@Schimpanski,
@Itsneverbow Schimpanski schrieb:Aber das gibt unheimlich viel Sinn: Die bewusste Beschuldigung eines Unschuldigen des Mordes als starkes Indiz für meine eigene Unschuld.
Nunja,
@Siegfrieden hat oben ja schon einen Teil der Antwort angedeutet. Aber ich erkläre es gern nochmal genauer:
Immer wird gefragt, warum Frau Knox Patrick Lumumba belasten soll, wenn sie doch unschuldig ist. Die intelligentere Frage ist jedoch, warum sie es tun sollte, wenn sie [/b]in der Tat schuldig[/b] ist.
Nun, die offizielle Linie der Polizei ist ja, daß Frau Knox mit der Rücknahme ihres Alibis durch Raffaele Sollecito konfrontiert wurde, und daraufhin spontan Patrick Lumumba aus dem Hut zauberte.
In bin der Meinung, das Bestreben eines Unschuldigen in so einer Situation ist es, jegliche Strafe abzuwenden. Er weiß ja, daß er unschuldig ist, und jede noch so geringe Strafe für eine Tat, die er nicht begangen hat, würde er als großes Unrecht empfinden. Solange er also noch Hoffnung hat, seine Unschuld würde ihn schützen, wird er auf keinen Deal eingehen der Art "Information gegen Strafnachlass".
Der Schuldige dagegen weiß, daß er mit einer harten Bestrafung zu rechnen hat, sollte man ihm die Tat nachweisen können, und da er schuldig ist, weiß er ebenso, daß für Letzteres durchaus die prinzipielle Möglichkeit besteht. Sein primäres Ziel ist es also, die drohende Strafe möglichst zu mindern, im Idealfall natürlich bis zu einer Freilassung.
Das führt zu der paradoxen und auch etwas perversen Situation, daß unschuldig Verurteilte keinen Strafnachlass erhalten, da sie keine Reue zeigen. Aber wie sollten sie auch? Die wahren Täter werden belohnt.
Gehen wir mal für den Moment davon aus, daß die Polizei die Wahrheit spricht und Amanda Knox auch tatsächlich die eiskalte, berechnende, rassistische Killerin ist, als die man sie immer hinstellen will. Sie hat soeben ihr Alibi verloren und die Polizei verdächtigt sie. Welche Möglichkeiten hat sie nun? Und vor allem: Wem kann sie die Hauptverantwortung für den Mord in die Schuhe schieben?
Etwa Möglichkeit Nummer 1: Patrick Lumumba?
Nun, wenn Frau Knox tatsächlich schuldig ist, weiß sie auch, daß Patrick Lumumba nicht vor Ort war und damit auch nicht an der Tat beteiligt. Die Polizei wird also kaum Anhaltspunkt finden, die ihre Anschuldigung stützt. Schlimmer noch: sie weiß nicht, was Patrick Lumumba in der fraglichen Zeit tatsächlich getan hat. Am Ende ist er in der Lage, ein Alibi beizubringen. Dann ist ihre Geschichte geplatzt und sie bekommt obendrein noch eine Strafe wegen falscher Anschuldigung aufgebrummt. Statt daß sich das Strafmaß verringert, erhöht es sich noch. Das sind also eher unvorteilhafte Aussichten.
Das ist auch der Grund, warum die meisten Schuldigen in so einer Situation auf die Möglichkeit Nummer 2 verfallen: "Der Große Unbekannte"
Den "Großen Unbekannten" zu beschuldigen hat einen großen Vorteil: er kann sich nicht wehren. Er wird nicht namentlich benannt, er kann seine Unschuld nicht beweisen und wird auch nie mit einer Verleumdungsklage zurückschlagen.
Rudy Guede hat genau diese Taktik angewendet. In seinen überwachten Skype-Konversationen mit Giacomo Benedetti hat er genau den "Großen Unbekannten" vorgeschoben. Ein Mann, den er nicht kennt (und dessen Beschreibung nicht auf Raffaele Sollecito passt), hat Meredith Kercher umgebracht, als Guede gerade ganz unschuldig auf der Toilette saß. Der Mann hat ihn mit einem Messer attackiert und soll die Worte "Ein Schwarzer am Tatort ist ein schuldiger Schwarzer" gerufen haben, bevor er entfleuchte.
Amanda Knox sei explizit nicht am Tatort gewesen. Natürlich sagt er das. Daß Rudy Guede am Tatort war, ist so gut wie unbestreitbar. Also weiß er auch, wer noch dort ist, und wer nicht. Zum damaligen frühen Zeitpunkt hatte er keine Ahnung, ob Frau Knox ihre Abwesenheit beweisen hätte können, deswegen ist er das Risiko, den Mord ihr anzulasten und dafür eine Extra-Strafe zu bekommen, nicht eingegangen, ganz im Einklang mit meiner Hypothese oben. Später, als er auf der sicheren Seite war, hat er seine Aussage natürlich geändert.
Aber Frau Knox hätte als Tatbeteiligte gar nicht auf den "Großen Unbekannten" zurückgreifen müssen, ihr steht ja noch Möglichkeit Nummer 3 offen: Raffaele Sollecito
Raffaele Sollecito war nicht nur das Alibi von Amanda Knox, sie war auch seines. Seinen Verbleib zur Tatzeit kennt sie, sei es, daß sie ihn im Bett zurückgelassen hat, sei es - noch besser -, daß er tatsächlich bei der Tat anwesend war. Sie kennt ihn gerade Mal eine Woche und als brutale Mörderin hat sie bestimmt keine Skrupel, ihn den Löwen vorzuwerfen. Als Täter ist er allemal so brauchbar wie Patrick Lumumba, jedes Motiv, welches man Letzterem unterschieben kann, funktioniert ähnlich gut auch bei Herrn Sollecito. Zudem hat er sich selbst verdächtig gemacht, indem er ihr ein falsches Alibi gegeben hat. Warum dann nicht den Spieß umdrehen?
Und dann gibt es natürlich noch Möglichkeit Nummer 4: Rudy Guede
Als Täterin weiß Amanda Knox natürlich von Rudy Guedes Anwesenheit am Tatort und damit auch, daß dieser ebenso wenig ein Alibi hat, wie Raffaele Sollecito. Mehr noch, wenn Raffaele Sollecito ebenfalls anwesend war, dann weiß auch er von der Existenz Guedes. Eben hat er das Alibi platzen lassen, Frau Knox hat keine Ahnung, was Herr Sollecito der Polizei noch erzählen wird. Es macht einen ganz schlechten Eindruck, Raffaele Sollecito zu belasten, einen weiteren Mittäter aber zu verschweigen, während der andere das nicht tut.
Selbst wenn Herr Sollecito nicht anwesend war und von Rudy Guede nichts weiß, bringt es nichts dessen Existenz zu verschweigen. Angst, er können sie im Gegenzug verraten, wie
@Schimpanski meint? Bitte, was soll er denn noch verraten? Etwa daß sie am Tatort war? Das gibt sie mit ihrer Aussage eh zu, egal ob sie Lumumba oder Guede vorschiebt. Und muss man die Retourkutsche eines Mörders wirklich fürchten?
Und dann weiß sie, daß es jede Menge Spuren von Guede geben muss. Sie hat seine Hinterlassenschaft in der Toilette gesehen und nicht weggespült, sie hat den Fußabdruck auf der Matte gesehen und nicht vernichtet. Und dann soll sie ihn plötzlich schützen, aus Angst, er könne irgendetwas verraten? Absurd.
Ach ja, und wenn man ihr noch rassistische Motive unterschieben will, dann ist die Beschuldigung Rudy Guedes allemal so befriedigend, wie die von Patrick Lumumba.
Fazit:
Patrick Lumumba ist für eine schuldige Amanda Knox nicht die logische Wahl.
Selbst wenn man voraussetzt, daß Frau Knox in jener Nacht nicht alle Aspekte durchdacht hat, die ich eben dargelegt habe, bleibt dennoch als Erkenntnis:
Patrick Lumumba ist für eine schuldige Amanda Knox noch nicht einmal eine naheliegende Wahl.Rudy Guede, Raffaele Sollecito oder eben der "Große Unbekannte" drängen sich viel eher auf.
Bei einer unschuldigen Amanda Knox sieht das allerdings ganz anders aus:
Von Rudy Guedes Beteiligung hat sie keine Ahnung. Bei Raffaele Sollecito kann sie die Unschuld mit ziemlicher Sicherheit voraussetzen. Beide fallen also aus.
Wenn sie schon jemanden nennen muss, dann jemand, von dessen Unschuld sie zum damaligen Zeitpunkt keine Kenntnis haben kann. Jemand, der potentiell schuldig sein kann und einen Namen hat. Jemand, von dem sie ehrlich annehmen kann, daß er tatsächlich der Täter ist. Und wer liegt da näher, als die Person, die ihr von der Polizei bereits suggeriert wird? Die Person, von der die Polizei schon behauptet, er sei ein Mörder? Wenn es schon die Polizei sagt, wer ist man dann, ihr zu widersprechen?
Und darum meine Schlussfolgerung:
Der Umstand, daß Amanda Knox ausgerechnet jemanden wie Patrick Lumumba beschuldigte, ist ein deutliches Indiz für ihre Unschuld.