München
Der Rekord-Prozess
Abendzeitung, 18.06.2008 18:48 Uhr
Ermordet: Charlotte BöhringerFoto: az
MÜNCHEN - Es ist ein Mammut-Prozess: An 78 Verhandlungstagen wurden über 100 Zeugen vernommen – aber zweifelsfrei ist Benedikt T. immer noch nicht nachgewiesen worden, dass er seine Tante Charlotte Böhriger umgebracht hat. Die Indizien- Kette ist dünn.
An 78 Verhandlungstagen wurden über 100 Zeugen vernommen, 70 Beweisanträge vorgetragen, sieben Befangenheitsanträge gegen das Gericht gestellt, zirka 20000 Seiten Aktenmaterial gewälzt und 100000 Euro für wichtige Hinweise ausgelobt – aber im Mordfall Charlotte Böhringer († 59) scheint es keinen eindeutigen Durchbruch zu geben, um den mutmaßlichen Mörder Benedikt T. zweifelsfrei als Täter zu überführen.
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Der Rekord-Prozess geht langsam dem Ende zu – und an der Indizienkette kommen Zweifel auf. Zuhörer wie Prozessbeobachter sagen: „Nachdem, was vorgetragen wurde, kann man den Angeklagten nicht ohne Bedenken verurteilen.“
50 Millionen Euro Erbe
Wird Benedikt T. aus Mangel an Beweisen bald als Millionär seine Gefängniszelle in Stadelheim verlassen? Sollte sich herausstellen, dass der Angeklagte seine millionenschwere Tante nicht erschlagen hat, dürfte er das Erbe antreten. Das Imperium der getöteten Parkhaus-Millionärin wird auf 50 Millionen Euro geschätzt. Allein das Parkhaus erwirtschaftet monatlich rund 40000 Euro.
Rückblick: Böhringer wurde am 15. Mai 2006 in ihrem Penthaus über dem Parkhaus, Baaderstraße 6, erschlagen aufgefunden. Drei Tage später saß ihr Lieblingsneffe Benedikt T. in U-Haft. Motiv: Tante Böhringer war sauer, weil der Angeklagte sein Jura-Studium hinter ihrem Rücken abgebrochen hatte. Sie soll gedroht haben, ihn zu enterben. Die Beweise der Anklage stützte sich auf eine Reihe von Indizien.
Die Indizien
Fingerabdrücke und DNA-Material vom Angeklagten in der Tatort-Wohnung und am Testamentsumschlag.
Die Vielzahl der tödlichen Schläge deuten auf eine Beziehungstat hin. Die Tatwaffe (Axt oder Hammer) wurde nie gefunden.
Blutspuren im Auto des Angeklagten.
Blutspuren am Fahrradlenker des Angeklagten.
Ein 500-Euro-Schein aus der Brieftasche des Angeklagten. Darauf fand man Blutspuren, die sowohl vom Angeklagten als auch vom Opfer stammen.
Zeugen aus der Münchner High-Society, in der sich Böhringer gerne aufhielt. Sie wussten angeblich von einem Streit zwischen Böhringer und Benedikt T.
Zeugen gaben der Anklage kaum Gewicht
Aber die prominenten Zeugen wie Feinstkost-König Gerd Käfer, Gräfin Beatrix von Schonburg-Glauchau (Mutter von Fürstin Gloria), Paulaner-Wirt Putzi Holenia nebst Gattin Ingrid und Society-Lady Ingrid Pfeifer gaben der Anklage kaum Gewicht. Außer Tratsch und Klatsch war nichts gewesen. Die kinderlose Witwe Böhringer habe nur das Beste für ihren Ziehsohn „Beni“ gewollt. Sie sei deshalb manchmal streng mit ihm gewesen. Von Enterbung habe Böhringer zwar manchmal gesprochen, aber man ahnte, dass sie es nicht so ernst meinte: „Mei, sie war halt impulsiv.“ Ein Promi wäre beinahe mit seinem unkontrollierten Geschwätz in Beugehaft gekommen.
Die vielen Fingerabdrücke in näherer Umgebung konnten die Verteidiger Peter Witting und Stefan Mittelbach dadurch erklären, dass ihr Mandant schließlich bei seiner Tante im Büro jobbte und Zugang zum Penthaus hatte.
Letztendlich blieben die Blutspuren. Doch kurz vor Weihnachten 2007 gerieten auch diese Beweise ins Wanken. Die DNA-Spezialistin Dr. Katja Anslinger von der Münchner Rechtsmedizin sagte zur Spur am 500-Euro-Schein: „Wir konnten nicht feststellen, ob das Blut auf diesem Schein von Böhringer stammt.“ Auch die Blutspuren im Auto und Fahrradlenker wurden von Dr. Anslinger als „No Match“ eingestuft: „Kein menschliches Blut.“
Eiligst wurde die Gerichtsmediziner in den Zeugenstand zitiert, die im Wagen des Angeklagten menschliches Blut per Luminoltest gefunden hatte. Bei der neuen Befragung stellte sich heraus, dass der Test sogar auf Rost, Reinigungsmittel, Gemüse oder Fruchtsäfte positiv reagiert. Fehlerquellen seien möglich.
Ermittler und Verteidigun schweigen
Immer noch ungeklärt ist, wie zwei DNA-Spuren aus dem Mordfall Ursula Herrmann (†10), der 27 Jahre zurück liegt, in die Tatort-Wohnung gelangen konnten. Als die AZ exklusiv berichtete, dass ein Polizist absichtlich die Spuren aus dem Fall Herrmann auf die Asservate im Fall Böhringer gesetzt haben könnte, schwiegen die Ermittler und die Verteidigung. Die hofft noch, dass der Böhringer-Mörder aus dem Umfeld im Fall Herrmann kommen kann. Aber nach der Festnahme von Werner M. (58) und einem negativen DNA-Abgleich schwindet die Hoffnung immer mehr. Verteidiger Witting meinte aber: „Es gibt sicher noch Mittäter im Fall Herrmann, die bis jetzt noch nicht ermittelt sind.“
Was gegen den Angeklagten spricht, ist sein beharrliches Schweigen. Das kommt gerade bei dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl nicht gut an. Götzl und dessen Kammer verhandeln täglich Kapitalverbrechen. Sie sind es gewohnt, dass die Angeklagten freiwillig ihre intimsten Geheimnisse preisgeben, um wenigstens ein bisschen menschlich zu wirken. Dabei verstricken sich die Angeklagten oft in Widersprüche, in die sich Spitzen-Jurist verbeißen.
Obwohl die Indizienkette nach über einem Jahr Verhandlung Risse zeigt, hat die Verteidigung kaum Hoffnung auf einen Freispruch: „Gutachten kann man so oder so auslegen. In unseren Augen ist der Richter und die Kammer befangen. Sie haben sich bereits eine Meinung zum Nachteil unseres Mandanten gebildet.Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird unser Mandant verurteilt.“ Für den Fall kündigt die Verteidigung bereits Revision an.
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.muenchen-der-rekord-prozess.10b589f5-f9fb-4fab-ae79-e3bf97aad954.htmlDiesmal aus der "Abendzeitung"