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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 17:30

Die traurige Krönung

Es war ein König Milesint,
Von dem will ich euch sagen:
Der meuchelte sein Bruderskind,
Wollte selbst die Krone tragen.
Die Krönung ward mit Prangen
Auf Liffey-Schloß begangen.
O Irland! Irland! warest du so blind?

Der König sitzt um Mitternacht
Im leeren Marmorsaale,
Sieht irr in all die neue Pracht,
Wie trunken von dem Mahle;
Er spricht zu seinem Sohne:
"Noch einmal bring die Krone!
Doch schau, wer hat die Pforten aufgemacht?"

Da kommt ein seltsam Totenspiel,
Ein Zug mit leisen Tritten,
Vermummte Gäste groß und viel,
Eine Krone schwankt in Mitten;
Es drängt sich durch die Pforte
Mit Flüstern ohne Worte;
Dem Könige, dem wird so geisterschwül.

Und aus der schwarzen Menge blickt
Ein Kind mit frischer Wunde;
Es lächelt sterbensweh und nickt,
Es macht im Saal die Runde,
Es trippelt zu dem Throne,
Es reichet eine Krone
Dem Könige, des Herze tief erschrickt.

Darauf der Zug von dannen strich,
Von Morgenluft berauschet,
Die Kerzen flackern wunderlich,
Der Mond am Fenster lauschet;
Der Sohn mit Angst und Schweigen
Zum Vater tät sich neigen -
Er neiget über eine Leiche sich.

Mörike




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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 17:32

Von Glückes Zufall

Der ist ein Narr, der hochauf steigt,
Daß seine Scham der Welt er zeigt,
Und sucht stets einen höhern Grad
Und denkt nicht an des Glückes Rad.
Was hochauf steigt in dieser Welt,
Gar plötzlich oft zu Boden fällt.
Kein Mensch so hoch hier kommen mag,
Der sich verheißt den künftgen Tag,
Und daß er Glück dann haben will,
Denn Klotho hält ihr Rad nicht still,
Oder den sein Reichtum und Gewalt
Vorm Tod einen Augenblick erhalt'.
Wer Macht hat, der hat Angst und Not,
Viel sind um Macht geschlagen tot.
Die Herrschaft hat nicht langen Halt,
Die man muss schirmen mit Gewalt.
Wo keine Lieb und Gunst der Gemein',
Da ist viel Sorge - und Freude klein.
Es muss viel fürchten, wer da will,
Daß ihn auch sollen fürchten viel.
Nun ist die Furcht ein schlechter Knecht,
Sie kann nicht lange hüten recht.
Wer innehat Gewalt, der lerne
Liebhaben Gott und ehr ihn gerne.
Wer Gerechtigkeit hält in der Hand,
Des Macht kann haben gut Bestand;
Des Herrschaft war wohl angelegt,
Und dessen Tod man Trauer trägt.
Weh dem Regenten, nach des Tod
Man sprechen muss: "Gelobt sei Gott!"
Wer einen Stein wälzt auf die Höh,
Auf den fällt er und tut ihm weh,
Und wer vertrauet auf sein Glück,
Fällt oft in einem Augenblick.

Sebastian Brant




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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 17:33

Einer Toten

Ach, dass du lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
Die weissen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Dass du noch lebtest!
Schwer und kalt bedrängt
Die Erde deinen Sarg und hält dich fest.
Ich geh nicht hin, ich finde dich nicht mehr.
Und Wiedersehn?

Was soll das Wiedersehn,
Wenn wir zusammen Hosianna singen
Und ich dein Lachen nicht mehr hören kann?
Dein Lachen, deine Sprache, deinen Trost:

Der Tag ist heut so schön. Wo ist Chasseur?
Hol aus dem Schranke deinen Lefaucheux,
Und geh ins Feld, die Hühner halten noch.
Doch bieg nicht in das Buchenwäldchen ab,
Und leg dich nicht ins Moos und träume nicht.
Pass auf die Hühner und sei nicht zerstreut,
Blamier dich nicht vor deinem Hund, ich bitte.
Und alle Orgeldreher heut' verwünsch ich,
Die mit verlornem Ton aus fernen Dörfern
Dir Träume senden - dann gibt's keine Hühner.
Und doch, die braune Heide liegt so still,
Dich rührt ihr Zauber, lass dich nur bestricken.

Wir essen heute Abend Erbsensuppe,
Und der Margaux hat schon die Zimmerwärme;
Bring also Hunger mit und gute Laune.
Dann liest du mir aus deinen Lieblingsdichtern,
Und willst du mehr, wir gehen an den Flügel
Und singen Schumann, Robert Franz und Brahms.
Die Geldgeschichten lassen wir heut ruhn.
Du lieber Himmel, deine Gläubiger
Sind keine Teufel, die dich braten können,
Und alles wird sich machen.
Hier noch eins:
Ich tat dir guten Kognak in die Flasche.
Grüss Heide mir und Wald und all die Felder,
Die abseits liegen und vergiss die Schulden,
Ich seh' indessen in der Küche nach,
Dass uns die Erbsensuppe nicht verbrennt.

Dass du noch lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
Die mich umflatterten auf allen Wegen,
Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
Die weissen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Ach, dass du lebtest!

Detlev von Liliencron




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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 20:26
@jofe

schöne Sachen von Dir, ich bleibe immer mehr an den fröhlichen Sachen hängen, aber es gibt auch genügend trauriges.

Hier mal was von mir für die, die es lesen, der TE ist ja eh schon unter den "ehemaligen". ;)


Der Brief, den du geschrieben,
Er macht mich gar nicht bang;
Du willst mich nicht mehr lieben,
Aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!
Ein kleines Manuskript!
Man schreibt nicht so ausführlich
Wenn man den Abschied gibt.

Heinrich Heine, 1797-1856


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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 20:31
Welke Rose

In einem Buche blätternd, fand
Ich eine Rose welk, zerdrückt,
Und weiß auch nicht mehr, wessen Hand
Sie einst für mich gepflückt.

Ach, mehr und mehr im Abendhauch
Verweht Erinnerung; bald zerstiebt
Mein Erdenlos, dann weiß ich auch
Nicht mehr, wer mich geliebt.

Nikolaus Lenau, 1802-1850


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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 20:44
Es kommt zu spät, was du mir lächelst,
Was du mir seufzest, kommt zu spät!
Längst sind gestorben die Gefühle,
Die du so grausam einst verschmäht.

Zu spät kommt deine Gegenliebe!
Es fallen auf mein Herz herab
All deine heißen Liebesblicke,
Wie Sonnenstrahlen auf ein Grab.

Heinrich Heine, 1797-1856


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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 21:43

Gretchens Stube

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Wo ich ihn nicht hab,
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.

Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn
Ist mir zerstückt.

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Nach ihm nur schau ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh ich
Aus dem Haus.

Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,

Und seiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach! sein Kuß!

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.

Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin,
Ach dürft ich fassen
Und halten ihn,

Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
An seinen Küssen
Vergehen sollt!

Goethe; Faust




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Gedichte: Tragik

25.11.2012 um 21:44

Die Moritat von Mackie Messer

Und der Haifisch, der hat Zähne
Und die trägt er im Gesicht
Und Mac Heath, der hat ein Messer
Doch das Messer sieht man nicht.

Und es sind des Haifischs Flossen
Rot, wenn dieser Blut vergiesst
Mackie Messer trägt'nen Handschuh
Drauf man keine Untat liest.

An der Themse grünem Wasser
Fallen plötzlich Leute um
Es ist weder Pest noch Cholera
Doch es heisst: Mackie geht um.

An'nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand
Und ein Mensch geht um die Ecke
Den man Mackie Messer nennt.

Und Schmul Meier bleibt verschwunden
Und so mancher reiche Mann
Und sein Geld hat Mackie Messer
Dem man nichts beweisen kann.

Jenny Towler ward gefunden
Mit'nem Messer in der Brust
Und am Kai geht Mackie Messer
Der von allem nichts gewusst.

Wo ist Alfons gleich, der Fuhrherr?
Kommt das je ans Sonnenlicht?
Wer es immer wissen könnte
Mackie Messer weiss es nicht.

Und das grosse Feuer in Soho
Sieben Kinder und ein Greis
In der Menge Mackie Messer, den
Man nicht fragt, und der nichts weiss.

Und die minderjähr'ge Witwe
Deren Namen jeder weiss
Wachte auf und war geschändet
Mackie welches war dein Preis?

Berthold Brecht




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Gedichte: Tragik

26.11.2012 um 15:08

Der Rattenfänger

Ich bin der wohlbekannte Sänger,
Der vielgereiste Rattenfänger,
Den diese altberühmte Stadt
Gewi0 besonders nötig hat;
Und wären's Ratten noch so viele,
Und wären Wiesel mit im Spiele;
Von allen säubr' ich diesen Ort;
Sie müssen mit einander fort.

Dann ist der gutgelaunte Sänger
Mitunter auch ein Kinderfänger,
der selbst die wildesten bezwingt,
Wenn er die goldnen Märchen singt.
Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
In meinen Saiten greif' ich ein,
Sie müssen alle hinter drein.

Dann ist der vielgewandte Sänger
Gelegentlich auch Mädchenfänger;
In keinem Städtchen langt er an,
Wo er's nicht mancher angetan.
Und wären Mädchen noch so blöde,
Und wären Weiber noch so spröde;
Doch allen wird so liebebang
Bei Zaubersaiten und Gesang.

Johann Wolfgang von Goethe




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Gedichte: Tragik

26.11.2012 um 15:12

Gesang der Geister über den Wassern

Der Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Johann Wolfgang von Goethe




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Gedichte: Tragik

26.11.2012 um 20:52

Abschied von der Jugend

Wie der zitternde Verbannte
Steht an seiner Heimat Grenzen,
Rückwärts er das Antlitz wendet,
Rückwärts seine Augen glänzen,
Winde, die hinüber streichen,
Vögel in der Luft beneidet,
Schaudernd vor der kleinen Scholle,
Die das Land vom Lande scheidet;

Wie die Gräber seiner Toten,
Seine Lebenden, die süßen,
Alle stehn am Horizonte,
Und er muß sie weinend grüßen;
Alle kleinen Liebesschätze,
Unerkannt und unempfunden,
Alle ihn wie Sünden brennen
Und wie ewig offne Wunden:

So an seiner Jugend Scheide
Steht ein Herz voll stolzer Träume,
Blickt in ihre Paradiese
Und der Zukunft öde Räume,
Seine Neigungen verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle stehn am Horizonte,
Wollen ihre Träne haben.

Und die Jahre, die sich langsam,
Tückisch reihten aus Minuten,
Alle brechen auf im Herzen,
Alle nun wie Wunden bluten;
Mit der armen kargen Habe,
Aus dem reichem Schacht erbeutet,
Mutlos, ein gebrochner Wandrer,
In das fremde Land er schreitet.

Und doch ist des Sommers Garbe
Nicht geringer als die Blüten,
Und nur in der feuchten Scholle
Kann der frische Keim sich hüten:
Über Fels und öde Flächen
Muß der Strom, daß er sich breite,
Und es segnet Gottes Rechte
Übermorgen so wie heute.

Annette von Droste-Hülshoff




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Gedichte: Tragik

26.11.2012 um 20:55

An den Tod

Wenn er, hohe Freude im Geleite,
Kommt, der Tag im hellen Purpurkleide,
Und der Frühling ihm zur Seite geht, -
Wenn ihm, schwebend auf umglänzten Flügel,
Froh entgegen jauchzen Thal und Hügel
Und sein goldnes Haar der West umweht.

Wenn im Thau die ersten Rosen glänzen,
Muntre Bäche junge Veilchen kränzen,
Und die Bäume farbenprächtig blühn,
Wenn der Abend uns mit Schatten lohnet,
Wenn der Mond am stillen Himmel thronet
Und die Sterne in den Quellen glühn -

Wenn dies alles himmlisch zu verschönen,
Er – der liebste mir von Menschensöhnen
Nahet, freundlich so wie die Natur;
O dann schwindet mir, von ihm umschlungen
Und von seinem heißen Kuß durchdrungen,
Nacht und Morgen und der Glanz der Flur.

Tod! dann bist du mir der schönste Segen! -
Sehnend wallt mein Busen dir entgegen,
Komm! ruf ich, und führe mich dorthin,
Wo des Morgens Purpur nie erbleichet,
Wo den Frühling nie der Herbst erreichet,
Wo ein trüber Abend nie erschien. -

Wo am Bach die Bäume ewig blühen,
Unter Purpur-Rosen Veilchen glühen,
Wo sich Frieden ohne Trennung küßt. -
Und wo alles dieses zu verschönen,
Er – der liebste mir von Menschensöhnen
Ewig mein vor allen Engeln ist.

Sophie Albrecht




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Gedichte: Tragik

26.11.2012 um 20:58

Richard Löwenherz’ Tod

I

»Hinweg die Lanze, hinab vom Roß!
Bei Gott und unsrer Frau!
Ich nehme das stolze Rebellenschloß
Noch vor dem Abendgrau.

Hinan, ihr Lords von Nord und Süd,
Hinan, auf Wall und Turm!
Durchs Löwenbanner der Sturmwind zieht,
Er heult: zum Sturm, zum Sturm!

Zieht, Schützen, den langen Bogen ans Ohr,
Der oft den Hirsch bedroht;
Auf, sendet in jedes Herz empor
Den graubefiederten Tod!

Hoch lebe das fröhliche Engelland
Und jedes Stück davon!«
Der König schwang in der Panzerhand
Die Streitaxt von Askalon.

Und wem die Axt um die Ohren pfiff,
Der ward auf ewig taub,
Und wem die Axt an den Nacken griff,
Der lag ohne Kopf im Staub.

II

Wen legst du dort ins grüne Gras,
Sag’ an, mein kühner Gesell? –
Seine Stirn ist hoch, seine Wange blaß,
Sein Aug’ blickt grimmig hell.

Die Streitaxt hält die Faust umklemmt,
Als gält’ es das ewige Heil;
Doch tief in dem blutigen Panzerhemd,
Da zittert der dünne Pfeil.

Die Faust ward matt, die Lippe weiß,
Der Schlaf ihn überkam;
Der Mund aber betete röchelnd leis’:
»Für Gott und meine Dam’!«

Und wie er es sprach in zuckendem Schmerz,
Der todeswunde Mann,
Da hatte das brechende Löwenherz
Den letzten Schlag getan.

Die Faust war starr und starr das Blut,
Die Lippe war stolz gebäumt,
Als riefe sie noch mit grimmem Mut:
»Still, wenn der Löwe träumt!«

Moritz Graf von Strachwitz




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Gedichte: Tragik

27.11.2012 um 17:03

Trauerode

Grimmig wirgt der Tod durch unsre Glieder! –
Dumpfig heult die Leichendrummel wieder,
Schon ein neuer ist hinweggerafft;
Mit gesenktem Schießgewehre wanken
Graue Krieger nach des Kirchhofs Schranken,
Wo der tapfre, brave Müller schlaft.

Brüder, kommt! – erblasset! – schauert! zittert!
Bebe jetzt, den niemals nichts erschüttert,
Grabgefühle schauern durch sein Mark.
Sehet! Alles, was wir Leben hießen,
Was wir liebten, was wir selig priesen,
Liegt vereitelt in dem schmalen Sarg.

Von dem Antlitz alles Rot gesunken,
Aus den Augen alle Lebensfunken
Weggelöschet in chaotsche Nacht –
Seine Mienen, sein holdselig Lächeln
Weggeblasen mit dem Sterberöcheln,
Ewig, ewig nimmer angefacht! –

Nie vom Sturm der Leidenschaft durchwühlet,
Wie ein Bach durch Blumenbette spielet,
Floß sein Leben hin in Melodie –
Ha! was ist nun, was am schönsten schmeichelt?
Nichts als Larve, die der Tod uns heuchelt –
Und dann auf dem Sarg zerreißt er sie.

Auf des Menschen kaltem, starrem Rumpfe
Sterben seine wirblende Triumphe,
Röchlen all in ein Gewimmer aus –
Glück und Ruhm zerflattern auf dem Sarge,
Könige und Bettler, Feige, Starke
Ziehn hinunter in das Totenhaus.

Aber frei erhoben über Grüfte
Fliegt der Geist in des Olympus Lüfte,
Triumphierend, wie ein Adler steigt,
Wann sein Wohnsitz, die erhabne Tanne,
Niederkracht im tobenden Orkane
Und der Nordsturm Wälder niederbeugt.

Zieh auch du, geliebter, teurer Streiter,
Auf den Flügeln unsrer Donner weiter,
Keine Tränen schicken wir dir mit –
Mit Geheule und mit Weiberklagen
Mag man andre zu dem Grabe tragen,
Pulverdonner ist der Krieger Wiegenlied. –

Weinend geht man deinen Sarg vorüber,
Selbst des Mannes Auge wird jetzt trüber,
Und die Helden Carls betrauren dich. –
Geh dahin mit dieser stolzen Ehre,
Prahle dort in der Verklärten Heere:
Sie, die Helden Carls, betrauren mich!

Sie, die Helden, eilen dir entgegen
Unter Donner und der Kugeln Regen,
Krieger zittern vor dem Tode nicht –
Ihm entgegen gehen wir mit Hohne
Unterm Dampf der brüllenden Kanone,
Wann er reißend durch die Glieder bricht –

Und dann droben finden wir dich wieder,
Legen dort das müde Eisen nieder,
Drücken dich an unsre warme Brust,
Dann wird alles, wie von Morgenwinden
Weggeweht, ein leichter Traum, verschwinden
Und nichts bleiben als die Lust.

Friedrich Schiller




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Gedichte: Tragik

27.11.2012 um 17:04

Elegie auf den Tod eines Jünglings

Banges Stöhnen, wie vorm nahen Sturme,
Hallet her vom öden Trauerhaus,
Totentöne fallen von des Münsters Turme,
Einen Jüngling trägt man hier heraus:
Einen Jüngling – noch nicht reif zum Sarge,
In des Lebens Mai gepflückt,
Pochend mit der Jugend Nervenmarke,

Mit der Flamme, die im Auge zückt;
Einen Sohn, die Wonne seiner Mutter
(O das lehrt ihr jammernd Ach),
Meinen Busenfreund, ach! meinen Bruder –
Auf! was Mensch heißt, folge nach!

Prahlt ihr Fichten, die ihr hoch veraltet
Stürmen stehet und den Donner neckt?
Und ihr Berge, die ihr Himmel haltet,
Und ihr Himmel, die ihr Sonnen hegt?
Prahlt der Greis noch, der auf stolzen Werken
Wie auf Wogen zur Vollendung steigt?
Prahlt der Held noch, der auf aufgewälzten Tatenbergen
In des Nachruhms Sonnentempel fleugt?
Wenn der Wurm schon naget in den Blüten:
Wer ist Tor, zu wähnen, daß er nie verdirbt?
Wer dort oben hofft noch und hienieden
Auszudauren – wenn der Jüngling stirbt?

Lieblich hüpften, voll der Jugendfreude,
Seine Tage hin im Rosenkleide,
Und die Welt, die Welt war ihm so süß –
Und so freundlich, so bezaubernd winkte
Ihm die Zukunft, und so golden blinkte
Ihm des Lebens Paradies;
Noch, als schon das Mutterauge tränte,
Unter ihm das Totenreich schon gähnte,
Über ihm der Parzen Faden riß,
Erd und Himmel seinem Blick entsanken,
Floh er ängstlich vor dem Grabgedanken –
Ach, die Welt ist Sterbenden so süß.

Stumm und taub ists in dem engen Hause,
Tief der Schlummer der Begrabenen;
Bruder! ach, in ewig tiefer Pause
Feiern alle deine Hoffnungen;
Oft erwärmt die Sonne deinen Hügel,
Ihre Glut empfindest du nicht mehr;
Seine Blumen wiegt des Westwinds Flügel,
Sein Gelispel hörest du nicht mehr;
Liebe wird dein Auge nie vergolden,
Nie umhalsen deine Braut wirst du,
Nie, wenn unsre Tränen stromweis rollten, –
Ewig, ewig sinkt dein Auge zu.

Aber wohl dir! – köstlich ist dein Schlummer,
Ruhig schläft sichs in dem engen Haus;
Mit der Freude stirbt hier auch der Kummer,
Röcheln auch der Menschen Qualen aus.
Über dir mag die Verleumdung geifern,
Die Verführung ihre Gifte spein,
Über dich der Pharisäer eifern,
Fromme Mordsucht dich der Hölle weihn,
Gauner durch Apostelmasken schielen,
Und die Bastardtochter der Gerechtigkeit
Wie mit Würfeln so mit Menschen spielen,
Und so fort bis hin zur Ewigkeit.

Über dir mag auch Fortuna gaukeln,
Blind herum nach ihren Buhlen spähn,
Menschen bald auf schwanken Thronen schaukeln,
Bald herum in wüsten Pfützen drehn –
Wohl dir, wohl in deiner schmalen Zelle;
Diesem komischtragischen Gewühl,
Dieser ungestümen Glückeswelle,
Diesem possenhaften Lottospiel,
Diesem faulen fleißigen Gewimmel,
Dieser arbeitsvollen Ruh,
Bruder! – diesem teufelvollen Himmel
Schloß dein Auge sich auf ewig zu.

Fahr dann wohl, du Trauter unsrer Seele,
Eingewiegt von unsern Segnungen,
Schlummre ruhig in der Grabeshöhle,
Schlummre ruhig bis auf Wiedersehn!
Bis auf diesen leichenvollen Hügeln
Die allmächtige Posaune klingt
Und nach aufgerißnen Todesriegeln
Gottes Sturmwind diese Leichen in Bewegung schwingt –
Bis, befruchtet von Jehovas Hauche,
Gräber kreißen – auf sein mächtig Dräun
In zerschmelzender Planeten Rauche
Ihren Raub die Grüfte wiederkäun –

Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
Auch nicht in des Pöbels Paradies,
Nicht in Himmeln, wie die Dichter reimen, –
Aber wir ereilen dich gewiß.
Daß es wahr sei, was den Pilger freute?
Daß noch jenseits ein Gedanke sei?
Daß die Tugend übers Grab geleite?
Daß es mehr denn eitle Phantasei? – –
Schon enthüllt sind dir die Rätsel alle!
Wahrheit schlirft dein hochentzückter Geist,
Wahrheit, die in tausendfachem Strahle
Von des großen Vaters Kelche fleußt. –

Zieht dann hin, ihr schwarzen stummen Träger!
Tischt auch den dem großen Würger auf!
Höret auf, geheulergoßne Kläger!
Türmet auf ihm Staub auf Staub zuhauf!
Wo der Mensch, der Gottes Ratschluß prüfte?
Wo das Aug, den Abgrund durchzuschaun?
Heilig! Heilig! Heilig! bist du, Gott der Grüfte,
Wir verehren dich mit Graun!
Erde mag zurück in Erde stäuben,
Fliegt der Geist doch aus dem morschen Haus!
Seine Asche mag der Sturmwind treiben,
Seine Liebe dauert ewig aus!

<smaller>Friedrich Schiller




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Gedichte: Tragik

27.11.2012 um 17:07

Die Kindsmörderin

Horch – die Glocken weinen dumpf zusammen,
Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf.
Nun, so seis denn! – Nun, in Gottes Namen!
Grabgefährten, brecht zum Richtplatz auf!
Nimm, o Welt, die letzten Abschiedsküsse,
Diese Tränen nimm, o Welt, noch hin!
Deine Gifte – o sie schmeckten süße!
Wir sind quitt, du Herzvergifterin.

Fahret wohl, ihr Freuden dieser Sonne,
Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Fahre wohl, du Rosenzeit voll Wonne,
Die so oft das Mädchen lustberauscht!
Fahret wohl, ihr goldgewebten Träume,
Paradieseskinder-Phantasien!
Weh! sie starben schon im Morgenkeime,
Ewig nimmer an das Licht zu blühn.

Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen
Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,
In der blonden Locken loses Schweifen
Waren junge Rosen eingestreut: –
Wehe! – die Geopferte der Hölle
Schmückt noch itzt das weißlichte Gewand,
Aber ach! – der Rosenschleifen Stelle
Nahm ein schwarzes Totenband.

Weinet um mich, die ihr nie gefallen,
Denen noch der Unschuld Lilien blühn,
Denen zu dem weichen Busenwallen
Heldenstärke die Natur verliehn!
Wehe! – menschlich hat dies Herz empfunden! –
Und Empfindung soll mein Richtschwert sein! –
Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden,
Schlief Louisens Tugend ein.

Ach vielleicht umflattert eine andre,
Mein vergessen, dieses Schlangenherz,
Überfließt, wenn ich zum Grabe wandre,
An dem Putztisch in verliebten Scherz?
Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke?
Schlingt den Kuß, den sie entgegenbringt?
Wenn, verspritzt auf diesem Todesblocke,
Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.

Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
Folge dir Louisens Totenchor,
Und des Glockenturmes dumpfes Heulen
Schlage schröcklichmahnend an dein Ohr –
Wenn von eines Mädchens weichem Munde
Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,
Bohr es plötzlich eine Höllenwunde
In der Wollust Rosenbild!

Ha Verräter! nicht Louisens Schmerzen?
Nicht des Weibes Schande, harter Mann?
Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?
Nicht was Löw und Tiger milden kann?
Seine Segel fliegen stolz vom Lande,
Meine Augen zittern dunkel nach,
Um die Mädchen an der Seine Strande
Winselt er sein falsches Ach! – –

Und das Kindlein – in der Mutter Schoße
Lag es da in süßer, goldner Ruh,
In dem Reiz der jungen Morgenrose
Lachte mir der holde Kleine zu,
Tödlichlieblich sprang aus allen Zügen
Des geliebten Schelmen Konterfei;
Den beklommnen Mutterbusen wiegen
Liebe und – Verräterei.

»Weib, wo ist mein Vater?« lallte
Seiner Unschuld stumme Donnersprach,
»Weib, wo ist dein Gatte?« hallte
Jeder Winkel meines Herzens nach –
Weh, umsonst wirst, Waise, du ihn suchen,
Der vielleicht schon andre Kinder herzt,
Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,
Wenn dich einst der Name Bastard schwärzt.

Deine Mutter – o im Busen Hölle! –
Einsam sitzt sie in dem All der Welt,
Durstet ewig an der Freudenquelle,
Die dein Anblick fürchterlich vergällt.
Ach, in jedem Laut von dir erwachet
Toter Wonne Qualerinnerung,
Jeder deiner holden Blicke fachet
Die unsterbliche Verzweifelung.

Hölle, Hölle, wo ich dich vermisse,
Hölle, wo mein Auge dich erblickt,
Eumenidenruten deine Küsse,
Die von seinen Lippen mich entzückt!
Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,
Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,
Ewig – hier umstrickte mich die Hyder –
Und vollendet war der Mord –

Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
Jage dir der grimme Schatten nach,
Mög mit kalten Armen dich ereilen,
Donnre dich aus Wonneträumen wach,
Im Geflimmer sanfter Sterne zucke
Dir des Kindes grasser Sterbeblick,
Es begegne dir im blutgen Schmucke,
Geißle dich vom Paradies zurück.

Seht, da lag es – lag im warmen Blute,
Das noch kurz im Mutterherzen sprang,
Hingemetzelt mit Erinnysmute,
Wie ein Veilchen unter Sensenklang; – –
Schröcklich pocht schon des Gerichtes Bote,
Schröcklicher mein Herz!
Freudig eilt' ich, in dem kalten Tode
Auszulöschen meinen Flammenschmerz.

Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,
Dir verzeiht die Sünderin.
Meinen Groll will ich der Erde weihen,
Schlage, Flamme, durch den Holzstoß hin –
Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,
Seine Eide frißt ein siegend Feur,
Seine Küsse! – wie sie hochan flodern! –
Was auf Erden war mir einst so teur?

Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,
Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
Schönheit war die Falle meiner Tugend,
Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! –
Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?
Schnell die Binde um mein Angesicht!
Henker, kannst du keine Lilie knicken?
Bleicher Henker, zittre nicht! – – –

Friedrich Schiller




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Gedichte: Tragik

27.11.2012 um 22:02

Die Nacht

Seid gegrüßt, ihr zufluchtsvolle Schatten,
Ihr Fluren, die ihr einsam um mich ruht;
Du stiller Mond, du hörst, nicht wie Verleumder lauren,
Mein Herz, entzückt von deinem Perlenglanz.

Aus der Welt, wo tolle Toren spotten,
Um leere Schattenbilder sich bemühn,
Flieht der zu euch, der nicht das schimmernde Getümmel
Der eitlen Welt, nein! nur die Tugend liebt.

Nur bei dir empfindt auch hier die Seele,
Wie göttlich sie dereinst wird sein,
Die Freude, deren falschem Schein so viel Altäre,
So viele Opfer hier gewidmet sind.

Weit hinauf, weit über euch, ihr Sterne,
Geht sie entzückt mit heilgem Seraphsflug;
Sieht über euch herab mit göttlich heilgem Blicke,
Auf ihre Erd, da wo sie schlummernd ruht....

Goldner Schlaf, nur dessen Herz zufrieden
Wohltätger Tugend wahre Freude kennt,
Nur der fühlt dich. - Hier stellst du dürftig schwache Arme,
Die seine Hülfe suchen, vor ihn hin.

Schnell fühlt er des armen Bruders Leiden;
Der arme weint, er weinet auch mit ihm;
Schon Trost genug! Doch spricht er, gab Gott seine Gaben
Nur mir? nein, auch für andre lebe ich. -

Nicht von Stolz, noch Eitelkeit getrieben,
Kleidt er den Nackten dann, und sättigt den,
Dem blasse Hungersnot sein schwach Gerippe zählet;
Und himmlisch wird sein fühlend Herz entzückt.

So ruht er, allein des Lasters Sklaven
Quält des Gewissens bange Donnerstimm,
Und Todesangst wälzt sie auf ihren weichen Lagern,
Wo Wollust selber sich die Rute hält.


Friedrich Hölderlin




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Gedichte: Tragik

27.11.2012 um 22:10

Carpe diem!

Pflücke die Stunde, wär' sie noch so blaß,
Ein falbes Moos, vom Dunst des Moores naß,
Ein farblos Blümchen, flatternd auf der Heide;
Ach, einst von allem träumt die Seele süß,
Von allem, was, ihr eigen, sie verließ,
Und mancher Seufzer gilt entflohnem Leide.

In Alles senkt sie Blutes Tropfen ein,
Legt Perlen aus dem heilig tiefsten Schrein
Bewußtlos, selbst in grauverhängte Stunden;
Steigt oft ein unklar Sehnen dir empor,
Du schaust vielleicht, wie durch Gewölkes Flor,
Nach Tagen, längst vergessen, doch empfunden.

Wer, der an seine Kinderzeit gedenkt,
Als die Vokabeln ihn in Not versenkt,
Wer möchte nicht wieder Kind sein und sich grauen?
Ja, der Gefangene, der die Wand beschrieb,
Fühlt er nach Jahren Glückes nicht den Trieb,
Die alten Sprüche einmal noch zu schauen?

Wohl gibt es Stunden, die so ganz verhaßt,
Daß, dem Gedächtnis eine Centnerlast,
Wir ihren Schatten abzuwälzen sorgen;
Doch selten schickt sie uns des Himmels Zorn,
Und meistens ist darin ein gift'ger Dorn,
Der Moderwurm geheimer Schuld verborgen.

Drum, wer noch eines Blicks nach oben wert,
Der nehme, was an Lieben ihm beschert,
Die stolze wie die Stund' im schlichten Kleide;
Der schlürfe jeden stillen Tropfen Tau,
Und spiegelt drin sich nicht des Äthers Blau,
So lispelt drüber wohl die fromme Weide.

Freu dich an deines Säuglings Lächeln, freu
Dich an des Jauchzens ungewissem Schrei,
Mit dem er streckt die lustbewegten Glieder.
Wär' zehnmal stolzer auch, was dich durchweht,
Wenn er vor dir dereinst, ein Jüngling, steht,
Dein lächelnd Kindlein gibt er dir nicht wieder.

Freu dich des Freundes, eh zum Greis er reift,
Erfahrung ihm die kühne Stirn gestreift,
Von seinem Scheitel Grabesblumen wehen;
Freu dich des Greises, schau ihm lange nach,
In kurzem gäbst vielleicht du manchen Tag,
Um einmal noch das graue Haupt zu sehen.

O, wer nur ernst und fest die Stund greift,
Den Kranz ihr auch von bleicher Locke streift,
Dem spendet willig sie die reichste Beute.
Doch wir, wir Toren, drängen sie zurück,
Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,
Und unsre Morgen morden unsre Heute.


Annette von Droste-Hülshoff




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Gedichte: Tragik

28.11.2012 um 22:11

Der schwarze Tod

Erzittre Welt, ich bin die Pest,
Ich komm' in alle Lande
Und richte mir ein großes Fest,
Mein Blick ist Fieber, feuerfest
Und schwarz ist mein Gewande.

Ich komme von Ägyptenland
In roten Nebelschleiern,
Am Nilusstrand im gelben Sand
Entsog ich Gift dem Wüstenbrand
Und Gift aus Dracheneiern.

Tal ein und aus, bergauf und ab,
Ich mäh' zur öden Heide
Die Welt mit meinem Wanderstab,
Ich setz' vor jedes Haus ein Grab
Und eine Trauerweide.

Ich bin der große Völkertod,
Ich bin das große Sterben.
Es geht vor mir die Wassernot,
Ich bringe mit das teure Brot,
Den Krieg tu' ich beerben.

Es hilft euch nichts, wie weit ihr floh't,
Ich bin ein schneller Schreiter,
Ich bin der schnelle schwarze Tod,
Ich überhol' das schnellste Boot
Und auch den schnellsten Reiter.

Dem Kaufmann trägt man mich ins Haus
Zugleich mit seiner Ware;
Er freut sich hoch, er lacht beim Schmaus,
Ich steig' aus seinem Schatz heraus
Und streck' ihn auf die Bahre.

Mir ist auf hohem Felsvorsprung
Kein Schloß zu hoch, ich komme;
Mir ist kein junges Blut zu jung,
Kein Leib ist mir gesund genung,
Mir ist kein Herz zu fromme.

Wem ich nur schau' ins Aug' hinein,
Der mag kein Licht mehr sehen;
Wem ich gesegnet Brot und Wein,
Den hungert nur nach Staub allein,
Den durstet's, heimzugehen.

Im Osten starb der große Chan,
Auf Indiens Zimmetinseln
Starb Negerfürst und Muselmann,
Man hört auch Nachts in Ispahan
Beim Aas die Hunde winseln.

Byzanz war eine schöne Stadt,
Und blühend lag Venedig;
Nun liegt das Volk wie welkes Blatt,
Und wer das Laub zu sammeln hat,
Wird auch der Mühe ledig.

An Nordlands letztem Felsenriff
In einen kleinen Hafen
Warf ich ein ausgestorbnes Schiff,
Und alles, was mein Hauch ergriff,
Das mußte schlafen, schlafen.

Sie liegen in der Stadt umher:
Ob Tag' und Monde schwinden,
Es zählt kein Mensch die Stunden mehr –
Nach Jahren wird man öd' und leer
Die Stadt der Toten finden.

Herrmann von Lingg




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Gedichte: Tragik

28.11.2012 um 22:15

Im Nebel

Zwischen den Felsen
An tausend Stellen
Nebelquellen:
Daraus fließt es über den Waldgrund her
Mit einem trägen,
Zähen Bewegen.
Aber nun ist alles ein Meer
Mit Inseln darin
Weißgrau im Rund –
Und der Mond, glaube mir: der Mond
Ist damit im Bund!

Hält Schau über seine Heere –
Im Meere
Schwimmen sie heran, kriechen entlang
Alle in faulem, schweren Gang:
Auf den Inseln, aus den Höhlen
Ungeschlachte
Drachen. Sachte,
Fürchterlich fette Schlangen.
Riesenvögel mit schreckhaft langen
Beinen wie Stangen.

Zwischen den Palmen
Und Schachtelhalmen
Drohn sie sich mit Beißen, Stoßen Kratzen
Ungeheurer Mäuler und Tatzen.
Aber alles nur langsam,
Wie im Schlaf,
Und ohne dass eins
Das andere traf.
Sind ja alle schon lange tot,
Urlange tot.
Müssen nur spuken zur Nebelnacht.
Weil das dem Monde,
Dem schlimmen Zauberer,
Dem alten Gauner da oben
Vergnügen macht.

Ferdinand Ernst Albert Avenarius




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