Mordprozess Lolita Brieger - Eifeler Landwirtschaftsmeister wurde 30 Jahre nach der Tat freigesprochenTrier/Scheid/Frauenkron (boß) Montag kurz nach 15.30 Uhr im Trierer Landgericht. Hochspannung unter den über 100 Zuschauern in und vor dem Saal 70. Dann: "Im Namen des Volkes wird der Angeklagte freigesprochen!", so die Vorsitzende Richterin des 1. Schwurgerichts Petra Schmitz bei der Urteilsverkündung im sogenannten "Mordfall Lolita Brieger". Keine hörbaren Reaktionen im Publikum, nachdenkliche Betroffenheit kehrte ein.
In einem der aufsehenerregendsten Mordprozesse in der deutschen Justizgeschichte gegen einen Nichtprominenten konnten dem 51-jährigen Josef K. aus Scheid (Vulkaneifelkreis) die Mordmerkmale "Heimtücke" und "niedrige Beweggründe" nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Die Vorsitzende Richterin stützte sich bei ihrem Urteil auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Von seiner Schuld war das Gericht dennoch überzeugt, aber es blieb mangels Beweisen "nur Totschlag übrig". Dieser ist nach 20 Jahren verjährt.
Für die einen ein Sieg der Rechtstaatlichkeit und ihres Grundsatzes "in dubio pro reo", für die anderen eine Niederlage der Gerechtigkeit und ein nicht nachvollziehbares Urteil.
Die Kammer hat die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt mit Ausnahme der notwendigen Auslagen des Angeklagten, die er selbst tragen muss. Ein Anspruch auf Entschädigung für die Untersuchungshaft besteht nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der seit dem 9. September 2011 in Untersuchungshaft sitzende Landwirtschaftsmeister konnte nach dem Urteilsspruch das Gericht als freier Mann verlassen und zu seinem Bauernhof nach Scheid zurückkehren. Während des gesamten Verfahrens seit dem 6. März hatte Josef K. zur Person und zur Sache eisern geschwiegen und zeigte auch bei dem für ihn günstigen Urteil keinerlei Regung. Er schaute wie gewohnt vor sich auf seine gefalteten Hände. Auch bei seinen Verteidigern hielt sich die Begeisterung in Grenzen, denn es muss wohl auf Antrag der Staatsanwaltschaft und Nebenklage mit einer Revision beim BGH gerechnet werden, so dass es durchaus möglich ist, dass die Sache an eine andere Kammer beim Landgericht Trier zurückverwiesen und dann das Ganze neu aufgerollt wird. Rechtsanwalt Heinz Neuhaus nüchtern: "Wir freuen uns, dass er freigesprochen wurde. Unser Rechtssystem hat einmal mehr gezeigt, dass es eines der besten Systeme dieser Erde ist."
Der Staatsanwalt und der Vertreter der Nebenklage waren nach den polizeilichen Ermittlungen und der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass Josef K. am 4. November 1982 seine damals im 5. Monat schwangere Freundin Lolita Brieger (18) ermordet hat. Er habe sich mit ihr in einen abgelegenen Geräteschuppen in der Nähe des elterlichen Anwesens in Scheid begeben und seine ahnungs- und wehrlose Freundin von hinten mit einem Eisendraht erdrosselt. Anschließend habe er die Leiche in eine Silofolie gewickelt und ein oder zwei Tage später auf der damaligen Mülldeponie von Frauenkron vergraben, so die Anklage.
Bei Vernehmungen als Beschuldigter in den Jahren 1984 und 1987 hatte der Angeklagte die Tat jeweils bestritten. Erst durch eine "Aktenzeichen XY … ungelöst"-Sendung im vergangenen Jahr kam wieder Bewegung in die Sache. Sein ehemaliger Betriebshelfer und Freund Michael S. hatte bei der Polizei ausgesagt, dem Angeklagten bei der Beseitigung der Leiche geholfen zu haben. Der Landwirt hatte auch gegenüber dem Zeugen davon gesprochen, dass er Lolita erwürgt bzw. erdrosselt habe.
Am 9. September 2011 kam dann Josef K. unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Die sterblichen Überreste Lolitas konnten am 19. 10. 2011 schließlich nach einer intensiven Suche auf dem Gelände der ehemaligen Mülldeponie Frauenkron gefunden werden.
Die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz beleuchtete in ihrer einstündigen Urteilsbegründung nochmals den fast 30-jährigen Werdegang des Falles in allen Details und erläuterte die schwierigen familiären und partnerschaftlichen Verhältnisse Josef Ks mit zwei Ehefrauen und mehreren Lebensgefährtinnen, unter ihnen auch das Opfer. Nicht alle Zeugenaussagen seien verwertbar gewesen oder sie hätten den Angeklagten in seiner Persönlichkeit nach gescheiterten Beziehungen in späteren Jahren geschildert und nicht den 21-Jährigen, der er zur Tatzeit war. Auch hätten seine Ex-Ehefrauen und Verwandten die Aussage verweigert und im Laufe des Verfahrens seien zudem noch viele "Legendenbildungen" zutage getreten.
Die zunächst innige Freundschaft und intime Beziehung zu Lolita Brieger sei im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden, da der Vater wegen der sozialen Unterschiede strikt gegen das Verhältnis war. So habe die 18-Jährige in dieser Zeit auch zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. "Letztendlich kam es am 3.11.1982 in der Wohnung in Jünkerath zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf sich der Angeklagte von Lolita Brieger trennte. Zum letzten Mal ist Lolita am Nachmittag des 4. 11. 1982 von verschiedenen Zeugen in der Nähe des Hofes ihres Freundes gesehen worden, nachdem sie von einer Arbeitskollegin in Hallschlag an der Kreuzung abgesetzt worden war", erläuterte die Richterin. Sie habe vorgehabt, mit ihrem Freund und dessen Eltern über die Beziehung und die Versorgung des Kindes zu sprechen.
Das Erdrosseln von hinten mit einer Drahtschlinge sei möglicherweise denkbar, so die Richterin, sei aber aufgrund der vorgefundenen Beweise und Sachverständigengutachten nicht nachweisbar. Auch viele andere Möglichkeiten seien als Todesursache denkbar gewesen, zum Beispiel Ersticken, ein Stoß mit Fall oder Erwürgen von vorne. Zudem habe es keine Anhaltspunkte auf Gewalteinwirkung an den sterblichen Überresten oder Blutspuren an der Kleidung gegeben, fasste die Richterin ihre Zweifel bezüglich der Mordmerkmale zusammen.
Im Grunde genommen gab es auch keinen konkreten Tatort, an dem man Spuren hätte sichern können. Der gepachtete Schuppen, von dem aus die Leiche seinerzeit abtransportiert wurde, war mittlerweile verkauft, abgerissen und neu aufgebaut worden. Auch existierten keine unmittelbaren Tatzeugen und kein Geständnis, es gab widersprüchliche Aussagen und einen langen Zeitraum über drei Jahrzehnte vom Verschwinden Lolita Briegers bis zum Auffinden der sterblichen Überreste.
Eine Abkehr von der Mordanklage war bereits zu spüren gewesen, als die Richterin nach der Beweisaufnahme ankündigte, man müsse sich auch auf eine rechtliche Würdigung nach §212 StGB – Totschlag – einstellen.
Da das Verfahren gegen den Angeklagten am 13. 10. 1987 eingestellt worden war und erst am 15. 10 2008 wieder aufgenommen wurde, ist die Verjährungsfrist für Totschlag bereits ein Jahr zuvor eingetreten. Eine im Mai 2002 eingeleitete Ermittlung lief gegen Unbekannt und konnte daher die Verjährungsfrist gegen Josef K. nicht unterbrechen.
Staatsanwaltschaft und Nebenklage zeigten sich enttäuscht, dass das Gericht ihren Begründungen zu den Mordmerkmalen nicht gefolgt ist und wollen nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung eventuell in Revision gehen.
Für die Nebenklägerin und Schwester Petra Brieger aus Frauenkron brach bei dem Freispruch eine Welt zusammen: "Das ist auf jeden Fall keine Gerechtigkeit. Das ist eine Ohrfeige für unsere Mutter! Die Wunde ist wieder ein bisschen aufgerissen. Aber wir werden jetzt nach vorne schauen und nicht zurück. Das ist ja nicht mehr zu ändern. Was bleibt uns sonst übrig…", so Lolitas Schwester gegenüber unserer Zeitung.
Ein Schlussstrich ist aber unter den Fall Lolita Brieger vorläufig nicht zu ziehen. Hinter den Kulissen in der Region am Dreiländereck Rheinland-Pfalz/Nordrhein-Westfalen/Belgien wird es weiter brodeln. Da kennt jeder jeden, war aus dem Publikum zu hören. Und auch der Bundesgerichtshof hat ja wahrscheinlich noch ein wichtiges Wörtchen mitzureden.
Quelle: input aktuell - news, 12.06.2012
Link:
http://www.input-aktuell.de/mainframe.asp?n=1&newsid=37954