Der Yogtze-Fall
28.01.2013 um 18:54Hallo,
seit einiger schon verfolge ich die Diskussion, nachdem ich irgendwann durch Zufall auf diese Geschichte aufmerksam wurde.
Die Sauerland-Autobahn A45 kenne ich wie meine Westentasche und bin –zig mal an der besagten Stelle vorbeigekommen, ohne daß ich jemals zuvor von diesem Fall gehört hatte.
Sieht man einmal von diesem komischen Wort auf dem Zettel ab, wofür auch ich keinen Ansatz einer Erklärung habe, sofern es überhaupt mit dem Verbrechen zu tun hat, so erscheint mir dieser Fall um den Tod des Herrn Günther Stoll gar nicht so sehr mysteriös, wie es dargestellt wird. Reiht man alle uns bekannten Fakten aneinander, so ergibt sich eigentlich ein recht schlüssiges Bild, was dort passiert sein könnte:
Kurz zusammengefaßt:
Ein arbeitsloser Mann hat sich auf krumme Geschäfte mit einer skrupellosen Verbrecherbande eingelassen. Diesen schuldete er Geld, welches er nicht hatte. Die späteren Täter übten zunächst massiven Druck auf ihn aus, doch nachdem sie erkannten, daß bei ihm nichts zu holen ist, wurde er für sie zum Risiko und sie sahen sich veranlaßt, ihn als Mitwisser zu beseitigen. Dabei müssen sie massive Gründe gehabt haben, den Mord an ihm als Verkehrsunfall zu kaschieren, um Ermittlungen im persönlichen Umfeld von G.Stoll unter allen Umständen zu vermeiden. Dies wäre ihnen auch beinahe gelungen, wären für die Täter dabei nicht zwei Dinge schiefgelaufen: Sie wurden bei der Tat gestört und ihr Fluchtfahrzeug fiel aus.
Die Einzelheiten:
Ich gehe davon aus, daß der Schlüssel zu der Tat in der ominösen Kneipe in Wilnsdorf liegt und daß die Täter aus dem Raum Siegen stammten. Hier kam Stoll mit der Bande in Kontakt und hier traf man sich regelmäßig.
Den Ablauf des Geschehens in der besagten Nacht stelle ich mir folgendermassen vor: Der Vorfall mit dem Hocker war die erste Warnung, um der Geldforderung Nachdruck zu verleihen. G. Stoll fiel nicht um, sondern er wurde geschlagen. Wirt und Zeugen haben bei der späteren Vernehmung aus Angst gelogen.
Als letzten Ausweg fiel Stoll dann wohl die alte Dame in Haiger ein, um sich von ihr das Geld zu borgen. Sie kannte ihn ja von früher, er hatte sie als stets hilfsbereit in Erinnerung und alte Omas sollen ja oft so einen Sparstrumpf unterm Bett haben. Also ließ ihn die Bande dorthin fahren, mit der Auflage, sich noch in derselben Nacht wieder bei ihnen zu melden. Doch die alte Frau wies ihn ab und er mußte mit leeren Händen zurückkehren.
Für das was nun passierte gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder, man gab ihm als letzte Chance die Möglichkeit, seine Schulden durch einen neuen „Auftrag“ abzuarbeiten. Die Anweisungen dafür sollten ihm aber an einem anderen, fernen Ort erteilt werden und dazu müsse der „Chef“ der Bande hinzugezogen werden, der sich weiter entfernt aufhält. Oder diese Option war nur ein Trick, um ihn zum späteren Tatort zu locken, der sich in sicherer Entfernung befinden sollte. In jedem Fall aber, jetzt oder später, erklärte sich G. Stoll dazu außerstande, wollte nicht mehr mitmachen, machte evtl. eine unbedachte Äußerung, z. B. er könne ja zur Polizei gehen, so daß damit sein Schicksal besiegelt war.
Wie wir bereits gelesen haben, spricht vieles dafür, daß Tatort und Fundort nicht allzu weit auseinander liegen. Nächtliche Autobahnparkplätze ohne Rastanlage bieten immer ein hohes Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden. Denn hier ist das Opfer schutzlos ausgeliefert und der Täter hat beste Fluchtmöglichkeiten. Ich gehe fest davon aus, daß die Tat auf einem solchen Parkplatz an der A45 Richtung Hagen verübt wurde, und zwar nicht allzu weit vor der Abfahrt Hagen-Süd, dem späteren Fundort.
Doch wie kamen Günther Stoll und sein Auto dorthin? Trat er seine letzte Fahrt noch freiwillig an? Wurde er in seinem Auto entführt? Oder mit vorhaltener Waffe gezwungen, auf die Autobahn Richtung Hagen/Dortmund einzubiegen, während das zweite Fahrzeug mit den übrigen Bandenmitgliedern hinterherfuhr?
Wir wissen es nicht, denn für diesen Zeitabschnitt fehlen wichtige Zeugen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit muß der Golf noch vorher betankt worden sein, denn der Tank des Golf 1 faßt nur 40 Ltr, die Tankanzeige steht bei diesem Auto oft schon auf „leer“, auch wenn noch knapp 100 km drin sind und die weite Strecke war von Stoll gewiß nicht geplant. Viele Tankstellen, die zu nächtlicher Stunde noch geöffnet haben, kommen auf der Strecke nicht in Frage, so daß es hier Zeugen gegeben haben müßte. Ebenfalls wissen wir nicht, warum der weit entfernte Tatort gewählt wurde, z. b. weil die Täter sich dort sicherer fühlten oder ob sie in der Gegend von Hagen bzw. Ruhrgebiet einen weiteren Wirkungskreis hatten, andererseits sich dieser zügig über die Autobahn erreichen ließ.
Zur Tat selbst: Das Entkleiden vor dem gewaltsamen Überfahren macht in zweierlei Hinsicht Sinn, denn das Opfer sollte schwere tödliche Verletzungen erleiden, die Kleidung aber unversehrt bleiben. Denn die Täter hatten natürlich vor, ihn hinterher wieder angekleidet hinter das Steuer seines demolierten Autos zu setzen, um so einen ganz normalen Verkehrsunfall vorzutäuschen. Aber mit zerfetzten und ölverschmierten Klamotten hätte das wenig überzeugend gewirkt. Daß andererseits am Tatfahrzeug verräterische Faserspuren zurückgeblieben wären, kann ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Als Mordwaffe wurde bestimmt nicht der Lieblings-Rolls-Royce des Bandenchefs verwendet, sondern eher ein gestohlenes Auto mit gefälschten Kennzeichen, was zu besorgen für Berufsverbrecher kein Problem ist. Ein solches hätte notfalls auch am Tatort zurückbleiben können. Ich schließe nicht aus, daß auch noch ein drittes Fahrzeug im Spiel war. Die schweren Verletzungen deuten darauf hin, daß das Opfer mehrfach überfahren wurde, wahrscheinlich vorwärts und rückwärts bis es hätte tot sein sollen. Hierbei muß nun etwas dazwischen gekommen sein, was die Täter nicht eingeplant hatten. Sie mußten das Massaker abbrechen, weil sich entweder Scheinwerferlicht eines unbeteiligten Fahrzeugs näherte, das Tatfahrzeug fahrunfähig wurde oder das Bandenmitglied am Steuer, plötzlich von der eigenen Brutalität erschüttert, die Panik bekam und davonbrauste, so daß seine Freunde nun zusehen konnten, wie sie die Sache allein zu Ende brachten. Es wäre dann davon auszugehen, daß spätestens jetzt sich die Tätergruppe über das weitere Vorgehen uneinig wurde. Damit würde sich jedes unkoordinierte weitere Handeln der Täter erklären, denn jetzt begann die Sache aus dem Ruder zu laufen. Fest stand für sie nur, daß sie schleunigst mit dem Opfer den Tatort verlassen mussten und übersahen evtl. daß es zunächst überlebte. Ihn wieder anzukleiden, schafften sie ebenfalls nicht mehr.
Wenn die Aussage des schwerverletzten G. Stoll stimmt, daß vier Mann in seinem Auto gesessen hätten, was ich ein wenig bezweifle (in einem anderen Pressebericht ist von 3 Mann die Rede), wäre das ausgefallene Fluchtauto zudem eine Erklärung, warum sich anschließend alle in seinen Golf quetschten. Man muß sich das einmal vorstellen, fünf erwachsene Männer in einem kleinen Golf 1! Das muß ausgesehen haben, als hätte sich eine ganze Türkenfamilie in ein Goggo gequetscht! Denn der Golf 1 ist zwar ein Fünfsitzer, doch ein kleines Auto, das in der Größenordnung nicht vergleichbar mit dem VW-Modell ist, das heute diesen Namen trägt. Niemand wäre in dieser Besetzung ohne Not über eine längere Strecke auf die Autobahn gefahren und wenn doch, dann wäre das auffällig tief in den Federn hängende und an den zahlreichen Autobahnsteigungen langsam werdende Auto für unzählige überholfreudige Drängler zum wiederholten Ärgernis geworden. Mit guten Chancen, sich als Zeugen daran zu erinnern.
Auch keiner der beiden LKW-Fahrer konnte sich erinnern, auf der Strecke von Stolls Golf überholt worden zu sein, was aber für einen aufmerksamen Kraftfahrer wahrscheinlich wäre, wenn man ein Auto demoliert im Straßengraben liegen sieht. Und vom Zeitfenster betrachtet kann der Vorsprung des Golf nicht allzu groß gewesen sein. Also ein weiteres Indiz, daß als Tatort nur der eine Parkplatz zwischen der Raststätte Kaltenborn und der Abfahrt Hagen-Süd in in Frage kommt, wie schon jemand anderes schrieb.
Daß die Autobahn auf genau diesem Abschnitt seltenerweise (und bis heute) keine rechte Leitplanke aufweist, muß den Tätern gelegen gekommen sein, sofern dies nicht schon Bestandteil des Plans war. Jetzt brauchten sie nur noch bei mäßiger Geschwindigkeit ein Hindernis am Straßenrand anzusteuern, um das Auto so zu demolieren daß es nach Unfall aussah, angeschnallt aber kaum eigene Verletzungen riskierten. Den Bildern nach zu urteilen kann die Anprallgeschwindigkeit nämlich kaum mehr als 30 km/h betragen haben.
Egal wieviele Täter im Auto waren, jetzt wurden sie ein weiteres Mal daran gehindert, die Tat zu vollenden und zwar durch die herannahenden LKW. Stattdessen mußten sie ganz schnell das Weite suchen und das Auto mit Opfer so zurücklassen wie vorgefunden. Spekulieren läßt sich noch über die geöffnete Heckklappe, ob hier noch nach einem Benzinkanister gesucht wurde, um alles abzufackeln oder ob die Klappe von Unfallhelfern geöffnet wurde, etwa bei der Suche nach einer Decke.
Nun mal ehrlich, wie wäre die Sache wohl ausgegangen, wenn es der Bande noch gelungen wäre, ihr Opfer wieder angekleidet und tot auf den Fahrersitz zu bugsieren?
Mit Sicherheit hätte es zunächst ausgesehen wie ein ganz normaler Unfall, mit besten Aussichten als solcher zu den Akten zu gehen, ohne daß je wieder ein Hahn danach gekräht hätte. Selbst wenn einem Rettungssanitäter die Schwere der Verletzungen verdächtig vorgekommen wäre, erscheint es mir kaum wahrscheinlich, daß ein Staatsanwalt deshalb Mordermittlungen veranlaßt hätte.
Man muß dazu bedenken, daß man sich lange Zeit mit im Straßenverkehr vermeintlich tödich verunglückten Menschen wenig Mühe gab, sie evtl. zu retten. Oft wurde der Tod durch Polizeibeamte festgestellt, die keine medizinische Ausbildung besaßen und der Krankenwagen wieder weggeschickt, sofern überhaupt einer kam. Wenn ich mir Unfallbilder aus den 60er Jahren ansehe, mit den in den zerstörten Fahrzeugen verbliebenen Unfallopfern, während im Hintergrund die Polizisten in aller Beamtenruhe damit beschäftigt sind die Bremsspuren auszumessen, dazu noch die Unfallstelle gesäumt von Heerscharen untätiger Gaffer, dann frage ich mich, wieviele Unfallopfer wohl damals hätten gerettet werden können, wenn es nur versucht worden wäre anstatt sie voreilig als tot abzuschreiben. Diese Situation der desaströsen Unfallrettung besserte sich erst mit Einführung der Rettungshubschrauber Anfang der 70er Jahre.
Auch wenn sich die Geschichte gut 10 Jahre später abspielte, im Kalkül der Täter könnten diese Dinge durchaus eine Rolle gespielt haben.
Ferner wird einem hier bewußt, in welcher Gefahr der erste LKW-Fahrer durch seine Hilfsbereitschaft unter Umständen war, wenn man bedenkt welch eine skrupellose und panisch gewordene Täterbande sich möglicherweise in der Nähe befand. Erst der unmittelbar darauf anhaltende zweite LKW ließ die Täter vielleicht die Flucht ergreifen.
Und wohin? Diese Frage wurde ja auch gestellt. Der Industrie-Stadtteil Hagen-Delstern liegt nur wenige Minuten zu Fuß durch den Wald vom Fundort entfernt. Hier soll es Gerüchten zufolge Jahre lang durch Kontaminierung brachliegende Fabrikanlagen gegeben haben, wo sich die Täter bis zum Tagesanbruch hätten verkrümeln können.
Ich werde den Eindruck nicht los, daß seinerzeit viele Chancen den Fall aufzuklären unnötig verspielt wurden. Angefangen mit der XY-Sendung, wo ein ganz anderes, weit älteres Golf-Modell gezeigt wurde, mit den frühen Chromstoßstangen und der luxuriösen GL-Ausstattung. Die Unfallbilder zeigen dagegen einen Golf 1 der letzten Serie mit den Plastikstoßfängern, wahrscheinlich auch den großen Rückleuchten, wenn auch nicht eindeutig erkennbar. Dagegen erkennbar ist die einfache Grundausstattung des Modells, wie die nackten Blechstreifen innen unter den Seitenfenstern sowie die innen nackten Dachholme verraten. Über die Motorisierung gibt dies zwar keinen Aufschluß, doch ich tippe auf die schwache 50-PS Version und ein schneller GTI mit 110 PS ist es auf keinen Fall gewesen.
Alles hier Gesagte ist natürlich reine Spekulation. Doch in Anbetracht der bekannten Fakten erscheint mir dies die plausibelste Rekonstruktion des Falles.
Daß die seltsame Buchstabenkombination nicht unerheblich zu wahrscheinlich falschen Ansätzen beitrug, sollte andereseits nicht unerwähnt bleiben. Fest steht nur, daß die Täter so wie die Sache verlief, weit mehr Glück als Verstand hatten und als einziger Trost bleibt, daß sie lange Zeit in der Angst leben mußten, am Ende überführt zu werden.
sh
seit einiger schon verfolge ich die Diskussion, nachdem ich irgendwann durch Zufall auf diese Geschichte aufmerksam wurde.
Die Sauerland-Autobahn A45 kenne ich wie meine Westentasche und bin –zig mal an der besagten Stelle vorbeigekommen, ohne daß ich jemals zuvor von diesem Fall gehört hatte.
Sieht man einmal von diesem komischen Wort auf dem Zettel ab, wofür auch ich keinen Ansatz einer Erklärung habe, sofern es überhaupt mit dem Verbrechen zu tun hat, so erscheint mir dieser Fall um den Tod des Herrn Günther Stoll gar nicht so sehr mysteriös, wie es dargestellt wird. Reiht man alle uns bekannten Fakten aneinander, so ergibt sich eigentlich ein recht schlüssiges Bild, was dort passiert sein könnte:
Kurz zusammengefaßt:
Ein arbeitsloser Mann hat sich auf krumme Geschäfte mit einer skrupellosen Verbrecherbande eingelassen. Diesen schuldete er Geld, welches er nicht hatte. Die späteren Täter übten zunächst massiven Druck auf ihn aus, doch nachdem sie erkannten, daß bei ihm nichts zu holen ist, wurde er für sie zum Risiko und sie sahen sich veranlaßt, ihn als Mitwisser zu beseitigen. Dabei müssen sie massive Gründe gehabt haben, den Mord an ihm als Verkehrsunfall zu kaschieren, um Ermittlungen im persönlichen Umfeld von G.Stoll unter allen Umständen zu vermeiden. Dies wäre ihnen auch beinahe gelungen, wären für die Täter dabei nicht zwei Dinge schiefgelaufen: Sie wurden bei der Tat gestört und ihr Fluchtfahrzeug fiel aus.
Die Einzelheiten:
Ich gehe davon aus, daß der Schlüssel zu der Tat in der ominösen Kneipe in Wilnsdorf liegt und daß die Täter aus dem Raum Siegen stammten. Hier kam Stoll mit der Bande in Kontakt und hier traf man sich regelmäßig.
Den Ablauf des Geschehens in der besagten Nacht stelle ich mir folgendermassen vor: Der Vorfall mit dem Hocker war die erste Warnung, um der Geldforderung Nachdruck zu verleihen. G. Stoll fiel nicht um, sondern er wurde geschlagen. Wirt und Zeugen haben bei der späteren Vernehmung aus Angst gelogen.
Als letzten Ausweg fiel Stoll dann wohl die alte Dame in Haiger ein, um sich von ihr das Geld zu borgen. Sie kannte ihn ja von früher, er hatte sie als stets hilfsbereit in Erinnerung und alte Omas sollen ja oft so einen Sparstrumpf unterm Bett haben. Also ließ ihn die Bande dorthin fahren, mit der Auflage, sich noch in derselben Nacht wieder bei ihnen zu melden. Doch die alte Frau wies ihn ab und er mußte mit leeren Händen zurückkehren.
Für das was nun passierte gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder, man gab ihm als letzte Chance die Möglichkeit, seine Schulden durch einen neuen „Auftrag“ abzuarbeiten. Die Anweisungen dafür sollten ihm aber an einem anderen, fernen Ort erteilt werden und dazu müsse der „Chef“ der Bande hinzugezogen werden, der sich weiter entfernt aufhält. Oder diese Option war nur ein Trick, um ihn zum späteren Tatort zu locken, der sich in sicherer Entfernung befinden sollte. In jedem Fall aber, jetzt oder später, erklärte sich G. Stoll dazu außerstande, wollte nicht mehr mitmachen, machte evtl. eine unbedachte Äußerung, z. B. er könne ja zur Polizei gehen, so daß damit sein Schicksal besiegelt war.
Wie wir bereits gelesen haben, spricht vieles dafür, daß Tatort und Fundort nicht allzu weit auseinander liegen. Nächtliche Autobahnparkplätze ohne Rastanlage bieten immer ein hohes Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden. Denn hier ist das Opfer schutzlos ausgeliefert und der Täter hat beste Fluchtmöglichkeiten. Ich gehe fest davon aus, daß die Tat auf einem solchen Parkplatz an der A45 Richtung Hagen verübt wurde, und zwar nicht allzu weit vor der Abfahrt Hagen-Süd, dem späteren Fundort.
Doch wie kamen Günther Stoll und sein Auto dorthin? Trat er seine letzte Fahrt noch freiwillig an? Wurde er in seinem Auto entführt? Oder mit vorhaltener Waffe gezwungen, auf die Autobahn Richtung Hagen/Dortmund einzubiegen, während das zweite Fahrzeug mit den übrigen Bandenmitgliedern hinterherfuhr?
Wir wissen es nicht, denn für diesen Zeitabschnitt fehlen wichtige Zeugen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit muß der Golf noch vorher betankt worden sein, denn der Tank des Golf 1 faßt nur 40 Ltr, die Tankanzeige steht bei diesem Auto oft schon auf „leer“, auch wenn noch knapp 100 km drin sind und die weite Strecke war von Stoll gewiß nicht geplant. Viele Tankstellen, die zu nächtlicher Stunde noch geöffnet haben, kommen auf der Strecke nicht in Frage, so daß es hier Zeugen gegeben haben müßte. Ebenfalls wissen wir nicht, warum der weit entfernte Tatort gewählt wurde, z. b. weil die Täter sich dort sicherer fühlten oder ob sie in der Gegend von Hagen bzw. Ruhrgebiet einen weiteren Wirkungskreis hatten, andererseits sich dieser zügig über die Autobahn erreichen ließ.
Zur Tat selbst: Das Entkleiden vor dem gewaltsamen Überfahren macht in zweierlei Hinsicht Sinn, denn das Opfer sollte schwere tödliche Verletzungen erleiden, die Kleidung aber unversehrt bleiben. Denn die Täter hatten natürlich vor, ihn hinterher wieder angekleidet hinter das Steuer seines demolierten Autos zu setzen, um so einen ganz normalen Verkehrsunfall vorzutäuschen. Aber mit zerfetzten und ölverschmierten Klamotten hätte das wenig überzeugend gewirkt. Daß andererseits am Tatfahrzeug verräterische Faserspuren zurückgeblieben wären, kann ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Als Mordwaffe wurde bestimmt nicht der Lieblings-Rolls-Royce des Bandenchefs verwendet, sondern eher ein gestohlenes Auto mit gefälschten Kennzeichen, was zu besorgen für Berufsverbrecher kein Problem ist. Ein solches hätte notfalls auch am Tatort zurückbleiben können. Ich schließe nicht aus, daß auch noch ein drittes Fahrzeug im Spiel war. Die schweren Verletzungen deuten darauf hin, daß das Opfer mehrfach überfahren wurde, wahrscheinlich vorwärts und rückwärts bis es hätte tot sein sollen. Hierbei muß nun etwas dazwischen gekommen sein, was die Täter nicht eingeplant hatten. Sie mußten das Massaker abbrechen, weil sich entweder Scheinwerferlicht eines unbeteiligten Fahrzeugs näherte, das Tatfahrzeug fahrunfähig wurde oder das Bandenmitglied am Steuer, plötzlich von der eigenen Brutalität erschüttert, die Panik bekam und davonbrauste, so daß seine Freunde nun zusehen konnten, wie sie die Sache allein zu Ende brachten. Es wäre dann davon auszugehen, daß spätestens jetzt sich die Tätergruppe über das weitere Vorgehen uneinig wurde. Damit würde sich jedes unkoordinierte weitere Handeln der Täter erklären, denn jetzt begann die Sache aus dem Ruder zu laufen. Fest stand für sie nur, daß sie schleunigst mit dem Opfer den Tatort verlassen mussten und übersahen evtl. daß es zunächst überlebte. Ihn wieder anzukleiden, schafften sie ebenfalls nicht mehr.
Wenn die Aussage des schwerverletzten G. Stoll stimmt, daß vier Mann in seinem Auto gesessen hätten, was ich ein wenig bezweifle (in einem anderen Pressebericht ist von 3 Mann die Rede), wäre das ausgefallene Fluchtauto zudem eine Erklärung, warum sich anschließend alle in seinen Golf quetschten. Man muß sich das einmal vorstellen, fünf erwachsene Männer in einem kleinen Golf 1! Das muß ausgesehen haben, als hätte sich eine ganze Türkenfamilie in ein Goggo gequetscht! Denn der Golf 1 ist zwar ein Fünfsitzer, doch ein kleines Auto, das in der Größenordnung nicht vergleichbar mit dem VW-Modell ist, das heute diesen Namen trägt. Niemand wäre in dieser Besetzung ohne Not über eine längere Strecke auf die Autobahn gefahren und wenn doch, dann wäre das auffällig tief in den Federn hängende und an den zahlreichen Autobahnsteigungen langsam werdende Auto für unzählige überholfreudige Drängler zum wiederholten Ärgernis geworden. Mit guten Chancen, sich als Zeugen daran zu erinnern.
Auch keiner der beiden LKW-Fahrer konnte sich erinnern, auf der Strecke von Stolls Golf überholt worden zu sein, was aber für einen aufmerksamen Kraftfahrer wahrscheinlich wäre, wenn man ein Auto demoliert im Straßengraben liegen sieht. Und vom Zeitfenster betrachtet kann der Vorsprung des Golf nicht allzu groß gewesen sein. Also ein weiteres Indiz, daß als Tatort nur der eine Parkplatz zwischen der Raststätte Kaltenborn und der Abfahrt Hagen-Süd in in Frage kommt, wie schon jemand anderes schrieb.
Daß die Autobahn auf genau diesem Abschnitt seltenerweise (und bis heute) keine rechte Leitplanke aufweist, muß den Tätern gelegen gekommen sein, sofern dies nicht schon Bestandteil des Plans war. Jetzt brauchten sie nur noch bei mäßiger Geschwindigkeit ein Hindernis am Straßenrand anzusteuern, um das Auto so zu demolieren daß es nach Unfall aussah, angeschnallt aber kaum eigene Verletzungen riskierten. Den Bildern nach zu urteilen kann die Anprallgeschwindigkeit nämlich kaum mehr als 30 km/h betragen haben.
Egal wieviele Täter im Auto waren, jetzt wurden sie ein weiteres Mal daran gehindert, die Tat zu vollenden und zwar durch die herannahenden LKW. Stattdessen mußten sie ganz schnell das Weite suchen und das Auto mit Opfer so zurücklassen wie vorgefunden. Spekulieren läßt sich noch über die geöffnete Heckklappe, ob hier noch nach einem Benzinkanister gesucht wurde, um alles abzufackeln oder ob die Klappe von Unfallhelfern geöffnet wurde, etwa bei der Suche nach einer Decke.
Nun mal ehrlich, wie wäre die Sache wohl ausgegangen, wenn es der Bande noch gelungen wäre, ihr Opfer wieder angekleidet und tot auf den Fahrersitz zu bugsieren?
Mit Sicherheit hätte es zunächst ausgesehen wie ein ganz normaler Unfall, mit besten Aussichten als solcher zu den Akten zu gehen, ohne daß je wieder ein Hahn danach gekräht hätte. Selbst wenn einem Rettungssanitäter die Schwere der Verletzungen verdächtig vorgekommen wäre, erscheint es mir kaum wahrscheinlich, daß ein Staatsanwalt deshalb Mordermittlungen veranlaßt hätte.
Man muß dazu bedenken, daß man sich lange Zeit mit im Straßenverkehr vermeintlich tödich verunglückten Menschen wenig Mühe gab, sie evtl. zu retten. Oft wurde der Tod durch Polizeibeamte festgestellt, die keine medizinische Ausbildung besaßen und der Krankenwagen wieder weggeschickt, sofern überhaupt einer kam. Wenn ich mir Unfallbilder aus den 60er Jahren ansehe, mit den in den zerstörten Fahrzeugen verbliebenen Unfallopfern, während im Hintergrund die Polizisten in aller Beamtenruhe damit beschäftigt sind die Bremsspuren auszumessen, dazu noch die Unfallstelle gesäumt von Heerscharen untätiger Gaffer, dann frage ich mich, wieviele Unfallopfer wohl damals hätten gerettet werden können, wenn es nur versucht worden wäre anstatt sie voreilig als tot abzuschreiben. Diese Situation der desaströsen Unfallrettung besserte sich erst mit Einführung der Rettungshubschrauber Anfang der 70er Jahre.
Auch wenn sich die Geschichte gut 10 Jahre später abspielte, im Kalkül der Täter könnten diese Dinge durchaus eine Rolle gespielt haben.
Ferner wird einem hier bewußt, in welcher Gefahr der erste LKW-Fahrer durch seine Hilfsbereitschaft unter Umständen war, wenn man bedenkt welch eine skrupellose und panisch gewordene Täterbande sich möglicherweise in der Nähe befand. Erst der unmittelbar darauf anhaltende zweite LKW ließ die Täter vielleicht die Flucht ergreifen.
Und wohin? Diese Frage wurde ja auch gestellt. Der Industrie-Stadtteil Hagen-Delstern liegt nur wenige Minuten zu Fuß durch den Wald vom Fundort entfernt. Hier soll es Gerüchten zufolge Jahre lang durch Kontaminierung brachliegende Fabrikanlagen gegeben haben, wo sich die Täter bis zum Tagesanbruch hätten verkrümeln können.
Ich werde den Eindruck nicht los, daß seinerzeit viele Chancen den Fall aufzuklären unnötig verspielt wurden. Angefangen mit der XY-Sendung, wo ein ganz anderes, weit älteres Golf-Modell gezeigt wurde, mit den frühen Chromstoßstangen und der luxuriösen GL-Ausstattung. Die Unfallbilder zeigen dagegen einen Golf 1 der letzten Serie mit den Plastikstoßfängern, wahrscheinlich auch den großen Rückleuchten, wenn auch nicht eindeutig erkennbar. Dagegen erkennbar ist die einfache Grundausstattung des Modells, wie die nackten Blechstreifen innen unter den Seitenfenstern sowie die innen nackten Dachholme verraten. Über die Motorisierung gibt dies zwar keinen Aufschluß, doch ich tippe auf die schwache 50-PS Version und ein schneller GTI mit 110 PS ist es auf keinen Fall gewesen.
Alles hier Gesagte ist natürlich reine Spekulation. Doch in Anbetracht der bekannten Fakten erscheint mir dies die plausibelste Rekonstruktion des Falles.
Daß die seltsame Buchstabenkombination nicht unerheblich zu wahrscheinlich falschen Ansätzen beitrug, sollte andereseits nicht unerwähnt bleiben. Fest steht nur, daß die Täter so wie die Sache verlief, weit mehr Glück als Verstand hatten und als einziger Trost bleibt, daß sie lange Zeit in der Angst leben mußten, am Ende überführt zu werden.
sh