Der Mord
Seit der Nacht ich entstieg, und dem höllischen Grund, und mein Fittich bedecket die
Erde,
Seit ich zehnte das Fleisch, seit ich stelle den Tod vor das ew'ge, allmächtige:
Werde!
Eine Welt dieser Welt mußt' Jahrtausende lang ihre blühenden Leben mir reichen —
Die Jahrtausende durch noch wird rauchen mein Herd —
ich will Blut, ich will Blut, ich will Leichen!
Wie mich mästet die Brut, die da Menschheit sich nennt, mit dem Safte des eigensten
Lebens -
Mir ihr Edelstes würgt, mir ihr Bestes sie hin in dem Taumel wahnwitzigen Strebens!
Jede Leidenschaft muß, selbst der bessere Drang, mir die Opfer, die zahllosen,
reichen;
Das Gesetz gar ist mein, das den Mord straft mit — Blut:
Ich will Blut, ich will Blut, ich will Leichen!
Und der Schleicher: der Neid — und der Stürmer: der Haß — und der uralte Wahnsinn:
die Liebe —
Und der blutrote Zorn, und die Eifersucht fahl — hei, wer zählt, die mir fronen, die
Triebe?
Um den Heller die irdischen Judasse geh'n einen Gott selbst bei Nacht Zu
beschleichen,
Und ein Brutus, er atmet an jeglichem Thron: Ich will Blut, ich will Blut, ich will
Leichen!
Hier tobt mordend der Wahn hin mit trunkenem Sang, dort der Blödsinn mit
Höllengelächter,
Der gekrönte Despot, der Pirat auf der See, und der Räuber am Weg sind mir
Schlächter.
Ich berausche den Mann, ich vertiere das Weib, daß die Engel der Menschheit
erbleichen;
Und Verzweiflung die stürz' ich ins eigene Fleisch: Ich will Blut, ich will Blut,
ich will Leichen!
Ich entvölk're die Luft, ich entvölk're das Meer, doch die Hochjagd, die treib' ich
am Lande:
Auf den Feldern der Schlacht, da beleuchten mein Mahl rings die Städte in loderndem
Brande.
Wie der Hagel das Korn, hei, so wettert das Schwert mir zu Boden die männlichen
Eichen;
Und mein Großlieferant, er trägt Zepter und Kron': Ich will Blut, ich will Blut, ich
will Leichen!
Und so schlag' ich und schlag'; und so trink' ich und trink' von dem Herzblut, dem
wärmsten, des Lebens
Die Jahrtausende durch, und das Erdengeschlecht, zu entrinnen mir sucht es vergebens
—
Bis der Größere kommt, der Beleber des Tods, auf der Stirne das lodernde Zeichen:
Sieh', sein Schatten schon wächst tief herein in die Zeit — Ich will Blut, ich will
Blut, ich will Leichen!
Still ist's beim toten Mann. Doch vor den Zelten
Regt Leben jetzt sich, Waffenklang und Rufe.
Die Rosse zerren an der Hufe Fesseln —
Ein furchtbar Wetter trieb im Flug herauf.
Und in den Tag brach tiefste Nacht herein.
Die Winde heulen unterm Himmel her,
Und Blitze hellen dem Orkan die Pfade,
Der dröhnend auf dem Donnerwagen fährt...
Horch, auch im Boden rollet dumpfer Ton;
Heiß schwillt er auf, wie brünst'ger Leu'n Gebrülle.
Nun um die Wette schreien Erd' und Himmel
Im grausen Zweisang Heller Donner auf ...
Ein prasselnd Krachen reißt die Luft entzwei:
"Des Firmaments Gewölbe stürzt auf uns!"
Schreit hier man, unter morsche Dächer flüchtend;
Dort stiegen bleiche Menschenhaufen vor,
Vorm Sturz der Häuser sich hinauszuretten
Dahin — dorthin — ins Feld, ins freie Feld!
Doch sieh', der Schoß der Erde schwillt und schwillt,
Als wollt' er eine Hölle ausgebären,
Und wildes Grausen wirft die Flücht'gen nieder ...
Ein Nu der Ruh' — dann neuer Todesschrecken:
Die Erde bebt um sie — im Rücken gellt
Der Todesschrei von Tausenden, die blieben,
Und die das eig'ne Haus im Fall erschlägt;
Und vor den Füßen — o Entsetzen! Tod!
Die Erde birst; ha, ist's der letzte Tag?
Giebt dieser alte, grau'ngediingte Ball
Die gift'ge Leichenkost von sich hinaus,
Womit ihn die Jahrtausende gestopft?
Die Flut der Schande, der Verbrechen Meer,
Die er getrunken seit dein Schöpfungstage?
Die er mit Friedensrasen übergrünen,
Mit Blumenschleiern überhüllen mußte,
Ob Scheußlichstes sich auch darunter barg?
... Der Donner brüllt ... geht er den Rufern vor.
Die diese Erde zum Gerichte laden?
Ist er der Schall schon ihrer Riesentuben,
Der wenige zu Paradiesesfreude,
Die meisten zu der Hölle Grausen ruft?
Ja, ja, die meisten! Keine Stirn glänzt hier
Verklärungswonne, wie der Himmelsruf
Dem fleckenlosen Waller dieser Erde
Hervor sie locken muß selbst unterm Schrecken,
Selbst dicht am Tod — der Himmelsruf ist's nicht:
Es ist ein Ungeheures der Natur,
Das zur Vernichtung, nicht zum Leben ruft,
Das nur Entsetzen, und nicht Hoffnung auch
Ausgießt auf jedes Haupt der wirren Menge ...
Wie ein in Nacht gehüllt Gebirge kommt es;
Aus allen Klüften dröhnend, senkt sich's nieder;
Gemachsam und doch übermächt'gen Drucks
Setzt es den Riesenfuß auf jede Brust!
Da färbt sich schwarz die kaum so frische Lippe,
Da färbt sich weiß das kaum so schwarze Haar;
Zu Greisen macht es lebenvolle Knaben,
Den starken Mann wirft es gebrochen hin,
Und rührt dem Weibe Riesenkräfte auf,
Das Liebste an die bange Brust zu heben,
Und es — wohin? — o Gott — wohin? zu retten.
... Weh', der Verwirrung! Jeder Halt entsinkt —
Hier über Kinder setzt ein Löwenpaar,
Die Wedel hoch, die dunkeln Mähnen sträubend,
Das aus des Schlosses festem Zwinger brach.
Dort stürzen Christ und Jude auf die Knie';
Es ringt der Maure himmelwärts die Hände
Und ruft des Koran Heil'genschar zu Hülf';
Umhalsend sich, liegt hier der Feind beim Feind.
... Es wirbelt Rauch ... nun lodert heller Brand,
Und schlägt den roten Mantel um die Trümmer
Von Schloß und Hütte ... Miknes ist nicht mehr!
Dem Maurenkaiser häuft der Herr der Welt
Ein schaurig Leichenmal an diesem Tage,
Getürmt vom schwarzen Brandschutt seiner Städte,
Wohl von der Wüste bis hinauf zum Meer,
Daß selbst das ferne Lissabon erzittert!
Ein Tag des Jammers, eine Nacht der Qual;
Und ein azurner Morgen schwebt herauf;
Das milde Sonnenauge thränenschwer,
Vergoldet er noch rauchende Ruinen,
Und spielt, wie tröstend, auf der Leichenmenge.
Und vor den Trümmern steh'n die bebenden,
Noch starr vor Schauder und vor wildem Schmerz
Um alles, was sie Teures hier verloren;
Doch mehr der Wonne und der Dankesfülle
Spricht, denn Verzweiflung, aus dem Blick der Scharen.
Hier: "Allah!" "Jahveh!" dort, und „Jesus!" stammelnd,
Sucht alles Dank zu bringen vor den Herrn;
Und kein: "Wozu, o Gott?" und kein: "Warum?"
In irgend einem Herzen, einem Munde.
"Es mußte kommen!" murmeln fatalistisch
Die Gläub'gen Mahomeds und sind gelassen. —
"Der Herr ist gut!" denkt jener Jude dort
Im weißen Bart, und ihn durchzuckt ein Blitz,
Wie er der blöden Menge selten kommt,
Wie er nur hin und wieder Stirnen streift,
Ein Blitz, der das "Warum?", die alte Frage,
Im jähen Flug dem off'nen Sinn beleuchtet.
"Der Herr ist gut!" denkt er, "drum schlug er ihn,
Den großen Henker dieses Jammerlandes,
Durch eines Heldenweibes starke Hand
Im grausen Wirrwarr einer Welterschütt'rung;
Der Herr ist gut, und kam in Wölk' und Feuer,
Ismails Städte in den Schutt zu rütteln,
Auf daß Ismails mild'rer Sohn zu bauen,
Zu schaffen finde nun auf Jahre lang,
Und zum Zerstören Stoff und Zeit ihm fehle." —
Der Christ, er denkt dem weisen Gott nicht nach,
In Demut stumm, preist er des Himmels Schickung,
Und hebt getröstet sich am Kreuz empor.
O, lächle nur, azurner Morgen, her!
Du Sonnenaug', ob selbst von Thränen schwer,
O, trink' die Thränen auch aus jedem Blick!
Anglüh' die Herzen, daß sie sich erkühnen!
Noch viel des Trostes heischet ihr Geschick,
Und Jahre werden's freundlich erst begrünen.
Heinrich Freimuth