frauZimt schrieb:Konnte die Gerichtsmedizin ältere Verletzungen-Veränderungen im Gewebe feststellen, die auf einen älteren Missbrauch schließen lassen konnten?
@frauZimt Als ich noch einmal nachgeschaut habe, was man dazu findet, war ich doch einigermaßen überrascht, dass - wenigstens die Experten für Kindesmissbrauch, die während der anfänglichen Untersuchungen des Verbrechens durch das Polizeipräsidium Boulder (BPD) beauftrag wurden, zu der Auffassung gelangten, dass vorangegangener Missbrauch tatsächlich stattgefunden hat.
1. Ursprünglich (Augut 1996 ?) wurde John MCCann mit der entsprechenden Analyse des Autopsieberichts beauftragt. Er kam zu dem Schluss, dass Hinweise für vorangegangenen Missbrauch - eine vorangegangene Verletzung des Hymens - vorlagen.
(Bonita papers, zitiert nach:
http://jonbenetramsey.pbworks.com/w/page/11682469/Evidence%20of%20Prior%20Sexual%20Abuse)
2. Auf Grundlage dieses Befundes wollte das BPD wohl ganz sicher gehen. Denn im Spetember 1997 wurde zusätzlich noch eine Expertenkomission eingesetzt, die aus insgesamt sechs Experten für sexuellen Missbrauch bestand. Dieses Expertenpanel setzte sich aus folgenden Wissenschaftlern zusammen:
"- John McCann, MD - Clinical Professor of Medicine, Department of Pediatrics, UC Davis, acknowledged to be the foremost expert on child sexual abuse in the country;
- David Jones, MD - Professor of Preventive Medicine and Biometrics, UC Boulder;
- Robert Kirschner, MD - University of Chicago Department of Pathology;
- James Monteleone, MD - Professor of Pediatrics at St Louis University School of Medicine and Director of Child Protection at Cardinal Glennon Children's Hospital;
- Ronald Wright, MD - former Medical Examiner, Cook County, Illinois; and
- Virginia Rau, MD - Miami-Dade County Medical Examiner."
Die Experten des Panels waren sich einig: Verletzung und Veränderungen im Genitalbereich von Jb seien Beweis für einen vorangegangenen sexuellen Missbrauch: "
All stated they observed evidence of both acute injury and chronic sexual abuse".
(Quelle:
http://solvingjonbenet.blogspot.de/2016/09/evidence-of-chronic-sexual-abuse-guest.html)
Auf pbworks.com wird aus einer Quelle zitiert (Thomas 2000a), wonach die Experten sich nicht nur einig waren, dass entsprechende Beweise vorlagen, sondern auch anderweitige Einflüsse ausdrücklich als Ursache der Verletzungen/Veränderungen ablehnten:
" There were no dissenting opinions among them on the issue,
and they
firmly rejected any possibility that the trauma to the hymen and chronic vaginal inflammation were caused by urination issues or masturbation."
(Quelle: Thomas 2000a, S. 253; zitiert nach
http://jonbenetramsey.pbworks.com/w/page/11682469/Evidence%20of%20Prior%20Sexual%20Abuse)
Ein weiteres, vom Panel unabhängiges Gutachten, stammt von Cyril Wecht, MD. (Quellen: pbworks, solvingjonbenet). Wecht unterstützt die Ergebnisse des Expertenpanels -"Dr Cyril Wecht, a forensic pathologist, in a separate assessment, concurred" (solvingjonbenet) - und erklärte, dass "
there had been prior sexual abuse" (pbworks).
Der unrsprünglich beauftragte Experte, das vom BPD eingesetzte Expertenpanel sowie ein weiterer, unabhänggiger Experte kamen also einstimmig zu dem Ergebnis, dass das Kind missbraucht wurde. Das deckt sich nicht ganz mit der in der Öffentlichkeit - so auch hier - häufig vertretenen Meinung, diese Befunde seien 'höchst umstritten'.Diesen Befunden wurde wohl maßgeblich von zwei Experten - Doberson und Krugman - (solvingjonbenet) sowie dem Hausarzt der Ramseys (pbworks) widersprochen, wobei meines Wissens keiner der drei mit offiziellen Untersuchungen betraut war.
- "Dr Michael Doberson, Arapahoe County, Colorado coroner" (solvingjonbenet) wendete gegen die Befunde ein, dass er auf Grundlage des Autopsieberichts nicht über ausreichende Informationen verfüge, um einen Missbrauch festzustellen ("
said only he would need more information before coming to a conclusion" (ebd.).
Ähnlich generell äußerte sich auch
- "Dr Richard Krugman, of University of Colorado Health Services" (ebd.). Er ist der zweite Experte, auf den häufig Bezug genommen wird, um gegen vorangegangenen Missbrauch zu argumentieren. Auch Krugman äußerte grundlegende Zweifel und argumentierte, dass man anhand von rein körperlichen Spuren einen sexuellen Missbrauch nicht feststellen könne: "
I don't believe it's possible to tell whether any child is sexually abused on physical findings alone" (ebd.; pbworks).
Krugmans Äußerung wurde daraufhin kontrovers diskutiert und z.B. von Wecht scharf angegriffen (ebd.). Gegen die Auffassung von Krugman, als Einwand in Bezug auf die Befunde im Jb-Fall, lässt sich argumentieren, dass auch eine Verhaltenssymptomatik an Jb festgestellt wurde, namentlich das Bettnässen (und Schmieren mit Fekalien?), das - neben anderen möglichen Ursachen - auch als Hinweis auf sexuellen Missbrauch interpretierbar ist.
Alles in allem erscheint es mir weniger umstritten als allgemein angenommen, dass bei Jb ein vorangegangener Missbrauch stattgefunden hat. Häufig sind es ja populäre 'Fehlquellen', die zur Verbreitung solcher, offensichtlich nicht durch die Datenlage gedeckten Auffassungen beitragen. In diesem Fall würde ich diese Rolle - mal wieder - der häufig zitierten Publikation von Julie Carnes (2003) zusprechen. Carnes, die Richterin in einem Zivilprozess gegen die Ramseys aus dem Jahr 2003 war, veröffentlichte einen 90-seitigen Bericht auf Grundlage der - im Rahmen dieses Prozesses - ihr vorrgelegten Beweise der beiden Verfahrensparteien. Dieser Bericht zeichnet sich vor allem durch eine Lesart der vorgetragenen Sachverhalte aus, die jeglichen Verdacht gegenüber den Ramseys zurückweist. Dieser Bias von Carnes lässt sich auch in Bezug auf die Annahme eines möglichen vorangegangenen Missbrauch an Jb - im Kontext der oben zusammengetragenen Datenlage - klar belegen. So resümierte Carnes (2003) in diesem Zusammenhang schlicht: "No evidence, however, suggests that she was the victim of chronic sexual abuse." Dieses Resumée con Carnes mutet absurd an, betrachtet man die Aussagen der im Fall mit der Klärung des Missbrauchverdachts betrauten Experten.