Der tragische Tod von Tanja Gräff
31.05.2015 um 15:04
Da hier schon mehrfach der "psychische Druck" erwähnt wurde, unter dem der eventuelle Täter und eventuelle Mitwisser wohl stehen sollten, und der angeblich längst zum "Einknicken" geführt hätte... dazu kann ich nur sagen, dass das IMHO Wunschdenken ist.
Man führe sich all die Kriminalfälle/Vermisstenfälle vor Augen, in denen der Täter jahrelang unentdeckt blieb und letztlich nur durch Zufall (oder überhaupt nicht... ) gefasst wurde. ZB hat im Fall Lolita Brieger der Täter seelenruhig sein ganzes weiteres Leben in unmittelbarer Nähe der Müllkippe, wo er sein Opfer verscharrt hatte, sowie in unmittelbarer Nähe der Familie des Opfers, zugebracht. Ein "psychischer Druck" welcher Art auch immer hat ihn ganz offensichtlich also nicht weiter gejuckt. Und der Mitwisser hat erst angefangen zu reden, als jedwede Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn aufgrund der Verjährungsfrist nicht mehr stattfinden konnten. So lange er noch hätte Konsequenzen tragen müssen, so lange konnte er mit der Tat auf dem Gewissen also gut leben...
Und die Liste der Fälle, in denen fünf oder mehr Jahre ins Land gegangen sind, ohne dass der Täter oder ein Mitwisser in irgendeiner Form eingeknickt wäre, die ist bekanntlich lang... exemplarisch seien hier der Fall Fourniret (Ehefrau als Mitwisserin/Tatbeteiligte) oder der Fall Knobloch genannt... Ersterer Täter wurde nur durch Zufall nach ca 20 Jahren des Mordens gefasst, weil ein Opfer entkommen ist, die Ehefrau hat dann angefangen zu reden, um für sich noch das Beste rauszuholen... Zweiterer Täter ist ja nach wie vor unbekannt und hatte überdies auch kein Problem damit, dass der Falsche an seiner Stelle verknackt wurde.
Ich habe während meines Studiums ein Praktikum bei der Kriminalpolizei absolviert und kann auch aus dieser Erfahrung heraus sagen: Dass jemand einknickt, weil ihm sein Gewissen zu schaffen macht, das kann man quasi vergessen. Kommt wohl so gut wie nie vor, auch unabhängig davon, ob eine Tat geplant war oder im Affekt geschah.
Man kann hier meiner Ansicht nach den Glauben an das Gute im Menschen getrost begraben und sollte nicht damit rechnen, dass ein eventueller Täter oder Gehilfe/Mitwisser heulend zusammenbricht. Solche Menschen besitzen weder ein Gefühl für Anstand, noch für Moral und sie werden sich den Konsequenzen für ihre Tat(en) deshalb auch entziehen, so lange dafür der Hauch einer Chance besteht. Schließlich käme für sie nichts Gutes dabei heraus, würden sie jetzt einknicken: Großes Medienecho mit lebenslanger Stigmatisierung, Ruf für immer ruiniert, dazu würden sie lebenslang (oder zumindest für sehr sehr lange Zeit) hinter schwedischen Gardinen verschwinden. Das tut sich doch nur jemand an, der von der Last seines Gewissens erdrückt wird und für den ein alternativer Suizid nicht in Betracht kommt. Ersteres kann man, wie gesagt, meiner Meinung nach ausschließen. Eine Flucht nach vorne findet nur statt, wenn ein Täter darin konkrete Vorteile für sich sieht, Stichwort: Schadensbegrenzung, meist in Form eines niedrigeren Strafmaßes. Sonst nicht.
Ich prophezeie mal, dass im Fall Gräff niemals irgendwer einknicken wird, es sei denn, er wird durch Beweise zweifelsfrei überführt und hat keine andere Wahl mehr, als zu gestehen. Dass solch eine Beweislage acht Jahre nach der Tat noch hergestellt werden kann, halte ich persönlich aber für ausgeschlossen. Weshalb ich darauf tippe, dass dieser Fall nie aufgeklärt werden wird - ganz gleich, was die Obduktion vielleicht noch ergibt. (Auch da hege ich keine großen Hoffnungen. Jedwede DNA-Spur, die jetzt vielleicht noch gesichert werden kann, wird ein halbwegs fähiger Anwalt vom Tisch wischen können.)
Ich für meinen Teil vermute ja eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zum Tod von TG geführt haben - in Form eines blöden Unfalls ohne Fremdbeteiligung oder einer fahrlässigen Tötung, eventuell in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung. (Und auch in diesem Fall schließe ich ein Einknicken des Täters/der Mitwisser aus... ob verjährt oder nicht, stellt euch die Auswirkungen vor, die ein Geständnis auf das weitere Leben dieser Leute hätte... auf ihr Sozialleben, auf das berufliche Fortkommen, auf eine Partnerschaft/Familie/Familiengründung... Ich bleibe dabei... wer die Wahl hat zwischen einer "Gewissensbereinigung" mit diesen Folgen oder einem "Ich ziehe den Kopf ein und setze mein Leben normal fort, als wäre nichts gewesen", der wählt Letzteres... zumal man TG ohnehin nicht wieder lebendig machen kann.)
Des Weiteren vermute ich, dass diese Verkettung unglücklicher Umstände so absurd/so wenig nachvollziehbar und/oder "lachhaft" sein könnte, dass weder wir hier, noch die Polizei darauf kommen...
Ausschließen tue ich persönlich gar nichts. Auch nicht, dass TG freiwillig alleine oder in Gesellschaft eines einzelnen, bis zu diesem Abend unbekannten Mannes zur Absturzstelle/zum Tatort gegangen ist, um dort rumzuknutschen oder mehr. Ich war selbst zu lange Studentin und auf zu vielen dieser Feten, um so etwas ausschließen zu können oder zu wollen. Beides ist für Studentinnen in den Zwanzigern absolut nichts Ungewöhnliches, auch nicht für solche aus "traditionellen" Elternhäusern. Bin wenige Jahre älter als TG, war auf dem Trierer FH-Fest 2006 und wäre 2007 fast auch dort gewesen, es kam dann aber was dazwischen. Zwischen dem, was Außenstehende (wir, die sie nicht persönlich kannten) und die Eltern wahrnehmen (solides gut erzogenes, angepasstes und etwas konservatives Mädel, das Taschen selbst näht, mit Anfang Zwanzig noch nie einen festen Freund hatte und das kaum/keine sexuelle Erfahrungen hat, und das alkohol - und drogenmäßig höchstens sehr moderat "über die Stränge schlägt") und dem, was tatsächlich Sache ist, können Welten liegen.
Das eben Genannte traf zB auch fast 100% auf mich zu, mit Ausnahme der selbst genähten Tasche. (Und ich habe nicht Lehramt, sondern Jura studiert.) Will sagen, wäre 2007 nicht TG, sondern ich verschwunden, wäre der Außen-Eindruck von TG`s Persönlichkeit und den Lebensumständen fast 1:1 auf mich übertragbar gewesen. Man hätte mich genau so geschildert... und total danebengelegen.
Meine "Studentinnen-Seite" war nämlich tatsächlich eine völlig andere, die durchaus auch fragwürdige/dunkle Aspekte aufwies, von denen nur mein unmittelbares studentisches Umfeld wusste. Und auch da waren so einige Dinge nur wenigen, teils niemandem bekannt. Meine Eltern zB hätten sich das nie träumen lassen und sich deshalb überall ganz ähnlich über mich geäußert wie TG`s Eltern über ihre Tochter.
Will sagen, dass es schwierig ist festzustellen, TG`s Persönlichkeit war so oder so und dieses oder jenes würde nicht zu ihrer Persönlichkeit passen. Sie kann, wie viele andere Leute auch, zwei Seiten gehabt haben, ohne dass die Eltern/der frühere Freundeskreis von dieser zweiten Seite wussten. Ein Indiz dafür könnte(!) die Zuwendung zur DM-Szene sein.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Studenten - interessanterweise insbesondere jene aus gutbürgerlichen, konservativen Verhältnissen - mit Beginn des Studiums regelrecht aufblühen und eine solche zweite "wild child"-Persönlichkeit entwickeln, die mit der ersten/den Eltern weiterhin gezeigten Persönlichkeit nichts zu tun hat.
(Nur vorsichtshalber sei angemerkt, dass ich mit dem eben Ausgeführten TG weder schlecht machen, noch zum Ausdruck bringen will, sie sei selbst schuld oder trage Mitschuld an einem eventuellen Tötungsdelikt. Ich möchte lediglich aufzeigen, dass TG`s Persönlichkeit durchaus anders/vielfältiger facettiert gewesen sein könnte, als allgemein angenommen wird. Da ich dazu noch nicht viel gelesen habe. Wodurch dann auch Geschehensabläufe denkbar werden, die von vielen mit der Begründung "Es passt nicht zu ihrer Persönlichkeit" bisher ausgeschlossen werden.)