh'n über'm Walde,
Herbst ist's und bleibt's bis zum jüngsten Tag,
Ich wollt' nur, ich stürbe balde.

Leberecht Dreves




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Gedichte: Tragik

04.12.2012 um 21:29

Die Erlösung

Am Himmel steht ein blaues Weltgericht!
Der Geist des Lebens wogt in seinen Wellen,
Die ew'ge Wahrheit strömt aus tausend Quellen,
Auf schaut die Menge, doch sie sieht es nicht.

Am Himmel steht der glühende Altar
Der Gottheit, aufgebaut aus tausend Sternen;
Wir schauen fragend in die blauen Fernen -
O Menschenaug! wie wenig nimmst du wahr!

Schau hin dort wo der Freiheits-Himmel tagt!
Siehst du nicht seine Zeichen flammend weben
Im Sonnenlicht? Den Sternenreihn daneben,
Der dir die Ewigkeit der Liebe sagt? -

Dort lebt ein Geist - dort schwebt der Geist der Welt
Zieh' ihn nicht klein herab zu deinen Füßen,
Du willst ein »ewig Strafen,« »ewig Büßen«
Wo ew'ge Liebe nur Erbarmen hält.

Du hast den Gott dem Wurme gleichgestellt,
Dem Erd'-Geschöpf mit Leidenschaft und Schwäche;
Du wähnst er dräue, zürne, strafe, räche,
Du hast ihn klein den Kleinen beigesellt.

Auf, schau hinein in's flammend' Morgenrot,
Schau wie ihn Myriaden Blüten künden!
Du wirst den Gott der Liebe darin finden,
Und in dem Sternenhimmel sein Gebot.

Verblendet, irrend, liegst du auf den Knieen,
Du arme Menschheit! ringst dir wund die Hände
Und flehst Erlösung, auf denn! selbststark ende,
Durchbrich die Nacht, und die Phantome fliehn.

Man hält dich fest, man fesselt deinen Geist;
O sieh empor und schmiege mit Vertrauen
Dich an des Lebens Brust! Die Felsen tauen,
Der Nebel sinkt, der deinen Blick umkreist.

Erkenn' den Gott, er taget auch in dir.
Er ist kein Rächer der dich zürnend schreckte,
Wenn deine Hand sich nach der Blüte streckte,
Sie ist für Alle, wie die Sonne, hier.

Du wähne nicht, daß das »Entsagen« reift,
Die finstre Demut ist ein falscher Glaube -
Sieh, mit dem Ölzweig schwebt heran die Taube,
Daß sie die Haft des Geistes von dir streift.

Sie kündet dir den neuen Frühling an!
Die grüne Erde steigt schon aus dem Meere
Mit einem zahllos reichen Blütenheere,
So laß den Kerker, laß den Irrtum dann.

Das Leben ist fürwahr ein süßes Gut,
Und fordert zum »Genießen« freud'gem Regen;
Daß wir es treu bewahren, liebend hegen
In einer Brust voll frischem Lebensmut.

Nicht dürfen zitternd wir ihm ferne stehn,
Verbot nur lauschend überall; und bangen
Das »Menschenrecht« sei sündiges Verlangen,
Nicht »Sündige« in allen Menschen sehn.

Mensch zweifle nicht, das Weltall ist der Geist
Des Lebens, der in jeder Knospe sprießet!
Gott ist es all', was rings dein Auge grüßet,
Und es entweihen einzig Sünde heißt.

Entweihen? - ist des Rechtes Mißbrauch nur;
Ist Willkür, ist Gewalt in wildem Streben,
Ist des Genußes Übermaaß! das Leben
Entweihet nimmer sonst die Gottnatur.

Nun aber sieh, wie weit dein Glaube tagt.
Er friedigt nimmer in dem Menschenherzen!
Erlösung fleht die Menschheit, zuckt in Schmerzen,
Und Trän' um Träne zu dem Himmel klagt.

Vor deinen Blick roll ich der Menschheit Bild.
Da lieget sie auf ihren wunden Knieen,
Gebeugt von Lebenslast, von Lebensmühen,
Die Brust, die bebende, so ungestillt.

Dort steht ein Mann; in harter, schwiel'ger Hand
Hält er die Hacke, seines Lebens Zeichen,
Schweiß deckt die Stirn, all' Müh'n kann nicht erreichen
Für sein Bestehn ein sich'res Unterpfand.

Wol hat er Weib und Kind, doch keinen Heerd, -
Rings um sich sieht er schwelgen und genießen,
Sieht in Pallästen gehn und üppig müssen -
Behaglich wird Entsagung dort gelehrt.

Er fleht empor! es kann nicht also sein,
Daß Gott der Menschheit Hälfte übertragen:
Zu wirken und zu sterben, zu ensagen
Dem eignen Glück, dem And'rer sich zu weih'n.

Es spricht sein Herz, daß wol auch ihm gebühr'
Ein Teil von all den Gütern dieses Lebens,
Sein bill'ger Lohn. Erlöser, blickt vergebens
Sein schmerzumzucktes Auge hin zu dir? -

Dort am Altare kniet ein Weib ohn' Schuld,
Sie hält ein Kind, es weint und klagt in Schmerzen
Und fleht um Brod - sie hält es stumm am Herzen;
Ein Priester kommt, statt Hülf' lehrt er - Geduld. -

Da zuckt ihr Mund: »So ist der Gott nicht wahr,
Der also zuläßt ungerechtes Walten!«
Sie sieht ihr Kind an ihrer Brust erkalten
Und flucht der Stunde, die sie einst gebar.

Doch horch, ein Kettenrasseln trifft ihr Ohr,
Sie schreckt empor, es stellt vor ihren Blicken
Ein Kerker dar sich, wild zum Himmel schicken
Hört sie halb Fluch, halb Beten wilden Chor.

Ein Ächzen schneidet durch die blaue Luft,
Bleich jammernde, verzweifelnde Gestalten,
An Ketten, gleich dem wilden Tier, gehalten,
Verscharrt lebendig hier in feuchter Gruft.

Seht welch ein Bild! Die Sonne hüllt sich ein
Und trauert selbst ob dieser Schmerzensrufe;
Ein bleicher Mann lehnt auf die Kerkerstufe
Ein müdes Haupt' auf feuchten Mauerstein.

Nein, nicht die Zeit, nicht seiner Jahre Zahl
Hat es ergraut und hat es schon entblößet!
Dem Tiger hätt' er Mitleid eingeflößet,
Der »Gottheit Ebenbild« schaut kalt die Qual.

»O, ruft er aus, - »wo lebt er denn der Gott?
Und wofür büß' ich? daß ich selbst mir reichte
Die Hülf', zu der mein Flehn kein Herz erweichte?
Bist wirklich du - Gerechtigkeit, o Gott!«

Und an die Wände seines Kerkers schlägt
Der Jammerton! Ihr Alle könnt ihn hören,
Doch ihr bleibt stumm, ihr mögt dem Leid nicht wehren,
Ihr laßt's geschehn, ja - habt es groß gepflegt.

O sä't Erbarmen, daß ihr's erntet auch!
Ich ruf Euch zu: Laßt Beten und laßt Singen,
Dem Menschen hilf, o Mensch, vor allen Dingen,
Blut erntet Blut! so ist der Schöpfung Brauch.

Schau her, dies ist noch nicht dein ganzer Glanz:
Siehst du den Sohn des Südens dort, den braunen,
Ein Mensch wie wir, der Willkür roher Launen
Verkaufter Sklav, dies ist dein Perlenkranz.

Dein Diadem, du milde Christenheit,
Du Pred'gerin von Liebe und Erbarmen;
Um Recht und Leben trügst du diesen Armen,
Doch ruft zu Gott ein stumm Gebet sein Leid.

Es klagt dich an, es ruft »Erlösung« laut,
Erschütternd tönt es durch des Lebens Fernen,
Hinflieht's zum Himmel, der gekränzt von Sternen,
Des Lebens Segen Allen niedertaut.

O Menschheit, höre, was in dir sich regt,
Vollbringe das Erlösungswerk, das große,
Steig sternhell endlich aus dem Grabesschooße,
In dem der Wahn, der Irrtum, dich gelegt.

Es tagt in dir ein Gott, verleugne ihn nicht!
Drück' an die Brust die Brüder voll Vertrauen,
Das Leben auch; und sieh wie aus dem blauen
Gluthimmel tagend die Erlösung bricht!

Aurora Stechern




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Gedichte: Tragik

05.12.2012 um 18:58

Der Jüngling und die Nixe

Heim gehet im silbernen Mondenschein
Am Ufer vorbei der Landmann allein.

Da ruft es den Jüngling mit Namen so laut,
Doch Niemand am Ufer der Spähende schaut.

Da lachet die Nixe mit schelmischem Hohn,
Ist plätschemd zur Höhe des Wassers entflohn.

Sie war in dem Schilfe und Röhricht versteckt,
Voll Muthwillen hat sie den Wandrer geneckt.

Er schauet ihr nach mit Sehnsucht im Blick,
Gedankenvoll kehrt er zur Hütte zurück.

Drauf eilt er am Morgen in hastigem Lauf
Zum Ufer, und pflanzet drei Rosen dort auf;

Versteckt sich dann listig im Weidengebüsch,
Und hofft so zu fangen den lieblichen Fisch.

Der Himmel ist blau und die Luft so rein,
Die Nixe taucht auf aus dem glänzenden Rhein.

Sie horchet und spähet, steigt auf dann an's Land,
Schon hält sie die Rosen erfreut in der Hand.

Da springt er hervor aus versteckendem Grün,
Die Nixe schreit kläglich und strebt zu entstiehn.

Wie schnell sie auch flüchtigen Fußes entweicht,
Doch hat er sie dicht an der Fluch noch erreicht.

Wie's Wasser auch rauschet in fluthendem Lauf,
Er saßt sie, zieht wieder an's Land sie herauf.

"O laß mich, o Jüngling, so schön von Gestalt!
O laß mich, und thu' nicht der Nixe Gewalt!

O laß mich, o Jüngling, es wird dich gereun,
Du erzürnest den Herrscher, den mächtigen Rhein!"

""Du hast mich gehöhnet, du hast mich geneckt,
Dich schnell dann im Schilf und im Röhricht versteckt.

Du herrliche Jungfrau mit schwellender Brust,
Nein, dein begehr' ich in feuriger Lust!""

"Der Vater wird rächen sein weinendes Kind,
Der Rhein ist mein Vater, o laß mich geschwind!"

""Ich halte dich fest, nicht entgehest du mir,
Und süße Rache nun nehm' ich an dir!""

"Wohlan, ich entsage dem heimischen Grund,
O Jüngling, doch sey es um ehlichen Bund."

„„Mein Weib du, o Jungfrau, das gehe ich ein,
Heut' Abend noch tanzen wir Hochzeitsreihn.

Dort oben am Berge mit Flieder bekränzt,
Wo helle das Fenster im Sonnenlicht glänzt,

Dort ist meine Hütte, dort führ' ich dich hin,
Komm folge, mein Lieb, mit vertrauendem Sinn.""

Am Nachmittag kamen die Seinen heran
Zur Hochzeit, und tanzten auf grünemdem Plan;

Schallmeien und Geigen, die tönen so laut,
Doch stille sitzt unter den Gästen die Braut.

Ihr ist so beklommm auf bergiger Höh',
Es thut ihr die schneidende Bergluft so weh.

Wer ist dort der Mann in dem Rebblätterkranz,
Der zuschaut so emsthaft dem lustigen Tanz?

Wie stolz und wie edel erscheint sein Gesicht, —
Ein Fremder wohl ist es, man kennet ihn nicht.

Ein starkes Ruder trägt er in der Hand,
Was will er damit auf dem festen Land?

Es scheint, ihm behaget das Hochzeitsfest,
Denn frohsinnig mischt er sich unter die Gäst',

Traktirt sie sogar mit dem köstlichsten Wein,
Und trinkt ihnen zu, und schenkt ihnm ein.

Wie mundet der Trank, wie erfreuet sie das!
Er füllet stets wieder sein dunkelgrün Glas.

Sie schlürfen noch manchen begierigen Zug,
Und haben doch immer des Weins nicht genug.

Sie taumeln und jubeln im Kreise herum,
Doch emst ist der Fremde und nüchtem und stumm.

Es freut der berauschende Trank sie so sehr,
Sie taumeln und jubeln und fordern noch mehr.

Der Fremde erwiedert: "Es thuet mir leid,
Hab' keinen mehr bei mir, doch liegt er nicht weit.

Kommt mit mir zum Schiffe, ha hab' ich genug."
Da folgt ihn zum Strome der lärmende Zug.

Der Fremde nimmt hastig die Braut bei der Hand,
Und führt sie hinunter zum heimischen Strand.

Da eilt er mit ihr in die Wogen hinein,
Sein Kind holt er wieder, der mächtige Rhein!

Der Jüngling will halten und fassen die Braut,
Er ist ja schon mit der Geliebten getraut.

Er will sie nicht lassen, er faßt ihr Gewand,
Da reißt's ihn hinunter mit mächtiger Hand.

Drei Tage da unten im Strome er blieb;
Die Seinen, die suchen ihn bange und trüb.

Am dritten ging unter die Sonne so roch,
Da fand man im Schilf und im Röhricht ihn todt.

Die Nixe hat Keinen mehr seitdem geneckt,
Sich nicht mehr im Schilf und im Röhricht versteckt.

Rosa Maria Assing




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Gedichte: Tragik

05.12.2012 um 19:01

Die Nixe

Komm, lieber schöner Knabe,
Komm näher an's Gestad!
Und willst du, so bereite
Ich dir ein lieblich Bad.

Du siehst, die See verbreitet
Sich spiegelhell vor dir;
Kein Wellchen soll sich regen,
Die See gehorchet mir,

Genieß des Bades Freuden
In blauer Fluthen Schooß,
Und schau von fern mein schönes
Krystallnes Sommerschloß.

Mit klaren Ambrafenstern,
Mit Perlenmutter-Thor:
Du kommst bei seinem Anblick
Dir wie im Himmel vor.

Und vollends meine Gärten,
Wo Baum sich reiht an Baum
Mit Obst so vieler Arten,
Du kennst die Namen kaum.

Und Wundervögel singen
In Meng' auf jedem Ast,
Die Sinne, Kind, vergehen
Beim Horchen einem fast.

Komm, gib die Hand mir, komme!
Die Fluth ist seicht und lau;
Sieh hier viel bunte Muscheln
Wie ausgestellt zur Schau.

Komm, komm! ich geb' in Menge
Korallen, Perlen dir;
Kehrst du nach Hause, Mutter
Und Schwestern danken mir.

Und Früchte sollst du kosten,
Wie du noch nie geschmeckt;
Komm, gib den Arm mir, Knabe,
Damit dich ja nichts schreckt, -

Der Knabe naht der Nixe,
Kann ihr nicht widerstehn,
Steigt in die Fluth; kein Auge
Hat ihn seitdem gesehn.

Elisabeth Kuhlmann




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Gedichte: Tragik

06.12.2012 um 19:03

Hera (Hexe)

Im Steinbruch jeden schönen Tag
zur Sommerszeit ist Karneval.
Da halten rotgescheckte Narrn
gar einen sonderbaren Ball.

Inmitten steht von Schutt und Sand
ein Wall und auf dem Wall ein Thron,
Bekränzt mit Nesseln und verblümt
mit Disteln, Pfefferminz und Mohn.
Darinnen sitzt das Sonnenweib,
und wenn von fern im Morgenglanz
Durchs Korn der Glocken Echo summt,
eröffnet sie den Maskentanz.

Ein kleines Blendespiegelein
klemmt sie verborgen in der Hand;
Mit diesem zielt sie unvermerkt
und dreht es heimlich nach dem Sand.
Kaum daß sie dieses Zeichen gibt,
erhebt sich ein betäubend Schnarrn
Und blitzend durch das Blendelicht
schrecken viel rotgescheckte Narrn,
Mit Knarren und mit Pritschen, schnell,
auf Rädern reitend - eins, zwei, drei! -
Quer durch den Bruch. - Dann plötzlich: Halt!
- Ein Schnarrn - und alles ist vorbei.

Und wieder dreht das Sonnenweib
den Spiegel spielend in der Hand.
Und sieh: vom hohen Schanzenberg
im feuersamtenen Gewand
Mit Pelzsandalen leis und lind
wispern gespenstisch ab und zu
Viel schöne Hexenfräulein. - - Husch!
- Ein Wink - und alles ist in Ruh.

Und also fort. - - - Da stieg vom Feld
ein Schnitter durch das Schanzentor
Und schaute den verhexten Ball
und lacht' aus voller Brust hervor.

Schnellend das rote Sonnenweib
stand plötzlich aufrecht in dem Thron,
Und zielend mit dem Blendeglas
nach dem verwegnen Menschensohn
Streckt' es die linke Hexenhand
mit Hörnerfingern gegen ihn.
- Da taumelt' er und stöhnt' - und sank
ohnmächtig auf die Erde hin.

Jetzt mit gewalt'gem Riesenschritt
durcheilte sie die heiße Bahn
Und kniet' ihm lastend auf die Brust
und sah ihn unheildrohend an:

"Wo du in diesem Schmerzensheim
blickst in ein lebend Angesicht,
Und wär' es des geringsten Wurms
und schief und krumm, so lache nicht!
Und wenn du an dem letzten Fleck
begegnest einem Sonnenschein,
So segn' ihn mit Gebet und Dank
und freu' dich ins Allherz hinein!
Narrheit ist alles rund umher
und überall ist Karneval.
Nach eines bösen Magiers Stab
walzt die Natur im Maskenball.
Es sieht von außen spaßig aus;
doch innen ist's ein traurig Stück:
Alle die buntgescheckten Narrn
sie tanzen um ein Schlückchen Glück."

Dann strich sie mit dem rechten Arm
bewegend über seine Stirn.

Und alsobald die Fieberglut
wich aus dem pochenden Gehirn.
Der Atem wogte gleich und stark,
den Geist umfing ein dichter Schlaf -
Als er mit neuerwachtem Blick
verwundert sich im Steinbruch traf,

Da war der ganze weite Bruch
in finstre Schatten eingetaucht
Und singend kam durchs stumme Korn
ein Abendglockenklang gehaucht.
Einzig am hohen Schanzenrain,
wo stets der Sand im Regen fiel,
Warnte der rote Sonnenrock
und das verhexte Blendespiel.

Carl Spitteler




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06.12.2012 um 19:09

Leich (Totenklage)

Der winter ist zergangen,
das prüeve ich ûf der heide.
aldar kan ich gegangen:
guot wart mîn ougenweide

Von den bluomen wolgetân.
wer sach ie sô schônen plân?
der brach ich zeinem kranze;
den truog ich mit zhoie zuo den frowen an dem tanze.
welle ieman werden hôchgemuot,
der hebe sich ûf die schanze!

Dâ stât vîôl unde klê,
sumerlatten, camandrê,
die werden zîtelôsen;
ôster cloien vant ich dâ,
die lilien unde die rôsen.
dô wunschte ich, das ich sant mîner frowen solte kôsen.

Si gab mir an ir den prîs,
das ich waere ir dulz âmîs
mit dienste disen meien:
dur si sô wil ich reigen.

Ein fores stuont dâ nâhen;
al dar begunde ich gâhen.
dâ hôrte ich mich enpfâhen
die vogel alsô suosse.
sô wol dem selben gruosse!

Ich hôrte dâ wol zhantieren,
die nahtegal toubieren.
al dâ muoste ich parlieren
zerehte wie mir waere:
ich was âne alle swaere.

Ein rivîere ich dâ gesach:
durch den fores gieng ein bach
zetal über ein plâniure.
ich sleich ir nâch, unz ich si vant,
die schônen crêâtiure.
bî dem fontâne sas diu clâre,
diu süesse von faitiure.

Ir ougen lieht unde wol gestalt,
si was an sprüchen niht zebalt.
wan mehte si wol lîden.
ir munt ist rôt, ir kele ist blank,
ir hâr reit val, zemâsse lank,
gevar alsam die sîden.
solde ich for ir ligen tôt,
in mehte ir niht vermîden.

Blank alsam ein hermelîn
wâren ir diu ermelîn.
ir persône diu was smal,
wol geschaffen überal.

Ein lützel grande was si dâ,
smal geschaffen anderswâ.
an ir ist niht vergessen:
lindiu diehel, slehtiu bein,
ir füesse wol gemessen.
schôner forme ich nie gesach,
diu mîn cor hât besessen:
an ir ist elliu volle.
dô ich die werden êrest sach,
dô huob sich mîn parolle.

Ich wart frô
unde sprach dô:
›frowe mîn,
ich bin dîn,
du bist mîn!
der strît der müesse iemer sîn!
du bist mir vor in allen:
iemer an dem herzen mîn
muost du mir wol gevallen.
swâ man frowen prüeven sol,
dâ muos ich für dich schallen
an hübsch unde ouch an güete;
du gîst aller contrâte
mit zhoie ein hôchgemüete.‹

Ich sprach der minneklîchen zuo:
›got unde anders nieman tuo,
der dich behüeten müesse.‹
ir parol der was süesse.

Sâ neic ich der schônen dô.
ich wart an mînem lîbe frô
dâ von ir salvieren.
si bat mich ir zhantieren
von der linden esten
unde von des meigen glesten.

Dâ diu tavelrunde was,
dâ wir dô schône wâren,
dâ was loup, dar under gras;
si kunde wol gebâren.

Dâ was niht massenîe mê
wan wir zwei dort in einem klê.
si leiste, das si dâ solde,
unde tet, das ich dâ wolde.

Ich tet ir vil sanfte wê;
ich wünsche, das es noch ergê:
ir zimt wol das lachen.
dô begunden wir beide dô ein gemellîches machen:
das geschach von liebe unde ouch von wunderlîchen sachen.

Von amûre seit ich ir;
das vergalt si dulze mir.
si jach, si litte es gerne,
das ich ir taete, als man den frowen tuot dort in Palerne.

Das dâ geschach, dâ denke ich an:
si wart mîn trût unde ich ir man.
wol mich der âventiure!
erst iemer saelig, der si siht,
sît das man ir des besten giht;
sist alsô gehiure.
elliu granze dâ geschach
von uns ûf der plâniure.

Ist iemen, dem gelinge bas,
das lâsse ich âne has.
si was sô hôhes muotes,
das ich vergas der sinne.
got lône ir alles guotes!
sô twinget mich ir minne.

Was ist das si mir tuot?
alles guot,
hôhen muot
habe ich von ir iemer;
in vergisse ir niemer.

Wol ûf, Adelheit!
du solt sant mir sîn gemeit!
wol ûf, wol ûf, Irmengart!
du muost aber an die vart!

Diu dâ niht enspringet,
diu treit ein kint.
sich fröwent algemeine,
die dir sint.

Dort hoere ich die flöiten wegen,
hie hoere ich den sumber regen.
der uns helfe singen,
diesen reigen springen,
dem müesse wol gelingen
zallen sînen dingen!

Wâ sint nu die jungen kint,
das si bî uns niht ensint?

Saelig sî mîn Künigunt!
solt ich si küssen tûsent stunt
an ir vil rôsevarwen munt,
sô waere ich iemer mê gesunt,
diu mir das herze hât verwunt
vaste unz ûf der minne grunt!

Der ist enzwei,
heiâ nû hei!
des videllaeres seite,
der ist enzwei!


Neuhochdeutsch:

Der Winter ist endgültig vorbei, / die Wiesen beweisen es mir. / Dorthin führte mich ein
Spaziergang: / einen erfreulichen Anblick boten mir da die bunten Blumen. /
Wer sah je eine so prächtige Wiese? / Von diesen Blumen pflückte ich, um einen Kranz zu winden; / den trug ich avec joie zu den Damen, die zum Tanze versammelt waren. /
Wer froh und glücklich werden will, / der mache sich auf und suche dorte seine Chance!

Dort stehen Veilchen und Kleeblumen, / frische Schößlinge, Gamander, / die edlen
Krokusse; / und Narzissen fand ich dort, / Lilien und Rosen. / Da wünschte ich mir ein
Schäferstündchen mit meiner Dame.

Sie vergab die ehrenvolle Auszeichnung an mich, / ihr doux ami zu sein / und ihr zu
dienen in dieser Maienzeit. / Ihr zuliebe will ich den Reigen tanzen.

Da war ein forêt in der Nähe; / dorthin eilte ich. / Da hörte ich die Vögel, / wie sie mich mit süßem Gesange empfingen. / Welch ein Gruß!

Ich hörte da liebliches chanter, / der Nachtigall tubare. / Da mußte ich unbedingt parler, / wie mir zumute war: / frei war ich von allem Kummer.

Eine rivière sah ich da: / ein Bach floß mitten durch den forêt, / talabwärts, über eine plaine. / Behutsam spürte ich ihr nach, bis ich sie schließlich fand, / die schöne créature. / Bei der fontaine saß sie, die claire, / so lieblich von faiture.

Ihre schönen Augen leuchteten, / mit Worten war sie nicht so schnell bei der Hand. / Sie mußte einem einfach gefallen. / Ihr Mund ist rot, ihr Hals ist weiß, / ihr Haar blondgelockt, sehr lang / und glänzend wie Seide. / Und wäre es mein Tod gewesen, / ich hätte ihr nicht ausweichen mögen.

Weiß wie das Fell eines Hermelins / waren ihre zierlichen Arme. / Sie war eine schlanke personne, /insgesamt makellos.

An der einen Stelle war sie etwas grande, / an anderer Stelle sehr schmal. / Nichts fehlte an ihr: / zart waren ihre Schenkel, gerade ihre Beine, / ihre Füße hatten das rechte Maß. / Nie habe ich eine schönere forme gesehen, / von der mein cors Besitz ergriffen hat. / An ihr ist alles vollkommen. / Sobald ich die Herrliche erblickte, / begann ich mit meiner parole.

Freudig erregt / sprach ich: / »Meine Dame, / ich bin dein, / du bist mein! / Nie darf solch gegenseitiges Verlangen enden! / Du stehst für mich über allen anderen: / immer wirst du die Favoritin / meines Herzens sein. / Wo immer man den Damen / den Preis der Schönheit und auch der Güte zuerkennen muß, / da werde ich meine Stimme für dich erheben; / du schenkst der ganzen contrée / joie und Glückseligkeit.«

Ich sprach zu der Lieblichen: / »Gott - und hoffentlich kein anderer - / möge dich in seine Obhut nehmen!« / Ihre parole war süß.

Alsbald verneigte ich mich vor der Schönen. / Durch und durch glücklich / machte mich ihr saluer. / Sie forderte mich auf, / ihr von den Ästen der Linde / und vom Glanz der Maienzeit zu chanter.

Die table ronde, / zu der wir uns eingefunden hatten, / war unter Bäumen auf dem Rasen ausgebreitet; / sie wußte sich sehr graziös zu geben.

Es gab da keine andere Hofgesellschaft / als nur uns beide dort in jenem Kleefeld. / Sie leistete, was von ihr verlangt wurde, / und sie tat, was ich wollte.

Ein bißchen weh getan habe ich ihr dabei; / aber ich wünschte, es könnte noch einmal geschehen: / ihr steht das Lachen so gut. / Wir begannen da beide ein ausgelassenes Spiel: / dazu ermunterten uns Zuneigung und ganz seltsame Dinge.

Von l'amour sprach ich zu ihr; / sie hat es mir doucement vergolten. / Sie gab offen zu, sie hätte es ganz gerne, / wenn ich das mit ihr machte, was man dort in Palermo mit den Damen macht.

Und das dann geschah, das vergesse ich nie: / sie wurde die Meine und ich ihr Mann. / Glücklich darf ich mich preisen dieser aventure wegen! / Der muß immer selig sein, der sie erblickt, / denn nur das Beste kann man von ihr berichten; / sie ist einfach zauberhaft. / Alle créance tilgten wir / dort auf der plaine.

Sollte jemand mehr Erfolg aufzuweisen haben, / bitte, ich gestehe es ihm neidlos zu. / Sie war so großartig, / daß mir die Sinne schwanden. / Gott lohne ihr all das Gute! / Solche Macht hat ihre Liebe über mich.

Was hat sie bloß mit mir angestellt? / Alles, was ein Mensch haben kann, / und ein neues Lebensgefühl / habe ich von ihr; / nie werde ich sie vergessen.

Auf, Adelheid, / du sollst mit mir fröhlich sein! / Auf, auf, Irmgard, / noch ist es nicht Zeit, sich auszuruhen! Eine, die nicht tanzt und springt, / die trägt ein Kind. / Es freuen sich alle, / die hier sind.

Dort höre ich, wie man die Flöte bläst, / hier höre ich, wie man die Trommel rührt. / Wer mit uns singen / und diesen Reigen springen will, / dem sei Glück beschieden / in allen seinen Dingen!

Wo stecken nur die jungen Dinger, / daß sie nicht hier bei uns sind? / ......

Selig sei meine Kunigunde! / Könnte ich sie doch tausendmal küssen / auf ihren rosenroten Mund, / ich wäre dann für immer geheilt, / - sie, die mir das Herz so tief verwundet hat / bis auf den untersten Grund der Liebe!

Jetzt ist sie gerissen, / heia hei! / jetzt ist des Spielmanns Saite / gerissen!

Der Tannhäuser




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