@Andreas45 Andreas45 schrieb:Verstehe nur nicht, warum sich das Gericht zuerst solcher Dinge verschlossen hat.
Schwer zu sagen, weil mir dazu keine Fakten vorliegen. Hier kann ich nur spekulieren (also reine Meinung):
Wenn man sich den Massei-Report durchliest, stehen einem die Haare zu Berge. Normalerweise müsste ein Richter die ihm vorgelegten Beweise neutral bewerten und eine Verurteilung erst dann in Betracht ziehen, wenn die Schuld jenseits aller begründeten Zweifel erwiesen scheint. Massei geht den umgekehrten Weg. Für ihn steht die Schuld fest, deshalb interpretiert er alle vorliegenden Fakten stets in der Weise, die Amanda Knox Täterschaft implizieren, egal wie unwahrscheinlich seine Annahmen dadurch werden. Das hat er mit dem Küchenmesser gemacht, dessen Anwesenheit am Tatort er nur dadurch erklären konnte, indem er Amanda Knox eine Furcht vor nächtlichen Übergriffen auf offener Straße andichtete. Das 30 Zentimeter lange Messer in der Handtasche sollte zur Selbstverteidigung dienen (Massei S. 376). Beweise hat er keine, nur Unterstellungen.
Was den Magen- und Darninhalt angeht, tritt er die Wissenschaft mit Füßen. Er zitiert Aussagen von Experten, die besagen, daß es drei, vier fünf oder mehr Stunden dauern kann, bis der Magen vollständig entleert ist. Das ist zwar richtig, nur ist das nicht das entscheidende Kriterium. Es geht nicht darum, wann der Magen leer ist, sondern, wann das erste Material in den Zwölfingerdarm transportiert wird. Und das geschieht eben lange bevor der Magen vollständig entleert ist.
Er verweist auch darauf, daß Untersuchungen des Mageninhalts nur ungenaue Daten zum Zeitpunkt des Todes liefert und daß er von vielen Faktoren abhängt: Fett- und Zuckergehalt, Außentemperatur, Alkoholkonsum und Stress. Auch richtig. Aber deswegen kann man ja nur ein Zeitfenster nennen, keinen genauen Zeitpunkt. Und dieses Zeitfenster ist eben dicht um 23:30
Zu dem missglückten Anruf bei der Bank schreibt Massei (S.330):
"Nothing compels [us], among the circumstantial evidence available, to consider that
the assault took place in the minutes between 21.58 and 22.00 of 1.11, and not rather
merely moments of relaxation during which Meredith Kercher, still alone in the
house and probably just lying on her own bed, was absent-‐‑mindedly playing with
the mobile phone in her hand."
Meredith liegt also alleine auf ihrem Bett und spielt geistesabwesend mit ihrem Telefon. Ja, nichts zwingt das Gericht, etwas anderes zu glauben. Aber nur ein Umstand zwingt es, genau das anzunehmen, nämlich die Notwendigkeit, eine Verurteilung zu rechtfertigen. Aber um jemanden lebenslänglich wegen Mordes zu verurteilen, ist diese Annahme einfach zu dünn.
Was die Verbindung um 22:13 betrifft, genügt ihm die Aussage des Beamten Pellero, daß man das Signal der Station Strada Vicinale Ponte Rio Monte la Guardia im Garten des Hauses empfangen kann (im Schlafzimmer hat er natürlich nicht gemessen, macht eigentlich auch nur einer der Beamten in Perugia seine Arbeit richtig?), um vorauszusetzen, daß das Telefon noch im Hause war. Daß die Wahrscheinlichkeit extrem dagegen spricht - keine der fünf Anrufe von Meredith Kercher am Nachmittag wurde von dieser Station weitergeleitet, noch ist sonst irgendeine Verbindung bekannt - interessiert ihn nicht; "It is possible, therefore probable". Gerade in diesem entscheidenden Augenblick übernimmt eine andere Station die Verbindung, die es sonst nie getan hat. Was ist wahrscheinlicher? Daß ein solches Ereignis eintritt, kurz bevor das Telefon vom Haus wegbewegt wird, oder daß das Telefon bereits vom Haus wegbewegt wurde?
Der Massei-Bericht stotzt geradezu vor solchen logischen Verrenkungen.
Über die Motive des Giancarlo Massei kann ich nur rätseln. Vielleicht hatte er eine Absprache mit Staatsanwalt Mignini, vielleicht war er nur feige und wollte nicht für den Freispruch der Angeklagten in diesem heftig umstrittenen Fall verantwortlich sein. Eine Berufung ist im italiensichen Rechtssystem ja sicher und er konnte die Verantwortung bequem auf Richter Hellmann abschieben.